Urteil des OLG Stuttgart vom 04.09.2014

OLG Stuttgart: wohl des kindes, insemination, hausarzt, unterhaltspflicht, einwilligung, schwangerschaft, adoption, werktag, einverständnis, eltern

OLG Stuttgart Urteil vom 4.9.2014, 13 U 30/14
Leitsätze
Auch eine Vereinbarung, mit der ein nicht verheirateter Mann sein Einverständnis zu einer
heterologen Insemination erteilt, enthält, insbesondere wenn er die dafür erforderliche
Samenspende eines Dritten beschafft, regelmäßig zuglich einen von familienrechtlichen
Besonderheiten geprägten berechtigenden Vertrag zugunsten des aus der heterologen
Insemination hervorgehenden Kindes, mit welchem sich der Mann verpflichtet, für den Unterhalt
dieses Kindes wie ein leiblicher Vater zu sorgen.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart
vom 24.01.2014 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen
abgeändert
und der Beklagte unter Abweisung des weitergehenden Zinsantrags verurteilt, an die Klägerin zu
Händen ihrer Mutter
a) 11.193,00 EUR Kindesunterhalt von Mai 2011 bis September 2014 nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 273,00 EUR seit 02.05., 01.06.,
01.07., 01.08., 01.09., 01.10., 02.11. und 01.12.2011, 02.01., 01.02., 01.03., 02.04., 02.05., 01.06.,
02.07., 01.08., 01.09., 01.10., 02.11. und 01.12.2012, 02.01., 01.02., 01.03., 02.04., 02.05., 01.06.,
01.07., 01.08., 02.09., 01.10., 02.11. und 02.12.2013, 02.01., 01.02., 01.03., 01.04., 02.05., 02.06.,
01.07., 01.08. und 01.09.2014,
b) rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit vor Mai 2011 in Höhe von 5.954,00 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.11.2012,
c) ab Oktober 2014 monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 115 % des jeweiligen
Mindestunterhalts gemäß § 1612 a BGB in der zweiten Altersstufe (derzeit 419,00 EUR) und ab
Oktober 2020 in der dritten Altersstufe der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle abzüglich des
monatlichen hälftigen gesetzlichen Kindergeldes für das erste Kind (derzeit 92,00 EUR), somit
derzeit 327,00 EUR, jeweils zum 01. Werktag eines jeden Monats
zu bezahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckung kann abgewendet werden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages, wenn nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet wird.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für beide Instanzen: 17.420,00 EUR
Gründe
I.
1
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.
Ergänzend sei ausgeführt, dass die am 18.10.2008 geborene Klägerin, vertreten durch
ihre Mutter, einen vertraglichen Unterhaltsanspruch, hilfsweise einen
Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Unterhalts, gegen den Beklagten geltend
macht.
2
Die Mutter der Klägerin und der Beklagte pflegten etwa seit dem Jahr 2000 mindestens
bis September 2007 eine freundschaftliche und intime Beziehung, ohne in einem
gemeinsamen Haushalt zusammenzuleben. Da die Mutter der Klägerin sich ein Kind
wünschte und der Beklagte zeugungsunfähig war, führte der Hausarzt der Mutter der
Klägerin bei dieser am 23.07.2007 mit Zustimmung des Beklagten, der auch das
Fremdsperma besorgt hatte, eine heterologe Insemination durch, die jedoch nicht zu einer
Schwangerschaft führte.
3
Die Klägerin trägt vor, im Dezember 2007 und Januar 2008 habe es zwei weitere
Versuche der heterologen Insemination gegeben, wobei letzterer zum Erfolg geführt habe.
Das Fremdsperma habe der Beklagte besorgt. Der Beklagte bestreitet dies.
4
Das Landgericht wies die Klage ab.
5
Die Klägerin beantragt:
6
Unter Abänderung des am 24.01.2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart AZ:
2 O 86/13:
7
1. wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu Händen ihrer Mutter monatlichen
Kindesunterhalt in Höhe von 273,00 EUR jeweils zum 1. Werktag eines jeden Monats
von Mai 2011 bis September 2014 nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz
ab Fälligkeit zu bezahlen.
8
2. wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu Händen ihrer Mutter rückständigen
Kindesunterhalt vor Mai 2011 in Höhe von 5.954,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
9
3. wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu Händen der Mutter ab Oktober 2014
monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 115 % des jeweiligen Mindestunterhalts
gemäß § 1612 a BGB der jeweiligen Altersstufe der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle
abzüglich monatlich hälftiges gesetzliches Kindergeld zu bezahlen, dies jeweils zum
ersten Werktag eines jeden Monats nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab
jeweiliger Fälligkeit.
10 Der Beklagte beantragt,
11 die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
II.
12 Die zulässige Berufung hat in der Sache weitestgehend Erfolg. Der Beklagte schuldet der
Klägerin aufgrund eines berechtigenden Vertrages zu Gunsten Dritter gemäß § 328 Abs.
1 BGB Unterhalt und Zinsen mit Ausnahme der aus den zukünftigen Unterhaltsleistungen
ab Oktober 2014 verlangten.
1.
13 Der Senat ist aufgrund der Feststellungen des Landgerichts und der Anhörung der Mutter
der Klägerin und des Beklagten im Termin vom 28.08.2014 davon überzeugt, dass die
Klägerin im Januar 2008 mit Zustimmung des Beklagten und mittels des von ihm
beschafften Fremdspermas durch heterologe Insemination gezeugt wurde. Die
Darstellung der Mutter der Klägerin, die zwar zurückhaltend, aber dennoch anschaulich
und ehrlich von den Geschehnissen berichtete, war glaubhaft. Offen äußerte sie, dass es
ja nicht die romantischste Art, zu einem Kind zu kommen, gewesen sei.
14 U.a. schilderte sie, dass sie und der Beklagte, mit dem sie seit längerem liiert und intim
war, einen gemeinsamen Kinderwunsch gehabt hätten. Da der Beklagte zeugungsunfähig
gewesen sei und sie beide für eine Adoption bereits zu alt gewesen seien, sei ihnen auch
der Gedanke einer Samenspende gekommen. Sie habe sich deswegen an ihren Hausarzt
gewandt, dem u.a. ein Gespräch mit dem Beklagten, mit dem sie Heiratspläne gehabt
habe, wichtig gewesen sei. Bei dem Arztgespräch habe der Beklagte die gemeinsamen
Pläne bestätigt.
15 Weiter glaubhaft schilderte die Mutter der Klägerin, dass ihr Hausarzt sie im
Zusammenhang mit den Inseminationen zwecks Ermittlung eines günstigen Zeitpunkts
jeweils in der Zeit ihres Eisprungs untersucht und ihr den günstigsten Zeitpunkt mitgeteilt
habe. Zur Zeit des dritten Versuchs im Januar 2008 habe der Beklagte keine Zeit gehabt,
weshalb sie selbst nach S.-W. gefahren sei und im Haus seiner Eltern, in dem er die
Wohnung eines verstorbenen Mieters ausgeräumt habe, die Samenspende in einem von
ihrem Arzt vorab zur Verfügung gestellten Behältnis von ihm überreicht bekommen habe,
mit der sie dann zu ihrem Hausarzt nach A… zurückgefahren sei und den vereinbarten
Inseminationstermin wahrgenommen habe.
16 Der Beklagte bestritt zwar die Überreichung der Samenspende. Er erklärte, sich im
September 2007 mit der Mutter der Klägerin zerstritten zu haben. Im Januar 2008 sei sie
nur deshalb zu ihm nach S.-W. in das Haus seiner Eltern gekommen, um mit ihm über die
Beziehung zu sprechen. Er habe ihr dann angeboten, dies zu einem späteren Zeitpunkt
zu tun, wozu es auch gekommen sei.
17 Die Darstellung des Beklagten ist jedoch nicht glaubhaft. Er wirkte schon nicht
glaubwürdig. Es war auffällig, wie er versuchte, seine Mitwirkung am ersten
Inseminationsversuch vom 23.07.2007 herunterzuspielen. Abstreiten konnte er diese
nicht, nachdem er an dem Gespräch beim Hausarzt der Mutter der Klägerin teilnahm und
dort auch noch eine schriftliche Erklärung dahin unterzeichnete, dass er „für alle Folgen
einer eventuell eintretenden Schwangerschaft aufkommen werde und die Verantwortung
übernehmen werde!“.
18 Der Beklagte wollte auf den gemeinsamen Kinderwunsch und die Heiratspläne nicht groß
eingehen, sondern war vor allem bemüht, das angebliche Zerwürfnis im September 2007
und die daraus resultierende Trennung vor den weiteren Inseminationsversuchen im
Dezember 2007 und Januar 2008 zu schildern. Dies ist jedoch im Hinblick auf sein
Verhalten nach der Geburt der Klägerin, als er wie ein Vater auftrat, unglaubhaft. Zwar
anerkannte er nicht die Vaterschaft, doch unterschrieb er die amtliche „Geburtsanmeldung
eines Kindes“ für das Standesamt als Vater, ließ sich als Vater gratulieren, Familienfotos
mit der neugeborenen Klägerin und deren Mutter fertigen und bezahlte Teile der
Erstausstattung sowie dreimal monatlichen Unterhalt.
19 Hinzu kommt, dass der Mutter der Klägerin die Erfindung ihrer Darstellung und die
Beschaffung von Sperma eines Dritten einschließlich Planung und Durchführung eines
Besuchs beim Beklagten in S.-W. kurz vor dem dritten Inseminationsversuch nicht
zuzutrauen ist, ebenso wenig, wohl wissend, dass ein ihr bekannter Dritter Vater der
Klägerin ist und der Beklagte mit ihrer Zeugung nichts zu tun hat, dessen Überziehung mit
einem Vaterschaftsprozess vor dem Amtsgericht Albstadt, weil er, wie er selbst anlässlich
seiner Anhörung vor dem Familiengericht am 14.09.2009 einräumte, noch im Januar 2008
mit ihr intim war, woran er sich im Termin vor dem Senat wenig überzeugend nicht mehr
erinnern wollte, und mit dem bereits über 3 Jahre dauernden vorliegenden Verfahren,
zumal die Klägerin im Falle der Benennung des biologischen Vaters auch die von ihr
gerichtlich erfolglos erstrebten Ansprüche nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gegen
den Landkreis hätte, die ihr jetzt verwehrt sind, weil ein durch eine anonyme
Samenspende gezeugtes Kind hierauf regelmäßig keinen Anspruch hat (BVerwG FamRZ
2013, 1399).
20 Daher ist davon auszugehen, dass die Klägerin mit Einwilligung des Beklagten, der das
Fremdsperma dafür besorgte, durch heterologe Insemination gezeugt wurde.
2.
21 Bei der mit Einwilligung eines Ehemannes vorgenommenen heterologen Insemination
handelt es sich aus seiner Sicht um die Übernahme der Elternschaft (der
Scheinvaterschaft) durch Willensakt. Insofern ist aus der Sicht des Ehemannes das
Einverständnis mit der heterologen Insemination einer Adoption ähnlich. Anders als bei
der Adoption handelt es sich allerdings nicht um die Übernahme der Elternschaft für ein
bereits gezeugtes oder geborenes Kind, durch den Willensakt soll vielmehr die
Entstehung des Kindes erst ermöglicht werden. Wenn der Ehemann auf diese Weise zu
der Geburt eines Kindes durch seine Ehefrau beiträgt, dann gibt er damit zu erkennen,
dass er für das Kind wie ein ehelicher Vater sorgen will. Das Verhalten kann aus der Sicht
seiner Ehefrau nur dahin interpretiert werden, dass er eine Unterhaltspflicht unabhängig
davon übernehmen wollte, ob die gesetzliche Unterhaltspflicht, deren Voraussetzungen
an sich nicht gegeben waren, bestehen würde. Daher enthält eine Vereinbarung
zwischen Eheleuten, mit welcher der Ehemann sein Einverständnis zu einer heterologen
Insemination erteilt, regelmäßig zugleich einen von familienrechtlichen Besonderheiten
geprägten berechtigenden Vertrag zu Gunsten des aus der heterologen Insemination
hervorgehenden Kindes, aus dem sich für den Ehemann dem Kind gegenüber die Pflicht
ergibt, für dessen Unterhalt wie ein ehelicher Vater zu sorgen (BGHZ 129, 297 ff. und
BGH FamRZ 1995, 865).
22 Dies gilt in gleicher Weise für einen nicht verheirateten Mann, der eine Einwilligung zur
heterologen Insemination erteilt, später jedoch die Vaterschaft des Kindes nicht anerkennt
(Brudermüller in Palandt, BGB, 73. Aufl., § 1600 Rn. 14 m.w.N.). § 1600 Abs. 5 BGB bietet
dafür ein Argument, weil der Gesetzgeber die Bedeutung der Einwilligungserklärung
aufgewertet hat und dies mit dem Wohl des Kindes begründet. Dem entspricht die
Annahme eines Vertrages zu Gunsten des Kindes (Roth, DNotZ 2003, 805, 818 f.). Die
Zustimmung hat den Sinn, die Unterhaltspflicht von der biologischen wie rechtlichen
Abstammung abzukoppeln. Weiter ist entscheidend, dass der Wunschvater zwar nicht
durch einen natürlichen Zeugungsakt, wohl aber durch seine Einwilligung in die
Verwendung von Spendersamen die (Mit-)Verantwortung für die Zeugung des Kindes
übernommen hat, woran er sich festhalten lassen muss (Wellenhofer, FamRZ 2013, 825,
827 f.).
23 Die bloße Kenntnis, dass die Klägerin im Wege der künstlichen Insemination gezeugt
wurde, würde die Herleitung eines vertraglichen Unterhaltsanspruchs nicht rechtfertigen.
Vielmehr bedarf es der Abgabe einer Einverständniserklärung (OLG Karlsruhe FamRZ
2014, 313, 314), die hier vorliegt, zumal der mit der Mutter der Klägerin liierte, wenn auch
nicht in häuslicher Gemeinschaft lebende Beklagte nicht nur mit den
Inseminationsversuchen einverstanden war, sondern auch die Samenspenden und
gerade auch die zum Erfolg führende dritte Samenspende besorgte und zur Verfügung
stellte und am 23.07.2007 außerdem schriftlich erklärte, „für alle Folgen einer eventuell
eintretenden Schwangerschaft aufkommen“ zu wollen.
24 Der Beklagte war daher in der von ihm nicht angegriffenen Höhe zur Unterhaltszahlung
nach § 1612 a BGB nebst Zinsen aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB wie beantragt (§ 308 Abs.
1 ZPO) zu verurteilen, mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 259 ZPO jedoch
nicht zur Zahlung von Zinsen aus den nach Erlass des Urteils fällig werdenden
Unterhaltsleistungen.
3.
25 Damit kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin mit ihrem Begehren auf
Schadensersatz wegen entgangenen Unterhalts gegen den Beklagten wegen
Nichtbenennung des Samenspenders, auch wenn ihr ein entsprechender
Auskunftsanspruch zustehen würde (BGH, Beschluss vom 02.07.2014 - XII ZB 201/13
m.w.N.; OLG Hamm FamRZ 2013, 637), keinen Erfolg haben kann, weil sie hätte, um den
Schadensersatzanspruch schlüssig zu begründen, darlegen müssen, in welcher Höhe sie
bei ihrem tatsächlichen Vater hätte Unterhalt erlangen können (BGHZ 196, 207).
Abgesehen davon käme Schadensersatz wegen entgangenen Unterhalts allenfalls für die
Zeit ab Februar 2014 in Betracht. Die Klägerin stützte ihren Anspruch erstmals mit
Schriftsatz vom 17.01.2014 auf Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB wegen
Nichtnennung des Samenspenders. Darin ist die erstmalige Aufforderung zur Benennung
zwecks Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zu sehen. Eine frühere Aufforderung
legte die Klägerin nicht dar.
III.
26 Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 S. 1
ZPO.
27 Der Streitwert ergibt sich aus § 9 ZPO, §§ 42 Abs. 3, 47 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GKG. § 51
FamGKG kommt nicht zur Anwendung, da eine Familiensache im Sinne von § 111
FamFG nicht vorliegt (§ 1 Abs. 1 S. 1 FamGKG), nachdem es um eine vertragliche und
nicht um eine in § 231 FamFG genannte Unterhaltspflicht geht.