Urteil des OLG Stuttgart vom 17.02.2014

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OLG Stuttgart Urteil vom 17.2.2014, 101 U 6/13
Leitsätze
Eine Kündigung nach § 594e Abs. 2 S. 1 BGB wegen Zahlungsverzugs setzt grundsätzlich nicht
voraus, dass vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung bzw. Fristsetzung zur Zahlung
ausgesprochen wird.
Tenor
1. Das Urteil des AG Ravensburg - Landwirtschaftsgericht - vom 25.9.2013 (Az. XV 6/13) wird
abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, die Grundstücke Gemarkung E., lfd. X im Grundbuch
von W., Flurstück Nr. X, Grünland, an den Kläger herauszugeben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits in beiden Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 2.855 EUR
Gründe
I.
1 Die Parteien streiten sich um die Wirksamkeit einer vom Kläger ausgesprochenen
Kündigung eines Pachtverhältnisses über verschiedene landwirtschaftliche Grundstücke
mit Flächen von 8,33 ha, 0,9 ha und 0,18 ha. Es handelt sich um zusammenhängendes
Dauergrünland.
2 Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils Bezug genommen.
3 Das Landwirtschaftsgericht hat die auf Herausgabe der Grundstücke gerichtete Klage
abgewiesen mit der Begründung, dass eine Kündigung gemäß §§ 594e Abs. 2 Satz 1, 543
Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BGB nur wirksam sei, wenn vor der Kündigung eine Abmahnung
ausgesprochen worden sei. Zwar sei nach dem Wortlaut dieser Vorschrift im Falle der
Jahrespacht Verzug mit der Entrichtung der Pacht oder eines nicht unerheblichen Teils
davon länger als drei Monate für eine Kündigung ausreichend. Diese Spezialvorschrift
besage jedoch nicht, dass von einer Abmahnung bzw. einer Fristsetzung abgesehen
werden könne. Aus der allein vorliegenden allgemeinen Verweisung auf § 543 BGB in §
594e Abs. 1 BGB sei dies nicht zu entnehmen. Denn der Fall, in dem nach § 542 Abs. 3
BGB von einer Abmahnung abgesehen werden könne, nämlich derjenige des § 543 Abs.
2 Nr. 3a oder b BGB, liege im Rahmen des Kündigungstatbestandes nach § 594e Abs. 2,
1. Alt. BGB gerade nicht vor. Rechtssystematisch bleibe es daher über § 594e Abs. 1 BGB
bei der grundsätzlichen Obliegenheit des Verpächters gemäß § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB,
erst eine angemessene Frist zu setzen. Die Ausnahme in § 543 Abs. 2 Nr. 3a und b BGB
bilde eine Ausnahme. Sie rechtfertige sich allein unter dem Gesichtspunkt des
Verstreichens zweier einschlägiger Zahlungstermine in Folge. Dieser entscheidende
Gesichtspunkt fehle im Fall des § 594e Abs. 2 Satz 1 BGB, weshalb vor Ausspruch einer
Kündigung eine angemessene Nachfrist gesetzt werden müsse. Zudem sei es selbst bei
Vorliegen der Voraussetzungen von §§ 543 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB
ständige Rechtsprechung, dass im Ausnahmefall einer sich nur isoliert darstellenden
Vertragsstörung mittleren oder nur leichten Verschuldens einer Vertragspartei nicht
überfallartig zur außerordentlichen Beendigung des Dauerschuldverhältnisses gegriffen
werden könne. Dies gelte insbesondere, wenn Anhaltspunkte für grundsätzliche
Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit fehlen oder wenn der Verzug im Verhältnis
zur bisherigen Vertragsdauer und Vertragserfüllung unbedeutend sei. Dies liege hier vor,
da die einmalig und umgehend korrigierte Unterlassung des Beklagten unstreitig auf
einem schlichten Irrtum beruht habe. Der eingetretene Zahlungsverzug von 3 Monaten sei
gemessen an der Gesamtpachtdauer von 8 Jahren geringfügig.
4 Die ausgesprochene Kündigung sei daher mangels notwendiger Mahnung unwirksam,
weshalb die Klage abzuweisen sei.
5 Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Das Landwirtschaftsgericht weiche in
seiner Entscheidung vom Wortlaut des § 594e BGB und der Systematik des Miet- und
Pachtrechts ab. § 594e Abs. 2 BGB stelle eine Spezialvorschrift dar, die gegenüber § 543
Abs. 2 BGB vorrangig sei. Es handle sich eindeutig um eine Sonderregelung für das
Landpachtrecht. Aus dem Wortlaut von § 594e Abs. 2 Satz 1 BGB ergebe sich, dass
abweichend von § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB für den dort geregelten Fall die einmalige
Versäumnis mit einer Verzugsdauer von drei Monaten ausreichend sei. Der Gesetzgeber
sehe eine Abmahnung nur vor, wenn der Vertragspartner vor Eintritt weiterer
Konsequenzen über seinen Vertragsverstoß informiert werden müsse; dies sei im Falle
des Zahlungsverzugs aufgrund fest vereinbarter Zahlungstermine nicht der Fall. Die
Notwendigkeit einer Abmahnung könne auch nicht daraus konstruiert werden, dass der
Verzugseintritt in § 543 Abs. 2 BGB an eine wiederholte Zahlungsverzögerung angeknüpft
sei, weil dies § 594e Abs. 2 Satz 1 BGB gerade nicht verlange. § 594 Abs. 2 BGB setze
daher lediglich Verzug für die Dauer von 3 Monaten mit der Zahlung der Jahrespacht
voraus. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Zahlung nur „versehentlich“
unterblieben sei, weil auch eine versehentlich unterbliebene Zahlung fahrlässig im Sinne
von § 276 BGB sei. Hinzu komme, dass die Parteien erst am 19.9.2012 einen
gerichtlichen Vergleich geschlossen hätten und der Beklagte bis heute die sich hieraus
ergebenden Pflichten nicht erfüllt habe. Damit könne von einem ungestörten
Pachtverhältnis nicht gesprochen werden. Die vom Landwirtschaftsgericht zitierte
Rechtsprechung betreffe die Kündigung von Pachtverträgen über existenzbegründende
Pachtgegenstände wie einer Gaststätte oder eines Hotels. Diese Sonderfälle seien mit
dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da der Beklagte seinen Hof in ca. 40 km
Entfernung von den Pachtgrundstücken betreibe und diese nur einen geringen Bruchteil
der von ihm bewirtschafteten Flächen darstellten. Auch die Gesamtpachtdauer von 8
Jahren sei nicht relevant, da der Kläger erst im Mai 2011 in das bestehende
Pachtverhältnis eingetreten sei.
6 Der Kläger beantragt:
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1. Das Urteil des Amtsgerichts Ravensburg, Landwirtschaftsgericht, vom 25.9.2013 wird
aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, die Grundstücke Gemarkung E., lfd. Nr. X im Grundbuch
von W., Flurstück Nr. X, Grünland, an den Kläger herauszugeben.
8 Der Beklagte beantragt:
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Die Berufung wird zurückgewiesen.
10 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Das Landwirtschaftsgericht sei zu Recht
davon ausgegangen, dass der Kläger vor Ausspruch einer Kündigung zunächst eine
Abmahnung hätte aussprechen müssen. Im Übrigen sei den Interessen des Klägers
dadurch ausreichend genüge getan, dass er seine Pachtzahlung erhalten habe und ihm
aufgrund der verzögerten Zahlung Verzugszinsen zustünden.
II.
11 Die Berufung ist zulässig und begründet, weil die fristlose Kündigung vom 13.2.2013
wirksam war und damit das streitgegenständliche Pachtverhältnis beendete. Der Beklagte
ist daher zur Herausgabe der verpachteten Grundstücke verpflichtet.
12 1. Entgegen der Ansicht des Landwirtschaftsgerichts setzt eine Kündigung nach § 594e
Abs. 2 S. 1 BGB nicht voraus, dass vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung bzw.
Fristsetzung zur Zahlung ausgesprochen wird.
13 a. Dem Wortlaut der Norm ist ein solches Erfordernis nicht zu entnehmen, er spricht
vielmehr dafür, dass im Falle des 3-monatigen Zahlungsverzugs mit der jährlich zu
bezahlenden Pacht ohne weitere Maßnahmen eine Kündigung ausgesprochen werden
kann.
14 Denn § 594e Abs. 1 S. 1 BGB nimmt ausdrücklich Bezug auf § 543 Abs. 2 Nr. 3a und b
BGB und regelt – ausdrücklich – abweichend von dieser Vorschrift, dass ein wichtiger
Grund insbesondere dann vorliegt, wenn der Pächter mit der Entrichtung der Pacht oder
eines nicht unerheblichen Teils länger als 3 Monate in Verzug ist, wobei sich aus § 594e
Abs. 2 S. 2 BGB ergibt, dass dies nur für die Jahrespacht gilt. Die ausdrücklich in Bezug
genommenen Kündigungstatbestände sind gerade diejenigen, bei denen gem. § 543 Abs.
3 S. 2 Nr. 3 BGB keine Abmahnung erforderlich ist, weshalb die Verweisung in § 594e
Abs. 1 S. 1 BGB unter Berücksichtigung, dass § 594e Abs. 1 BGB hinsichtlich des
Kündigungsrechts auf § 543 BGB (insgesamt) verweist, ihrem Wortlaut nach nur so
verstanden werden kann, dass in diesem Fall keine Abmahnung erforderlich ist. Damit
greift auch das Argument des Landwirtschaftsgerichts, bei den Kündigungstatbeständen
des § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BGB handle es sich um einen „Fremdkörper“ im System der
Kündigungstatbestände, nicht. Denn § 594e Abs. 2 S. 1 BGB nimmt gerade auf diese
Ausnahmevorschrift Bezug.
15 b. Für dieses Ergebnis spricht auch die Gesetzesbegründung. § 594e BGB wurde durch
das Gesetz zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts vom 8.11.1985
eingeführt und wurde seither im Hinblick auf die hier entscheidungserhebliche Frage nicht
in relevanter Weise verändert. Im Gesetzesentwurf wurde zur Begründung ausgeführt
(Bundestags-Drucksache Nr. 09/2299 vom 13.10.1982, S. 25):
16 „Entsprechend dem geltenden Recht bestimmt sich das Recht zur Kündigung ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist (fristlose Kündigung) nach den entsprechenden
Vorschriften des Mietrechts (Absatz 1).
Absatz 2
Wegen der gegenüber dem Mietrecht regelmäßig erheblich längeren Zahlungstermine ist
für die fristlose Kündigung bei Zahlungsverzug eine Sondervorschrift erforderlich. Gemäß
Satz 1 ist eine fristlose Kündigung des Verpächters möglich, wenn der Pächter mit der
Entrichtung des Pachtzinses oder eines nicht unerheblichen Teiles desselben länger als
drei Monate in Verzug ist.“
17 Aus dieser Begründung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass außer
Zahlungsverzug über einen Zeitraum von 3 Monaten noch weitere Voraussetzungen für
eine außerordentliche Kündigung erforderlich sein sollten. Vielmehr wird die Regelung als
Sondervorschrift für den Zahlungsverzug bezeichnet, bei dem ebenfalls unter den
Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 Nr. 3 gem. § 543 Abs. 3 Nr. 3 BGB in der damals
geltenden Fassung keine Abmahnung erforderlich war. Die Gesetzesbegründung spricht
auch dagegen, dass nach der Systematik der Kündigungstatbestände eine Kündigung
ohne Abmahnung nur bei Verzug über einen Zeitraum von mindestens 2
Fälligkeitszeitpunkten möglich sein solle. Denn § 594e Abs.2 S. 1 BGB weicht von diesem
Grundsatz nach der Gesetzesbegründung gerade wegen der bei Pachtverhältnissen
regelmäßig erheblich längeren Zahlungstermine ab.
18 c. Damit setzt die Kündigung im Fall des § 594e Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich keine
Abmahnung oder Nachfristsetzung voraus (ebenso Brandenburgisches
Oberlandesgericht, Urteil vom 15. März 2007 – 5 U (Lw) 117/06 –, juris Rn. 22).
19 Die nach dem Wortlaut erforderlichen Voraussetzungen – Verzug mit der jährlich zu
bezahlenden Pacht über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten − lagen bei Zugang
der Kündigung vom 13.2.2013 vor, da die Pacht am 11.11.2012 fällig gewesen wäre und
erst nach Zugang der Kündigung bezahlt wurde. Dem Verzugseintritt steht auch nicht der
Wechsel in der Person des Verpächters entgegen, weil dieser schon im Mai 2011 erfolgt
war und der Beklagte bereits einmal die Pacht für das Jahr 2011 an den Kläger
überwiesen hatte.
20 2. Von diesem Grundsatz ist auch nicht deshalb eine Ausnahme zu machen, weil
Anhaltspunkte für grundsätzliche Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit fehlen
oder der Verzug im Verhältnis zur bisherigen Vertragsdauer und Vertragserfüllung
unbedeutend ist.
21 Zwar kann der Ausspruch einer fristlosen Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung im
Einzelfall gegen § 242 BGB verstoßen, wenn sich dem Vermieter der Schluss aufdrängen
muss, dass die Nichtzahlung nicht auf Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit, sondern auf
einem bloßem Versehen oder sonstigen vom Pächter nicht zu vertretenden Umständen
beruht (vgl. OLG Düsseldorf NZM 2004, 786, juris Rn. 18). Konkrete Anhaltspunkte dafür,
dass sich dem Kläger diese Umstände aufdrängen mussten, gibt es hier jedoch nicht,
zumal sich der Beklagte im Prozessvergleich vom 19.9.2012 - und damit weniger als 2
Monate vor Fälligkeit der streitigen Pachtzahlung - verpflichtet hatte, bestimmte Arbeiten
im Hinblick auf die verpachteten Grundstücke vorzunehmen und diese im Zeitpunkt der
Fälligkeit der Jahrespacht ebenso wenig erfüllt hatte wie im Zeitpunkt der Kündigung.
Dieser Umstand sprach aus Sicht des Klägers für die Annahme von Leistungsunwilligkeit
beim Beklagten.
22 3. Damit war die Kündigung wirksam und der Beklagte ist gem. § 596 Abs. 1 BGB zur
Herausgabe der Grundstücke verpflichtet.
23 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
24 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
25 Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen von § 543
Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.