Urteil des OLG Stuttgart vom 13.11.2013

OLG Stuttgart: befangenheit, parteivertreter, glaubhaftmachung, meinung, druck, notiz, fax, unparteilichkeit, protokollierung, urkundsperson

OLG Stuttgart Beschluß vom 13.11.2013, 7 W 58/13
Leitsätze
1. Keine Befangenheit eines Richters, wenn dieser auf Frage einer Partei ausführt, er habe einen
Schriftsatz vor dem Termin nicht mehr zur Kenntnis nehmen können.
2. Insbesondere bei Missachtung einer sorgfältigen und auf Verfahrensförderung bedachten
Prozessführung gem. § 282 Abs. 1 ZPO sind Versäumnisse des Anwalts einer Partei in keiner
Weise dem Tatrichter anzulasten.
3. Eine gewünschte inhaltliche Protokollberichtigung gem. § 164 Abs. 3 S. 2 ZPO einer Partei
obliegt der Urkundsperson gem. § 163 ZPO (hier: dem Richter), die nicht durch einen -
angedrohten - Befangenheitsantrag erzwungen werden kann.
4. Weder einer Partei noch einem Parteivertreter steht das Recht zu, die Vorschriften des
Befangenheitsrechts gem. §§ 42 ff. ZPO zur prozessordnungswidrigen Durchsetzung ihnen nicht
zustehender prozessualer Rechte oder als Druck- oder Drohmittel zur Durchsetzung für nicht
zustehende prozessuale Rechte einzusetzen und zu missbrauchen.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Ravensburg -
4 O 147/13 - vom 10.09.2013 wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 21.992,70 EUR
Gründe
I.
1 Die Klägerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 27.09.2013 gegen den
Kammerbeschluss des Landgerichts Ravensburg - 4 O 147/13 - vom 10.09.2013 (Bl. 63
ff.), mit dem ihr Antrag auf Befangenheit gegen die Einzelrichterin, Richterin am
Landgericht …, als unbegründet zurückgewiesen wurde.
2 Richterin am Landgericht … habe einen vom Klägervertreter am Vortag der Sitzung vom
06.08.2013 mittels Fax eingereichten Schriftsatz vom 05.08.2013 noch nicht bis zur
Sitzung gelesen. Ferner habe die Richterin nach Auffassung des Klägervertreters bei der
Protokollierung der Angaben der Klägerin gem. § 141 ZPO den Zusatz „Auf Nachfrage des
Klägervertreters“ falsch protokolliert. Die Klägerin habe nicht „auf Nachfrage“ des
Klägervertreters geantwortet.
3 Wegen der Einzelheiten wird auf das Befangenheitsgesuch des Klägervertreters vom
06.08.2013 (Bl. 53 f.) und auf die Beschwerdebegründung vom 08.10.2013 und vom
30.10.2013 (Bl. 73 ff., 80 f.) Bezug genommen.
II.
4 Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet, §§ 42, 46 Abs. 2 ZPO.
5 Das Landgericht hat zu Recht den Befangenheitsantrag der Klägerin gegen Richterin am
Landgericht … als unbegründet zurückgewiesen, § 46 Abs. 2 ZPO.
6 Die Ablehnung eines Richters findet nach allgemeiner Meinung und nach allseits
gefestigter ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann statt, wenn ein Grund
vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu
rechtfertigen. Maßgeblich insoweit ist, ob aus der Sicht des Ablehnenden objektive
Gründe vorhanden sind, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden
Partei Anlass bieten, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln.
7 Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist das Landgericht im angefochtenen
Beschluss zu Recht zu der Auffassung gelangt, dass die von der Klägerin vorgebrachten
Gründe im Einzelnen und in der Gesamtschau die Befangenheit der abgelehnten Richterin
nicht besorgen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden
Gründe im Kammerbeschluss des Landgerichts Bezug genommen (Bl. 63 ff.).
8 1. Die Erklärung der Richterin in der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2013, sie habe
den am Vortag zur Sitzung vom Klägervertreter eingereichten Fax-Schriftsatz vom
05.08.2013 noch nicht lesen können, begründet die Befangenheit für jede ruhig und
vernünftig denkende Partei und auch für jeden ruhig und vernünftig denkenden
Parteivertreter nicht im Geringsten.
9 Dies gilt erst Recht, wenn der Klägervertreter die ihm bis 24.07.2013 gesetzte Replikfrist
auf die Klageerwiderung des Beklagtenvertreters, die antragsgemäß bis 31.07.2013
verlängert wurde (Bl. 37), fruchtlos und ohne Angabe von Gründen hat verstreichen
lassen.
10 Der Klägervertreter hat unter Missachtung von § 282 Abs. 1 ZPO und der vom Landgericht
gesetzten Frist zur Einreichung der Replikschrift gem. § 277 Abs. 4 ZPO seinen Schriftsatz
verspätet eingereicht. Der 13-seitige Schriftsatz vom 05.08.2013 war überdies so spät vom
Klägervertreter eingereicht worden, dass er von der für den Rechtsstreit berufenen
Richterin beim Landgericht Ravensburg im normalen Geschäftslauf nicht mehr zur
Kenntnis genommen werden konnte.
11 Der Klägervertreter versucht in bemerkenswerter und in einer dem Senat bislang nicht
bekannten Art und Weise, seine eigenen prozessualen Versäumnisse dem Landgericht
anzulasten. Ein Tatrichter ist weder verpflichtet noch berufen, Versäumnisse einer
Prozesspartei oder deren Prozessbevollmächtigten mangels deren sorgfältiger und auf
Verfahrensförderung bedachter Prozessführung gem. § 282 Abs. 1 ZPO durch gerichtliche
bevorzugte zeitliche Behandlung eines solchen Rechtsstreits, etwa mittels
Vernachlässigung oder Hintanstellung anderer - ordnungsgemäß betriebener -
Rechtsstreite, zu kompensieren.
12 Die von manchen Rechtsanwälten praktizierte und auch dem Senat bekannte Unsitte,
Schriftsätze unter Missachtung der prozessualen Prozessförderungspflicht gem. § 282
Abs. 1 ZPO und unter eigenmächtiger Nichtbeachtung gerichtlicher Fristen erst am Vortag
des Sitzungstages oder unwesentlich früher einzureichen, rechtfertigt keinen
Befangenheitsantrag, sondern fällt - wie hier - auf derart prozessordnungswidrig
arbeitende Rechtsanwälte zurück.
13 2. Auch der Vorwurf der Klägerin gegenüber der Richterin, sie habe im Protokoll vom
06.08.2013 nicht auf Antrag des Klägervertreters das Protokoll bezüglich des
Eingangssatzes zur Protokollierung gem. § 141 ZPO „Auf Nachfrage des Klägervertreters“
gestrichen, rechtfertigt kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters.
14 a) Der Klägervertreter konnte mit seiner Erklärung zum von ihm behaupteten Ablauf in der
mündlichen Verhandlung und auch mit seiner handschriftlichen Notiz (Bl. 62) bereits
keine hinreichende Glaubhaftmachung zur Überzeugung des Senats führen, §§ 44 Abs.
2, 294 ZPO.
15 Die Richterin hat bereits in der mündlichen Verhandlung und insbesondere in ihrer
dienstlichen Stellungnahme vom 06.08.2013 (Bl. 56 f.) gem. § 44 Abs. 3 ZPO eingehend
und überzeugend ausgeführt, weshalb sie sich, wie protokolliert, an die Nachfrage des
Klägervertreters positiv erinnert. Für eine Streichung der gewünschten kurzen
Einleitungspassage zu einer Aussage der Klägerin im Protokoll vom 06.08.2013 gebe es
deshalb keine Möglichkeit. Der Senat hat keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der
dienstlichen Stellungnahme der vom Klägervertreter abgelehnten Richterin am
Landgericht. Die vom Klägervertreter abgegebenen Erklärungen und seine
handschriftliche Notiz (Bl. 62) sind nicht geeignet, die dienstliche Stellungnahme der
Richterin in Zweifel zu ziehen oder sogar zu widerlegen.
16 Das Protokoll ist demnach richtig und wäre auch nicht gem. § 164 ZPO wegen
Unrichtigkeit zu korrigieren. Bei Streit über den Protokollinhalt entscheidet der
protokollierende Richter und nicht die Partei, die entweder unbewusst oder im
schlimmsten Fall bewusst eine Protokollfassung begehrt und durchzusetzen versucht, die
ihr günstig ist. Auch bei widersprüchlichen Erinnerungen zwischen Richter und einer
Partei entscheidet der Tatrichter über den Protokollinhalt und nicht eine Partei oder deren
Parteivertreter. Die Berichtigung gem. § 164 Abs. 3 S. 2 ZPO oder Nichtberichtigung
obliegt folgerichtig auch der Urkundsperson des § 163 ZPO, die durch ihre Unterschrift
die alleinige Verantwortung für die Richtigkeit des ursprünglichen Protokolls
übernommen hat (statt aller: Zöller, ZPO, 30. Auflage, § 164 Rn. 5).
17 b) Im Übrigen wäre bei einem „non liquet“ hinsichtlich der Glaubhaftmachung, wie das
Landgericht in seinem Beschluss vom 10.09.2013 zutreffend ausführt, von keiner
Glaubhaftmachung gem. § 44 ZPO zugunsten des Befangenheitsantragstellers
auszugehen. Auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung wird
insoweit Bezug genommen.
18 3. Der Senat sieht Veranlassung zu dem Hinweis, dass der Klägervertreter sich mit dem
von der von ihm abgelehnten Richterin im Protokoll Festgehaltenen nicht abzufinden
vermag und daher versucht, die Vorschriften über die Befangenheit als „weitere Instanz“
zur „Protokollberichtigung“ gem. § 164 ZPO zu verwenden.
19 Insoweit werden, wie ausgeführt, die Vorschriften zur Protokollaufnahme gem. §§ 159 ff.
ZPO, die insoweit normierten Kompetenzzuweisungen für die Errichtung eines Protokolls
und die ebenfalls normierte Verantwortlichkeit für den Inhalt eines gerichtlichen Protokolls
grundlegend verkannt.
20 Der Klägervertreter verkennt insbesondere, dass die Vorschriften zur Protokollberichtigung
gem. § 164 ZPO für eine, auch von einer Partei vehement behaupteten, Unstimmigkeit
oder Unrichtigkeit eines Protokolls geschaffen sind und der protokollierende Tatrichter bei
Streit über den Inhalt des Protokolls in alleiniger Verantwortung über den Protokollinhalt
entscheidet. Das Befangenheitsrecht ist demgegenüber - auch neben dem
Protokollberichtigungsrecht - nach allgemeiner Meinung weder zur Fehler- und
Inhaltskontrolle bei von einer Partei behaupteten Fehlern geeignet noch geschaffen.
21 Weder eine Partei noch ein Parteivertreter haben das Befangenheitsrecht gem. §§ 42 ff.
ZPO zur prozessordnungswidrigen Durchsetzung ihnen nicht zustehender prozessualer
Rechte oder als Druck- oder Drohmittel zur Durchsetzung für nicht zustehende
prozessuale Rechte einzusetzen und zu missbrauchen.
III.
22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
23 Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht. Die gesetzlichen
Voraussetzungen liegen nicht vor, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 574 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 ZPO.