Urteil des OLG Stuttgart vom 13.11.2013

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OLG Stuttgart Urteil vom 13.11.2013, 6 O 77/12
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 13.06.2013 (6 O 77/12)
wird
z u r ü c k g e w i e s e n.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Landgerichts Ulm vom 13.06.2013 (6 O
77/12) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 11.116,68 EUR.
Gründe
I.
1
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO
abgesehen.
II.
2
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
3
Mit zutreffenden Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird,
hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass der Kläger gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld hat, weil sich die
Beklagte auf die Haftungsprivilegierung des § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII berufen kann. Die
Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung und in der mündlichen
Verhandlung vom 06.11.2013 führen zu keinem anderen Ergebnis.
1.
4
Unstreitig sollte die Zeugin R… auf Anweisung des Klägers im Rahmen der Kfz-
Hauptuntersuchung das Abblendlicht des ihrem Großvater gehörenden Fahrzeugs,
welches bei der Beklagten haftpflichtversichert ist, einschalten. Dabei kam es zu einer
Bewegung des Fahrzeugs, die zu einer Verletzung des Klägers am Unterschenkel führte.
2.
5
Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Zeugin R… bei Anschalten des
Abblendlichts auf Weisung des Klägers gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 SGB
VII wie ein Mitarbeiter des TÜVs und damit des Arbeitgebers des Klägers tätig.
a)
6
Mit dem Anschalten des Abblendlichts handelte die Zeugin R… ausschließlich im
fremden betrieblichen Tätigkeitskreis des TÜVs und nicht im eigenen (Betriebs-)Interesse,
weil die Prüfung des Abblendlichts Bestandteil der Kfz-Hauptuntersuchung ist und die
Kfz-Hauptuntersuchung die alleinige Aufgabe des TÜVs aufgrund des Vertrages mit der
Zeugin R…oder ihrem Großvater, dem Halter des streitgegenständlichen Fahrzeugs,
darstellt.
7
Entscheidend für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit und das Eingreifen des
Haftungsausschlusses i. S. d. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII ist die Verursachung des
Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder
für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die von ihm im
Betriebsinteresse erbracht wurde. Diente die Tätigkeit des Schädigers sowohl dem
Interesse des Unfallbetriebs als auch dem seines eigenen bzw. seines
Stammunternehmens, kann sie dem Unfallbetrieb nur dann zugeordnet werden, wenn sie
der Sache nach für diesen und nicht für das eigene Unternehmen geleistet wurde. Für die
unfallversicherungsrechtliche Zuordnung der Tätigkeit kommt es darauf an, ob ihr
Aufgaben des fremden oder solche des eigenen Unternehmens das Gepräge gegeben
haben. Auch unter der Geltung des § 105 Abs. 1 SGB VII ist dabei davon auszugehen,
dass derjenige, der Aufgaben wahrnimmt, die sowohl in den Aufgabenbereich seines
Unternehmens als auch in denjenigen eines fremden Unternehmens fallen, allein zur
Förderung der Interessen seines Unternehmens tätig wird. Erst wenn die Tätigkeit nicht
mehr als Wahrnehmung einer Aufgabe seines Unternehmens bewertet werden kann,
kann sie dem fremden Unternehmen zugerechnet werden (BGH MDR 2013, 841, juris-Rn.
13; MDR 2004, 878, juris-Rn. 10 f., OLG Stuttgart VersR 2004, 68, juris-Rn 29).
8
Mit dem Einschalten des Abblendlichts auf Weisung des Klägers wurde die Zeugin R…
im Rahmen der Kfz-Hauptuntersuchung des Fahrzeugs ihres Großvaters tätig. Durch die
Auftragserteilung wurde die Kfz-Hauptuntersuchung dem TÜV als Arbeitgeber des
Klägers übertragen. Dabei kann es dahinstehen bleiben, ob der Großvater der Zeugin
R… oder die Zeugin R… selbst Auftraggeber war. Entscheidend ist vielmehr, dass der
TÜV alleiniger Auftragnehmer war und nach diesem Vertrag der Auftraggeber, also der
Großvater der Zeugin R… oder diese selbst, keine Mitwirkungspflichten hatte. Davon ist
hier mangels anderer Anhaltspunkte gemäß dem Regelfall der Kfz-Hauptuntersuchung
durch das beauftragte Prüfungsunternehmen auszugehen.
9
Zwar hatte sowohl die Zeugin R… als Nutzerin des Fahrzeugs als auch ihr Großvater als
Halter ein Interesse daran, dass die Kfz-Hauptuntersuchung durchgeführt wurde. Dieses
Interesse beschränkt sich jedoch auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs. Die Kfz-
Hauptuntersuchung selbst sollte nach dem Auftrag alleine der TÜV und damit der
Arbeitgeber des Klägers durchführen.
b)
10 Entgegen der Auffassung des Klägers war die Tätigkeit der Zeugin R… durch Anschalten
des Abblendlichts für den TÜV dienlich und in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsam, so
dass die Zeugin R… mit dem Anschalten des Abblendlichts im Rahmen der Lichtprüfung
der Kfz-Hauptuntersuchung wie eine Mitarbeiterin des TÜVs gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 i. V.
m. Abs. 1 Nr. 1 SGB VII tätig geworden ist.
aa)
11 Es kann dahinstehen bleiben, welche einzelnen Handgriffe die Zeugin R… am
streitgegenständlichen Kfz hat ausführen müssen, um das Abblendlicht einzuschalten
(nur Betätigung des Lichtschalters, Einschaltung der Zündung durch Betätigung des
Zündschlüssels oder auch Starten des Motors). Entscheidend ist, dass der Kläger im
Rahmen der Prüfung der Beleuchtung des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Zeugin
R… als Hilfsperson hinzugezogen hat. Anknüpfungspunkt ist die Weisung des Klägers an
die Zeugin R…, das Abblendlicht einzuschalten. Dies hat die Zeugin getan. Dabei kam es
infolge einer Bewegung des Fahrzeugs zum Unfall, sei es, weil die Zeugin die Zündung
ohne Treten der Kupplung bei eingelegtem Gang betätigt hat oder weil sie von der
Kupplung abgerutscht ist.
bb)
12 Es kann ebenfalls dahinstehen bleiben, ob der Kläger diese Tätigkeit, die er auf die
Zeugin R… übertragen hatte, selbst hätte ausführen können oder hierfür einen weiteren
Mitarbeiter des TÜVs benötigt hätte. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger im
konkreten Fall die Zeugin R… mit dem Anschalten des Abblendlichts beauftragt hat.
Damit ist die Zeugin R… für den TÜV im Rahmen der Kfz-Hauptuntersuchung tätig
geworden.
13 Der Umstand, dass die Zeugin R… nach dem Vortrag des Klägers in der mündlichen
Verhandlung vom 06.11.2013 auf eigenen Wunsch an der Hauptuntersuchung
teilgenommen hat, ändert daran nichts. Denn es war die Entscheidung des Klägers, die
Zeugin R… in die Durchführung der Hauptuntersuchung als Hilfsperson einzubinden.
cc)
14 Die Tätigkeit der Zeugin R… war nicht so unbedeutend, dass ihr keine betriebliche
Qualität zukommen würde. Insofern unterscheidet sich der Fall vom Fall, den das
Oberlandesgericht München am 19.03.2009 - 24 U 346/08 - entschieden hat (ZfSch 2009,
381). Vorliegend wurde die Zeugin R… in den Prüfungsablauf des TÜVs im Rahmen der
Kfz-Hauptuntersuchung eingebunden und sollte hierbei das Abblendlicht anschalten.
Insoweit wurde die Zeugin R… als Hilfsperson zur Erfüllung der vertraglichen Pflicht des
TÜVs im Rahmen der Übertragung der Hauptuntersuchung tätig. Dagegen wurde der
Schädiger in dem vom OLG München entschiedenen Fall im Rahmen der von der
Geschädigten durchgeführten Starthilfe tätig. Insoweit mag das OLG München eine
Tätigkeit gesehen haben, die noch nicht betriebliche Qualität erreicht, was allerdings im
Hinblick auf den unterstützenden Charakter der Tätigkeit und die Erheblichkeit für die
Starthilfe bedenklich erscheint. Letztlich kann dies dahinstehen bleiben, weil jedenfalls im
vorliegenden Fall eine Tätigkeit der Zeugin R… zur Erfüllung der Verpflichtung des TÜVs
aus dem übernommenen Auftrag bezüglich der Kfz-Hauptuntersuchung vorliegt. Diese
Tätigkeit war für den TÜV dienlich und bedeutsam, weil sie sonst von dem Kläger mit
entsprechendem Aufwand oder einer weiteren Hilfsperson hätte ausgeführt werden
müssen.
15 Das gilt auch dann, wenn der Kläger die entsprechende Untersuchung der Beleuchtung
aufgrund der vorhandenen Spiegel selber schneller als zusammen mit der Zeugin R…
hätte erledigen können. Denn auch in diesem Fall hat die Zeugin R… den Kläger
unterstützt, selbst wenn der Kläger der Zeugin vor allem den Ablauf der
Hauptuntersuchung zeigen wollte. Insoweit liegt die gleiche Situation vor, wie wenn der
Kläger einen Auszubildenden seines Arbeitgebers zugezogen und zum Einschalten des
Abblendlichts aufgefordert hätte. Dann würde niemand annehmen, dass diese Tätigkeit
des Auszubildenden unbedeutend und daher ein betrieblicher Bezug auszuschließen sei.
c)
16 Der Umstand, dass für ein Fehlverhalten der Zeugin R… aufgrund der Schädigung des
Klägers durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs die Beklagte als Haftpflichtversicherung
einzustehen hätte, führt zu keiner anderen Bewertung des Sachverhalts. Die Frage, ob ein
Schädiger gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als „Wie-Beschäftigter“
anzusehen ist, hängt nicht von einer eventuell für den Schaden eintrittspflichtigen privaten
Versicherung ab. Das gilt für die hier vorliegende Kfz-Versicherung und auch für eine
eventuell bestehende Privathaftpflichtversicherung des Schädigers. Denn die gesetzliche
Unfallversicherung ist eintrittspflichtig ohne Rücksicht auf andere Versicherungen bei
Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Das gilt dann auch für den damit
zusammenhängenden Ausschluss des Schadensausgleichs gemäß § 105 Abs. 1 S. 1
SGB VII (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart VersR 2004, 68, juris-Rn 21 und 23).
III.
17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Dabei war nach § 708 Nr. 10
Satz 2 ZPO das angefochtene landgerichtliche Urteil für vollstreckbar ohne Sicherheit zu
erklären. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen
nicht vor.