Urteil des OLG Stuttgart vom 25.10.2013

OLG Stuttgart: rechtliches gehör, ordre public, anerkennung, vergleich, eugh, vollstreckung, verordnung, bundesamt, hausmann, entscheidungsformel

OLG Stuttgart Beschluß vom 25.10.2013, 17 UF 189/13
Leitsätze
Art. 34 Abs. 1 EuUntVO steht der Ablehnung eines Antrags nach Art. 23 Abs. 2 EuUntVO wegen
fehlenden Rechtschutzbedürfnisses (hier: aufgrund nachgewiesener Erfüllung der titulierten
Verpflichtung vor Einleitung des Verfahrens) nicht entgegen.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts –
Familiengericht – Stuttgart vom 01.08.2013 in Ziff. 3 bis 5 der Entscheidungsformel
abgeändert:
3. Der Antrag zu beschließen, dass Punkt 1. II. des am 01.03.2013 vor
dem Londonderry Country Court, Az. ..., geschlossenen Vergleichs
anzuerkennen ist, wird zurückgewiesen.
4. (-)
5. Die auf den Antrag 3 a) vom 06.06.2013 entfallenden Kosten des
Verfahrens trägt der Antragsgegner; im Übrigen trägt die Antragstellerin
Ziff. 1 die Kosten des Verfahrens.
Die weitergehende Beschwerde des Antragsgegners wird
zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens betreffend Ziff. 1, 2 des Beschlusses vom 01.08.2013
trägt der Antragsgegner; im Übrigen trägt die Antragstellerin Ziff. 1 die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
3. Den Antragstellern Ziff. 1 - 4 wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren bewilligt.
4. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird wie folgt festgesetzt:
Beschwerde gegen Ziff. 1, 2 des Beschlusses
vom 01.08.2013
44.240,69
EUR
Beschwerde gegen Ziff. 3, 4 des Beschlusses
vom 01.08.2013
12.898,55
EUR
gesamt
57.139,24
EUR
.
5. Der Verfahrenswert des Verfahrens im ersten Rechtszug wird in Abänderung der Festsetzung
des Amtsgericht wie folgt festgesetzt:
Antrag Ziff. 3 a) vom 06.06.2013 44.240,69 EUR
Antrag Ziff. 3 b) vom 06.06.2013 12.898,55 EUR
gesamt
57.139,24 EUR .
Gründe
I.
1
Durch vor dem Londonderry Country Court, Northern Ireland, Nr. ..., geschlossene
Vereinbarung vom 01.03.2013 ist der Antragsgegner u. a. verpflichtet, an die
Antragstellerin Ziff. 1, seine geschiedene Ehefrau, insgesamt 18.500,00 GBP zu zahlen,
womit sämtliche Ansprüche auf Ehegattenunterhalt abgegolten sein sollen. Zudem ist
unter 1. II. des Vergleichs geregelt:
2
„Die Parteien vereinbaren, dass die derzeit vom Gericht in G., Deutschland,
treuhänderisch verwahrten Gelder an die Berufungsbeklagte freigegeben werden. Jede
Partei ist damit einverstanden, sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind,
um die unverzügliche Freigabe dieser Gelder zu ermöglichen.“
3
Darüber hinaus enthält der Vergleich unter Ziff. 2 die Verpflichtung des Antragsgegners
zur Zahlung von Kindesunterhalt für die Kinder K., S. und P., die Antragsteller Ziff. 2 - 4.
Auf die bei den Gerichtsakten befindliche Übersetzung der Vereinbarung wird verwiesen.
4
Die im Vereinigten Königreich – Nordirland lebenden und durch das Bundesamt für Justiz
vertretenen Antragsteller haben durch Schreiben vom 06.06.2013 beantragt, den
Vergleich vom 01.03.2013 hinsichtlich der darin enthaltenen Zahlungsansprüche der
Antragstellerin Ziff. 1 und hinsichtlich der Verpflichtung zur Zahlung des Kindesunterhalts
für vollstreckbar zu erklären und mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen. Weiter
haben sie beantragt zu beschließen, die Regelung unter 1. II. des Vergleichs über die
Freigabe der beim Amtsgericht Göppingen verwahrten Gelder anzuerkennen. Auf den
Schriftsatz vom 06.06.2013 wird verwiesen.
5
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 01.08.2013 ausgesprochen, dass der
Vergleich vom 01.03.2013 hinsichtlich der Verpflichtung des Antragsgegners zu
Unterhaltszahlungen für die Antragstellerin Ziff. 1 und die Antragsteller Ziff. 2 - 4 mit der
Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu versehen ist
und den Wortlaut der zu vollstreckenden Verpflichtungen wiedergegeben. Darüber hinaus
hat es ausgesprochen, dass der Vergleich vom 01.03.2013 hinsichtlich der Vereinbarung
über die Freigabe der hinterlegten Beträge anerkannt wird und den Wortlaut der Regelung
wiedergegeben. Die Kosten des Verfahrens hat es dem Antragsgegner auferlegt.
6
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 23.08.2013 beim
Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Er beantragt, den angefochtenen Beschluss
aufzuheben und die Anträge der Antragsteller zurückzuweisen. Er ist der Ansicht, dass für
die gestellten Anträge der Antragsteller kein Rechtschutzbedürfnis bestehe, da er die
fälligen Zahlungspflichten vollständig erfüllt habe und auch laufend die
Unterhaltszahlungen freiwillig und pünktlich erbringe. Auch hinsichtlich des Antrags auf
Anerkennung der Regelung über die Freigabe der hinterlegten Beträge bestehe kein
Rechtschutzbedürfnis, da er die Freigabe zugunsten der Antragstellerin Ziff. 1 schon
erklärt habe und die hinterlegten Beträge vom Amtsgericht G. noch vor Einleitung des
vorliegenden Verfahrens an sie ausgezahlt worden seien.
7
Das Bundesamt für Justiz hat durch Schreiben vom 01.10.2013 namens der Antragsteller
die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Es hat ausgeführt, dass ein
Rechtschutzbedürfnis bestehe und der vom Antragsgegner erhobene Einwand im
vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht werden könne.
8
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.
II.
9
Die Beschwerde des Antragsgegners hat nur teilweise Erfolg.
1.
10 Auf das Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung sind nach Art. 76, Art. 75
Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die
Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO) anzuwenden.
Dies gilt insbesondere für die Art. 23 ff. i.V.m. Art. 48 EuUntVO, da das Vereinigte
Königreich durch das Haager Unterhaltsprotokoll vom 23.11.2007 nicht gebunden ist.
Zudem finden die entsprechenden Vorschriften des Gesetzes zur Geltendmachung von
Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (AUG) Anwendung.
2.
11 Das Rechtsmittel des Antragsgegners wurde innerhalb der Frist des § 43 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 AUG sowie Art. 32 Abs. 5 Satz 1 EuUntVO von 30 Tagen
eingelegt und ist auch im Übrigen zulässig.
3.
12 Soweit sich die Beschwerde gegen Ziff. 1, 2 des Beschlusses vom 01.08.2013 richtet, hat
sie keinen Erfolg.
13 Nach der insoweit zweifelsfrei anwendbaren Bestimmung des Art. 34 Abs. 1 EuUntVO
darf die Vollstreckbarerklärung von dem Rechtsmittelgericht nur aus einem der in Art. 24
EuUntVO aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Solche Gründe werden
vorliegend vom Antragsgegner nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht
ersichtlich. Auch ein Verstoß gegen den ordre public (Art. 24 lit. a) EuUntVO) ist nicht
erkennbar. Insbesondere berechtigt das vom Antragsgegner behauptete Fehlen eines
allgemeinen Rechtschutzbedürfnisses wegen der Beschränkung der Prüfungskompetenz
des Beschwerdegerichts nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der
besondere Fall des Fehlens der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 EuUntVO (zu
dessen Bewertung nachfolgend zu 4.) liegt nicht vor.
14 Der Antragsgegner macht in der Sache geltend, er habe die titulierten Verpflichtungen
bereits erfüllt bzw. erfülle die laufenden Verpflichtungen pünktlich. Jedoch ist die
Geltendmachung dieses Einwands mit den Grundsätzen des Verfahren der
Vollstreckbarerklärung nicht vereinbar (vgl. EuGH v. 13.10.2011 – C 139/10, NJW 2011,
3506 f).
4.
15 Soweit sich die Beschwerde gegen Ziff. 3, 4 des Beschlusses vom 01.08.2013 richtet, hat
sie hingegen Erfolg, weshalb der angefochtene Beschluss in dem aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang abzuändern ist.
16 Die Antragsteller beantragt, wie sich auch aus dem Schriftsatz vom 06.06.2013 ergibt, die
Feststellung der Anerkennung der Regelung in 1. II. des Vergleichs vom 01.03.2013 nach
Art. 23 Abs. 2 EuUntVO.
17 Die Zulässigkeit eines solchen Feststellungsantrags setzt schon nach seinem Wortlaut
(„bildet die Frage … den Gegenstand eines Streits“) das Bestehen eines
Rechtschutzinteresses voraus. Dieses kann etwa gegeben sein, wenn der Antragsgegner
die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung im Inland bestreitet oder
wenn diese Frage von Gerichten oder Behörden im Inland unterschiedlich beurteilt wird
(vgl. Hausmann, IntEuSchR Abschnitt K Rn. 123).
18 Im vorliegenden Fall besteht das erforderliche Rechtschutzinteresse für den Antrag nach
Art. 23 Abs. 2 EuUntVO nicht. Der Antragsgegner hat vorgetragen und durch Vorlage
einer Kopie der Herausgabeanordnung der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts G. vom
13.03.2013 belegt, dass er die Freigabe der beim Amtsgericht G. verwahrten Gelder
zugunsten der Antragstellerin Ziff. 1 schon erklärt hat und die hinterlegten Beträge vom
Amtsgericht G. daraufhin noch vor Einleitung des vorliegenden Verfahrens an sie
ausgezahlt wurden. Die Antragstellerseite hat dies in ihrer Stellungnahme vom
01.10.2013 nicht bestritten und auch sonst keine Umstände vorgebracht, die ein
fortbestehendes Rechtschutzinteresse begründen könnten. Solche sind auch nicht
ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung in 1. II.
des Vergleichs vom 01.03.2013 weitere Geldbeträge umfassen könnte, als diejenigen,
deren Auszahlung an die Antragstellerin Ziff. 1 durch die Herausgabeanordnung vom
13.03.2013 beschlossen wurde.
19 Die Frage, ob Art. 34 Abs. 1 EuUntVO, der die Versagung oder Aufhebung einer
Vollstreckbarerklärung regelt, auch im Fall der Beschwerde gegen den Ausspruch über
die Anerkennung nach Art. 23 Abs. 2 EuUntVO anwendbar ist, kann offen bleiben. Selbst
wenn die Vorschrift anwendbar wäre, würde sie einer Prüfung der Voraussetzungen des
Art. 23 Abs. 2 EuUntVO in der vorliegenden Fallgestaltung nicht entgegenstehen (aA
wohl Hausmann, IntEuSchR Abschnitt K Rn. 250, 556). Dies folgt daraus, dass es sich
beim Fehlen des Rechtschutzinteresses nicht um einen Grund handelt, aus dem die
Anerkennung selbst versagt würde und auch nicht um eine Einwendung gegen den
Anspruch selbst. Vielmehr handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Voraussetzung,
die in der Verordnung gesondert geregelt ist. Für eine Prüfungsmöglichkeit im
Rechtsmittelverfahren spricht ergänzend auch der Umstand, dass dem Antragsgegner im
ersten Rechtszug kein rechtliches Gehör gewährt wird (vgl. MüKoFamFG/Lipp, 2. A. Art.
34 EG-UntVO Rn. 6) und dass der Antragsgegner das Fehlen des Rechtschutzinteresses
nicht in einem gesonderten Verfahren geltend machen kann. Anders als in den Fällen der
Vollstreckbarerklärung (hierzu EuGH v. 13.10.2011 – C 139/10, NJW 2011, 3506 f)
erfordert im vorliegenden Fall eines Antrags auf Anerkennung der in einem Vergleich
abgegebenen Erklärungen auch der Zweck des Art. 34 EuUntVO, ein rasches und
effizientes Verfahren zu gewährleisten, keine andere Bewertung.
5.
20 Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug folgt aus § 788
ZPO i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 4 AUG. Danach hat der Antragsgegner die Kosten des
Verfahrens hinsichtlich des Antrags Ziff. 3 a) vom 06.06.2013, der Erfolg hat, als Kosten
der Vollstreckung zu tragen. Die Kostentragungspflicht der Antragstellerin Ziff. 1 im
Übrigen, also hinsichtlich des zurückgewiesenen Antrags Ziff. 3 b) vom 06.06.2013, ergibt
sich aus § 40 Abs. 2 i.V.m. § 55 Abs. 1 AUG.
21 Dafür, dass die im Vergleich vom 01.03.2013 unter Ziff. 6 enthaltene Regelung, wonach
jede Partei ihre eigenen „Rechtskosten“ trägt, dahingehend auszulegen wäre, dass sie
auch für das vorliegende, bei Abschluss des Vergleichs noch nicht anhängige Verfahren
gelten soll, bestehen auch unter Berücksichtigung des Inhalts des Vergleichs im Übrigen
keine Anhaltspunkte.
6.
22 Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens gilt das vorstehend Gesagte
entsprechend (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 2 AUG). Ein Fall des § 56 AUG liegt nicht vor.
III.
23 Der Senat entscheidet nach § 45 Abs. 1 AUG ohne mündliche Verhandlung. Den
Antragstellern war Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
IV.
24 Die Bewilligung der beantragten Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung
für die Antragsteller im Beschwerdeverfahren folgt aus § 23, § 22 Abs. 1 AUG.
V.
25 Der Verfahrenswert ist in entsprechender Anwendung des § 51 FamGKG zu bestimmen.
Hierbei ist hinsichtlich der Beschwerde gegen Ziff. 1, 2 des Beschlusses vom 01.08.2013
von einem Wert von 38.600,00 GBP auszugehen, dies entspricht, wie vom Amtsgericht
angenommen, 44.240,69 EUR. Hinzu kommt der Wert der Beschwerde gegen Ziff. 3, 4
des Beschlusses vom 01.08.2013, der unter Zugrundelegung der Auszahlungsanordnung
des Amtsgerichts G. vom 13.03.2013 mit 12.898,55 EUR festzusetzen ist.
26 Nach § 55 Abs. 3 FamGKG ist die Wertfestsetzung des Amtsgerichts entsprechend zu
ändern.