Urteil des OLG Stuttgart vom 18.12.2013

OLG Stuttgart: papiere, wachstum, treu und glauben, die post, anleger, erwerb, gespräch, depotvertrag, akte, gewinnchancen

OLG Stuttgart Urteil vom 18.12.2013, 9 U 52/13
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hechingen
vom 04.03.2013, Az. 1 O 196/12, abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, 44.453,52 EUR
zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus 750.797,59 EUR
für die Zeit vom 17.09.2011 bis zum 31.01.2012 sowie aus 44.453,52 EUR seit dem 01.02.2012
zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, weitere 1.530,58 EUR an die Klägerin zu bezahlen.
3. Im übrigen werden die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 13 % und die Beklagte 87 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen
Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
1 Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen ‒
Az. 1 O 196/12 ‒ vom 04.03.2013, mit dem es ihre Klage auf Zahlung von Schadensersatz
aus abgetretenem Recht wegen Erwerbs von Wertpapieren ohne Auftrag und fehlerhafter
Anlageberatung abgewiesen hat, und verfolgt ihr Klagebegehren weiter.
2 Während eines allgemeinen Vorgesprächs am 12.04.2011 ermittelte die Beklagte die
Risikobereitschaft des Zeugen L. anhand von Fragen im Depotvertrag (Nrn. 3 bis 6 der
Anl. B1) und schlug ihm daraufhin die Anlage nach der Anlagestrategie „Wachstum“ vor,
die er nach den Angaben im Depotvertrag auch wählte (Nr. 2 der Anl. B1). Zur Erläuterung
der verschiedenen Anlagestrategien heißt es unter Nr. 1 des Depotvertrages:
3
„Die Anlagestrategien unterscheiden sich durch unterschiedlich stark ausgeprägte
Chancen und Risiken. Im Allgemeinen gilt: Je risikoorientierter Sie Ihr Vermögen anlegen,
desto größer können die Anlageergebnisse in guten und in schlechten Börsenjahren
voneinander abweichen“.
4 Nachfolgend werden die einzelnen Anlagestrategien beschrieben. So heißt es für
„Wachstum“:
5
Bei der Anlagestrategie Wachstum ist die Depotstruktur auf hohe Gewinnchancen
ausgerichtet. Im Vordergrund steht die Erwirtschaftung einer überdurchschnittlichen
Wertentwicklung. Hohe Wertverluste sind jederzeit möglich. Die Diversifikation wird über
die Assetklassenaufteilung Renten, Aktien, Immobilien, Alternative Investments und
Liquidität vorgenommen. Den Schwerpunkt dieser Anlagestrategie bilden nationale und
internationale Aktien(fonds), Zertifikate und Rentenpapiere.“
6 Zu „Chance“ heißt es:
7
Bei der Anlagestrategie Chance ist die Depotstruktur auf überdurchschnittliche
Gewinnchancen ausgerichtet. Im Vordergrund steht die Erwirtschaftung einer
außergewöhnlich hohen Wertentwicklung. Sehr hohe Wertverluste sind jederzeit möglich.
Die Diversifikation wird über die Assetklassenaufteilung Renten, Aktien, Immobilien,
Alternative Investments und Liquidität vorgenommen. Den Schwerpunkt dieser
Anlagestrategie bilden nationale und internationale Aktien(fonds) und Zertifikate.“
8 Nach einem Beratungsgespräch am 28.06.2011 von jedenfalls mindestens 45 min über
die Anlage von Wertpapieren in der Größenordnung von ca. 750.000 EUR veranlasste die
Beklagte den Ankauf der besprochenen 10 Wertpapiere für den Zeugen L., deren
Abrechnungen ihm nach Erstellung zugingen. In den „Geschäftsabrechnungen“ vom 29.
und 30.06. sowie vom 05., 06. 08. und 28.07.2011 (Anl. K4) heißt es jeweils:
„Wertpapierkauf […] Abwicklung: Festpreis […]“. In den Abrechnungen über den Kauf von
Papieren, die nicht von der C. (WKN …, … und …) und der K. (WKN ...) emittiert wurden
(im Beratungsbogen (Anl. K7) unter Ziff. 3 lit. a) bis d) sowie h) und i) aufgeführt), heißt es
überdies jeweils: „In dem Kurswert sind […] % Ausgabeaufschlag der Bank erhalten.“ Für
diese Papiere wurden dem Zeugen L. Bonifikationen zwischen 0,58 % und 1 % des
Kurswertes gewährt. Von den erworbenen Papieren waren vier der Aktienfonds sowie ein
Rentenfonds in die höchste Risikoklasse eingestuft.
9 Ca. fünf Wochen nach dem Beratungsgespräch kam es am 04.08.2011 zu einem erneuten
Gespräch des Zeugen L. mit der Beraterin der Beklagten, der Zeugin M., bei dem er sich
insbesondere über den bereits eingetretenen Kursverlust von ca. 40.000 EUR beklagte.
Am 17.08.2011 rügte er bei der Vertreterin der Zeugin M. während deren Urlaubs, kein
Beratungsprotokoll über die Beratung vom 28.06.2011 erhalten zu haben, woraufhin diese
ihn am 18.08.2011 besuchte und ihm einen Ausdruck des Protokolls (Anl. K7) übergab. Mit
Schreiben vom 20.08.2011 (Anl. K2) verlangte der Zeuge L. die Rückgängigmachung
seiner im Hause der Beklagten getätigten Geldanlagen und Gutschrift der ursprünglichen
Anlagesummen. Er habe der Zeugin M. den Auftrag für "eine einzelne Fondsanlage, DAX-
Einzelwerte und eine Geldmarktanlage gegeben", wobei „der Fonds und die DAX-Aktien-
Einzelwerte so ausgerichtet“ sein sollten, dass die Kurse in der FAZ nachzulesen seien.
Er habe keinerlei Verkaufsberichte erhalten und vor dem 18.08.2011 keinen WpHG-Bogen
unterschrieben und ausgehändigt bekommen. Ebenfalls habe er keinerlei
Kontoeröffnungsunterlagen erhalten.
10 Durch den Verkauf der erworbenen Papiere am 25./26.01.2012 hat sich ein Schaden von
44.453,52 EUR realisiert.
11 Die Klägerin behauptet, der Zeuge L. habe den Auftrag zum Erwerb der Wertpapiere nicht
erteilt. Jedenfalls habe die Beklagte ihn falsch beraten, weil die Papiere weder der von
ihm beabsichtigten Anlagestruktur von 60 % des Anlagevolumens in DAX-Einzel-Werten
und 40 % in Festzins- oder Geldmarktpapiere entspreche, noch seiner Risikoneigung.
12 Im übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils vom 04.03.2013 (Bl. 196
ff. der Akte) Bezug genommen.
13 Das Landgericht hat die Klage mit der Klägerin am 11.03.2013 zugestelltem Urteil
abgewiesen.
14 Die am 15.03.2013 bei Gericht eingegangene und innerhalb der verlängerten
Berufungsbegründungsfrist begründete Berufung verfolgt das erstinstanzliche
Klagebegehren vollumfänglich weiter.
15 Sie rügt zunächst einen Verfahrensverstoß des Landgerichts. In der Sache macht sie unter
Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens insbesondere geltend:
16 Weil die Zeugin M. Widersprüche insbesondere zu den Vorerfahrungen des Zeugen L.
nicht aufgeklärt habe, habe sie diese nicht ausreichend erforscht und seine konkrete
Risikoneigung nicht ausreichend berücksichtigt. Weil die Anlagestrategie von 60 % in
Aktien- und 40 % in Rentenwerten systemseitig vorgeschlagen worden sei, handele sich
um eine fehlerhafte Ausarbeitung des Vorschlages. Nicht einmal diesen habe die Beklagte
umgesetzt, da die Zeugin M. zu 100 % hochriskante Aktienfonds und Zertifikate ins
Portfolio des Zeugen L. eingestellt habe.
17 Sie habe den Zeugen L. auch nicht objektgerecht beraten, weil sie nach eigenen Angaben
nicht alle Risiken in allen Einzelheiten mit ihm besprochen habe. Letztlich habe sie das
Beratungsgespräch fehlerhaft protokolliert. Die Beklagte habe daher den Nachweis des
rechtzeitigen Zugangs des Protokolls vor Abschluss der streitgegenständlichen
Geschäftsabschlüsse nicht führen können. Deshalb stehe nach der Beweisaufnahme fest,
dass sie den Zeugen L. nicht ordentlich beraten habe. Auch könne die Beklagte daher
nicht nachweisen, dass er die unstreitig empfohlenen Geschäftsabschlüsse gewollt habe.
Die Beklagte treffe die Beweislast für die umfassende und korrekte Beratung und die
Auftragserteilung durch den Kunden.
18 Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Rückvergütung überzeugten nicht.
Jedenfalls seit Inkrafttreten des § 31d WpHG (01.11.2007) treffe die vom Landgericht
zitierte Rechtsprechung zur fehlenden Aufklärungspflicht über Gewinnmargen nicht mehr
zu.
19 Die Klägerin beantragt (Bl. 227 ff., 294 der Akte):
20 1. Es wird unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hechingen
vom 04.03.2013, Az. 1 O 196/12, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
einen Betrag i.H.v. 44.453,52 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 2,5 % aus
21
- 122.489,98 EUR seit dem 29.06.2011 bis 29.01.2012
- 58.971,49 EUR seit dem 30.06.2011 bis 31.01.2012
- 120.136,93 EUR seit dem 30.06.2011 bis 29.01.2012
- 48.989,66 EUR seit dem 06.07.2011 bis 31.01.2012
- 66.143,73 EUR seit dem 05.07.2011 bis 29.01.2012
- 100.229,04 EUR seit dem 06.07.2011 bis 26.01.2012
- 58.580,00 EUR seit dem 08.07.2011 bis 26.01.2012
- 57.855,00 EUR seit dem 28.07.2011 bis 26.01.2012 und
- 65.059,70 EUR seit dem 29.06.2011 bis 26.01.2012
22 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus
750.797,59 EUR seit dem 20.08.2011 bis 31.01.2012 sowie in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus 44.453,52 EUR seit dem
01.02.2012 zu bezahlen.
23 2. Unter Aufhebung des in Ziff. 1 benannten Urteils wird beantragt, die Beklagte zu
verurteilen, der Klägerin, hilfsweise dem Zedenten Peter L., schriftlich Auskunft über die
im Zusammenhang mit den gemäß nachfolgender Tabelle aufgeführten Werten,
verdienten Zuwendungen sowie einstrukturierten anfänglichen negativen Marktwerten
mitzuteilen und die Richtigkeit dieser Angaben an Eides statt zu versichern.
24 3. Unter Aufhebung des in Ziff. 1 benannten Urteils wird beantragt, die Beklagte zu
verurteilen, der Klägerin, hilfsweise dem Zeugen L, die außergerichtlich entstandenen
Kosten aus einem Gegenstandswert i.H.v. 797.393,96 EUR i.H.v. 7.209,97 EUR zu
erstatten.
25 Die Beklagte beantragt (Bl. 222, 294 d. A.):
26 Die Berufung wird zurückgewiesen.
27 Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihre
erstinstanzlichen Vorbringens.
28 In der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2013 hat der Senat die Zeugen M. und L.
vernommen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung (Bl. 293 ff. der Akte) verwiesen.
II.
29 Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet, weil die zulässige Klage weitgehend
begründet ist.
30 Die Klägerin hat gegen die Beklagte zwar keinen Anspruch auf Zahlung der Differenz aus
mangels Auftragserteilung zu Unrecht abgebuchten 750.797,59 EUR zum Zwecke des
Erwerbs der streitgegenständlichen Wertpapiere und dem Verkaufserlös für die Papier [s.
u. 1.]. Sie hat aber einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz
von 44.453,52 EUR nebst Verzugszinsen aus §§ 280 Abs. 1, 286, 288 Abs. 1, 398 BGB
wegen Verletzung der Pflicht zur anlegergerechten Beratung [s u. 2. und 3.]. Allerdings hat
sie Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten lediglich aus
einem Gegenstandswert von 44.453,52 EUR und nicht von 797.393,96 EUR [s. u. 4.].
Anspruch auf Auskunft über die Zuwendungen aus den Wertpapiertransaktionen und über
etwaige einstrukturierte, anfängliche negative Marktwerte hat die Klägerin nicht [s. u. 5].
1.
31 Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Differenz aus den
zum Kauf der streitgegenständlichen Wertpapiere vom Transaktionskonto abgebuchten
750.797,59 EUR und dem Verkaufserlös der streitgegenständlichen Papiere aus dem
Transaktions- und dem Depoteröffnungsantrag vom 12.04.2011 (Anlagen B1, B2). Denn
die Beklagte hat den ihr obliegenden Beweis geführt, dass der Zeuge L. den Auftrag zum
Erwerb der streitgegenständlichen Wertpapiere erteilte.
32 Der Senat ist nach Vernehmung der Zeugin M. davon überzeugt, dass der Zeuge L. zum
Abschluss des Beratungsgesprächs am 28.06.2011 den Auftrag zum Erwerb der 10
streitgegenständlichen Papiere erteilte, indem er die Frage der Zeugin M. bejahte, ob sie
das von ihr vorgestellte Konzept umsetzen sollten. Sie hat überzeugend und lebendig
geschildert, wie sie dem Zeugen L. zum einen das vorgeschlagene Gesamtkonzept
anhand einer grafischen Darstellung in Form einer Art Kreis-Diagramm vorgestellt hatte
und sich zum anderen von ihm mündlich den Auftrag erteilen ließ, die einzelnen Papiere
zu den im Gespräch weiterentwickelten Prozentsätzen zu erwerben.
33 Dabei ist dem Senat sehr wohl bewusst, dass eine mündliche Auftragserteilung bei einem
Beratungsgespräch in der Filiale, das also nicht telefonisch stattfindet, insbesondere bei
einer derart hohen Anlagesumme, ungewöhnlich ist. Bedenklich erscheinen auch die
Umstände im Zusammenhang mit der nachträglichen Erstellung und Übersendung des
Beratungsprotokolls (Anl. K7), zu dem die Beklagte – entgegen den Vorgaben des § 34
Abs. 2a WpHG – offensichtlich nicht mehr über ein ausgedrucktes und von der Zeugin M.
unterschriebenes Original verfügt. Der Senat hatte die Beklagte vor dem Termin der
mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufgefordert, das Beratungsprotokoll im Original
sowie etwaige WpHG-Dokumentation zur Ordererteilung und -ausführung mitzubringen
(Verfügung vom 31.10.2013, Bl. 278 der Akte), wozu sich diese nicht im Stande sah.
34 Dennoch ist der Senat davon überzeugt, dass sich das Beratungsgespräch so ereignete,
wie es die Zeugin M. geschildert hat. Zum einen hat diese den genauen Ablauf so
detailliert geschildert, wie der Senat bisher von einem Berater kaum einmal eine
Schilderung erlangt hat. Auch dieses besonders gute Erinnerungsvermögen spricht nicht
etwa gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Es erklärt sich vielmehr neben der besonders
hohen Anlagesumme des Zeugen L., der bis dahin kein Kunde der Beklagten war, mit
seinen bereits wenige Wochen nach dem Gespräch gestellten Forderungen. Daraufhin
musste die Zeugin bereits sehr früh Stellungnahmen abgeben und sich mit dem
Sachverhalt gedanklich auseinandersetzen. Glaubwürdig ist die Zeugin insbesondere
auch deswegen, weil ihre Aussage in keiner Weise einseitige Tendenzen erkennen ließ.
So erklärte sie nicht nur, dass der Zeuge L. den Erwerb des zunächst auch
vorgeschlagenen Immobilienfonds ablehnte, da er bereits über ausreichendes
Immobilienvermögen verfügte. Sie stand vielmehr auch zu den von ihr zu verantwortenden
Unzulänglichkeiten im Rahmen der Beratung und Nachbearbeitung. So hat sie zum einen
erklärt, sich bewusst gegen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift des § 34 Abs. 2a
WpHG entschieden zu haben, dem Zeugen das Beratungsprotokoll unmittelbar
auszuhändigen. Denn sie hielt es für unzumutbar, ihn so lange warten zu lassen, wie sie
für die Erstellung des Protokolls brauchen würde. Denn darin wollte sie auch die genauen
Beträge für jedes Wertpapier aufnehmen, die im Gespräch lediglich prozentual bestimmt
waren. Diese musste sie erst noch errechnen.
35 Zum anderen übernahm sie die volle Verantwortung dafür, nicht alle Kauforder gleichzeitig
eingegeben zu haben, sondern – auch soweit es sich nicht um solche Papiere handelte,
die erst im Laufe der Zeichnungsfrist erworben werden sollten – verteilt über einen
Zeitraum zwischen dem 29. Juni und dem 8. Juli. Sie konnte sich das zwar nicht mehr
erklären, war sich aber sicher, diese selbst eingegeben zu haben.
36 Der gegenbeweislich vernommene Zeuge L. dagegen konnte den Senat vom Gegenteil
nicht überzeugen, da seine Aussage nicht glaubhaft war. Er machte überhaupt keine in
sich geschlossenen Angaben, auch nicht dazu, über welche Erfahrungen mit welcher Art
von Papieren er verfügte, wozu die Anlage dienen sollte, in welchem Zeithorizont welche
Teile verfügbar sein sollten und was genau er in den Gesprächen am 12.04., 28.06. und
04.08.2011 mit der Zeugin M. besprach. Insbesondere hat er – im Gegensatz zur Zeugin
M. – keinerlei Angaben zu den Randbedingungen wie etwa der kostenfreien Depotführung
und der von der Beklagten behaupteten – und von der Zeugin M. bestätigten –
Reduzierung der Ausgabeaufschläge gemacht, die sich in den lt.
Wertpapierabrechnungen gewährten Bonifikationen wiederfinden. Anlass hierfür hätte
ohne jegliche Thematisierung der Ausgabeaufschläge und Vertriebsprovisionen
überhaupt nicht bestanden. Der Zeuge L. hat sich an Einzelheiten gar nicht mehr erinnert.
Er verwies vielmehr, auch auf einzelne Nachfragen des Senats, lediglich stereotyp auf die
nicht seinen Vorstellungen entsprechenden Vorschläge zum Erwerb von 40 %
festverzinslichen Wertpapieren und 60 % Aktien. Damit hat er den Eindruck vermittelt,
dass seine Wahrnehmung bzw. Erinnerung sich noch ausschließlich auf diesen Aspekt
fokussiert und er andere, ihm ungünstige, Begebenheiten schlicht ausgeblendet hat.
37 Zudem erscheint dem Senat der Vortrag der Klägerin als ebenso lebensfremd wie die –
wenigen – Angaben des Zeugen L.. Es ist nahezu unvorstellbar, dass eine Beraterin 10
verschiedene Wertpapieranlagen trotz des zu jedem Papier gemachten Hinweis des
Anlegers, dass ihn solche Papiere nicht interessierten, sondern er lediglich Einzelaktien
und festverzinsliche Wertpapiere erwerben wolle, vom ersten bis zum 10. Papier vorstellt
und erläutert sowie diese Papiere trotz der ausdrücklichen Missbilligung des Anlegers für
ihn anschafft.
38 Auch die Angabe des Zeugen L., er habe vor dem Gespräch am 04.08.2011 keinen
Einblick in sein Depot gehabt und sei aufgrund zeitweiser Urlaube nicht in der Lage
gewesen, die bereits bis Anfang Juli 2011 erstellten und unstreitig auch unverzüglich
erhaltenen Kaufabrechnungen über Teilbeträge von insgesamt immerhin fast 635.000
EUR wahrzunehmen, ist angesichts der Behauptung, er habe die Anlagen – im Gegensatz
zur vorherigen Vermögenssorge in der Schweiz – nun eigenverantwortlich führen wollen,
nicht glaubhaft. Zum einen waren die Angaben, wann er wo und wie lange im Urlaub war,
bereits in sich widersprüchlich. Denn innerhalb der fünfeinhalb Wochen zwischen dem 28.
Juni und dem 4. August will er – jeweils mit Pausen zwischen acht und 10 Tagen – 14
Tage in Norddeutschland, eine Wochen in Spanien und eine Woche in Italien gewesen
sein, was bereits rein rechnerisch nicht möglich ist. Überdies hätte jeder Anleger in den
acht- bis 10-tägigen Pausen zwischen den Urlauben nicht nur die Post mit den darin
enthaltenen Wertpapierabrechnungen gesichtet und sich darüber hinaus unverzüglich
empört an die Bank gewandt, wenn er entsprechende Aufträge über ein solches Volumen
gar nicht erteilt hätte, die zudem seinen Anlagewünschen zuwider gelaufen wären.
Unerheblich ist dabei, dass der Zeuge L. die einzelnen Papiere nach dem Vortrag der
Klägerin allein aufgrund der verkürzten Bezeichnungen in den Kaufabrechnungen nicht
ausreichend identifizieren konnte. Denn nach ihrem Vortrag hatte er noch gar keine
Kauforder erteilt, sondern wartete auf ein überarbeitetes Angebot.
39 Nicht erteilte Kaufaufträge hätte über diese jeder Anleger selbst in dem Fall, in dem er die
Abrechnungen nicht wahrgenommen hätte, spätestens im Gespräch vom 04.08.2011
gerügt, als der Zeuge L. die Wertpapierkäufe unstreitig kannte. Statt dessen war er zu
diesem Zeitpunkt lediglich ungehalten über die bereits aufgelaufenen Verluste von bis
dahin ca. 40.000 EUR und erklärte erst 16 weitere Tage später, mit den Käufen nicht
einverstanden gewesen zu sein, weshalb sie rückgängig zu machen seien (Anl. K2). Auch
bemängelte er in diesem Schreiben, keinerlei Verkaufsberichte erhalten zu haben, obwohl
er nach eigenen Angaben Unterlagen über Aktienfonds und die
Wertpapierkaufabrechnungen erhalten hatte.
40 Entgegen der Ansicht der Klägerin waren die Umstände bei der Übermittlung des
Beratungsprotokolls im Rahmen der Beweiswürdigung nicht zu berücksichtigen. Zwar gibt
es Stimmen, wonach das Beratungsprotokoll und die rechtzeitige Übergabe vor
Auftragserteilung Auswirkungen auf die Beweislast haben sollen (vergleiche nur mit
Hinweis auf RL 2004/39/EG (sog. Finanzmarktrichtlinie, FM-RL) sowie der RL 2006/73/EG
(FM-DRL), nach deren Erwägungsgründen 31 bzw. 5 deren Ziel der Anlegerschutz ist,
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Grundmann, HGB, 2. Aufl. 2009, § 34 WpHG, RN. VI 350).
Denn es geht gerade nicht um eine Beweislastentscheidung. Der Senat ist vielmehr nach
der Beweisaufnahme von der Auftragserteilung durch den Zeugen L. überzeugt.
2.
41 Die Klägerin hat allerdings einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 280 Abs. 1, 398
BGB auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 44.453,52 EUR, weil diese gegen ihre Pflicht
zur anlegergerechten Beratung verstieß.
a)
42 Der Zeuge L. und die Beklagte, nach § 164 Abs. 1 BGB vertreten durch die Zeugin M.,
schlossen einen Beratungsvertrag, indem der Zeuge L. sie um eine Beratung zur Anlage
des frei gewordenen Geldes bat und sie ihn beriet. Von einem Beratungsvertrag ist immer
auszugehen, wenn im Zusammenhang mit der Anlage eines Geldbetrages tatsächlich
eine Beratung stattfindet (vergleiche statt vieler BGH, Urteil vom 25.09.2007, XI ZR 320/06,
zitiert nach juris, Rn. 12 m. w. N.).
b)
43 Aus dem Beratungsvertrag war die Beklagte verpflichtet, den Zeugen L. anlegergerecht zu
beraten, indem sie ihm eine unter Berücksichtigung seines Wissensstandes und seiner
persönlichen und finanziellen Situation, seiner grundsätzlichen Risikobereitschaft sowie
seines konkreten Anlageziels hinsichtlich der Sicherheit bzw. eines möglichen
spekulativen Charakters und ihres beabsichtigten Zwecks auf ihn zugeschnittene Anlage
empfahl (st. Rspr. d. BGH, vgl. Urteil vom 06.12.2012, Az. III ZR 66/12, zit. nach juris, Rn.
20; ders., bereits Urteil vom 06.07.1993, Az. XI ZR 12/93, zitiert nach juris, Rn. 15 ff.).
Überdies hatte sie ihn objektgerecht zu beraten (vgl. statt vieler nur BGH, Urteil vom
12.02.2004, Az. III ZR 359/02, zitiert nach juris, Rn. 22; ders., Urteil vom 05.03.2000, Az. III
ZR 302/07, zit. nach juris, Rn. 13) und ihn über erhaltene bzw. erwartete Rückvergütungen
aufzuklären (s. statt vieler nur BGH, Urteil vom 19.12.2006, Az. XI ZR 56/05, zit. nach juris,
Rn. 22 f.; ders., Urteil vom 27.10.2009, Az. XI ZR 338/08, zit. nach juris, Rn. 31).
c)
44 Die Beklagte verstieß gegen ihre dem Zeugen L. gegenüber obliegende Pflicht zur
anlegergerechten Beratung, indem sie ihm kein seinen Kenntnissen und seiner
Risikobereitschaft entsprechendes Anlageportfolio empfahl.
aa)
45 Der Zeuge L. war durchaus risikobereit, verfolgte aber keine hoch spekulative, sondern
eine Anlagestrategie, wie sie die Beklagte im Depotvertrag mit „Wachstum“ beschrieb.
Diese war nach der - nicht gewählten - Strategie „Chance“, zu der sie abzugrenzen ist, die
dritthöchste von vier Risikokategorien. Hinsichtlich der Risikobereitschaft unterscheiden
sich beide dadurch, dass bei Anlagen nach der Anlagestrategie „Chance“ nicht nur, wie
bei „Wachstum“ jederzeit „hohe“ Wertverluste zur Realisierung „hoher Gewinnchancen“,
sondern „sehr hohe“ Wertverluste zur Erzielung „überdurchschnittlicher Gewinnchancen“
möglich sind. Während den Schwerpunkt der Anlagestrategie „Chance“ nur „nationale und
internationale Aktien(fonds) und Zertifikate“ bilden, gehören zum Anlageschwerpunkt der
Anlagestrategie „Wachstum“ zusätzlich Rentenpapiere.
46 Da sich der Unterschied der beiden Anlagestrategien nicht unmittelbar erschließt, die
Anlagestrategie jedoch die Grundlage der Anlageberatung bildete, ist deren Beschreibung
durch die Beklagte analog §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont
auszulegen. Ihr kommt also die Bedeutung zu, die ihr ein potentieller Anleger nach Treu
und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Umstände, die ihm bekannt
oder zumindest erkennbar sind, beimisst (vgl. nur Palandt, Ellenberger, 73. Aufl. 2014, §
133 BGB, Rn. 9 m. w. N.). Wie aus der Vorbemerkung über die unterschiedlich
ausgeprägten Chancen und Risiken bei Anwendung der unterschiedlichen
Anlagestrategien hervorgeht, unterscheiden sie sich im Wesentlichen nach dem Chancen-
Risiko-Verhältnis. Eine solche Unterscheidung kann nach dem Verständnis des Senats
nur auf zwei Wegen herbeigeführt werden: Entweder unterscheiden sich die nach beiden
Strategien anzuschaffenden jeweiligen Wertpapiere nach der Risikoklasse. Das hätte zur
Folge, dass zwar nach der Anlagestrategie „Chance“ möglicherweise, sogar überwiegend,
Papiere der höchsten Risikoklasse empfohlen und angeschafft dürfen, nach der
Anlagestrategie „Wachstum“ jedoch nicht. Oder nach beiden Anlagestrategien dürfen
identische Papiere auch der höchsten Risikoklasse angeschafft werden. Das dadurch sehr
hohe Risiko ist aber nach der Anlagestrategie „Wachstum“ durch Beimischung risikoarmer
Papiere auszugleichen, so dass das Verlustrisiko in der Gesamtbetrachtung aller Papiere
signifikant geringer ist als nach der Strategie „Chance“.
47 Der Zeuge L. konnte die Beschreibung der Anlagestrategie „Wachstum“ nur im
letztgenannten Sinn verstehen. Denn zum einen war der einzig erkennbare Unterschied
die Beimischung von Rentenpapieren nach der Anlagestrategie „Wachstum“ gegenüber
der Strategie „Chance“. Zum anderen zeichnete sich die vom Zeugen L. gewählte
Anlagestrategie über die im Depotvertrag vorgenommene Definition hinaus durch die
Vereinbarung einer Aufteilung der Anlagesumme in 60 % aktienbasierte und 40 %
Rentenwerte aus, wobei der Rentenanteil die „konservativen“ Anlagen enthalten sollte.
48 Weiter war Teil der Strategie, dass der Zeuge L. die Finanzinstrumente in der Folgezeit
selbst beobachtete und verwaltete.
49 Dieses Anlegerprofil steht nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Überzeugung des
Senats fest. Es ergibt sich zunächst aus der Dokumentation im Depotvertrag vom
12.04.2011 und den dort enthaltenen Angaben zur Risikoeinstellung. Wie die Zeugin M.
nachvollziehbar erläuterte, münden die Antworten des Anlegers zu den einzelnen Fragen
zur Risikobereitschaft in ihrer Gesamtheit in die Bestimmung einer Anlagestrategie und
lassen in einem gewissen Maße auch Widersprüche zwischen einzelnen Antworten zu.
Insgesamt ergibt sich sodann die Anlagestrategie aus der zusammenfassenden
Beschreibung unter dem Namen der gewählten Kategorie (hier: „Wachstum“). Dabei ist
kennzeichnend, dass sämtliche Fragen unter Ziff. 4 des Depotvertrages, die grafische
Einordnung der Risikobereitschaft auf dem Schaubild unter Ziff. 4.5 sowie der Wortlaut der
Definition der Anlagestrategie das Verhältnis von Ertrags-Chancen zu Verlust-Risiken
betreffen.
50 Zwar konnte die Klägerin nicht beweisen, dass der Zeuge L. zu 60 % ausschließlich DAX-
Einzelwerte sowie zu 40 % sichere, festverzinsliche Wertpapiere erwerben wollte. Denn
die diesbezügliche Aussage des Zeugen L. in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat war aus den oben unter 1. genannten Gründen nicht glaubhaft. Die sehr
glaubwürdige Zeugin M. dagegen (vgl. oben unter 1.) hat glaubhaft erklärt, sie selbst habe
nach der Ermittlung der Risikobereitschaft des Zeugen L. bereits am 12.04.2011 die
Anlage von 60 % in aktienbasierten Werten und 40 % in Rentenwerten vorgeschlagen,
was er gebilligt habe. Da diese Aufteilung derjenigen des Musterdepots der Beklagten für
diese Anlagestrategie „Wachstum“ entsprach, mussten die Papiere des Rentenanteils
„konservativ“ sein. Auch für die Zeugin M. war der Rentenanteil „konservativ“ (s. Prot. d.
mündlichen Verhandlung vom 13.11.2013, Bl. 293 ff [299] der Akte). Sonst hätte die
Beklagte auf die Ablehnung der ebenfalls vorgeschlagenen Anteile an einem – als eher
konservativ anzusehenden – Immobilienfonds nicht mit dem Vorschlag reagiert, die
Anteile an den übrigen Rentenpapieren entsprechend aufzustocken, um letztlich die
vorgeschlagenen 40 % Rentenwerte zu erhalten, wie die Zeugin M. ebenso glaubhaft
erklärt hat. Sie gab weiter glaubhaft an, dass der Zeuge L. in diese Strategie eingewilligt
habe.
bb)
51 Aufgrund dieser Anlagestrategie des Zeugen L. war die Beklagte verpflichtet, ein hierzu
passendes Portfolio mit Finanzinstrumenten zu empfehlen, das er auf Grund seiner
Kenntnisse und Erfahrungen eigenverantwortlich verwalten konnte. Gegen diese
Verpflichtung verstieß sie, indem sie die Strategie und die Auswahl der Finanzinstrumente
einseitig auf die prozentuale Zuordnung der Finanzinstrumente nach ihrer Einstufung als
aktien- oder rentenbasiert abstellte, ohne das konkrete Chancen-Risiko-Verhältnis der
einzelnen Produkte zu berücksichtigen und deren Bedeutung für den Anleger transparent
zu machen. Bei einem Anleger darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass die
empfohlenen Rentenpapiere immer zu risikoarmen („konservativen“) und die
aktienbasierten Produkte immer zu den risikoreichen („spekulativen“) Anlageformen
zählen. Denn festverzinsliche Unternehmensanleihen können – je nach Markt und
Branche – riskanter und volatiler sein als Aktien oder Aktienfonds mit sehr risikoarmen
Strategien. Wenn ein Berater eine Anlagestrategie nahezu ausschließlich anhand des
Chancen-Risiko-Verhältnisses definiert und er dem Kunden ein Portfolio zur
anschließenden eigenverantwortlichen Verwaltung empfiehlt, muss sich der Berater
vergewissern, dass jener dazu in der Lage ist. Hierbei sind die Kenntnisse und
Erfahrungen des Anlegers zu berücksichtigen, erforderlichenfalls müssen diese ihm
vermittelt werden, um ihn zu der gewählten Anlagestrategie zu befähigen (Braun/Lang/Loy
in: Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und
Derivategeschäft, 4. Aufl. 2011, Rn. 383). Danach muss dem Anleger bewusst sein, dass
die einzelnen Finanzinstrumente, die das Portfolio ausmachen, jeweils ein eigenes
Chance-Risiko-Verhältnis haben, das sich zudem während der Laufzeit ändern kann.
Weiter muss er wissen, welche Anlagen zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung riskanter
und welche weniger riskant sind, um aus der Kombination über das Portfolio ein Gesamt-
Chancen-Risiko-Verhältnis zu erhalten, das seiner Strategie entspricht. Hierauf muss der
Berater den Anleger auch aufmerksam machen. Denn dieser muss die für die Verwaltung
eines solchen Portfolios entscheidenden Kriterien kennen. Hierzu gehört die Kenntnis,
dass die Anlageform (z.B. Aktien, Aktienfonds, Rentenpapiere) keinen vereinfachten
Rückschluss auf das Chancen-Risiko-Verhältnis der jeweiligen Anlage zulassen und es
sowohl hoch spekulative Rentenfonds als auch risikoarme Aktienfonds gibt. Nur dann ist
der Anleger in der Lage zu erkennen, welche Anlagen in seinem Portfolio eine
risikobegrenzende Funktion zum Ausgleich von anderen riskanteren Anlagen haben oder
wie er, beispielsweise bei Fälligkeit eines Zertifikats, dieses ersetzt, um die Risikostruktur
zu erhalten.
52 Die Zeugin M. hat demgegenüber angegeben, dass die Risikoklassifizierung bei der
Beratung keine Rolle gespielt habe. Für sie war der Rentenanteil der „konservative“ Anteil.
Sie konnte auch nicht angeben, nach welchen anderen Kriterien als der Zuordnung zu
Renten- oder Aktienwerten sie die ermittelte „Wachstums-Strategie“ und somit die
Entscheidung zur Empfehlung bestimmter Finanzinstrumente hätte umsetzen können.
Dabei hat sie dem Zeugen L., ohne dies zu verdeutlichen, nicht nur überwiegend in der
höchsten Risikoklasse eingestufte aktienbasierte Fondsbeteiligungen und Zertifikate
empfohlen, sondern darüber hinaus einen Rentenfonds, der nach der Produktinformation
ebenfalls in die höchste Risikoklasse eingestuft war. So waren nicht nur die Aktienfonds
mit den Wertpapier-Kenn-Nrn. (WKN) … (A. Nebenwerte, Anl. K11), … (F., Anl. K 15), …
(T. A. G. F., Anl. K13) und . (D., Anl. K12) in die jeweils höchste Risikoklasse (4 von 4 bzw.
7 von 7) eingestuft. Auch der Rentenfonds mit der WKN … (F., Anl. K16) war der
Risikoklasse „4 – Spekulativ“ von 4 zugeordnet. Damit eignete er sich nicht zum
Risikoausgleich für spekulative aktienbasierte Werte.
53 Der Zeuge L. durfte jedoch angesichts der Beschreibung der Anlagestrategie „Wachstum“
im Depotvertrag in Verbindung mit dem Aufteilungsvorschlag der Beklagten von 60 %
Aktien- und 40 % Rentenwerten davon ausgehen, dass es sich bei den vorgeschlagenen
Rentenwerten um „konservative“, also risikoarme Papiere handelte, die sich generell zum
Ausgleich des hohen Risikos spekulativer Aktienwerte eigneten. Die Beklagte konnte
auch nicht aufgrund der Vorerfahrungen des Zeugen L. davon ausgehen, dass er sich
unter den vereinbarten 40 % Rentenpapieren auch spekulative Papiere vorstellte. Denn zu
seinen Erfahrungen machte er keine Angaben, wie sowohl aus den Antworten zu den
Fragen unter Nr. 5 des Depotvertrages (Anl. B1) ersichtlich ist, als auch die Zeugin M.
erklärt hat. Mit seinem von der Beklagten vermittelten Kenntnisstand war er daher zur
eigenverantwortlichen Verwaltung eines mit einem erhöhten Risikomaß auf „Wachstum“
ausgerichteten Portfolios nicht geeignet.
d)
54 Durch die Verletzung der Pflicht zur anlegergerechten Beratung seitens der Beklagten
entstand dem Zeugen L. ein Schaden in Höhe von 44.453,52 EUR. Er wandte zum Erwerb
der Papiere 750.707 90,59 EUR auf, erzielte bei deren Verkauf jedoch lediglich einen
Erlös von insgesamt 706.344,07 EUR.
55 Einen darüber hinaus gehenden Anspruch auf 2,5 % Zinsen entgangenen Gewinns
hieraus nach § 252 BGB hatte der Zeuge L. mangels Kausalität nicht. Zwar behauptet die
Klägerin, der Zeuge L. hätte bei korrekter Beratung insgesamt eine sichere Topzins-Konto
Plus Anlage gewählt. Diese Behauptung widerspricht jedoch dem gesamten Vortrag,
wonach der Zeuge L. zu 60 % in DAX-Einzelwerte und zu 40 % in Rentenwerte
investieren wollte. Sie ist, auch unter Berücksichtigung der Aussagen des Zeugen L. in der
mündlichen Verhandlung, unglaubhaft. Denn dort hat er wiederholt ausschließlich auf
seine Absicht verwiesen, dass er 60 % DAX-Einzelwerte und 40 % festverzinsliche
Wertpapiere erwerben wollte. Allein hiervon geht der Senat aus. Danach spricht nichts für
eine Durchschnittsverzinsung von 2,5 % Zinsen, da in solchen Werten feste Erträge nicht
zu erwarten sind und die Klägerin auch nichts zur allgemeinen Kursentwicklung solcher
Werte vorgetragen hat.
56 Den Ertrag aus der Anlage von 50.000 EUR in Tagesgeld muss sich der Zeuge L. nicht
anspruchsmindernd anrechnen lassen. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten bezog
sich weder die Anlageberatung hierauf, noch war sie Gegenstand des Depotvertrages und
somit der Anlagestrategie. Der Zeuge L. wollte diesen Betrag, wie die Zeugin M. glaubhaft
bestätigte, gerade nicht anlegen, sondern zur freien Verfügung behalten.
e)
57 Der Schaden des Zeugen L. beruht nach der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens
auch auf der Pflichtverletzung der Beklagten. Den der Beklagten danach obliegenden
Beweis, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßer Beratung eingetreten wäre (vgl. dazu
statt vieler nur BGH, Urteil vom 08.05.2012, Az. XI ZR 262/10, zit. nach juris, Rn. 26 ff.), hat
sie nicht geführt. Die Kausalität entfällt – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch nicht
deswegen, weil der Zeuge L. nach dem Vortrag der Klägerin gar keinen Auftrag zum
Erwerb der Papiere erteilte. Denn die Klägerin hat sich den Vortrag der Beklagten, dass
der Zeuge L. den Auftrag erteilte, hilfsweise zu eigen gemacht.
58 Zwar darf der Senat die vom Sachvortrag der Klägerin abweichenden Behauptungen der
Beklagten über die erfolgte Auftragserteilung der Entscheidung nur dann zu Grunde legen,
wenn die Klägerin sich diese hilfsweise zu Eigen gemacht hat, und ihr einen Erfolg nicht
aufnötigen, den sie mit dieser tatsächlichen Begründung nicht wollte (vgl. BGH, Urteil vom
23.06.1989, Az. V ZR 125/88, zitiert nach juris, Rn. 16 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der
Beklagten hat sich die Klägerin dieses Vorbringen jedoch zu eigen gemacht. Zum einen
ist bereits nach allgemeinen Grundsätzen davon auszugehen, dass der Prozessgegner
sich ein für ihn günstiges Vorbringen der Gegenseite zumindest hilfsweise zu eigen macht
(BGH, Urteil vom 17.01.1995, Az. X ZR 88/93, zitiert nach juris, Rn. 20). Zum anderen hat
die Klägerin bereits in der Klageschrift (Bl. 13 ff. der Akte) unter Beifügung einer Vielzahl
von Anlagen ausgeführt, dass der Zeuge L. bei pflichtgemäßer Aufklärung kein Kapital
zum Erwerb der Papiere zur Verfügung gestellt hätte. Schon dieser Vortrag ist zumindest
so auszulegen, dass der Zeuge L. jedenfalls dann keinen Auftrag erteilt hätte.
Ausdrücklich hat die Klägerin sodann sogar auf S. 38 der Klageschrift als Hilfsvorbringen
(„selbst wenn man das Vorliegen entsprechender Aufträge einmal annimmt“) geltend
gemacht, dass es bei korrekter und vollständiger Aufklärung nicht zu entsprechenden
Aufträgen gekommen wäre.
59 Dieses Hilfsvorbringen steht auch nicht derart im Widerspruch zum eigenen Vorbringen
der Klägerin, dass der Senat es aus diesem Grunde nicht berücksichtigen durfte (vgl. zur
Relevanz von Widersprüchen nur BGH, Urteil vom 17.01.1995, Az. X ZR 88/93, zitiert
nach juris, Rn. 20). Denn zum einen wäre jedenfalls das Abziehen des Kapitals von den
durch die Beklagte geführten Konten möglich gewesen. Zum anderen verstieße die
Klägerin mit diesem Hilfsvorbringen – entgegen der offensichtlichen Ansicht der Beklagten
– auch nicht gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO. Denn zum
einen ist dem Hauptvortrag widersprechender Hilfsvortrag dann zulässig, wenn deren
Verhältnis – wie hier – geklärt ist (Musielak, Stadler, 10. Aufl. 2013, § 138 ZPO, Rn. 2 m. w.
N.; BGH, Urteil vom 14.07.1987, Az. VI ZR 199/86, zit. nach juris, Rn. 11; ders., Urteil vom
10.01.1985, Az. III ZR 93/83, zit. nach juris, Rn. 27). Zum anderen betrifft das
Hilfsvorbringen keine eigene Handlung oder Wahrnehmung der Klägerin, sondern die des
Zeugen L. (vgl. dazu nur Beck’OK, Vorwerk/Wolf, 10. Ed. 2013, § 138 ZPO, Rn. 34). Die
Klägerin war bei dem Gespräch am 28.06.2011 nicht dabei, weshalb sie diesbezüglich
nicht wahrheitswidrig vortragen konnte.
f)
60 Anspruchsberechtigt war zunächst der Zeuge L., den die Beklagte beriet. Seine ihr
gegenüber bestehenden Schadensersatzansprüche trat er jedoch mit Vertrag vom
01.03.2012 (Anl. K1) nach § 398 BGB an seine Tochter, die Klägerin, ab. Vor dem
Hintergrund des im Original vorgelegten Vertrages sind Anhaltspunkte dafür, dass die
Abtretung nicht wirksam ist, nicht ersichtlich.
3.
61 Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht nach §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB
Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz aus 750.797,59 vom 17.09.2011 bis zum 31.01.2012 sowie aus
44.453,52 EUR seit dem 01.02.2012.
62 Der Schadensersatzanspruch des Zeugen L. war nach § 271 BGB sofort, also mit
Schadenseintritt durch Abbuchung der Gegenwerte für die erworbenen Papiere fällig.
Verzug ist entgegen der Ansicht der Klägerin jedoch noch nicht durch das Schreiben des
Zeugen L. vom 20.08.2011, sondern erst durch das Schreiben seines damaligen Vertreters
vom 16.09.2011 (Anl. K1) als Mahnung i. S. d. § 286 Abs. 1 BGB eingetreten. Denn mit
dem Schreiben vom 20.08.2011 machte der Zeuge L. keinen Schadensersatzanspruch
wegen fehlerhafter Beratung geltend, sondern forderte die Rückbuchung nur aus dem
Grund, dass er keine Aufträge erteilt hätte, weil er nur andere Papiere wollte. Erst sein
damaliger Vertreter forderte die Wiedergutschrift der Beträge nebst Zinsen u. a. unter
Hinweis auf die fehlerhafte Beratung unter Punkt 2.2 mit Schreiben vom 16.09.2011. Erst
von diesem Zeitpunkt an machte der Zeuge L. überhaupt einen Schadensersatzanspruch
geltend. In dem Schreiben vom 20.08.2011 bezog er sich dagegen auf den – nicht
bestehenden [s. o. 1.] – Gutschriftsanspruch.
63 Die Papiere wurden nach dem mit Anwaltsschreiben vom 23.01.2012 erteilten Auftrag mit
einem Gesamterlös von 706.344,07 EUR verkauft. Daher stehen der Klägerin aus
abgetretenem Recht bis zum Verkauf Ende Januar 2012 Verzugszinsen aus dem
gesamten Anlagebetrag und seit dem aus dem letztlich realisierten Schaden von
44.453,52 EUR zu.
4.
64 Darüber hinaus hat die Klägerin aus abgetretenem Recht nach §§ 280 Abs. 1, 398 BGB
Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten aus einem
Gegenstandswert von 44.453,52 EUR. Dieser ergibt sich entgegen der Ansicht der
Klägerin nicht aus einem Gegenstandswert von 797.393.96 EUR, weil der Klägervertreter
mit seinen beiden vor Veräußerung der Wertpapiere verfassten Schreiben nicht zur
Geltendmachung der behaupteten Schadensersatzansprüche tätig wurde, sondern
lediglich Übertragungs- bzw. Kauforder erteilte und sich die Aufrechterhaltung von
Ansprüchen nur vorbehielt (Anl. K8). Diese waren also vor Veräußerung der Papiere gar
nicht Gegenstand seiner Tätigkeit gegenüber der Beklagten, so dass sich der
Gegenstandswert auch nur auf den tatsächlich realisierten Schaden beziehen kann.
65 Aus dem Gegenstandswert von 44.453,52 EUR ergeben sich erstattungsfähige
vorgerichtliche Anwaltskosten nur in Höhe von 1.530,58 EUR. Sie setzen sich zusammen
aus 1,3 Gebühren für einen Gegenstandswert bis 45.000 EUR (1.266,20 EUR) zzgl. 20,00
EUR Telekommunikationspauschale zzgl. MwSt.
66 Entgegen der Ansicht der Klägerin handelte es sich auch nicht um eine besonders
schwierige und umfangreiche Tätigkeit. Gegenstand war im Wesentlichen der Vorwurf,
Papiere ohne Auftrag unter Verletzung der Pflicht zur anlegergerechten Beratung und
ohne Aufklärung über Rückvergütungen gekauft zu haben.
5.
67 Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Auskunft der im
Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Papieren verdienten Zuwendungen sowie
einstrukturierten anfänglichen negativen Marktwerte.
68 Nach der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass sie den Zeugen L. über
Rückvergütungen aufklärte. Denn die glaubwürdige Zeugin M. hat auch insofern
detailreich sowie lebensnah und daher glaubhaft geschildert, wie sie ihm anhand von
Charts die prozentualen Anteile an den Ausgabeaufschlägen nannte, die die Beklagte
erhalten sollte [zur auch diesbezüglich geltenden grundsätzlichen Erwägungen zur
Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angeben vgl.
auch oben unter 1.]. Die Aussage ist insbesondere auch vor dem Hintergrund glaubhaft,
weil die Aufklärung über Rückvergütungen auch im Zusammenhang mit den geforderten
Kostenermäßigungen stehen. Diese finden sich in den Wertpapierabrechnungen wieder.
Es erscheint als nahezu ausgeschlossen, dass die Beklagte ohne entsprechende
Thematisierung der Rückvergütungen entsprechende Bonifikationen gewährt hätte. Damit
sind etwaige, zunächst möglicherweise entstandene Auskunftsansprüche jedenfalls erfüllt.
69 Für die Annahme etwaiger einstrukturierter negativer Marktwerte fehlt es an jeglichem
Vortrag und sonstigen Anhaltspunkten. Bei den erworbenen Papieren handelte es sich um
gängige Fonds und Schuldverschreibungen und nicht um von der Beklagten speziell
konzipierte Spezialprodukte wie etwa besondere Swaps.
6.
70 Die Kostenentscheidung folgt für die Berufung aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
71 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 711
S. 2 i.V.m. 709 S. 2 ZPO.
72 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Sache hat
keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des
Revisionsgerichts. Die Entscheidung beruht vielmehr auf Einzelfallerwägungen im
Zusammenhang mit der Beratung durch die Beklagte.