Urteil des OLG Stuttgart vom 10.02.2014

OLG Stuttgart: schmerzensgeld, simulation, behandlung, meinung, körperlicher zustand, immaterieller schaden, gerechte entschädigung, serbien, erwerbsfähigkeit, gutachter

OLG Stuttgart Urteil vom 10.2.2014, 5 U 111/13
Leitsätze
Es wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichthof eingelegt. Az.: VI ZR 143/14
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 08.04.2013 - 27
O 218/09
abgeändert:
und in Nr. 1 der Entscheidungsformel wie folgt neu gefasst:
(1.)
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ziff. 1 ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,00
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.06.2009
zu bezahlen.
Im Übrigen verbleibt es bei der Entscheidungsformel des Landgerichts einschließlich der
Abweisung der Klage im Übrigen (Nr. 5 der Entscheidungsformel).
2. Die weitergehende Berufung wird
zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Im Übrigen verbleibt es bei der
Kostenentscheidung erster Instanz.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert: 79.440,05 EUR
Gründe
I.
1
Der Kläger fordert von der Beklagten, einem österreichischen Kraftfahrzeughaftpflicht-
versicherungsunternehmen, Schadenersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrs-
unfall, der sich in Serbien unter Beteiligung eines Versicherungsnehmers der Beklagten
ereignete. Die volle Haftung der Beklagten für unfallbedingte Schäden des Klägers ist
dem Grunde nach inzwischen unstreitig. Die Parteien streiten noch um die Höhe der dem
Kläger entstandenen Schäden, insbesondere um die Höhe des Schmerzensgeldes und
des Verdienstausfallschadens.
2
Der in Deutschland lebende Kläger befuhr am ...0X.2007 gegen 07.15 Uhr mit seinem
Pkw VW Touran mit dem deutschen Kennzeichen ... - ... ... auf der Fahrt in die Türkei die
rechte Spur der Autobahn von Belgrad in Fahrtrichtung Niš. In der Nähe des serbischen
Ortes V... P... überholte ihn der damals in M.../Österreich wohnhafte A... B... mit seinem
bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw VW Scharan mit dem österreichischen
Kennzeichen ... - ... ... Bei dem Versuch, einem auf der Fahrbahn liegenden Reifenteil
auszuweichen, verlor der Versicherungsnehmer der Beklagten die Kontrolle über sein
Fahrzeug und es kam zu einem streifenden Kontakt mit dem vom Kläger gelenkten Pkw.
Dadurch wurde der Wagen des Klägers von der Autobahn abgedrängt und überschlug
sich mehrfach im Gelände rechts der Autobahn. An dem Fahrzeug entstand
Totalschaden.
3
Der Kläger erlitt bei dem Unfall eine Trümmerfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers. Er
wurde vier Tage stationär in S... behandelt und anschließend mit der ADAC-Luftrettung
nach Deutschland zurückgeholt. Am ...2007 wurde die Lendenwirbelfraktur in der ...
Klinik, T... operativ versorgt. Der zwölfte Brustwirbel wurde dabei mit dem ersten
Lendenwirbel „verblockt“, die beiden Wirbel also versteift (ventrale Spondylodese mittels
Beckenkammspan und Metallplatte, Arztbericht vom 18.09.2007, Anlage K 11 zur
Klageschrift). Es verblieb eine leichtgradig eingeschränkte Drehbeweglichkeit an der
Brust- und Lendenwirbelsäule und eine leichtgradig beschränkte Seitenneigung.
4
Der Kläger befand sich nach dem Unfall insgesamt 20 Tage in stationärer Behandlung.
Es schlossen sich stationäre Rehabilitationsbehandlungen vom 16.12.2007 bis 03.01.
5
2008 sowie vom 06.05.2009 bis 05.06.2009 und vom 24.09.2009 bis 22.10.2009 an.
6
Der Kläger kann nach seiner Wirbelsäulenverletzung keine schweren Druckwalzen mehr
auswechseln, was zu seinen Aufgaben in seinem früheren Beruf als Druckereihelfer
gehörte. Er kann generell keine schweren Lasten mehr heben. Seine frühere
Arbeitsstelle in der Druckerei und eine daneben ausgeübte geringfügige Beschäftigung
als Verpacker und Bote wurden ihm gekündigt.
7
Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, er sei wegen eines unfallbedingten
Schmerzsyndroms dauerhaft erwerbsunfähig. Er hat seine Schadensersatzansprüche
zunächst nach den Grundsätzen des deutschen Rechts berechnet und in erster Instanz
beantragt, die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000,00
EUR und zur Zahlung von 42.610,07 EUR als Ersatz für materielle Schäden zu
verurteilen. Außerdem begehrte er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für
sämtliche Schäden aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
9
Sie war der Meinung, es sei serbisches Sachrecht anzuwenden. Außerdem war sie der
Auffassung, der Kläger sei längst wieder arbeitsfähig. Er übertreibe seine Schmerzen
und bemühe sich nicht hinreichend um Wiedereingliederung in das Arbeitsleben.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der
erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die
zum Landgericht eingereichten Schriftsätze und sonstigen Unterlagen Bezug genommen.
11 Das Landgericht hat nach Einholung von Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. H...
zum anzuwendenden Recht, Prof. Dr. T... zur psychischen Situation und Dr. M... zur
chirurgisch-orthopädischen Situation des Klägers und nach Vernehmung des Dipl.-Ing.
A... zum Unfallverlauf die Klage zum überwiegenden Teil abgewiesen.
12 Die Schadensersatzansprüche seien nach serbischem Recht zu beurteilen. Danach
hafte die Beklagte für Schäden des Klägers in vollem Umfang. Die Höhe des
Schadensersatzanspruchs sei aber weitaus geringer als vom Kläger beantragt.
13 Ein Verdienstausfallschaden sei nur in der Zeit vom Ende des
Lohnfortzahlungszeitraums, also vom ...09.2007, bis zum 1X.02.2008 in Höhe von
insgesamt 4.292,05 EUR entstanden. Der Kläger sei nach den Feststellungen des
Sachverständigen Dr. M... bis Ende Dezember 2007 vollständig arbeitsunfähig gewesen.
Ab Januar 2008 sei er partiell arbeitsfähig gewesen und hätte ab Mitte Februar 2008
wieder voll arbeiten können, hätte er den im Januar 2008 begonnenen Arbeitsversuch
nicht abgebrochen. Zwar habe der Sachverständige Dr. M... eine unfallbedingte
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10% festgestellt, bei der weder eine künftige
Verbesserung noch eine Verschlechterung zu erwarten sei. Der Kläger hätte daher nur
noch ein um 10% vermindertes Einkommen beziehen können, da er keine schweren
Lasten mehr heben könne. Diese Einkommensminderung um 10% werde aber durch die
vom Kläger bezogene Erwerbsminderungsrente ausgeglichen. Er habe also ab Mitte
Februar 2008 keinen Verlust mehr, da ihm ab diesem Zeitpunkt fiktiv das Einkommen
zuzurechnen sei, das ihm bei gebotener Anstrengung zur Schadensminderung zu
verdienen oblegen hätte (tabellarische Übersicht: S. 15 d.U.).
14 Ab Mitte Februar 2008 habe es dem Kläger oblegen voll zu arbeiten. Die von ihm
behaupteten intensiven Rückenschmerzen, die ihm Arbeit angeblich unmöglich machten,
hätten sich durch den Sachverständigen Dr. M... nicht objektivieren lassen. In Anbetracht
der radiologischen Befunde müsse von einer nahezu vollständigen und bei fehlender
Belastung auch schmerzfreien Beweglichkeit ausgegangen werden. Aus orthopädischer
Sicht könne das Schmerzempfinden daher nur mit psychischen Beeinträchtigungen
erklärt werden, wobei sich allerdings auch Hinweise auf Simulation des Klägers ergeben
hätten.
15 Der psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. T... habe festgestellt, dass der Kläger zwar
nicht psychisch gesund sei, aber dennoch vollschichtig arbeiten könne.
16 Dem stehe auch das in einem sozialgerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten des
Dr. A... nicht entgegen. Dieser habe zum einen keine brauchbare testpsychologische
Untersuchung des Klägers durchgeführt und habe daher nicht dessen Tendenz zur
Hypochondrie bemerkt. Zum anderen sei es sozialrechtlich unerheblich, ob der Kläger
behandlungsfähig sei. Zivilrechtlich sei die von ihm unterlassene Behandlung, die zur
Erwerbsfähigkeit geführt hätte, aber ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht
nach Art. 192 des serbischen Obligationenrechts.
17 Zum Schmerzensgeld hat das Landgericht ausgeführt, nach serbischen Maßstäben sei
ein Betrag in Höhe von 3.000,00 EUR angemessen. Da die Behandlung des Klägers und
die Folgen auf dessen Lebensalltag in Deutschland einträten, sei der Betrag aber zu
erhöhen. Hier sei eine Verdopplung auf 6.000,00 EUR angezeigt, jedoch nicht mehr.
18 Weitere Schadenspositionen hat der Kläger in Höhe von 6.558,42 EUR geltend gemacht.
Hiervon hat ihm das Landgericht 2.877,97 EUR zugesprochen. Insofern wird auf S. 24 ff.
d. U. Bezug genommen.
19 Die verlangten Zinsen ab Rechtshängigkeit könnten auch nach serbischem Recht
zugesprochen werden. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes seien Zinsen aber erst mit
der Klagerweiterung vom 23.07.2010 (rechtshängig seit 03.09.2010) geltend gemacht
worden.
20 Anwaltskostenersatz könne nur für Gebühren aus dem tatsächlich geschuldeten Betrag
verlangt werden. Berechtigt seien daher 712,33 EUR bei Ansatz einer 1,1
Geschäftsgebühr (vorgerichtliche Anwaltskosten wurden erst mit der Klageerweiterung
geltend gemacht, daher hat das Landgericht auch insofern erst ab dem 03.09.2010 die
Verzinsung angeordnet).
21 Auf den Feststellungsantrag hat das Landgericht schließlich festgestellt, dass die
Beklagte verpflichtet ist, etwaige künftige materielle und immaterielle Schäden zu
ersetzen. Soweit auch die Feststellung der Ersatzpflicht für in der Vergangenheit
entstandene Schäden begehrt wurde, wurde der Antrag als unzulässig angesehen.
22 Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
23 Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Schadensersatz- und
Schmerzensgeldansprüche sowie den Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher
Anwaltskosten uneingeschränkt weiter. Die Teilabweisung des Feststellungsantrags
nimmt er dagegen hin.
24 Er trägt zunächst vor, das Landgericht habe verkannt, dass aufgrund des
Direktanspruches gegen den Versicherer österreichisches Recht zur Anwendung
komme. Im Folgenden wird dann aber nur gerügt, das Landgericht habe das serbische
Recht unrichtig angewandt.
25 Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes habe das Landgericht verkannt, dass eine
Anpassung an die inländische (also deutsche) Bezugsgröße hätte erfolgen müssen, was
auch das serbische Recht zulasse. Eine Reduzierung der Schmerzensgeldbeträge, nur
weil der Unfall zufällig in Serbien passiert sei, sei nicht angemessen.
26 Zum Verdienstausfall sei die Entscheidung ebenfalls unzutreffend. Das Landgericht hätte
sich nicht auf das Gutachten T... berufen dürfen, sondern hätte wegen des Widerspruchs
zum Gutachten A... ein Obergutachten einholen müssen. Dies zumal der Gutachter T...
gegenüber Südländern voreingenommen sei. Er habe nur das Gespräch mit dem Kläger
wiedergegeben und es mit seinen subjektiven Meinungen ergänzt. Das Gutachten A...s
zeige hingegen, dass der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig sei.
27 Auch die weiteren Schadenspositionen hätten entsprechend dem serbischen Recht
ersetzt werden müssen, was der Kläger allerdings nicht näher ausführt.
28 Zudem wendet er sich gegen den Zinsausspruch.
29 Er beantragt,
30
1. Unter Abänderung des am 08.04.2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart
- 27 O 218/09 - wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 44.000,00 EUR nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu bezahlen.
31
2. Unter Abänderung des am 08.04.2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart
- 27 O 218/09 - wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 35.440,05 EUR nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu bezahlen.
32
3. Unter Abänderung des am 08.04.2013 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart
- 27 O 218/09 - wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 983,06 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
33 Die Beklagte beantragt,
34
die Berufung zurückzuweisen.
35 Sie bleibt bei ihrer Auffassung, den Kläger treffe die Obliegenheit seine Arbeitskraft zu
verwerten. Dem sei er nicht nachgekommen. Das Gutachten des Sachverständigen A...
aus dem rentenrechtlichen Verfahren binde den Zivilrichter nicht, zumal es auch falsch
sei. Tatsächlich sei der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit überhaupt nicht beeinträchtigt.
Die MdE von 10% falle praktisch nicht ins Gewicht.
36 Die Forderung nach Anwendung österreichischen Rechts bei der Bemessung des
Schmerzensgeldes sei abwegig. Das Landgericht habe zu Recht serbisches Recht
angewandt. Das Landgericht habe auch nicht verkannt, dass die serbischen
Schmerzensgeldbeträge zu erhöhen seien. Tatsächlich habe es diese sogar gegenüber
dem serbischen Niveau verdoppelt. Ob bei einem Unfall in einem anderen Land unter
Anwendung des dortigen Rechts höhere Schmerzensgeldbeträge bezahlt werden
müssten, sei unerheblich.
37 Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen.
38 In erster Instanz haben die Ehefrau des Klägers und seine Kinder (die erstinstanzlichen
Kläger Nr. 2 bis 5), die ebenfalls in dem Unfallfahrzeug saßen, gleichfalls
Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Die Klagen wurden durch Prozessvergleich
vom 14.02.2011 erledigt.
II.
39 Die Berufung ist zulässig.
40 Zwar fehlt es hinsichtlich der vom Landgericht vorgenommenen Teilabweisung
hinsichtlich der im angefochtenen Urteil auf S. 24 aufgezählten „weiteren
Schadenspositionen“ an einer hinreichenden Begründung des Berufungsangriffs im
Sinne des § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO. Dies führt jedoch nicht zu einer
Teilunzulässigkeit der Berufung. Vielmehr ist bei einer aus sonstigen Gründen
zulässigen Berufung, die hier mit den Angriffen gegen die Entscheidung des
Landgerichts zum Schmerzensgeld und zum Verdienstausfall vorliegt, gemäß § 529 Abs.
2 S. 2 ZPO eine umfassende Prüfung vorzunehmen.
41 In der Sache hat die Berufung aber lediglich hinsichtlich eines Teils des geltend
gemachten Zinsanspruchs Erfolg und war im Übrigen zurückzuweisen.
42 Das Landgericht hat zu Recht serbisches Recht angewandt (dazu 1.) und ging zutreffend
von der vollen Haftung der Beklagten dem Grunde nach aus (2.). Ebenfalls zutreffend hat
es dem Kläger Schmerzensgeld- und Verdienstausfallschadensersatzansprüche
zugesprochen, allerdings zu Recht nicht in der vom Kläger verlangten Höhe (3. und 4.).
Auch zu den „weiteren Schadenspositionen“ hat das Landgericht richtig entschieden (5.).
Erfolg hat die Berufung nur insoweit, als Prozesszinsen bereits ab einem früheren
Zeitpunkt zuzusprechen waren als vom Landgericht bestimmt (6.).
1.
43 Die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind ausschließlich nach
serbischem Recht zu beurteilen.
44 Der Kläger weist zwar in der Berufungsbegründungsschrift zutreffend darauf hin, dass der
Sachverständige Prof. Dr. H... in seinem Gutachten zum anwendbaren ausländischen
Recht die Auffassung vertreten habe, dass auf den Direktanspruch gegen die Beklagte
österreichisches Recht Anwendung finde.
45 Diese Meinung des Sachverständigen, die er im Gutachten vom 29.08.2009 (im
Folgenden GA I, Bl. 56 d.A., S. 5 des Gutachtens) und vertiefend im Gutachten vom
31.10.2012 (im Folgenden: GA II, Bl. 396 d.A., S. 2, 8 und 9 des Gutachtens) vertreten
hat, teilt auch der Senat. Sie besagt jedoch nur, dass sich die Frage, ob der Kläger direkt
gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers vorgehen kann (wie es auch §
115 VVG für das inländische Recht zulässt), statt den Unfallverursacher persönlich
verklagen zu müssen, gemäß dem auf den vorliegenden Unfall noch anwendbaren Art.
40 Abs. 4 EGBGB nach österreichischem Recht beurteilt (so GA II, S. 2 unter
Bezugnahme auf GA I S. 5, wo darauf hingewiesen wird, dass alternativ auch ein
Direktanspruch nach serbischem Recht in Betracht käme - Art. 86 des serb.
Versicherungsgesetzes Nr. 55/2004, so GA II, S. 9). Inzwischen wäre statt Art. 40 Abs. 4
EGBGB der inhaltsgleiche Art. 18 der Rom-II-VO vom 11.01.2009 anwendbar, der aber
für Fälle vor seinem Inkrafttreten nicht zur Anwendung kommt, dazu S. 6 des
angefochtenen Urteils). Weiter führt der Sachverständige aus, dass nach
österreichischem Recht ein solcher Direktanspruch gegen den Versicherer besteht. Der
Anspruch ergibt sich aus § 26 des österreichischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz
(KHVG, dazu GA II, S. 9). Daraus folgt aber lediglich, dass der Kläger seine Ansprüche
gegen die Beklagte direkt geltend machen kann. Für das in der Sache selbst
anwendbare Recht ist damit nichts ausgesagt. Die Klage gegen den Versicherer kann
der Kläger gemäß Art. 8 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 c und 11 EuGVVO an seinem Wohnsitz
erheben.
46 Die Ansprüche aus der unerlaubten Handlung selbst hingegen sind nach serbischem
Recht zu beurteilen. Dies folgt, da weder vorrangige staatsvertragliche Regelungen
existieren, noch die Rom-II-VO in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist, aus den Artt. 3 ff. und
insbesondere aus Artt. 40, 41 und 42 EGBGB. Nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist
grundsätzlich das Recht des Staates anwendbar, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt
hat. Ersatzpflichtig ist der Versicherungsnehmer der Beklagten, der in Serbien gehandelt
hat. Einer der in Artt. 40 Abs. 2, 41, 42 EGBGB genannten Ausnahmefälle, in denen das
Recht eines anderen Staates zur Anwendung kommt, liegt nicht vor (GA I S. 4, S. 6 des
angefochtenen Urteils). Das serbische Kollisionsrecht nimmt die Gesamtverweisung des
Art. 40 EGBGB an (Art. 4 Abs. 1 EGBG, GA II, S. 7). Nach dem serbischen Recht sind
zusätzlich die Regeln des Haager Straßenverkehrsübereinkommens anwendbar, auch
wenn Deutschland nicht Vertragsstaat ist (GA II, S. 7). Auch nach Art. 3 des Haager
Übereinkommens ist das Recht des Unfallortes, also das serbische Recht, anwendbar
(GA II, S. 8). An der Anwendbarkeit des serbischen Rechts für den materiell-rechtlichen
Anspruch (Deliktstatut) hat auch der Sachverständige Prof. Dr. H... nie einen Zweifel
gelassen (GA I S. 3 ff. und GA II, S. 5 f.). Ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung
österreichischen Rechts existiert insoweit nicht. Einen Anknüpfungspunkt gibt es nur, wie
dargelegt, für die versicherungsrechtliche Frage der direkten Einstandspflicht der
Beklagten für ihren Versicherungsnehmer, die ohnehin außer Streit steht. Die
Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung geht, dem Wesen einer
Haftpflichtversicherung entsprechend, nicht über die Haftpflicht des
Versicherungsnehmers hinaus. Da dieser dem Kläger nur nach serbischem Recht haftet,
muss es auch im Verhältnis zur Beklagten bei der Anwendung serbischen Rechts
bleiben.
47 Der Senat hat den Fall daher so zu entscheiden, wie ein serbisches Gericht ihn
entscheiden würde. Er wendet deshalb serbisches Recht an.
48 Das maßgebliche Recht ist im Gesetz über Obligationenverhältnisse vom 30.03.1978 der
damaligen Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien geregelt, das in der heutigen
Republik Serbien - mit Änderungen - weiterhin in Kraft ist (SerbOG, GA II, S. 10).
2.
49 Die volle Haftung der Beklagten für den Unfall dem Grunde nach steht außer Streit. Sie
ergibt sich aus Artt. 174, 176, 178 SerbOG i.V.m. § 26 des österreichischen KHVG.
Davon geht der Senat im Folgenden aus.
3.
50 Die Bemessung des Schmerzensgeldes mit 6.000,00 EUR durch das Landgericht ist
nicht zu beanstanden.
a)
51 Das Schmerzensgeld ist gemäß den Regeln des Art. 200 des SerbOG zu bemessen (GA
II, S. 28). Danach hat der Geschädigte „für erlittene körperliche Schmerzen“ und andere
Beeinträchtigungen Anspruch auf eine „gerechte Entschädigung in Geld…unabhängig
vom Ersatz des materiellen Schadens“ (GA II, S. 14). Bei Dauerschäden wird Art. 200
SerbOG durch Art. 203 SerbOG ergänzt, der einen Anspruch auf Ersatz künftiger
immaterieller Schäden gewährt, „wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sicher
ist, dass ein solcher Schaden auch in der Zukunft besteht“ (GA II, S. 14). Was im
serbischen Recht als immaterieller Schaden anzusehen ist, definiert Art. 155 SerbOG,
nämlich „körperliche und seelische Beeinträchtigungen und die Zufügung von Angst“ (GA
II, S. 28). Die Rechtspraxis ist über diesen engen Wortlaut hinausgegangen und sieht
heute den immateriellen Schaden in der Verletzung von subjektiven Rechten und
Interessen einer Person, die keinen vermögensmäßigen Inhalt haben (GA II, S. 28). Das
Schmerzensgeld ist somit auch nach serbischem Recht vor allem eine Kompensation für
immaterielle Nachteile, wie Schmerzen, das Erleben von Angst und die Unbill, die mit
Aktivitätsverlusten verbunden ist (GA II, S. 29). Außerdem kommt dem Schmerzensgeld
auch eine Genugtuungsfunktion zu (GA II, S. 32, 33).
52 Die Höhe des Schmerzensgeldes wird von den serbischen Gerichten aufgrund einer
Einzelfallentscheidung festgelegt, für die nicht, wie in Deutschland, auf Tabellenwerke
zurückgegriffen wird. Solche Tabellen existieren für Serbien nicht (GA II, S. 33 f.). Es ist
somit auch keine aufeinander abgestimmte Entscheidungspraxis der Gerichte erkennbar.
(GA II, S. 34). Vielmehr ist die gerichtliche Einzelwürdigung prägend, die auch zu
regional unterschiedlichen Bewertungen führen kann (GA II, S. 39). Dabei wird die
ärztliche Begutachtung als Ansatzpunkt verwendet, aber aufgrund eigenen richterlichen
Ermessens entschieden. Für dieses Ermessen wird - ohne feste Werte und Anteile - auf
die durch körperliche Schmerzen erlittene Unbill, auf die Unbequemlichkeiten von
stationären Aufenthalten und deren Wiederholung, auf Angstzustände, zu denen auch
„sekundär aufgetretene Ängste“ rechnen, die bei dem Geschädigten erst nach dem
Schadensereignis bei dessen unvollkommener Verarbeitung auftreten, und auf die
Verminderung von Lebensaktivitäten abgestellt. Hinsichtlich der Intensität dieser
Verminderung wird mit auf den Grad der Invalidität und der Minderung der
Erwerbsfähigkeit abgestellt (GA II, S. 39).
53 Entsprechend der Praxis serbischer Gerichte sind damit auf Basis der Würdigung der
medizinischen Sachverständigengutachten die festgestellten Schmerzzustände und ihre
Folgen für die Lebensqualität des Klägers zu würdigen. Die nicht gesicherten,
subjektiven Empfindungen des Klägers, die als subjektiv nicht bewältigte Folgen des
Unfalls beschrieben werden können, lässt das serbische Recht hingegen nicht ins
Gewicht für die Bemessung des Schmerzensgeldes fallen, auch nicht unter dem
Gesichtspunkt der Angstzustände. Zu berücksichtigen ist aber der Verlust an
Aktivitätsmöglichkeiten, wofür die eingetretene Invalidität und die MdE heranzuziehen ist.
Auch der Unbill der stationären Behandlungsaufenthalte ist bei der Bemessung von
Bedeutung (GA II, S. 39 f.).
b)
54 Auf der Basis dieser Kriterien hat das Landgericht die zu berücksichtigenden Umstände
zutreffend von den nicht zu berücksichtigenden unterschieden.
55 Die für die Schmerzensgeldbemessung vom Landgericht herangezogenen
Gesichtspunkte (S. 20 f. d.U.) sind, wie weder von der Berufung angegriffen oder von der
Beklagten in Abrede gestellt wird, zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die
Schwere der Wirbelsäulenverletzung, die Dauer der stationären Aufenthalte, die Züge
einer posttraumatischen Belastungsstörung und eine leichte bis mittlere depressive
Verstimmung sowie die dauerhafte MdE von 10%.
56 Nicht zu berücksichtigen ist hingegen die vom Kläger behauptete dauerhafte gänzliche
Erwerbsunfähigkeit. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger
wieder arbeiten könnte und es sich bei seinen psychischen Störungen um
Fehlverarbeitungen handelt.
aa)
57 Das Landgericht ist auf Basis des Gutachtens des Dr. M... vom 14.07.2010 (Bl. 222 d.A.
mit Ergänzung vom 18.05.2011, Bl. 335 d.A.) zu der Auffassung gelangt, dass die noch
vorhandenen objektivierbaren körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers lediglich
eine MdE von 10% bezogen auf die vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit als Druckhelfer
begründen (S. 13 d.U.). Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit dieser
Feststellung (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) bestehen nicht. Diese Feststellung gründet sich auf
die Begutachtung des Dr. M..., der nach einer Analyse der Röntgenaufnahmen zu dem
Ergebnis kam, dass die Fusion der beiden Wirbelkörper, also deren Verblockung am
31.07.2007 „sehr gut“ gelungen sei (Gutachten vom 14.07.2010, Bl. 222 d.A., S. 10). Die
vom Kläger behaupteten Schmerzen ließen sich nicht objektivieren. Vielmehr sprächen
die radiologischen Befunde für eine mindestens weitgehend schmerzfreie Beweglichkeit
beim Kläger (a.a.O. S. 12). Überdies hätten sich Anhaltspunkte für Simulationstendenzen
ergeben (a.a.O. S. 14). Jedenfalls könne ausgeschlossen werden, dass starke
Schmerzen aufgrund der Operation Ursache für psychische Probleme des Klägers seien,
da nach der Operation über mehrere Monate Beschwerdefreiheit oder jedenfalls
Beschwerdearmut bestanden habe und die radiologischen Befunde schwere Schmerzen
nach menschlichem Ermessen ausschlössen (a.a.O. S. 15). Aus chirurgisch-
orthopädischer Sicht sei der Kläger für leichte bis mittelschwere Tätigkeit voll arbeitsfähig
(a.a.O. S. 16).
bb)
58 Weiter hat das Landgericht in Auseinandersetzung mit dem in einem sozialgerichtlichen
Verfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. A... festgestellt, dass die
psychiatrischen Beeinträchtigungen des Klägers ihn nicht hindern würden, nach einer
entsprechenden Therapie wieder ins Berufsleben eingegliedert zu werden (S. 19 d.U.).
59 Darauf kommt es für die Bemessung des Schmerzensgeldes jedoch nicht an. Selbst
wenn man mit dem Gutachten des Dr. A... davon ausginge, dass der Kläger wegen einer
posttraumatischen Belastungsstörung in seiner Lebensführung erheblich beeinträchtigt
und vollständig erwerbsunfähig wäre, wäre dies nach serbischem Recht für die
Ermittlung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen.
60 Nach serbischem Recht fallen Folgen für die Lebensqualität aus nicht objektiv
gesicherten Empfindungen oder unfallneurotischen Ursachen bei der Bemessung des
Schmerzensgeldes nicht ins Gewicht (GA II, S. 39). Um eine solche Fehlverarbeitung
handelt es sich vorliegend aber. Dies sieht auch der Sachverständige Dr. A... so, der von
einer „deutlichen Schmerzverarbeitungsstörung“ beim Kläger ausgeht (Gutachten K 57
nach Bl. 348 d.A., dort S. 24). Auch der Sachverständige Prof. Dr. T... stellte eine
Fehlverarbeitung fest. So erklärte er im Termin vom 14.02.2011, der Kläger leide an einer
hypochondrischen Fehlhaltung (S. 4 d. Prot. = Bl. 321 d.A.). Zudem sehe er auch
simulative Tendenzen. So habe der Kläger etwa, als er eine Uhr malen sollte, die Zeiger
bewusst „verwechselt“, um dazustellen, dass er infolge des Unfalls auch Schaden an
seinem Geist genommen habe (S. 5 d. Prot. = Bl. 322 d.A. sowie Gutachten vom
26.04.2010, Bl. 189 d.A., dort S. 13).
61 Da das serbische Recht bei der Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe, wie der
Gutachter Prof. Dr. H... dargelegt hat, nur typische seelische Folgezustände
berücksichtigt, nicht aber Fehlverarbeitungen, können die auf dieser Fehlverarbeitung
beruhenden Unfallfolgen nicht zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes führen. Dies
gilt auch für die vom Kläger behauptete dauerhafte Erwerbsunfähigkeit, die ebenfalls,
sofern sie nicht auf Simulation beruht, nur die Folge der Fehlverarbeitung des Unfalls
sein kann, da sein körperlicher Zustand den Kläger nicht an der Aufnahme einer Arbeit
hindert. Ebenso gilt das für die vom Kläger in der Berufungsbegründung (dort S. 6 oben)
vorgetragenen anhaltenden Schmerzzustände, die ebenfalls Folge einer
Fehlverarbeitung sind. Soweit der Kläger noch darauf hinweist, er habe nach dem Unfall
vier Tage lang keine Schmerzmittel erhalten, war bei der Bemessung des
Schmerzensgeld durch das Landgericht der viertägige Krankenhausaufenthalt in Serbien
mit dem nicht deutschen Standards entsprechenden Niveau der Krankenbehandlung
bereits berücksichtigt.
c)
62 Auch die Höhe des Schmerzensgeldes hat das Landgericht mit 6.000,00 EUR zutreffend
bemessen.
63 Es hat ausführlich und im Anschluss an das zweite Gutachten Prof. Dr. H... dargelegt, wie
das angemessene Schmerzensgeld nach der serbischen Rechtsprechungspraxis zu
ermitteln ist (S. 21 ff. d.U., das dabei dem GA II, S. 35 ff. in weiten Teilen folgt). Es hat sich
dazu insbesondere überzeugend auf einen vom Appellationsgericht Kragujevac am
02.03.2010 (Az.: 1802/10) entschiedenen Vergleichsfall berufen. In diesem Fall wurde
einem Verletzten ein Schmerzensgeld in Höhe von umgerechnet etwa 3.000,00 EUR
zugesprochen. Er war beim Entladen eines Lkw von einem Bus angefahren worden und
lag etwa einen Monat im Koma. Nach einer Operation konnte er als im Wesentlichen
geheilt entlassen werden, trug aber dauerhafte Folgen in Form von Gangunsicherheit,
Hitzeunverträglichkeit, Konzentrationsstörungen und Schwächung des logischen
Überlegens davon. Außerdem geriet er wegen des Unfalls wiederholt in Angstzustände
(S. 23 d.U., GA II, S. 37).
64 Die Berufung auf einen solchen Vergleichsfall ist auch möglich. Zwar hat der Gutachter
Prof. Dr. H... dargelegt, dass sich die serbischen Gerichte bei der Bemessung des
Schmerzensgeldes nicht, oder jedenfalls nicht offen, auf Präjudizien anderer Gerichte
beziehen (GA II, S. 38). Das bedeutet aber nicht, dass bei Ermittlung der serbischen
Rechtspraxis eine Orientierung an Vergleichsentscheidungen zu unterbleiben hat.
Vielmehr wäre es auf andere Weise nicht möglich, die maßgebliche serbische
Gerichtspraxis zu ermitteln. Aus dem Gutachten folgt im Übrigen auch, dass sich der in
dem Vergleichsfall zugesprochene Betrag in die gegenüber deutschem Recht generell
weitaus niedrigere serbische Entschädigungspraxis einordnen lässt.
65 Das Landgericht hat dann weiter ausgeführt, dass nach serbischem Recht
mitberücksichtigt werden könne, dass der Kläger die Verletzungsfolgen im Umfeld seines
inländischen gewöhnlichen Aufenthalts zu verarbeiten habe, was eine Erhöhung des
Schmerzensgeldbetrages ermögliche (S. 23 d.U., GA II, S. 42). Dementsprechend hat es
den zu bezahlenden Schmerzensgeldbetrag auf 6.000,00 EUR verdoppelt.
66 Entgegen der Berufungsrüge des Klägers hat das Landgericht also nicht verkannt, dass
nach serbischem Recht eine gewisse Erhöhung im Blick auf inländische
Bemessungsgrößen erfolgen kann, wie der Sachverständige bereits in seinem ersten
Gutachten ausgeführt hat (GA I, S. 39, darauf beruft sich der Kläger in der
Berufungsbegründung). Der Sachverständige hat an der zitierten Stelle aber auch
ausgeführt, dass die Anpassung „vorsichtig“ erfolgen und „sich in Grenzen“ halten müsse.
Soweit sich der Kläger ferner auf das Urteil des österreichischen OGH vom 18.09.1991
(Az.: 2 Ob 35/91) beruft (zitiert in GA I, S. 40 und S. 37 unten), mit dem der OGH ein eher
an österreichischen Maßstäben ausgerichtetes Schmerzensgeld für angemessen
gehalten hat, beruht diese Entscheidung nur darauf, dass es den österreichischen
Gerichten seinerzeit nicht gelungen ist, Auskünfte über die serbische
Rechtsanwendungspraxis zu erhalten. Solche Auskünfte liegen im Streitfall jedoch mit
dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H... vor.
67 Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes über die vom Landgericht vorgenommene
Verdoppelung hinaus kommt nicht in Betracht. Zwar hat es Prof. Dr. H... auch für möglich
gehalten, den Betrag zu verdreifachen (GA II, S. 43). Der Senat hält es allerdings für
kaum vorstellbar, dass ein serbisches Gericht Ausländer gegenüber den eigenen
Landsleuten in solch hohem Maße begünstigen würde. Es ist vielmehr davon
auszugehen, dass serbische Gerichte eine ähnliche Position einnehmen würden wie
deutsche Gerichte gegenüber US-Amerikanern, denen deutsche
Schmerzensgeldbeträge gering erscheinen. In diesen Fällen wird eine Erhöhung der
Schmerzensgeldbeträge jedenfalls allein wegen der ausländischen Staatsangehörigkeit
abgelehnt (OLG Koblenz NJW-RR 2002, 1030; KG NJW-RR 2002, 1031).
4.
68 Auch die Bemessung des Verdienstausfallschadens durch das Landgericht ist nicht zu
beanstanden.
a)
69 Nach Art. 185 SerbOG hat der Kläger Anspruch auf „Totalreparation“ seines Schadens,
wozu auch der Ersatz des Verdienstausfallschadens gehört (Art. 195 SerbOG), der
grundsätzlich in Form einer Geldrente zu leisten ist (Artt. 188, 195 Abs. 2 SerbOG),
während die Zahlung von Rückständen in einer Summe zu erfolgen hat. Der Anspruch
besteht für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und wird bei unselbstständig Beschäftigten
nach der Nettolohnmethode ermittelt. Von Sozialversicherungsträgern erbrachte
Leistungen sind dabei zugunsten des Schädigers in Abzug zu bringen (darauf, ob diese
bei der Beklagten Regress nehmen könnten, kommt es vorliegend nicht an). Dem
Geschädigten ist grundsätzlich eine Rente in Höhe des entgangenen Arbeitsverdienstes
zu leisten, die sich auch in Serbien - was der Kläger bestreitet, ohne dies jedoch zu
belegen - bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit auf die Differenz zwischen noch bezogenem
Einkommen und dem früher erzielten beläuft (zum Ganzen: GA II, S. 15 ff.).
70 Nach der Praxis der serbischen Gerichte bei Anwendung der Art. 188, 195 Abs. 2
SerbOG ist dabei entscheidend die Höhe der Einkünfte, die der Geschädigte tatsächlich
erzielt. Gelingt dem Geschädigten trotz teilweise verbliebener Erwerbsfähigkeit die
Erzielung von Einkünften nicht, geht dies grundsätzlich zu Lasten des Schädigers. (GA II,
S. 22). Den Geschädigten trifft aber nach Art. 192 SerbOG eine
Schadensminderungspflicht (GA II, S. 22). Ob er diese erfüllt hat, ist im Streitfall, in dem
der Geschädigte vor und nach dem Unfall in Deutschland lebte, nach deutschen
Verhältnissen zu beurteilen, ohne dass damit von der maßgeblichen Anwendbarkeit
serbischen Rechts abgewichen würde (GA II, S. 23).
71 Von diesen rechtlichen Gesichtspunkten ist auch das Landgericht zutreffend
ausgegangen (S. 10 ff. d.U. mit Abdruck der maßgeblichen Bestimmungen des
serbischen Rechts in deutscher Übersetzung). Es hat, dem Gutachten H... folgend, die
Nettolohnmethode als Ausgangspunkt gewählt. Weiter hat es zu Recht Leistungen Dritter
(Krankengeld, Lohnfortzahlung u.ä.) vom Anspruch des Klägers abgezogen. Zusätzlich
hat es unter der Annahme einer nur geminderten, nicht vollständigen Erwerbsunfähigkeit
des Klägers Schadensersatz nur in Höhe der Differenz der Höhe der Bezüge, die ohne
den Unfall erzielt worden wären, und der Bezüge, die trotz der Minderung der
Erwerbsfähigkeit bezogen werden könnten, zugesprochen. Dies zum einen, weil es dem
Kläger aus Gründen der Schadensminderungspflicht oblegen hätte, mit seiner
verbliebenen Arbeitskraft eine Anstellung zu finden. Dementgegen habe er im Januar
2008 einen Wiedereingliederungsversuch in das Erwerbsleben vorschnell abgebrochen
(S. 10. ff. d.U., zur Berechnung im Einzelnen S. 13 ff. d.U.). Zum anderen aber auch
deshalb, weil sich nicht habe feststellen lassen, dass der Kläger vollständig
arbeitsunfähig sei (S. 16 d.U.). Er sei zwar aktuell aus psychischen Gründen nur
eingeschränkt erwerbsfähig. Eine Rehabilitation sei jedoch möglich. Der Kläger könne
nach einer therapeutischen Behandlung wieder einer Arbeit nachgehen. Daher liege ein
Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor (S. 19 d.U.)
b)
72 Den rechtlichen Ausgangspunkt der Überlegungen des Landgerichts greift auch die
Berufung nicht an. Sie ist aber der Meinung, der Kläger sei tatsächlich nicht in der Lage,
erwerbstätig zu sein, auch nicht in geringem Umfang.
73 Entscheidungserheblich ist somit, ob der Kläger noch in der Lage ist, 90% seines zuvor
erzielten Einkommen zu verdienen, wie das Landgericht annimmt. In diesem Fall
bestünde kein Ersatzanspruch, da die Differenz zu seinem früher erzielten Einkommen
durch Sozialleistungen gedeckt war und auch künftig durch die Erwerbsunfähigkeitsrente
voraussichtlich gedeckt sein wird. Dabei verlangt das serbische Recht im Rahmen der
Schadensminderungspflicht auch, dass der Geschädigte Begehrensvorstellungen
bekämpft und sich keiner vermeidbaren Unfallneurose hingibt (GA II, S. 24).
74 Die Beweislast insoweit liegt auch nach serbischem, ebenso wie im deutschen Recht
beim Schädiger (GA II, S. 24). Maßgeblich für die Bestimmung der materiellen Beweislast
ist das Deliktsstatut, also das serbische Recht. Dies ergibt sich, da hier noch nicht die
Rom-II-VO gilt, aus Art. 32 Abs. 3 EGBGB a.F. in analoger Anwendung (dazu Erman/H...,
BGB, 13. Aufl., Anh. Art. 42 EGBGB - Rom-II-VO Art. 22 Rn. 3 und GA II S. 24). Nach
serbischem Recht trägt der Geschädigte die Beweislast für das Bestehen des
Ersatzanspruchs, der Schädiger für den Einwand des Mitverschuldens auch im Hinblick
auf die Schadensminderungspflicht. Zu betonen ist jedoch, dass die Voraussetzung für
das Bestehen eines Ersatzanspruchs vom Kläger zu beweisen ist (dazu noch
nachfolgend unter d).
c)
75 Das Landgericht hat nach Auseinandersetzung mit dem mehrfach im Hinblick auf neue
prozessuale Situationen ergänzten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T..., dem
Gutachten des Dr. M... nebst Ergänzungsgutachten und dem vom Kläger vorgelegten
Gutachten des Dr. A..., das dieser in einem sozialgerichtlichen Verfahren erstellt hat, den
von der Beklagten zu führenden Nachweis als erbracht angesehen, dass der Kläger nach
einer Therapie wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte. Eine Rehabilitation des
Kläger sei also möglich. In der unterbliebenen Therapie sei somit ein Verstoß gegen die
Schadensminderungspflicht gem. Art. 192 SerbOG zu sehen (S. 16 - 19 d. U.).
76 Von den damit verbundenen tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts kann der
Senat nur abweichen, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an ihrer Richtigkeit und
Vollständigkeit bestehen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Solche Zweifel bestehen nicht. Daher
war auch kein weiteres Gutachten einzuholen.
aa)
77 Nach allen Gutachten bestehen aus orthopädisch-chirurgischer Sicht keine Bedenken
gegen die Arbeitsfähigkeit des Klägers.
78 Insbesondere der Sachverständige Dr. M... kam, wie oben bereits ausgeführt, zum
Ergebnis, dass die orthopädische Versorgung der Wirbelverletzung - wie mehrfach
radiologisch bestätigt - „sehr gut“ gelungen sei (Gutachten vom 14.07.2010, Bl. 222 d.A.,
dort S. 10). Dies wird auch durch das radiologische Zusatzgutachten des Dr. Pa... vom
11.06.2010 untermauert (Bl. 216 d.A.). Ausgehend von dem Röntgenbefund müsse man
beim Kläger von einer nahezu vollständigen und bei fehlender Belastung auch
schmerzfreien Beweglichkeit ausgehen (Gutachten vom 14.07.2010, Bl. 222 d.A., dort S.
12). Dementgegen gebe der Kläger an, dass bereits die bloße Berührung der Haut ihm
Schmerzen bereite (a.a.O. S. 8). Dieser Schmerzzustand sei durch das Unfallereignis
nicht hinreichend erklärbar (a.a.O. S. 12). Die Schmerzsymptomatik sei weit mehr dem
psychiatrischen Fachgebiet zuzuordnen (a.a.O. S. 15). Überdies hätten sich auch
Hinweise auf Simulation ergeben (a.a.O. S. 14). Allerdings geht der Sachverständige
(fachfremd) von einer Kombinationsproblematik aus Subdepressivität sowie einer
autonomen somatoformen Schmerzstörung aus, bei der ein Krankheitswert gegeben sei
(a.a.O. S. 15). Aus (isoliert) chirurgisch-orthopädischer Sicht sei der Kläger aber
arbeitsfähig und könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ausüben. Ob er allerdings
aus psychiatrischer Sicht jemals wieder arbeitsfähig werden könne, sei erheblich
zweifelhaft (a.a.O. S. 16). Die volle Arbeitsfähigkeit - unter Berücksichtigung einer MdE
von 10% - habe ab Mitte Februar 2008 bestanden (Gutachten vom 18.05.2011 Bl. 335
d.A., dort S. 5).
79 Weiter ist in diesem Zusammenhang noch der Therapieverlauf beim Kläger von
Bedeutung (Gutachten vom 14.07.2010 a..O., S. 3 f. und nochmals, tiefgehender
Gutachten vom 18.05.2011 a.a.O., dort S. 3 f.). Danach begann die besondere
Schmerzsymptomatik sich erst mehrere Monate nach dem Unfall zu manifestieren, etwa
ab Ende Oktober 2007. Dabei ließen sich niemals Zusammenhänge zwischen den
Schmerzen und der Wirbelsäulenoperation herstellen. Auch dies spricht gegen einen
chirurgisch-orthopä-dischen Ausgangspunkt der Schmerzsymptomatik.
bb)
80 Die vom Kläger behauptete dauerhafte Arbeitsunfähigkeit kann sich daher nur aufgrund
einer psychischen Erkrankung ergeben, die es ihm unmöglich macht zu arbeiten. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass das serbische Recht, wie oben ausgeführt, im Rahmen der
Schadensminderungspflicht verlangt, dass der Geschädigte Begehrensvorstellungen
bekämpft und sich keiner vermeidbaren Unfallneurose hingibt (GA II, S. 24).
(1)
81 Der Sachverständige Prof. Dr. T... hat dazu in seinem ersten Gutachten vom 26.04.2010
(Bl. 189 d.A.) die Auffassung vertreten, der Kläger neige zu „Klagsamkeit und
hypochondrischer Verhaltensweisen“ (a.a.O. S. 12). Er habe eine Anpassungsstörung
entwickelt, die schwer anzugehen sein dürfte und an der sich die Psychotherapeutin die
„Zähne ausbeiße“ (a.a.O. S. 12). Er sei zwar nicht gesund, müsste aber seine frühere
Arbeit, vermindert um das schwere Heben, ausüben können. Er sei nicht erwerbsunfähig,
sondern könne rehabilitiert werden (a.a.O. S. 17).
82 In dieser Bewertung des Sachverständigen sieht der Kläger einen Widerspruch.
Entweder sei der Kläger arbeitsfähig, dann müsse er nicht rehabilitiert werden, oder er
sei erwerbsunfähig und müsse dann rehabilitiert werden (S. 10 der
Berufungsbegründungsschrift vom 03.07.2013 = Bl. 468 d.A.). Hierin einen Widerspruch
zu sehen, ist jedoch eine Fehldeutung. Unter „Erwerbsunfähigkeit“ versteht der
Sachverständige Prof. Dr. T... einen Zustand, in dem der Betroffene trotz Behandlung
nicht wieder einer Arbeit nachgehen kann. Beim Kläger ist er hingegen der Meinung,
eine Behandlung - die aber ernsthafte Behandlungswilligkeit - voraussetzt würde ihm die
Aufnahme einer Arbeit ermöglichen, weshalb er nicht erwerbsunfähig sei (a.a.O. S. 17).
83 Die Einschätzung des Sachverständigen, dass der Kläger bei gehöriger Anspannung
seiner Willenskräfte wieder arbeiten könnte, wird bestätigt durch den bereits erwähnten
Uhrentest nach Shulman, bei dem der Kläger nach Überzeugung des Sachverständigen
bewusst den großen und den kleinen Zeiger der Uhr vertauschte (a.a.O. S. 13 und
deutlicher Protokoll vom 14.02.2011, Bl. 318 d.A., dort S. 5). Daraus lässt sich eine
Neigung des Klägers zur Simulation ableiten, die wiederum dafür spricht, dass er sich
dem Arbeitsmarkt bewusst verweigert. Der Kläger weist zwar darauf hin, dass der
Uhrentest den Sinn habe, eine Demenz festzustellen. Auch wenn dies zutreffen sollte,
wird dadurch nicht ausgeschlossen, den Uhrentest auch zu anderen Zwecken zu
verwenden. Die Überlegungen des Sachverständigen und seine Folgerungen aus dem
Verhalten des Klägers erscheinen dem Senat schlüssig und nachvollziehbar. Sie decken
sich zudem mit den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M..., der beim Kläger
ebenfalls eine Neigung zur Simulation festgestellt hat. Die in der Berufungsbegründung
aufgestellte Behauptung des Klägers, der Sachverständige T... sei der einzige Gutachter,
der simulative Tendenzen des Klägers festgestellt habe, trifft also nicht zu.
84 Demgegenüber stellte zwar der Sachverständige Dr. A... in seinem sozialgerichtlichen
Gutachten (nach Bl. 348 d.A.) fest, dass der Kläger an einer posttraumatischen
Belastungsstörung, einer somatoformen Schmerzstörung und einer
Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Schmerzsyndrom leide (a.a.O., S. 24).
Weiter führte er aus, die Prognose sei unsicher und eher schlecht. Es handle sich um
einen „progredienten Krankheitsverlauf“ (a.a.O. S 27). Außerdem war auch der
Sachverständige Dr. A... der Meinung, dass die Schilderung seiner körperlichen
Beschwerden durch den Kläger in Teilen so dargestellt erscheine, dass diese mit einem
organischen Korrelat kaum deckungsfähig seien, was ohne genauere Betrachtung als
Aggravation verstanden werden könnte. Unter Berücksichtigung des kulturellen
Hintergrundes wie auch der eingeschränkten Selbstreflexionsfähigkeit sei dies jedoch
von einer Aggravation abzugrenzen und einer Somatisierungsstörung zuzuordnen. In
diesem Sinne ergäben sich keine relevanten Hinweise auf Simulation, Aggravation oder
Bagatellisieren (a.a.O. S. 16). Auch der Sachverständige Dr. A... ist aber der Auffassung,
dass der Kläger nach ausreichender Gewöhnung an einen Arbeitsplatz noch vier
Stunden pro Tag arbeiten könnte (a.a.O. S. 26).
85 Mit dem Gutachten Dr. A...s hat sich Prof. Dr. T... in seinem Ergänzungsgutachten vom
14.11.2011 (Bl. 358 d.A.) auseinandergesetzt. Er hat dargelegt, dass Dr. A... die Angaben
des Klägers nicht ausreichend kritisch geprüft habe, sondern die Angaben des Klägers
als Tatsachen genommen habe, ohne zu bedenken, dass sie nur darauf beruhen
könnten, dass er eine Rente erhalten wolle (a.a.O. S. 10 und S. 13). Die von Dr. A...
durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen seien ungeeignet, weil leicht
durchschaubar und daher nicht in der Lage Simulation aufzudecken (a.a.O. S. 12). Er
selbst hingegen habe bei einer Wiederholung des Uhrentests nach Shulman wiederum
deutliche Anzeichen für Simulation gefunden (a.a.O. S. 8 f. - was genau diese Anzeichen
sind, stellt der Sachverständige nicht dar). Hinsichtlich der Diagnose komme er zu einem
vergleichbaren Ergebnis wie Dr. A... Er sei nur der Meinung, dass die Relevanz der
Beschwerden und die Auswirkung der Symptome anders als bei Dr. A... zu betrachten
seien (a.a.O. S. 14).
(2)
86 In Würdigung dieser Gutachten ist zunächst festzuhalten, dass der Kläger nach dem von
ihm für richtig gehaltenen Gutachten des Sachverständigen Dr. A... in der Lage wäre,
mindestens drei Stunden und nach Gewöhnung auch vier Stunden täglich zu arbeiten.
Gründe, warum er nicht wenigstens einer solchen Tätigkeit nachgeht oder sich um eine
solche bemüht, hat er nicht vorgetragen.
87 Der Senat ist darüber hinaus aber auch mit dem Sachverständigen Prof. Dr. T... der
Auffassung, dass der Kläger seine Kräfte nicht ausreichend anspannt, um eine
Wiedereingliederung in das Berufsleben zu erreichen und damit gegen seine
Obliegenheit zur Schadensminderung verstößt.
88 Sowohl Dr. A... als auch Prof. Dr. T... kommen zu Diagnosen, die sich nicht wesentlich
unterscheiden. Der entscheidende Unterschied der Gutachten besteht darin, dass Prof.
Dr. T... der Auffassung ist, das Krankheitsempfinden des Klägers entspreche nicht dem,
das sich aus den objektivierbaren Befunden ergebe und die Darstellungsform des
Beschwerdebildes werde vom Kläger überhöht (Gutachten vom 14.11.2011, Bl. 358 d.A.,
dort S. 13). Das deckt sich mit den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M..., der
ebenfalls Hinweise für solche Überhöhungen gefunden hat. Bei ihm konnte der Kläger
angeblich schon leichtes Klopfen auf den Rücken nicht aushalten, was physiologisch
nicht erklärbar ist. Selbst Dr. A... hat gesehen, dass der Kläger seine Beschwerden so
darstellt, dass sie „mit einem organischen Korrelat kaum deckungsfähig…sind“
(Gutachten vom 06.12.2010, K 57 nach Bl. 348 d.A., dort S. 16).
89 Es ist daher als gesichert anzusehen, dass der Kläger die Intensität seines
Krankheitszustandes in der Darstellung gegenüber Dritten deutlich übertreibt. Dr. A... ist
der Meinung, dies sei unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes wie auch der
eingeschränkten Selbstreflexionsfähigkeit und seiner von ihm als beschämend erlebten
sonstigen Defizite von einer Aggravation abzugrenzen. Ebenso wie Prof. Dr. T... (erstes
Gutachten, S. 15 = Bl. 203 d.A.) ist also auch Dr. A... der Meinung, dass beim Kläger
bereits aufgrund seiner Herkunft mit Übertreibungen zu rechnen sei. Eine solcherlei
angeblich kulturbedingte typische Verhaltensweise kann allerdings für die rechtliche
Beurteilung nicht herangezogen werden. Selbst wenn es zutreffen sollte, wie Prof. Dr. T...
unter Bezugnahme auf eigene Forschungen meint, dass bei „Südländern“ bestimmte
Verhaltensweisen „immer wieder auftreten würden“ (a.a.O. S. 14 = Bl. 202 d.A.), würde
damit nicht feststehen, dass diese Verhaltensweisen auch beim Kläger auftreten.
Argumentationen, die allein auf der Herkunft des Klägers beruhen, kann, will und wird der
Senat bei der Bewertung des Verhaltens des Klägers daher nicht berücksichtigen. Die
Beurteilung, dass der Kläger übertreibt, beruht bei allen drei Sachverständigen aber nicht
in erster Linie auf seiner Herkunft, sondern darauf, dass seine Beschwerden nicht mit
seiner „sehr gut“ operierten Wirbelsäulenverletzung erklärbar sind und bei den
Sachverständigen Prof. Dr. T... und Dr. M... zusätzlich darauf, dass sich Anhaltspunkte für
Simulation ergeben haben. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum es dennoch
zu solchen Beschwerden kommt, kann auch der Sachverständige Dr. A... nicht liefern.
Warum der Kläger wegen eingeschränkter Selbstreflexionsfähigkeit und als beschämend
erlebten Defiziten zu einer übertriebenen Darstellung von Schmerzen kommen soll, wird
aus dem Gutachten nicht verständlich.
90 Demgegenüber hat sich Dr. A... nicht mit der naheliegenden Frage beschäftigt, ob der
Kläger sich nicht deshalb so verhält, weil es ihm darum geht, eine Rente zu erhalten oder
weil er an einer Begehrensneurose leidet, die nicht zu einem Schadens-ersatzanspruch
führt.
91 Mit dieser Frage hat sich der Sachverständige Prof. Dr. T... auseinandergesetzt. Er kam
zu dem Ergebnis, der Kläger sei zwar nicht etwa ein Lügner oder ein grober Simulant.
Sein Krankheitsgefühl entspreche aber nicht dem, das sich aus den Befunden ergebe
und die Darstellungsform der Krankheit sei funktionell überhöht (Gutachten vom
14.11.2011, B. 358 d.A., S. 13). Er kommt deshalb zum Ergebnis, dass durch Dr. A...
keine neuen Aspekte in die Beurteilung eingeführt worden seien (a.a.O., S. 371), was
besagt, dass er bei seiner Beurteilung aus dem ersten Gutachten bleibt, wonach der
Kläger bei hinreichender Behandlung in zeitlicher Hinsicht wieder voll arbeiten könnte,
wenn auch mit gewissen Belastungseinschränkungen. Diese Beurteilung ist
überzeugend. Der Senat folgt ihr.
92 Dem kann der Kläger nicht, wie im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat
geschehen, entgegenhalten, das Gutachten sei schon deshalb falsch, weil Prof. Dr. T...
davon ausgehe, der Kläger werde nicht mehr psychiatrisch behandelt (S. 6 d. Protokolls
= Bl. 499 d.A.). Dieser Vortrag ist hinsichtlich seiner tatsächlichen Basis nämlich
unzutreffend. Im Gutachten von Prof. Dr. T... vom 14.11.2011 ist auf S. 8 festgehalten,
dass der Kläger bei der Untersuchung durch den Sachverständigen angegeben hat, er
befinde sich in psychologischer und psychiatrischer Behandlung. Am Wahrheitsgehalt
dieser Angaben hat der Sachverständige keinerlei Zweifel geäußert. Außerdem hat Prof.
Dr. T... schon in seinem Gutachten vom 26.04.2010 dargelegt, der Kläger befinde sich in
einer alle 14 Tage stattfindenden Psychotherapie (S. 15).
93 Aber auch der mit der Behauptung weiter verbundene Zweck, darauf hinzuweisen, dass
der Kläger sich, wie es seiner Obliegenheit entspreche, in Therapie befinde, also alles in
seiner Macht stehende unternehme, um eine Heilung herbeizuführen (so S. 11 der
Berufungsbegründung), dies alles aber nicht zum Erfolg führe, vermag den Senat nicht
davon zu überzeugen, dass die Erwerbsunfähigkeit des Klägers von ihm bei
Anspannung seiner Kräfte nicht erfolgreich bekämpft werden könnte.
94 Die Ausführungen Prof. Dr. T...s sind im Ergebnis so zu verstehen, dass es dem Kläger
an hinreichender Motivation fehlt, wieder eine Arbeit aufzunehmen. Stattdessen stellte er
sich gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. T... als ein Mensch dar, der eine
zweckgerichtete funktionell überhöhte Leidensdarstellung produzierte (Gutachten vom
14.11.2011, S. 9 f.). Solange der Kläger solche Zustände auch produziert um gegenüber
Sozialleistungsträgern und Versicherern Vorteile zu erlangen, wird er sich nicht ernstlich
auf eine Therapie einlassen.
95 Der Sachverständige Prof. Dr. T... ist als langjähriger Chefarzt einer psychiatrischen
Klinik auch hinreichend sachkundig dies zu beurteilen. Es bedurfte daher nicht der vom
Kläger beantragten Vernehmung seines Psychotherapeuten, um noch weitere
Erkenntnisse zu gewinnen.
96 Insgesamt liegen damit keine Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der
Feststellung des Landgerichts vor, dass der Kläger die Obliegenheit verletzt hat, seine
Arbeitskraft im vollen, ihm möglichen Umfang einzusetzen.
d)
97 Darüber hinaus ist noch folgender weiterer rechtliche Gesichtspunkt zu beachten:
98 Die Frage, ob der Kläger arbeitsfähig ist oder nicht, stellt sich nicht nur unter dem
Blickwinkel einer Obliegenheitsverletzung. Seine vollständige oder partielle
Arbeitsunfähigkeit ist auch Voraussetzung für das Bestehen des Anspruchs überhaupt.
Hierfür trägt jedoch der Kläger die Beweislast. Nach den vorgelegten Gutachten ist es
jedoch, selbst wenn man der Überzeugung des Senats nicht folgen wollte, so, dass der
Kläger vollschichtig arbeiten könnte, wenn er sich nur hinreichend bemühen würde,
mindestens nicht erwiesen, dass der Kläger über das Maß hinaus arbeitsunfähig ist, das
vom Landgericht angenommen wurde.
5.
99 Hinsichtlich der im angegriffenen Urteil abgehandelten weiteren Schadenspositionen (S.
24 ff. d.U.) trägt der Kläger lediglich vor, der geltend gemachte Ersatzbetrag (6.558,42
EUR) hätte in voller Höhe zugesprochen werden müssen. Das Landgericht habe
insoweit nicht richtig entschieden. Eine Begründung für diese Auffassung gibt der Kläger
nicht.
100 Das Landgericht hat seine hiervon abweichende Auffassung, dem Sachverständigen
Prof. Dr. H... folgend, sorgfältig begründet. Der Senat vermag keine Unrichtigkeiten zu
erkennen.
6.
101 Hinsichtlich der Forderung des Beklagten, Prozesszinsen bereits ab der
Rechtshängigkeit des Schmerzensgeldantrags, also ab dem 15.06.2009, und nicht erst
ab Rechtshängigkeit der Klageerweiterung vom 23.07.2010, mit der der Zinsanspruch
geltend gemacht wurde, also ab dem 02.09.2010 zuzusprechen, hat die Berufung Erfolg.
102 Das Landgericht hat im Anschluss an den Gutachter H... (GA II, S. 52 ff.) zutreffend
dargelegt, dass auch hinsichtlich der Prozesszinsen serbisches Recht Anwendung finde
und danach Prozesszinsen jedenfalls in der vom Kläger verlangten Höhe ab dem Tag
der Klagezustellung (also anders als nach § 187 BGB nicht erst ab dem Folgetag)
verlangt werden könnten (S. 31 f. d.U.). Da für den Schmerzensgeldantrag (Antrag Nr. 1)
in der Klageschrift noch nicht die Zahlung von Prozesszinsen beantragt worden sei,
sondern diese Zinsen erst mit der Klageerweiterung vom 23.07.2010 (Bl. 260 d.A.)
geltend gemacht wurden, sei die Rechtshängigkeit des Zinsanspruchs erst mit der
Zustellung der Klageerweiterung am 02.09.2010 (Zustellungsnachweis nach Bl. 284
d.A.) eingetreten. Zinsen hat es daher erst ab dem 03.09.2010 - möglicherweise in
Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB - zugesprochen (Nr. 1 der Urteilsformel).
103 An der Auffassung des Landgerichts ist zwar zutreffend, dass der Zinsanspruch erst nach
Zustellung der Klageerweiterung rechtshängig wurde. Prozesszinsen können aber ab
dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Anspruchs verlangt werden, dessen Verzinsung
gefordert wird, hier also ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des
Schmerzensgeldanspruchs am 15.06.2009. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn
die Zinsforderung erst später rechtshängig wird.
7.
104 Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
105 Die Revision war nicht zuzulassen. Die Entscheidung beruht auf einer Anwendung von
in der Rechtsprechung geklärten Grundsätzen auf den Einzelfall.