Urteil des OLG Stuttgart vom 07.08.2013

OLG Stuttgart: treu und glauben, echte rückwirkung, ausschluss der haftung, altlasten, grundstück, subjektives recht, verantwortlichkeit, kaufpreis, öffentlich, beendigung

OLG Stuttgart Urteil vom 7.8.2013, 9 U 108/12
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 4.5.2012 - Az. 3
O 276/10 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil des Landgerichts und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf
Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Wert der Berufung: bis 900.000,- EUR
Gründe
I.
1 Die Klägerin macht als Eigentümer eines Grundstücks gegen die Beklagte
Ausgleichsansprüche nach § 24 Abs. 2 Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) geltend.
Sie begehrt Ersatz der Kosten bereits durchgeführter Altlasten-Untersuchungen sowie die
Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für die Kosten der Sanierung der Liegenschaft
auf der Grundlage des Bundesbodenschutzgesetzes.
2 Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochten Urteil wird nach § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO Bezug genommen.
3 Das Landgericht hat den Klagen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin
die ihr entstandenen Gutachterkosten in Höhe von 132.247,07 EUR zuzüglich Zinsen zu
bezahlen. Des weiteren hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle Kosten zu
erstatten, die der Klägerin durch die Sanierung des Grundstücks FlNr. 57(8) in R. auf der
Grundlage des BBodSchG zukünftig entstehen.
4 Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Zahlungsanspruch der Klägerin
ergebe sich aus § 24 Abs. 2 BBodSchG, da schädliche Bodenveränderungen an dem von
der Beklagten veräußerten Grundstück vorliegen. Weil die Untersuchungen mit der
zuständigen Behörde abgestimmt worden seien, sei davon auszugehen, dass diese die
durchgeführten Untersuchungen für erforderlich gehalten habe. Die Beklagte sei als
frühere Betreiberin des Gaswerks sowie der Tankstelle nach § 4 Abs. 3 BBodSchG neben
der Klägerin als Grundstückseigentümerin zur Bodensanierung verpflichtet. Der streitige
Sachverhalt unterliege wegen der Möglichkeit behördlicher Inanspruchnahme auch in
zeitlicher Hinsicht dem Anwendungsbereich des BBodSchG. Neben dem
Zahlungsanspruch sei auch der gestellte Feststellungsantrag begründet, da der Umfang
der Sanierungsmaßnahmen noch nicht feststehe.
5 Die Haftung der Beklagten erstrecke sich auf die gesamte Kontamination des
streitgegenständlichen Grundstücks. Eine Haftungsbeschränkung für die Beklagte lasse
sich auch nicht daraus ableiten, dass die Bodenveränderungen auch durch die
Voreigentümer der Beklagten mit verursacht worden seien. Die Haftung der Beklagten im
Verhältnis zur Klägerin bestimme sich nach § 24 Abs. 2 S. 2 BBodSchG. Eine umfassende
Einstandspflicht ergebe sich daraus, dass die Beklagte als Handlungsstörerin vor der
Klägerin, die lediglich Zustandsstörerin sei, vorrangig hafte, zumal sie die
Bodenverunreinigung überwiegend verursacht habe. Für einen Anspruch nach § 24 Abs. 2
S. 2 BBodSchG sei nicht erforderlich, dass die Kontamination vollständig auf einen
konkreten Handlungsstörer zurückgeführt werden könne. Für eine Alleinhaftung der
Beklagten im Innenverhältnis der Parteien spreche weiter der Umstand, dass die Beklagte
die die Bodenbelastung auslösende Konzession zum Betrieb des Gaswerkes an die
ehemalige Gaswerksbetreiberin, die darüber hinaus nicht mehr existent sei, erteilt habe.
6 Der Anspruch sei nicht von dem vereinbarten Gewährleistungsausschluss im Kaufvertrag
erfasst. Auch eine ergänzenden Vertragsauslegung führe zu keinem anderen Ergebnis.
Gegen einen Ausschluss des geltend gemachten Anspruchs spreche bereits der Umstand,
dass der Ausgleichsanspruch nach dem BBodSchG erst später entstanden sei;
Freizeichnungsklauseln seien eng auszulegen. Eine hinreichend deutliche Regelung, aus
der sich ein Haftungsausschluss für den Fall der behördlichen Inanspruchnahme ergebe,
liege nicht vor. Unstreitig sei auch ein Preisnachlass wegen einer möglichen
Bodenbelastung nicht vereinbart worden, zumal der Kaufpreis den Verkehrswert
übersteige.
7 Die Klägerin sei auch nicht nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB von der
Geltendmachung des Anspruchs ausgeschlossen, da von einer positiven Kenntnis der
Altlasten auch bei einer Kenntnis der Vornutzung nicht ausgegangen werden könne.
8 Die Annahme eines Anspruchs nach § 24 Abs. 2 BBodSchG begründe keine
verfassungswidrige Rückwirkung, da bei Inkrafttreten des BBodSchG die Altlasten noch
nicht beseitigt gewesen seien und deshalb nicht in einen abgeschlossenen Sachverhalt
eingegriffen worden sei. Es liege lediglich eine nicht zu beanstandende unechte
Rückwirkung vor. Letztendlich sei die Beklagte aber auch nicht schutzwürdig, nachdem
der Handlungsstörer seit jeher im Rahmen des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts in
Anspruch genommen werden könne und der Grundsatz des Vorrangs der Haftung des
Handlungsstörers vor dem Zustandsstörer bereits vor dem Inkrafttreten des BBodSchG
anzuwenden gewesen sei. Bereits vor dem Inkrafttreten des BBodSchG habe eine
Ausgleichsverpflichtung zwischen dem Handlungsstörer und dem Zustandsstörer nach
den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag bestanden.
9 Für eine zeitliche Begrenzung der Ausgleichsansprüche bestehe keine rechtliche
Grundlage.
10 Die Beklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts vom 4.05.2012, das ihr am 9.05.2012
zugestellt wurde, mit Schriftsatz vom 4.06.2012, der am 6.06.2012 einging, Berufung
eingelegt und diese nach Bewilligung einer Fristverlängerung zur Berufungsbegründung
bis zum 9.08.2012 mit am 9.08.2012 eingehendem Schriftsatz vom 8.08.2012 begründet.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klagabweisung weiter.
11 Die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts werden von der Beklagten in der Berufung
nicht angegriffen.
12 Die Beklagte ist der Auffassung, entgegen der Ansicht des Landgerichts sei davon
auszugehen, dass der Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 BBodSchG in der
rückwirkenden Geltung zeitlich begrenzt sei. Aus der seit jeher bestehenden
verwaltungsrechtlichen Zugriffsmöglichkeit auf den Störer nach § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG
ergebe sich kein Ausgleichsanspruch zwischen verschiedenen Störern, der erstmals
durch § 24 Abs. 2 BBodSchG in das Gesetz aufgenommen worden sei. Die vom
Landgericht angenommene Anwendung der Ausgleichsnorm des § 24 Abs. 2 BBodSchG
auf den vorliegend streitgegenständlichen Kaufvertrag aus dem Jahr 1963 stelle eine
echte verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar. Darüber hinaus bestehe ein
Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 BBodSchG auch wegen des in Abschnitt III Ziff. 8 S.
2 des Kaufvertrages vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschlusses für
Sachmängel nicht. Bodenverunreinigungen seien zum Zeitpunkt des
Kaufvertragsabschlusses 1963 Sachmängel gewesen. Die im Vertrag gewählte
Formulierung könne nur dahingehend verstanden werden, dass bewusst und gewollt auch
zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bekannte Sachmängel ausgeschlossen
werden sollten. Der Ausschluss der Haftung für Sachmängel habe auch Aufwendungen
umfasst, die der Klägerin aufgrund eines möglichen behördlichen Einschreitens mit der
Folge der Wertbeeinträchtigung der Kaufsache entstehen. Ein unterbliebener
Niederschlag im Kaufpreis stelle lediglich ein beispielhaftes Auslegungskriterium dar. Die
Klägerin habe das streitgegenständliche Grundstück wegen der zentralen Lage unbedingt
gewollt. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Klägerin bereit gewesen sei, sich
an den Kosten für die Verlagerung des städtischen Fuhrparks zu beteiligen, und dass sie
einer Nutzung des verkauften Grundstücks durch die Beklagte bis zur Fertigstellung des
neuen Fuhrparkgeländes zugestimmt habe. Weiter habe die vertragliche Vereinbarung
erst nach einer Weiternutzungsdauer der Beklagten von zwei Jahren und drei Monaten
eine Entschädigung für die Weiternutzung vorgesehen und die Klägerin habe sich an
Baukostensteigerungen beteiligt, wie sich aus Abschnitt III Ziffer 7 des Kaufvertrages
ergebe. Letztendlich belege auch der Umstand, dass die Fälligkeit des Kaufpreises auf
einen Zeitpunkt lange vor der Räumung und dem Umzug der Beklagten vereinbart worden
sei, die Zielsetzung des Vertrages, dass der Kaufpreis der Beklagten in voller Höhe für die
Verlagerung des Fuhrparks zur Verfügung stehen sollte.
13 Die Beklagte beantragt,
14 das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 4.05.2012, Az. 3 O 276/10 abzuändern und
die Klage abzuweisen.
15 Die Klägerin beantragt,
16 die Berufung zurückzuweisen.
17 Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Vertiefung und Wiederholung ihrer
erstinstanzlichen Rechtsansicht. Die Beklagte verkenne, dass nicht die Klägerin von der
zuständigen Behörde zur Sanierung des Grundstücks herangezogen werde, sondern von
dieser beabsichtigt sei, die Beklagte als Handlungsstörerin und Verursacherin der
Altlasten in Anspruch zu nehmen. Ebenfalls unzutreffend sei die Ansicht der Beklagten,
vor Inkrafttreten des BBodSchG hätte es keinen Ausgleichsanspruch zwischen Störern
gegeben. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Ausgleichsanspruch auch nicht von
dem vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss erfasst. Die nunmehr von der
Beklagten vorgebrachten Auslegungsargumente seien erstmals in der Berufung
vorgebracht und in der Berufungsinstanz nicht beachtlich. Hilfsweise werde bestritten,
dass ein Gewährleistungsausschluss auch mit Wirkung gegenüber § 24 Abs. 2 BBodSchG
vertraglich vereinbart worden wäre und die Klägerin das Grundstück auf jeden Fall
erworben hätte. Letztendlich könne sich die Beklagte auf einen Haftungsausschluss auch
deshalb nicht berufen, weil sie über die Vornutzung des Grundstücks als Gaswerk trotz
bestehender Kenntnis nicht aufgeklärt habe.
II.
18 Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
19 Gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 BBodSchG steht der Klägerin gegen die Beklagte ein
Ausgleichsanspruch zu (1.). Die Anwendung von § 24 Abs. 2 BBodSchG auf den
vorliegenden Fall stellt keine unzulässige Rückwirkung dar (2.). Der Anspruch ist weder
durch eine abweichende vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen (3.) noch verjährt (4.)
oder verwirkt (5.) oder nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausgeschlossen (6.).
Die Ausführungen des Landgerichts zur Kausalität und zum Haftungsumfang sind
zutreffend (7.). Auch der Feststellungsantrag ist begründet (8.).
20 1. Rechtsfehlerfrei und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die
tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruch der Klägerin nach § 24 Abs.
2 S. 1 BBodSchG bejaht.
21 a) Der Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 S. 1 BBodSchG unter mehreren
Verpflichteten, die nach § 4 Abs.3 BBodSchG von der zuständigen Behörde in Anspruch
genommen werden können, knüpft an die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit an
(Wagner, BB 2000, 417, 420). Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte sind nach § 4
Abs. 3 BBodSchG verpflichtet, den Boden und die Altlasten auf dem Grundstück der
Klägerin so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder
erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Unstreitig
ist das klägerische Grundstück mit Altlasten infolge des Betriebs eines Gaswerks bis 1910
und einer Tankstelle bis 1955 sanierungsbedürftig belastet. Es liegen schädliche
Bodenveränderungen nach § 1 BBodSchG vor.
22 Die Verpflichtung der Klägerin ergibt sich aus ihrer Stellung als Eigentümerin und
Zustandsverantwortliche, während die Beklagte als Betreiberin des Gaswerks und der
Tankstelle Verursacherin der schädlichen Bodenveränderungen ist. Für die Haftung der
Parteien ist es auch ohne Belang, ob sie bezüglich der festgestellten
Bodenverunreinigungen schuldhaft gehandelt haben.
23 b) Der Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 BBodSchG setzt grundsätzlich keine
behördliche Inanspruchnahme des Anspruchstellers voraus (BGH, Urt. v. 1.10.2008 - XII
ZR 52/07, Rz. 21 f., zit. nach juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.3.2009 - 1 U 126/08, Rz. 2
ff., zit. nach juris).
24 Allerdings lassen der Bundesgerichtshof und das OLG Frankfurt in den vorgenannten
Entscheidungen offen, ob ein Ausgleichsanspruch aus § 24 Abs. 2 BBodSchG immer
schon dann gegeben ist, wenn ein Störer ohne Veranlassung der Behörde aus eigenem
Antrieb eine Sanierung durchführt. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall
hatte die Umweltbehörde dem Kläger mitgeteilt, dass aufgrund einer orientierenden
Untersuchung auf dem Grundstück des Klägers eine Bodenkontamination und eine
Benzolbelastung des Grundwassers festgestellt worden sei und die Absicht bestehe, den
Kläger zur Erholung eines Sachverständigengutachtens zu verpflichten. Erst daraufhin
hatte der Kläger den Sachverständigen beauftragt. Jedenfalls in einem solchen Fall kann
ein Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 BBodSchG auch ohne förmliche Anordnung der
Verwaltungsbehörde nicht verneint werden (BGH aaO Rz. 22).
25 Allerdings war hier Anlass für die Beauftragung der Geotechnik Stuttgart mit einer
Altlastenuntersuchung der beabsichtigte Verkauf des Grundstücks und keine Mitteilung
oder Aufforderung einer Behörde. Die Historische Erkundung und Orientierende
Altlastenuntersuchung sowie die Detailuntersuchung wurden nach dem unbestrittenen
Vorbringen der Klägerin dann jedoch in Abstimmung mit dem Landratsamt und nach
dessen Vorgaben durchgeführt; sie wären demnach auch bei einer förmlichen
Inanspruchnahme durch die Behörde angefallen.
26 Auch in einem solchen Fall ist unter Berücksichtigung der oben zitierten Rechtsprechung
vom Bestehen eines Ausgleichsanspruchs nach § 24 Abs. 2 BBodSchG auszugehen, weil
die einvernehmliche Durchführung einer Veranlassung zur Vornahme seitens der Behörde
gleich steht.
27 c) Die polizeirechtliche Verpflichtung des Verursachers einer Bodenverunreinigung nach
dem BBodSchG unterliegt keiner Verjährung. Eine ausdrückliche Verjährungsregelung
besteht nicht; zivilrechtliche Verjährungsregelungen sind nicht entsprechend anzuwenden
(vgl. VGH Baden - Württemberg, Urt. v. 18.12.2007 - 10 S 2351/06, Rz. 48, zit. nach juris;
VGH Baden - Württemberg, Urt. v. 01.04.2008 - 10 S 1388/06, Rz. 48, zit. nach juris).
28 d) Polizeiliche bzw. ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der
Gefahrenabwehr können auch nicht verwirkt werden. Diesen Befugnissen kommt im
öffentlichen Interesse ein überragendes Gewicht zu, das deren Verwirkung nicht zulässt.
Sie stellen auch kein subjektives Recht dar, dessen Bestand durch Nicht- oder
Fehlgebrauch in Frage gestellt werden könnte (VGH Baden - Württemberg vom
01.04.2008 - 10 S 1388/06, Rz 50, zit. nach juris).
29 e) Dass die Bodenkontamination auf dem Grundstück in erster Linie auf einen
Gaswerksbetrieb zurückzuführen ist, der 1910 eingestellt wurde, die Bodenbelastung
somit 100 Jahre vor Klagerhebung erfolgte, führt, wie die erste Instanz zutreffend ausführt,
zu keiner anderen Entscheidung.
30 Allerdings hat das BBodSchG die vor seinem Inkrafttreten geführte Diskussion um eine
zeitliche Begrenzung der polizeilichen Gefahrenhaftung nicht berücksichtigt. Dahinter
steht jedoch die Wertung des Gesetzgebers, dass der Verursacher einer zeitlich weit
zurückliegenden Altlast bzw. dessen Rechtsnachfolger der Sanierungspflicht immer noch
näher steht als die Allgemeinheit der Steuerzahler (Schlesw. Holst. OLG, Urt. v.
20.12.2007 - 5 U 98/04, Rz. 52, zit. nach juris). Das Gesetz enthält daher keine Regelung
zu zeitlichen Grenzen der Haftung nach § 4 Abs. 3 BBodSchG.
31 2. Die Anwendung von § 24 Abs. 2 BBodSchG auf den vorliegenden Fall stellt keine
unzulässige Rückwirkung dar.
32 Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), zu dessen wesentlichen Elementen die
Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz gehören, und das Grundrecht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) setzen Regelungen in Gesetzen, welche
die rechtliche Behandlung von Sachverhalten der Vergangenheit belastend verändern,
Grenzen. Für die nähere Bestimmung der Grenzen wird zwischen echter Rückwirkung
(genannt auch Rückwirkung von Rechtsfolgen) und unechter Rückwirkung (genannt auch
tatbestandliche Rückanknüpfung) unterschieden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn
an Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen und bereits abgeschlossen sind,
ungünstigere Rechtsfolgen geknüpft werden als diejenigen, von denen der Bürger bei
seinen Dispositionen ausgehen durfte. Regelungen solchen Inhalts sind in Gesetzen und
ebenso in Rechtsverordnungen grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen kommen nur unter
engen Voraussetzungen in Betracht, etwa wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls
eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbots erfordern oder wenn ein schutzwürdiges
Vertrauen des Einzelnen auf die bisherige Rechtslage nicht oder nicht mehr vorhanden ist.
Von einer unechten Rückwirkung wird hingegen gesprochen, wenn eine Norm auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die
Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet.
Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, es sei denn, die vom Gesetzgeber
angeordnete unechte Rückwirkung ist zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet
oder erforderlich oder die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen die
Veränderungsgründe des Gesetzgebers (BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2012 - IX ZB 242/11
Rz. 9 zit. nach juris).
33 Der Anwendung des BBodSchG steht nicht entgegen, dass die festgestellten schädlichen
Bodenveränderungen bei Inkrafttreten des BBodSchG bereits vorhanden waren. Da der
Regelungszweck des Gesetzes nach §§ 1, 2 Abs. 5 BBodSchG insbesondere auch die
Sanierung von Altlasten umfasst, kann seine Geltung nicht auf Bodenkontaminationen
beschränkt werden, die erst nach seinem Inkrafttreten verursacht wurden. Damit
beansprucht das Gesetz keine verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässige echte
Rückwirkung. Maßgeblicher Sachverhalt ist nämlich nicht die Verursachung der
Kontamination sondern die von der vorhandenen Schadstoffbelastung ausgehende
gegenwärtige Umweltgefahr. Da der maßgebliche Sachverhalt mithin noch nicht
abgeschlossen ist, liegt lediglich eine unechte Rückwirkung vor, die nur in bestimmten -
hier nicht gegebenen - Ausnahmefällen unzulässig ist (vgl. zum Ganzen BGH Urt. v.
02.04.2004 - V ZR 267/03, Rz. 15, zit. nach juris; BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 - 7 C 3/05,
Rz. 15, zit. nach juris).
34 Dies gilt auch wenn - wie im vorliegenden Fall - bereits alle denkbaren vertraglichen
Ansprüche aus dem im Jahr 1963 geschlossenen Kaufvertrag verjährt sind. § 24 Abs. 2
BBodSchG begründet einen Ausgleichsanspruch unter mehreren Verpflichteten im Sinne
des § 4 Abs. 3, 5, 6 BBodSchG, er knüpft also an die öffentlich-rechtliche
Verantwortlichkeit an (Wagner, BB 2000, 417, 420). Er ist darauf ausgerichtet, die auf der
Primärebene der Gefahrenbeseitigungs- bzw. Sanierungspflicht getroffene und zuerst am
Effizienzziel orientierte Auswahlentscheidung der Ordnungsbehörde auf der sekundären
Ebene der Kostenverteilung zu korrigieren (Wagner, BB 2000, 417, 426). Zwar lässt § 24
Abs. 2 S. 2 BBodSchG abweichende vertragliche Vereinbarungen ausdrücklich zu, eine
vertragliche Beziehung zwischen Ausgleichsberechtigtem und -verpflichtetem ist jedoch
keine Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs aus § 24 Abs. 2 BBodSchG.
Voraussetzung ist vielmehr die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit beider Parteien
gemäß § 4 Abs. 3, 5, 6 BBodSchG. Solange diese besteht, ist der maßgebliche
Sachverhalt (Verantwortlichkeit für eine gegenwärtige Umweltgefahr) für keine Partei
vollständig abgeschlossen.
35 Die Beklagte wird als Verursacherin und nicht als Gesamtrechtsnachfolgerin eines
Verursachers in Anspruch genommen. Zwar ist der Bundesgerichtshof (Urt. v. 02.04.2004 -
V ZR 267/03) für den Fall der Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers von einer
echten Rückwirkung ausgegangen, die von Verfassungs wegen aber nicht zu
beanstanden sei. Ab Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts habe sich wegen der
damaligen Kenntnis generell bestehender Pflichtenlagen ein schützenswertes Vertrauen,
als Gesamtrechtsnachfolger nicht zur Beseitigung von Altlasten in Anspruch genommen
werden zu können, nicht mehr bilden können. Nicht entschieden wurde die Frage, ob die
Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers einer
Bodenkontamination gegen das Rückwirkungsverbot verstößt, wenn die
Gesamtrechtsnachfolge vor Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts
stattgefunden hat. Diese Frage stellt sich hier jedoch nicht. Dort ging es um eine
Erstreckung der Verursacherhaftung auf den Gesamtrechtsnachfolger, der mit der
Kontamination an sich nichts zu tun hat. Hier ist die Beklagte selbst Verursacherin der
streitgegenständlichen Bodenveränderungen.
36 3. Der Ausgleichsanspruch der Klägerin ist nicht durch den in Abschnitt III Ziffer 8 des
Kaufvertrages vom 9.12.1963 zwischen den Parteien vereinbarten
Gewährleistungsausschluss ausgeschlossen, wie das Landgericht mit zutreffender
Begründung festgestellt hat.
37 a) Der Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 S. 1 BBodSchG steht unter dem Vorbehalt
einer anderweitigen Vereinbarung und ist dispositiv. Obwohl sich in der Begründung des
Gesetzesentwurfs zum BBodSchG (vgl. BT-Drucks. 13/6701, S. 46) die Behauptung findet,
der Käufer eines Grundstücks müsse den mit einem Verkäufer vereinbarten
Gewährleistungsausschluss auch hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs gegen sich gelten
lassen, ist die Abbedingung in einem Gewährleistungsausschluss nicht zwingend
enthalten, kann sich aber aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben (BGH, Urteil
vom 2.04.2004 - V ZR 267/03, Rn. 25 ff., zitiert nach juris; Staudinger, Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 2,
Neubearbeitung 2012, § 426 Rn. 62; Versteyl in Versteyl/Sondermann,
Bundesbodenschutzgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2005, § 24, Rn. 30).
38 b) Der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung, dass der vertraglich vereinbarte
Ausschluss einer Haftung für Sachmängel den Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 2 S. 1
BBodSchG nicht umfasst, folgt der Senat.
39 (1) Aus der dem Berufungsgericht zugewiesenen Prüfungskompetenz hinsichtlich der
erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt sich, dass die
erstinstanzliche Auslegung einer Individualvereinbarung auf der Grundlage aller nach §
529 ZPO maßgeblichen Tatsachen in vollem Umfang darauf zu überprüfen ist, ob sie
überzeugt. Die Prüfung beschränkt sich nicht nur auf die Frage, ob die Auslegung
vertretbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2004 - VIII ZR 164/03, Rn. 13, zitiert nach juris).
40 (2) Eine Vereinbarung, wonach eine Haftung des Verkäufers auch bei einer
ordnungsbehördlichen Inanspruchnahme des Käufers auf eine Sanierung des belasteten
Grundstücks ausgeschlossen sein soll, bedarf einer hinreichend deutlichen Regelung
(BGH, Urteil vom 2.04.2004 - V ZR 267/03, Rn. 27, zitiert nach juris; Wagner, BB 2000,
417, 424; Schwertner/Libert ZfBR 2010, 123, 126). Eine konkrete Vereinbarung zwischen
den Parteien über die Tragung der Sanierungskosten liegt nicht vor, weil vor Inkrafttreten
des BBodSchG die Ausgleichsregelung des § 24 Abs. 2 BBodSchG nicht von der
Willensbildung der Vertragsparteien umfasst sein konnte. Zwar kann auch bei Verträgen,
die vor Inkrafttreten des BBodSchG abgeschlossen wurden, die Auslegung zum Ergebnis
führen, dass ein Gewährleistungsausschluss den Verzicht auf den bodenrechtlichen
Ausgleichsanspruch umfasst, wobei entscheidend darauf abzustellen ist, was die Parteien
bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche
Vertragspartner unter Berücksichtigung eines bodenrechtlichen Ausgleichsanspruchs
vereinbart hätten (BGH, aaO, Rz. 29, zitiert nach juris). In Zweifelsfällen führt die
Auslegung zu dem Ergebnis, dass durch einen Ausschluss von
Gewährleistungsansprüchen ein Rückgriff auf Grund des § 24 Abs. 2 BBodSchG gegen
den Verursacher einer Bodenkontamination nicht versperrt sein soll.
Freizeichnungsklauseln sind als Ausnahme von der sich aus dem dispositiven Recht
ergebenden Haftung grundsätzlich eng auszulegen (BGH, Urt. v. 24.11.1976 - VIII ZR
137/75, Rz. 29, zitiert nach juris; BGH, Urt. v. 7.2.1979 - VIII ZR 305/77, Rz. 19, zit. nach
juris). Darüber hinaus knüpft der Ausgleichsanspruch an die ordnungsrechtliche
Verantwortlichkeit an und nicht an die Fehlerhaftigkeit des Grundstücks (vgl.
Schwertner/Libert aaO).
41 (3) Eine hinreichend deutliche Regelung für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs
ergibt sich nicht aus der Formulierung des Gewährleistungsausschlusses und
insbesondere nicht aus der Verwendung des Begriffs „keinerlei“, weil dieser sich nur auf
die Haftung für Sachmängel bezieht. Nicht ausgeschlossen ist hingegen eine Haftung für
Rechtsmängel, was gegen einen Ausschluss jeglicher Rückgriffsmöglichkeiten spricht.
42 Dass die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben
als redliche Vertragspartner unter Berücksichtigung eines bodenrechtlichen
Ausgleichsanspruchs einen Ausschluss dieses Anspruchs vereinbart hätten, kann
entgegen der Ansicht der Beklagten ebenfalls nicht festgestellt werden. Es mag sein, dass
die Klägerin ein erhebliches Interesse an dem Grundstück der Beklagten hatte und
deshalb auch bereit war, einen Kaufpreis oberhalb des ermittelten Grundstückswertes zu
zahlen und sich an den Kosten für die Verlagerung des städtischen Fuhrparks zu
beteiligen. Gerade die Höhe des vereinbarten Kaufpreises spricht jedoch deutlich gegen
eine Übernahme des Sanierungsrisikos durch die Klägerin (vgl. zur Bedeutung des
Kaufpreises in diesem Zusammenhang BGH vom 2.04.2004 - V ZR 267/03, Rz. 29, zit.
nach juris). Dass die Klägerin wegen ihres gesteigerten Interesses an dem Grundstück der
Beklagten auch bereit gewesen wäre, auf einen Ausgleichsanspruch wegen der öffentlich-
rechtlichen Inanspruchnahme zur Bodensanierung zu verzichten, dessen Umfang für sie
zum damaligen Zeitpunkt in keiner Weise kalkulierbar war, lässt sich entgegen der
Annahme der Beklagten nicht feststellen. Eine solche Bereitschaft ergibt sich auch nicht
aus dem Umstand, dass die Beklagte zur Veräußerung nur bereit war, wenn die Klägerin
alle mit der Veräußerung verbundenen Lasten trägt, die etwa durch die Umsiedlung des
Fuhrparks entstanden sind. Zutreffend hat das Landgericht im Rahmen der ergänzenden
Auslegung des Vertrages auch darauf hingewiesen, dass unerheblich ist, ob die Klägerin
bei Abschluss des Kaufvertrages Kenntnis von der vormaligen Gaswerknutzung des
veräußerten Grundstücks hatte, da ein Problembewusstsein hinsichtlich eines zukünftigen
Sanierungsbedarfs zum damaligen Zeitpunkt nicht bestand.
43 4. Der Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist nicht verjährt.
44 a) Gemäß § 24 Abs. 2 S. 3 - 5 BBodSchG verjährt der Anspruch in drei Jahren. Führt, wie
hier, der Berechtigte die Sanierungsmaßnahmen selbst durch, so beginnt die Verjährung
nach Beendigung der Maßnahmen zu dem Zeitpunkt, zu dem der Berechtigte Kenntnis
von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt. Ohne Rücksicht auf diese Kenntnis verjährt
der Anspruch dreißig Jahre nach Beendigung der Maßnahmen. Beendet im Sinne des §
24 Abs. 2 S. 4 und 5 BBodSchG sind die Maßnahmen erst, wenn der nach dem
BBodSchG geforderte Zustand hergestellt ist bzw. alle dem Verpflichteten abverlangten
Maßnahmen zur Sanierung oder Vorsorge gegenüber schädlichen Bodenveränderungen
durchgeführt sind (BGH Urt. v. 18.10.2012 - III ZR 312/11, Rz. 9 ff., zit. nach juris).
45 b) Eine von der Beendigung der Maßnahmen unabhängige, an den Zeitablauf seit
Verursachung der Bodenkontamination anknüpfende zeitliche Begrenzung des
Ausgleichsanspruchs lässt sich weder dem Wortlaut der Bestimmung des § 24 Abs. 2
BBodSchG entnehmen noch ist sie durch den Sinn und Zweck der Vorschrift, die darauf
abzielt, den Ausgleich im Innenverhältnis nach dem Verursacherprinzip zu regeln (vgl.
BGH, Urt. v. 2. April 2004 aaO Rz. 33), geboten. Ziel des Ausgleichsanspruchs aus § 24
Abs. 2 BBodSchG ist es, auf der Sekundärebene der Kostentragung eine gerechte
Lastenverteilung unter den Störern herbeizuführen. Wer letztlich die Kosten der Sanierung
trägt, soll nicht von der insbesondere am Kriterium einer effizienten Gefahrenabwehr
ausgerichteten Auswahlentscheidung der Behörde abhängen, sondern davon, „inwieweit
die Gefahr oder der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil
verursacht worden ist“.
46 c) Vorliegend haben bisher nur Untersuchungen und noch keine Sanierungsmaßnahmen
stattgefunden, die Verjährung wurde somit noch nicht in Lauf gesetzt.
47 5. Der Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist nicht verwirkt.
48 Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er
dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten
des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch
in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen
Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Der Verstoß gegen Treu und
Glauben besteht in der Illoyalität der verspäteten Geltendmachung des Anspruchs (BGH,
Urt. v. 12. 03.2008 - XII ZR 147/05 Rz. 22). Durch den bloßen Zeitablauf kann der
notwendige Vertrauenstatbestand nicht geschaffen werden (vgl. BGH, Urt. v. 30.10.2009 –
V ZR 42/09 Rz. 20). Er fehlt jedenfalls auch dann, wenn der Schuldner weiß oder davon
ausgehen muss, dass der Berechtigte sein Recht aus Unkenntnis nicht geltend macht
(Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 242, Rn. 336 - 343; BGH, Urt. v.
15.9.1999 - I ZR 57/97, Rz. 24, zit. nach juris).
49 So ist es hier. Für die Beklagte war erkennbar, dass die frühere Untätigkeit der Klägerin
auf ihrer Unkenntnis von der bestehenden Belastung des Grundstücks und dem dadurch
begründeten Ausgleichsanspruch beruhte.
50 6. Einen möglichen Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs nach Treu und Glauben
gemäß § 242 BGB, der greift, wenn der Käufer eines Grundstücks bei Abschluss des
Kaufvertrages positive Kenntnis von den schädlichen Bodenveränderungen oder der
Einordnung als Altlast hatte (vgl. BGH, Urt. v. 2.04.2004 aaO Rz. 32, zitiert nach juris), hat
das Landgericht mit zutreffender Begründung verneint. Eine positive Kenntnis bestehender
Altlasten ergibt sich nicht aus der von der Beklagten vorgetragenen Kenntnis der Klägerin
von der ehemaligen Nutzung des Grundstücks (vgl. BGH aaO).
51 7. Die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zur Kausalität und zum
Haftungsumfang werden von der Berufung nicht angegriffen.
52 Dass die Bodenveränderungen durch den Betrieb des Gaswerks verursacht wurden, ist
unstreitig und wird auch durch die analog anwendbare Ursachenvermutung der §§ 6, 7
UmweltHG gestützt (zu deren analoger Anwendbarkeit vgl. BGH aaO Rz. 36). Der
Beklagten können auch die Altlasten zugerechnet werden, die während des Betriebes des
Gaswerks bis 1890 entstanden sind, als die Beklagte das Gaswerk noch nicht betrieben
hat. Insoweit hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, dass es für den
Ausgleichsanspruch zwischen mehreren nach § 4 Abs. 3 BBodSchG verpflichteten
Störern nach § 24 Abs. 2 S. 2 BBodSchG darauf ankommt, inwieweit die Gefahr oder der
Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht wurde. Nach § 24
Abs. 2 S. 2, 2. Halbsatz findet § 426 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechende Anwendung. Das
Landgericht hat mit Tatbestandswirkung (§ 314 ZPO) festgestellt, dass die anfängliche
Betreiberin des Gaswerkes nicht mehr existiert. Damit ist im Verhältnis zwischen der
Klägerin als Zustandsstörerin und der Beklagten als einziger verbliebener
Handlungsstörerin nach §§ 24 Abs. 2 S. 2 BBodSchG, 426 Abs. 1 S. 2 BGB die Beklagte
zur Tragung aller mit der Sanierung einhergehenden Kosten verpflichtet.
53 Zutreffend wurde vom Landgericht der erstattungsfähige Aufwand der Klägerin für die
eingeholten Bodenuntersuchungen festgestellt. Dies ist in der Berufung auch nicht streitig.
Die Kosten waren für die Gefahrenabwehr und -beseitigung bislang erforderlich.
54 8. Auch der Feststellungantrag ist begründet, da der Umfang der erforderlichen
Sanierungsmaßnahmen wesentlich von der künftigen Entwicklung auf dem Grundstück
abhängt und darum noch nicht beziffert werden kann.
55 9. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 29.7.2013 bot nach
pflichtgemäßem Ermessen keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung.
56 10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
57 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
58 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision, über die der Senat von Amts wegen
zu befinden hat, liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die von der Berufung aufgeworfene
Frage, ob die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG auf einen am 09.12.1963
abgeschlossenen Grundstückskaufvertrag anzuwenden ist, stellt sich nicht. Es geht nicht
um die Anwendung der Regelung auf einen Vertrag, sondern auf den vorliegenden
Sachverhalt, woran der Senat keinen Zweifel hat. Die Frage, ob der
Sachmängelausschluss eine zulässige Regelung im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 2
BBodSchG darstelle, gemeint, ob diese Vereinbarung den Ausgleichsanspruch
ausschließe, ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, der der Senat folgt,
jedenfalls hinreichend geklärt. Die Auslegung einer Individualvereinbarung entzieht sich
einer generalisierenden Betrachtung; sie ist vielmehr vom Tatrichter aufgrund einer
Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.