Urteil des OLG Stuttgart vom 26.08.2014

OLG Stuttgart: behandlung, auflage, identifizierung, kriminalpolizei, beweisverwertungsverbot, überzeugung, foto, vorrang, identifikation, erstellung

OLG Stuttgart Beschluß vom 26.8.2014, 4 Ss 225/14
Leitsätze
1. In einem Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung hat der Betroffene
gerichtlich angeordnete Maßnahmen zu seiner Identifizierung als Fahrer zumindest dann zu
dulden, wenn die Verhängung eines Fahrverbots im Raum steht.
2. Die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Betroffenen durch die Polizei
außerhalb der Hauptverhandlung ist jedoch unverhältnismäßig, sofern ein (anderer)
anthropolgischer Sachverständiger in der Lage ist, ein Vergleichsbild des Betroffenen zur
Erstellung seines Identitätsgutachtens im Rahmen des Hauptverhandlungstermins zu fertigen
und sogleich auszuwerten.
3. Die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, sofern
der gerichtlichen Anordnung nicht Willkür oder eine grobe Verkennung der Rechtslage zugrunde
liegen.
Tenor
Der 4. Senat für Bußgeldsachen hat auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach
Anhörung des Betroffenen am 26. August 2014 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 13.
Dezember 2013 wird als unbegründet
v e r w o r f e n .
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
1 T. wurde mit Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 13. Dezember 2013 wegen
vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb
geschlossener Ortschaften zu der Geldbuße von 200 EUR verurteilt. Daneben wurde ein
einmonatiges Fahrverbot mit Schonfrist verhängt.
2 Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die
Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
3 Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil die
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Begründung der Rechtsbeschwerde keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349
Abs. 2 StPO).
4 Insbesondere trägt die Beweiswürdigung den festgestellten Sachverhalt in objektiver und
subjektiver Hinsicht.
5 Das Rechtsbeschwerdegericht ist nur in begrenztem Maße befugt, die
Überzeugungsbildung des Tatrichters nachzuprüfen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die
Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine Eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208, 210;
29, 18, 20). Diese eingeschränkte Prüfungsbefugnis des Rechtsbeschwerdegerichts setzt
auch der Verpflichtung des Tatrichters zur erschöpfenden Beweiswürdigung in den
Urteilsgründen Grenzen. Diese müssen lediglich so gefasst sein, dass sie eine auf
Rechtsfehler beschränkte Richtigkeitskontrolle möglich machen, wobei gerade in
Bußgeldsachen an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt
werden dürfen (BGHSt 39, 291, 300).
6 Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei dargelegt,
dass es sich beim Betroffenen um den Fahrzeugführer zur Tatzeit handelt.
7 Diese Feststellung stützt die Tatrichterin auf einen Abgleich des bei den Akten
befindlichen Lichtbilds der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage sowie auf ein von der
Kriminalpolizei vor der Hauptverhandlung gefertigtes Vergleichslichtbild des Betroffenen,
das in gleichartiger Kopfhaltung und Sitzposition aufgenommen wurde. Dabei verweist sie
in den Urteilsgründen in zulässiger Weise gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3
StPO wegen der Einzelheiten auf die bei den Akten befindlichen und in der
Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder.
8 Insoweit hat allein der Tatrichter die Frage zu entscheiden, ob es sich bei dem Betroffenen
um den abgebildeten Fahrzeugführer handelt. Es kann daher nicht mit der
Rechtsbeschwerde beanstandet werden, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung
des Tatrichters nicht mit der auf dem Lichtbild der Überwachungsanlage abgebildeten
Person identisch. Die freie Beweiswürdigung des Tatrichters findet jedoch dort ihre
Grenzen, wo ein Lichtbild von so schlechter Qualität ist oder nur einen so geringen Teil
des Gesichts einer Person erkennen lässt, dass eine Identifizierung durch einen bloßen
Vergleich mit dem Betroffenen in der Hauptverhandlung nach den Erfahrungssätzen des
täglichen Lebens regelmäßig nicht möglich ist. Macht der Tatrichter also wie hier von der
gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gegebenen Möglichkeit Gebrauch, in
den Urteilsgründen auf das bei den Akte befindliche Foto des Fahrzeugführers zu
verweisen, so sind weitere Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten
Fahrzeugführers jedenfalls dann entbehrlich, wenn das Foto zur Identifizierung
uneingeschränkt geeignet ist (vgl. u.a. BGHSt 41, 376, 381 ff.).
9 Obwohl im vorliegenden Fall ein Abgleich mit dem Betroffenen selbst nicht vorgenommen
wurde, da er unmittelbar vor der Hauptverhandlung auf seinen Antrag hin vom
persönlichen Erscheinen entbunden worden war, hat sich das Amtsgericht in nicht zu
beanstandender Weise anhand eines vor der Hauptverhandlung durch die Kriminalpolizei
gefertigten Vergleichslichtbilds die Überzeugung verschafft, dass es sich bei ihm um den
abgebildeten Fahrzeugführer handelte. Sowohl das Lichtbild der Überwachungsanlage
als auch das erkennungsdienstlich gefertigte Vergleichslichtbild weisen eine gute Qualität
und Schärfe auf. Beide geben die für den Abgleich erforderlichen körperlichen Merkmale
des Betroffenen wieder, wovon sich der Senat aufgrund der Verweisung durch
Inaugenscheinnahme der Lichtbilder selbst überzeugen konnte. Die im Zusammenhang
mit der Darstellung des Gutachtens des anthropologischen Sachverständigen ... erfolgte
Benennung einzelner charakteristischer Merkmale, die im vorliegenden Fall für sich
gesehen nicht ausreichend gewesen wären, um dem Rechtsmittelgericht anhand der
Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der
Ergiebigkeit desselben zu ermöglichen, war daher entbehrlich.
10 Die Eignung der Lichtbilder zur Identifikation des Betroffenen wird auch vom
Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen. Er rügt vielmehr die Verwertung des im
Vorfeld der Hauptverhandlung durch eine mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 5.
November 2013 angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung des Betroffenen
gewonnenen Vergleichslichtbilds. Die Urteilsgründe befassen sich insoweit auch mit der
Frage eines Verwertungsverbots, so dass der Senat bereits auf die Sachrüge hin die
Verwertbarkeit des Beweismittels zumindest auf dieser Grundlage überprüfen kann (BGH
NJW 2007, 2269; Ritzert in Graf StPO, 2. Auflage, § 81a Rn. 27 mwN). Im Übrigen hat der
Betroffene sein Vorbringen in der Begründung der Rechtsbeschwerde zwar nicht
ausdrücklich als Verfahrensrüge bezeichnet, es entspricht jedoch den Anforderungen an
eine solche. So teilt der Beschwerdeführer die seiner Ansicht nach den Mangel
begründenden Tatsachen mit und trägt insbesondere auch vor, dass der Verwertung des
Vergleichslichtbildes in der Hauptverhandlung ausdrücklich widersprochen wurde.
11 Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Vergleichslichtbilds besteht indes nicht. In
Literatur und Rechtsprechung ist anerkannt, dass für das Bußgeldverfahren § 81b StPO
über § 46 Abs. 1 OWiG zumindest in bedeutenderen Sachen - insbesondere dann, wenn
die Verhängung eines Fahrverbotes wie im vorliegenden Fall im Raum steht - Anwendung
finden kann. Erkennungsdienstliche Maßnahmen zur Identifizierung sind in diesem Fall
vom Betroffenen zu dulden und können erforderlichenfalls auch mit unmittelbarem Zwang
durchgesetzt werden (OLG Düsseldorf DAR 1991, 191; LG Zweibrücken, VRS 123, 95;
Seitz in Göhler OWiG, 16. Auflage, § 46 Rn. 32; Burhoff, Handbuch
straßenverkehrsrechtliches Ordnungswidrigkeitenverfahren, 3. Auflage Rn. 2011; Lampe
in Karlsruher Kommentar OWiG, 3. Auflage § 46 Rn. 27).
12 Ausweislich der Urteilsgründe und des Rechtsbeschwerdevorbringens erfolgte die
Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Betroffenen zur Gewinnung
eines Vergleichslichtbildes mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 5. November
2013. Sie wurde auf Anregung des Sachverständigen noch vor der Hauptverhandlung
durch die Kriminalpolizei durchgeführt, weil er dies zur Vorbereitung seines mündlichen
Gutachtens im Termin für erforderlich erachtete und andernfalls eine wesentliche
Verzögerung des Verfahrens befürchtet wurde.
13 Im Bußgeldverfahren, in dem die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nur
unter engen Voraussetzungen zulässig ist, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch
in besonderem Maße zu beachten. Aufgrund dessen haben weniger belastende
Maßnahmen Vorrang (Burhoff aaO mwN).
14 Dem Senat ist aus zahlreichen früheren Bußgeldverfahren bekannt, dass andere
anthropologische Sachverständige, die ebenso wie der Gutachter im vorliegenden
Verfahren der „Arbeitsgruppe Identifikation nach Bildern“ (AGIB) angehören, in der Lage
sind, zumindest in Bußgeldsachen ein mündliches Lichtbildvergleichsgutachten zu
erstatten, ohne dass die Fertigung eines Vergleichsbildes vor der Hauptverhandlung
erforderlich ist. Vielmehr erstellen diese Sachverständigen ein digitales Vergleichsbild des
Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung, das mit dem im Vorfeld bereits
ausgewerteten Tatbild abgeglichen wird. Hierfür ist unter normalen Umständen ein
Zeitraum von ca. 10 - 20 Minuten erforderlich. Die Erstattung des mündlichen Gutachtens
folgt unmittelbar im Anschluss. Eine nennenswerte Verzögerung des Verfahrens entsteht
bei dieser Vorgehensweise nicht. Die Fertigung eines Lichtbilds durch den
Sachverständigen im Hauptverhandlungstermin stellt für den Betroffenen somit einen
geringeren Eingriff dar als die Fertigung von Lichtbildern durch den polizeilichen
Erkennungsdienst, die üblicherweise auf einer Polizeidienststelle - mit der Möglichkeit der
zwangsweisen Vorführung - an einem zusätzlichen Termin erfolgt (vgl. auch LG
Zweibrücken aaO).
15 Auch wenn deshalb im vorliegenden Fall von einer Unverhältnismäßigkeit der
angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme auszugehen ist, führt diese nicht zu
einem Verwertungsverbot des so gewonnen Vergleichslichtbilds. Dem
Strafverfahrensrecht ist ein allgemein geltender Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen
ein Beweiserhebungsverbot ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht,
fremd. Vielmehr ist die Frage der Verwertbarkeit verbotswidrig erlangter Erkenntnisse
jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich nach der Art und dem Gewicht
des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei
stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur aufgrund ausdrücklicher
gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall
anzuerkennen ist. Insoweit kommen insbesondere willkürliche Anordnungen des Gerichts
oder eine gröbliche Verkennung der Rechtslage in Betracht (u.a. BVerfG NJW 2008, 3053;
BGHSt 51, 285; ).
16 Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Vielmehr ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass
sich das Gericht bei der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des
Betroffenen von der Auffassung des renommierten Sachverständigen zur Erforderlichkeit
der Maßnahme außerhalb der Hauptverhandlung leiten ließ. Aufgrund dessen wurde
verkannt, dass die ansonsten zulässige Maßnahme in weniger einschneidender Weise
durchgeführt werden konnte. Ein willkürliches Handeln des Gerichts oder eine grobe
Verkennung der Rechtslage liegt somit gerade nicht vor. Abgesehen davon bewegt sich
die zusätzliche zeitliche Inanspruchnahme des Betroffenen durch die
erkennungsdienstliche Behandlung in einem überschaubaren Rahmen. Demgegenüber
ist dem öffentlichen Interesse am Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor Kraftfahrern, die
durch gravierende Geschwindigkeitsüberschreitungen die Sicherheit des Straßenverkehrs
beeinträchtigen, vor allem in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Verurteilung
wegen vorsätzlicher Begehungsweise sowie die Verhängung eines Fahrverbots im Raum
stehen, der Vorrang einzuräumen.
17 Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht durch den Umstand, dass sich die
angeordnete Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zur
Fahrereigenschaft des Betroffenen und damit die Erstellung eines Vergleichslichtbilds in
der Hauptverhandlung als nicht erforderlich herausgestellt hat. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass der Betroffene während des Bußgeldverfahrens die
Fahrereigenschaft bestritten hatte und den Zeugen K. als Fahrer benannt hatte. Da mithin
neben dem Betroffenen eine weitere Person als Täter in Betracht kam und insoweit die
Annahme nahe lag, dass diese eine Ähnlichkeit mit dem Betroffenen aufweisen muss, um
als Fahrer nicht von vornherein außer Acht gelassen zu werden, ist die Anordnung eines
anthropologischen Vergleichsgutachtens nicht willkürlich erfolgt.
18 Auch die Urteilsfeststellungen zu einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit sind nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall hat der Betroffene
die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften
um 26 km/h überschritten. Angaben zur Sache wurden von ihm nicht gemacht. Angesichts
der um mehr als 50 Prozent überhöhten Geschwindigkeit ist in der Regel von einer
vorsätzlichen Begehungsweise auszugehen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 2. Juli 2012 -
4a Ss 380/12; KG Berlin VRS 107, 213). Anhaltspunkte, dass ausnahmsweise dennoch
ein fahrlässiges Handeln vorlag, waren vorliegend nicht gegeben, zumal die Messstelle
innerhalb einer zusammenhängenden Bebauung lag. Das Vorbringen in der
Rechtsbeschwerdebegründung hierzu erschöpft sich überwiegend in urteilsfremden
Erwägungen.