Urteil des OLG Stuttgart vom 02.01.2014

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OLG Stuttgart Beschluß vom 2.1.2014, 10 W 34/13
Leitsätze
1. Lehnt das Gericht im selbständigen Beweisverfahren den Antrag auf - schriftliche oder
mündliche - Erläuterung des erstatteten Gutachtens ab, ist dagegen die sofortige Beschwerde
statthaft.
2. Nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens kann eine Anhörung des
Sachverständigen oder Ergänzung des Gutachtens durch den Sachverständigen nicht mehr
verlangt werden.
3. Haben die Parteien rechtzeitig Einwendungen gegen das im selbständigen Beweisverfahren
erstattete Gutachten erhoben, ist - sofern nicht eine weitere Beweisaufnahme stattfindet - das
selbständige Beweisverfahren jedenfalls dann beendet, wenn der mit der Beweisaufnahme
befasste Richter zum Ausdruck bringt, dass eine weitere Beweisaufnahme nicht stattfindet und
dagegen innerhalb angemessener Frist keine Einwände erhoben werden (BGH NJW 2011,
594).
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin Ziff. 1 gegen den Beschluss des Landgerichts
S. vom 16.7.2013 − Az. 24 OH 6/12 − wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin Ziff. 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 77.400 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Gegenstand des vor dem Landgericht S. geführten selbständigen Beweisverfahrens ist
der Grad der Fertigstellung eines von den Antragsgegnern errichteten Wohngebäudes.
2
Am 17.12.2012 ging das aufgrund Beweisbeschlusses vom 20.4.2012 eingeholte
schriftliche Sachverständigengutachten beim Landgericht ein. Die den Beteiligten mit
Übersendung des Gutachtens gesetzten Fristen wurden mehrfach verlängert, zuletzt bis
15.2.2013. Die beiden Antragsgegner brachten am 15.2.2013 Einwendungen gegen das
Gutachten vor, worauf das Landgericht mit Verfügung vom 18.2.2013 Gelegenheit zur
Stellungnahme innerhalb von 3 Wochen gab, ob an den Sachverständigen ergänzende
Fragen gerichtet werden sollten; andernfalls werde das Verfahren als abgeschlossen
behandelt. Nachdem innerhalb der gesetzten Frist keine Reaktion erfolgte, kündigte das
Gericht durch Verfügung vom 14.3.2013 an, dass beabsichtigt sei, den Streitwert auf
77.000 EUR festzusetzen; die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss vom
3.4.2013. Mit Schriftsatz vom 1.7.2013 brachte der jetzige Prozessbevollmächtigte der
Antragsgegnerin Ziff. 1 Fragen an den Sachverständigen vor und beantragte, dem
Sachverständigen aufzugeben, diese in einem schriftlichen Ergänzungsgutachten zu
beantworten.
3
Das Landgericht wies durch den angefochtenen Beschluss vom 16.7.2013 den Antrag auf
Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens mit der Begründung ab, dass
das selbständige Beweisverfahren beendet sei, nachdem innerhalb der bis 15.2.2013
gesetzten Frist kein Antrag auf mündlichen Anhörung des Sachverständigen oder
Einholung eines schriftlichen Ergänzungsgutachten gestellt worden sei. Durch Beschluss
vom 30.7.2013 erfolgte eine Berichtigung des Beschluss vom 16.7.2013.
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Am 31.7.2013 ging beim Landgericht S. eine auch gegen die beiden Antragsgegner
gerichtete Teilklage ein, die diesen auch zugestellt wurde (Az. 24 O 326/13). Mit dieser
Teilklage machen die Antragsteller Ansprüche auf der Grundlage des im vorliegenden
selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachtens geltend.
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Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer am 19.8.2013 beim Landgericht
eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.7.2013. Entgegen
der Begründung des angefochtenen Beschlusses sei das selbständige Beweisverfahren
nicht mit Ablauf der bis 15.2.2013 verlängerten Frist zur Stellungnahme zum Gutachten
beendet gewesen. Denn das Landgericht habe es versäumt, die Antragsgegner in
unmissverständlicher Form auf die Folgen der Nichtbeachtung der gesetzten Fristen
hinzuweisen, was nach der obergerichtlichen Rechtsprechung jedoch erforderlich sei. Die
Antragsgegnerin Ziff. 1 beruft sich auf Entscheidungen des BGH (Urteil vom 22.5.2001, VI
ZR 268/00), des OLG Braunschweig (Beschluss vom 18.7.2012, 8 W 33/12) und des OLG
Celle (Beschluss vom 6.3.2009, 16 W 19/09). Mit Schriftsatz vom 9.9.2013 brachte sie vor,
dass sie mangels Eintragung im Handelsregister nicht passivlegitimiert sei. Die
Vertretungsanzeige des Prozessbevollmächtigten und die Sach- und Rechtseinlassung
seien wirksam, da sich der in der Antragsschrift genannte Geschäftsführer gegen das
selbständige Beweisverfahren zur Wehr setzen können müsse. Angesichts des
inzwischen rechtshängigen Klageverfahrens sei das selbständige Beweisverfahren nicht
mehr zulässig.
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Sie beantragt,
7
den Beschluss des Landgerichts S. vom 16.7.2013 aufzuheben.
8
Die Antragsteller beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
10 Sie verweisen auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses und darauf, dass sich
die Antragsgegnerin selbst im Verfahren 24 O 326/13 vor dem Landgericht S. als nicht
existent bezeichne, da sie nicht im Handelsregister eingetragen sei. Im Übrigen sei das
selbständige Beweisverfahren einzustellen, nachdem die Antragsteller inzwischen
Teilklage erhoben haben.
11 Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen durch Beschluss vom
18.9.2013, auf dessen Begründung verwiesen wird.
II.
12 Die gegen den Beschluss des Landgerichts S. vom 16.7.2013 eingelegte sofortige
Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1.
13 Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
14 a. Die Antragsgegnerin Ziff. 1 ist - unstrittig - nicht im Handelsregister eingetragen und
beruft sich im Beschwerdeverfahren auf ihre Nichtexistenz. In der Rechtsprechung ist
anerkannt, dass die nicht existente Partei in einem gegen sie angestrengten Verfahren
insoweit als parteifähig zu behandeln ist, als sie ihre Nichtexistenz geltend macht (BGH
NJW 2008, 528, juris Rn. 9). Im Übrigen wäre die Antragsgegnerin Ziff. 1 auch parteifähig,
wenn der zur ihrer Errichtung erforderliche Gesellschaftsvertrag noch nicht abgeschlossen
worden wäre und damit nicht vom Vorliegen einer parteifähigen Vorgesellschaft
auszugehen wäre. Denn die Antragsgegnerin Ziff. 1 ist − was sich aus dem mit den
Antragstellern abgeschlossenen Bauvertrag vom 27.5.2011 (Anlage K1 im Verfahren 24
O 326/13 / LG S.) ergibt − als Gesellschaft bereits im Rechtsverkehr aufgetreten mit der
Folge, dass sie entweder kraft Rechtsformzwangs nach §§ 1Abs. 1, 105Abs. 1 HGB als
OHG oder − falls noch kein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb
vorgelegen haben sollte − als rechtsfähige Außen-BGB-Gesellschaft anzusehen wäre. In
beiden Fällen wäre sie parteifähig i.S.d. § 50 ZPO.
15 b. Zwar ist gegen die Ablehnung der Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412
ZPO auch im selbstständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben (BGH BauR
2010, 932, juris Rn. 5 ff.; Senatsbeschluss vom 23.9.2010, MDR 2011, 319). Dies gilt
jedoch nicht für den Antrag auf - schriftliche oder mündliche - Erläuterung des erstatteten
Gutachtens. Die Antragsgegnerin Ziff. 1 begehrt vorliegend letzteres. Denn aus dem
Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin Ziff. 1 vom 1.7.2013 ergibt
sich, dass sie keine neue Begutachtung mit eigenen Gegenanträgen beantragt, sondern
Erläuterung des erstatteten Gutachtens im Hinblick auf konkrete Einwendungen / Fragen
der Antragsgegnerin Ziff. 1.
16 c. Die sofortige Beschwerde wurde fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 ZPO). Die
Beschwerdeschrift ging beim Landgericht am 19.8.2013 und damit innerhalb von 2
Wochen nach Zustellung an den jetzigen Prozessbevollmächtigen der Antragsgegnerin
Ziff. 1 ein. Zwar wurde der Beschluss schon am 22.7.2013 an ihre früheren
Prozessbevollmächtigten, die Rechtsanwälte K/B, zugestellt. Diese Zustellung war jedoch
gem. §§ 172, 87 ZPO unwirksam, da sich bereits mit am 7.6.2013 eingegangenen
Schriftsatz vom 6.6.2013 der jetzige Prozessbevollmächtigte legitimiert und die
Beendigung des Mandats der Rechtsanwälte K/B erklärt hatte, worauf die Rechtsanwälte
K/B mit Schriftsatz vom 17.6.2013 bestätigten, dass das Mandat beendet sei. Eine
Zustellung konnte ab diesem Zeitpunkt wirksam nur noch an den neuen
Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin Ziff. 1 erfolgen, weshalb die Frist zur
Einlegung der sofortigen Beschwerde erst mit der am 5.8.2013 erfolgten Zustellung an
diesen begann.
17 Auch die sich aus § 569 Abs. 1 ZPO ergebenden Formerfordernisse sind erfüllt und die
Beschwerdesumme von 200 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO) ist überschritten.
2.
18 a. Die sofortige Beschwerde erweist sich jedoch als unbegründet, da das Landgericht zu
Recht die Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens abgelehnt hat. Denn das
selbständige Beweisverfahren war jedenfalls mit Ablauf von 1 Monat beendet, nachdem
das Gericht durch Verfügung vom 14.3.2013 zum Ausdruck gebracht hatte, dass keine
weitere Beweisaufnahme stattfinden werde.
19 Ein selbständiges Beweisverfahren ist beendet, wenn die Beweissicherung sachlich
erledigt ist. Erfolgt die Beweiserhebung durch ein schriftliches
Sachverständigengutachten, ist das selbständige Beweisverfahren mit dessen
Übersendung an die Parteien beendet, wenn weder das Gericht nach § 411 Abs. 4 Satz 2
ZPO eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat noch die Parteien innerhalb eines
angemessenen Zeitraums Einwendungen dagegen oder das Gutachten betreffende
Anträge oder Ergänzungsfragen mitteilen. Haben die Parteien rechtzeitig Einwendungen
gegen das im selbständigen Beweisverfahren erstattete Gutachten erhoben, ist - sofern
nicht eine weitere Beweisaufnahme stattfindet - das selbständige Beweisverfahren
jedenfalls dann beendet, wenn der mit der Beweisaufnahme befasste Richter zum
Ausdruck bringt, dass eine weitere Beweisaufnahme nicht stattfindet und dagegen
innerhalb angemessener Frist keine Einwände erhoben werden (BGH NJW 2011, 594,
juris Rn. 14).
20 Der Einzelrichter hat mit Verfügung vom 14.3.2013 darauf hingewiesen, dass innerhalb
der hierfür gesetzten Frist keine ergänzenden Fragen an den Sachverständigen
vorgebracht worden seien, weshalb nun der Streitwert festzusetzen sei. Damit wurde
hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass keine weitere Beweisaufnahme
stattfinden werde. Als angemessener Zeitraum, innerhalb dessen eine Reaktion auf diese
Verfügung zu erwarten war, ist angesichts des seit der Übersendung des Gutachtens
durch Verfügung vom 17.12.2012 verstrichenen Zeitraums maximal ein Monat anzusehen.
Das selbständige Beweisverfahren war somit beendet, als mit dem am 2.7.2013
eingegangen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten weitere Einwände gegen das
Gutachten vorgebracht wurden.
21 Entgegen der von der Antragsgegnerin Ziff. 1 vorgebrachten Rechtsansicht war kein
Hinweis des Gerichts auf die Folgen einer Fristversäumung erforderlich, um die
Beendigung des Verfahrens mit Fristablauf herbeizuführen. Zwar kann eine Fristsetzung
ohne Hinweis auf die Rechtsfolgen nach der Rechtsprechung des BGH keine Präklusion
auslösen (BGH NJW-RR 2006, 428, juris Rn. 8). Das selbständige Beweisverfahren
endet jedoch nach Ablauf einer gem. §§ 492, 411 Abs. 4 S. 2 ZPO gesetzten Frist und
kann dann nicht mehr verzögert werden i.S.d. § 296 ZPO (OLG Frankfurt, Beschluss vom
16.12.2009, 19 W 87/09, juris Rn. 3; BGH NJW 2011, 594).
22 b. Die Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens wäre inzwischen ohnehin
unzulässig, da die Antragsteller nach Erlass des angefochtenen Beschlusses das
Hauptsacheverfahren anhängig gemacht haben (OLGR Köln 1995, 215, juris Rn. 3;
OLGR Schleswig 2005, 39, juris Rn. 5; Herget in: Zöller, § 485 ZPO, Rn. 7).
3.
23 a. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Frage, ob die Antragsgegnerin Ziff. 1
parteifähig ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Denn die prozessuale
Kostentragungspflicht hängt allein vom Ergebnis der Rechtsverfolgung ab und nicht auch
davon, ob die unterlegene Partei überhaupt parteifähig oder prozessfähig ist (BGH NJW
1993, 1865, juris Rn. 10).
24 b. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 2 ZPO war nicht veranlasst.
25 c. Der Streitwert war auf 77.400 EUR festzusetzen.
26 Die Antragsgegnerin Ziff. 1 greift mit ihrem Schriftsatz vom 1.7.2013 das Ergebnis des
Sachverständigengutachtens insgesamt an, weshalb sich der Streitwert des
Beschwerdeverfahrens nach dem Streitwert desselbständigenBeweisverfahrens
bestimmt.
27 Entscheidend für die Bemessung des Streitwerts im selbständigen Beweisverfahren ist
das in der Antragschrift zum Ausdruck gekommene Interesse an der Klärung. Dabei ist
allerdings der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert weder bindend
noch maßgeblich; das Gericht hat nach Einholung des Gutachtens den „richtigen“
Hauptsachewert, bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse
des Antragstellers, festzusetzen (BGH BauR 2004, 1975, Juris Rn 18; OLG S., Beschluss
vom 07. August 2008 – 10 W 43/08 –, juris Rn. 10).
28 Die Ermittlung des Grads der Fertigstellung des Gebäudes durch das selbständige
Beweisverfahren wurde von den Antragstellern mit dem Ziel veranlasst, festzustellen, in
welchem Umfang sie durch die in Höhe von 166.000 EUR geleisteten Zahlungen den
geschuldeten Werklohn überzahlt haben. Nach dem Ergebnis des Gutachtens beträgt der
Herstellungswert 88.600,00 EUR, was (rechnerisch) eine Überzahlung in Höhe von
77.400 EUR ergibt. Dieser Betrag stellt das materielle Interesse der Antragsteller dar,
weshalb der Streitwert entsprechend festzusetzen war.