Urteil des OLG Stuttgart vom 14.08.2014

OLG Stuttgart: elterliche sorge, eltern, kindeswohl, aufenthalt, bestimmungsrecht, wechsel, gestaltung, empfehlung, trennung, haushalt

OLG Stuttgart Beschluß vom 14.8.2014, 11 UF 118/14
Leitsätze
Das Recht zur Bestimmung von Art und Umfang des Umgangs kann nicht auf einen
Ergänzungspfleger übertragen werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten C. S. wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht
- Heidenheim vom 28.05.2014 - 4 F 436/12 -
aufgehoben
und das Verfahren zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht -
Familiengericht - Heidenheim
zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, bleibt der
Schlussentscheidung vorbehalten.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 3.000,00 EUR
Gründe
I.
1 Die Beteiligten C. S. (Mutter) und A. K. (Vater) sind die Eltern der Kinder L. S., geboren am
00.00.2003, und A. S., geboren am 00.00.2005. Die Kinder leben bei der Mutter. Dieser
wurden im Verfahren 4 F 239/11 - Amtsgericht Heidenheim - die Teilbereiche der
elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, Recht der
Antragstellung gegenüber Behörden, religiöse Angelegenheiten, Kindergarten und
schulische Angelegenheiten nach Einholung eines Sachverständigengutachtens allein
übertragen.
2 Die Eltern hatten einen betreuten Umgang des Vaters beim Kinderschutzbund vereinbart,
welcher bis Anfang März 2012 auch durchgeführt wurde, ab dem 02.05.2012 erfolgte die
Betreuung durch die Beratungsstelle des Landratsamts H.. Nachdem die Mutter die dortige
Ausgestaltung beanstandete, regte das Jugendamt am 30.05.2012 die Anordnung
sorgerechtlicher Maßnahmen ihr gegenüber an.
3 Nachdem der Umgang daraufhin zunächst unterbrochen war, vereinbarten die Eltern im
weiteren Parallelverfahren 4 F 378/10 - Amtsgericht Heidenheim - am 19.09.2012, dass
dem Vater ein betreutes Umgangsrecht mit den Kindern 14-tägig jeweils Montag in der
Zeit von 15:30 Uhr bis 17:30 Uhr zusteht.
4 Der Vater erstrebt einen unbegleiteten Umgang unter Einschluss von Übernachtungen,
welchen die Mutter ablehnt.
5 Nach Anhörung der Eltern, der Kinder, des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin E.
sowie Einholung eines psychologischen Gutachtens zur Frage der Erziehungsfähigkeit
der Eltern bei den Diplom-Psychologinnen M. und R. entzog das Familiengericht der
Mutter die elterliche Sorge im Teilbereich Umgang und übertrug diese auf die bestellte
Ergänzungspflegerin S..
6 Das Familiengericht stellte das Recht des Vaters auf regelmäßigen und begleiteten
Umgang mit beiden Töchtern fest, welches zunächst an drei Terminen tagsüber, sodann
14-tägig mit jeweils zwei Übernachtungen stattfinden sollte. Es ordnete das Recht des
Vaters auf Umgang für die Hälfte der Schulferien an, sobald die Ergänzungspflegerin dies
für angezeigt hält.
7 Es ordnete weiterhin an, dass die Festlegung der Termine, die Entscheidung über
Verhinderung und Nachholung von Terminen, die Festlegung von Zusatzterminen zu
Feiertagen und Geburtstagen und die Festlegung, ab wann die Ferienumgänge beginnen,
der Ergänzungspflegerin obliegt. Es verpflichtete die Mutter, die Kinder zu den von der
Ergänzungspflegerin festgelegten Terminen bereitzuhalten und zum Zwecke der
Durchführung der Umgangstermine an die Ergänzungspflegerin bzw. an den Vater zu
übergeben.
8 Weiterhin erfolgte der Hinweis auf die Möglichkeit der Verhängung von Ordnungsmitteln
für den Fall der Zuwiderhandlung.
9 Mit der Beschwerde wendet sich die Mutter gegen die gerichtliche Entscheidung und
beantragt deren Aufhebung und Zurückverweisung an das Familiengericht.
10 Der Vater ist der Beschwerde entgegengetreten, die weiteren Beteiligten haben im
Beschwerdeverfahren keine Stellung genommen.
II.
11 Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an
das Familiengericht gemäß § 69 Abs. 1 S. 2, 3 FamFG.
12 Das Familiengericht hat der Beteiligten C. S. gemäß §§ 1666, 1666a BGB die elterliche
Sorge im Teilbereich Umgang entzogen und auf eine Ergänzungspflegerin übertragen.
Diese soll nach der getroffenen Entscheidung die Umgangstermine festsetzen, deren
Nichteinhaltung durch die Eltern mit der Verhängung von Ordnungsmitteln geahndet
werden sollen.
13 Eine derartige Regelung ist aus Rechtsgründen nicht zulässig.
14 Finden Eltern keine Einigung über die Regelung des Umgangs des nicht betreuenden
Elternteils mit den gemeinsamen Kindern, regelt das Familiengericht gemäß § 1684 Abs. 3
BGB den Umfang und die nähere Ausgestaltung. Es muss stets selbst eine konkrete und
vollständige Regelung treffen und darf dies nicht auf dritte Personen delegieren (BVerfG
FamRZ 2009. 1472).
15 So obliegt es einem gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 3 BGB bestellten Umgangspfleger
lediglich, den vom Gericht angeordneten Umgang sicherzustellen und umzusetzen, eine
eigene Entscheidungsbefugnis über die wesentlichen Kriterien des Umgangs kommt ihm
dagegen nicht zu.
16 Etwas Anderes gilt auch nicht für die Person einer Ergänzungspflegerin nach partiellem
Sorgeentzug (so auch OLG München FamRZ 2011, 823: OLG Celle ZKJ 2011, 182; aA
Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl, 2014, § 1684 Rn. 10, § 1666 Rn. 19 unter Bezugnahme auf
Heilmann NJW 2012, 16, 21, dort lediglich unter Bezugnahme auf eine
Entscheidungsanmerkung von Heilmann ZKJ 2011, 185 zu OLG Celle ZKJ 2011, 182;
grundsätzlich für möglich erachtet von OLG Frankfurt FamRZ 2014, 396).
17 Der Bereich Regelung des Umgangs von Kindern mit dem nicht betreuenden Elternteil ist
ein Teil des Personensorgerechts, speziell des Aufenthaltsbestimmungsrecht (BGH
FamRZ 2014, 732). Er beinhaltet die Sicherstellung desjenigen Umgangs, welcher dem
Wohl der betroffenen Kinder dient und betrifft deshalb diejenige Person, welche über den
Aufenthalt des Kindes zu entscheiden hat.
18 Nicht dagegen beinhaltet die elterliche Sorge auch das Recht, den Umgang nach Art und
Umfang zu bestimmen, da hierfür ausschließlich das Kindeswohl maßgeblich ist und bei
Nichteinigung der Eltern eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen ist. Da bereits
originär beim betreuenden, sorgeberechtigten Elternteil kein entsprechendes
Bestimmungsrecht im Sinne einer Regelungsbefugnis vorhanden ist, kann dieses
zwangsläufig auch nicht entzogen und auf einen Dritten übertragen werden (OLG
München FamRZ 2011, 823). Die gegenteilige Auffassung von Heilmann, welche von ihm
nicht erläutert wird, beruht möglicherweise noch auf der Rechtslage vor der
Kindschaftsrechtsreform 1998, als der seitdem weggefallene § 1711 BGB in Abs. 1 lautete:
„Derjenige, dem die Personensorge für ein Kind zusteht, bestimmt den Umgang des
Kindes mit dem Vater“.
19 Spätestens seit der Einführung einer gesetzlichen geregelten Umgangspflegschaft in §
1684 Abs. 3 BGB besteht jedoch kein Raum mehr für eine Ergänzungspflegschaft mit dem
beschränkten Regelungsbereich Umgang (Staudinger/Rauscher, BGB, Neubearbeitung
2014, § 1684 Rn. 110 ff.).
20 Nicht ausgeschlossen sind allerdings in Fällen einer Kindeswohlgefährdung
sorgerechtliche Maßnahmen anderer Art gemäß § 1666 BGB, welche in Fällen einer
festgestellten Umgangsvereitelung sodann das Aufenthaltsbestimmungsrecht
mitzuumfassen haben, da sie in der Regel mit einer Umplatzierung der betroffenen Kinder
verbunden sind (Staudinger/Coester, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666, Rn. 146:
Münchener Kommentar/Hennemann, 6. Aufl., 2012, § 1684 Rn.81). Dies setzt jedoch die
Feststellung voraus, dass der drohende Schaden durch die hier lediglich eingeschränkte -
nämlich begleitete - Gewährung eines Umgangs bei den Kindern höher einzuschätzen ist
als ein Wechsel des Lebensmittelpunktes aus dem mütterlichen Haushalt heraus.
21 Eine solche Feststellung erscheint vorliegend nicht vollständig ausgeschlossen, auch
wenn das eingeholte Sachverständigengutachten ausdrücklich ausführt, dass eine
Trennung der Kinder von der Mutter und eine Veränderung des Lebensmittelpunktes die
im Übrigen auf einer guten Förderung und Unterstützung seitens der Mutter beruhenden
Entwicklungslage verschlechtern würde. Die Empfehlung, daran nichts zu ändern, ist
nämlich auf der Grundlage ergangen, dass die zukünftige Gestaltung des Umgangs -
rechtlich nicht umsetzbar - im Verantwortungsbereich einer Fachkraft liegen soll. Es
erscheint offen, ob die Gutachterinnen unter den zutreffenden rechtlichen Umständen zu
einem identischen Ergebnis kommen würden, oder ob sie unter Berücksichtigung des
Kindeswohls anderweitige Gestaltungen für vorzugswürdig erachten würden, auch wenn
sie bereits im vorliegenden schriftlichen Gutachten auf die nicht unerheblichen
Verursachungsanteile des Vaters an den bestehenden Umgangsproblemen hingewiesen
haben.
22 Da die Beschwerdeführerin die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt hat und die
weitere Klärung der Erforderlichkeit sorgerechtlicher Maßnahmen, wie dargestellt, noch
eine aufwändige Beweiserhebung unter Einbeziehung der bereits involvierten
Sachverständigen erfordert, ist dem Zurückverweisungsantrag stattzugeben.