Urteil des OLG Stuttgart vom 07.03.2002

OLG Stuttgart: nebenleistung, werbung, geschenk, zugabe, sittenwidrigkeit, geschäftsverkehr, verbraucher, vollstreckung, irreführung, telefon

OLG Stuttgart Urteil vom 7.3.2002, 2 U 111/01
Wettbewerbsverstoß: "Übertriebenes Anlocken" durch Inaussichtstellen eines "5-teiligen Schmuck-Sets" bei Bestellung einer Kosmetikserie
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 03.05.2001
geändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.200,– Euro abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheiten können auch durch unwiderrufliche, unbefristete, unbedingte und
selbstschuldnerische schriftliche Bürgschaft einer deutschen Bank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegenstandswert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers: bis 40.000,– Euro
Gründe
I.
1
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, der Sache nach von Erfolg.
A
2
Hinsichtlich der Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
3
Das
Landgericht
Werbung anzukündigen oder nach dieser Ankündigung zu gewähren, da die Ankündigung den Tatbestand des übertriebenen Anlockens erfülle,
die Gewährung mit einer Warenbestellung verbunden sei, die ihrerseits nur durch die Ausübung eines Rücktrittsrechtes aufgehoben werden
könne; die Rücktrittsausübung werde aber unter Weiterwirkung der von der Geschenkgewährung ausgehenden Dankbarkeit sittenwidrig
gebunden.
4
Dagegen wendet sich die
Berufung
des übertriebenen Anlockens im Hinblick auf die Änderung der Rechtsprechung, des geänderten Verbraucherleitbildes, der Aufhebung des
RabattG und der ZugabeVO und im Hinblick auf die Marktgepflogenheiten für nicht gegeben erachtet, eine Bejahung der maßgeblichen
Wertungsgesichtspunkte durch die Kammer ohne Einholung der beantragten Verkehrsbefragung für fehlsam hält, was eine zwischenzeitlich
privat veranlasste Markterhebung auch belege, und eine gleichwohl so getroffene Entscheidung zudem als gegen Art. 49 und 28 EG-Vertrag
verstoßend ansieht, da in ihr sog. Euromarketing eingegriffen werde. Jedenfalls hätte dem Antrag hinsichtlich des Verbotes des Gewährens nicht
entsprochen werden dürfen, da § 1 UWG diese Handlung nicht verbiete.
5
Die Beklagte beantragt:
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Das Urteil des Landgerichtes Stuttgart 17 O 694/00 vom 03.05.2001 abzuändern und die Klage zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
8
die Berufung zurückzuweisen.
9
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung als richtig.
10 Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze sowie die Verhandlungsniederschriften verwiesen.
B
1.
11 Klagantrag Ziff. 1 (Ankündigung).
12 a) Zutreffend ist der Ansatz der Beklagten, dass die Rechtsprechung des BGH schon vor Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO eine
Lockerung in der Fallgruppe: Übertriebenes Anlocken erfahren hat, und dass im Hinblick auf die Änderung der beiden genannten Gesetze dieser
Fallgruppe als Auffangtatbestand besondere Bedeutung zukommt, sie aber einer neuen inhaltlichen Ausrichtung bedarf.
13 aa) So hat der BGH in seiner von den Parteien schon vielfach herangezogenen Entscheidung vom 17.2.2000 (GRUR 00, 820 f = WRP 00, 724,
725/26 – Space Fidelity Peep-Show) im Rahmen seiner Gewinnspiel-Rechtsprechung eine Wertreklame grundsätzlich für zulässig erachtet. Erst
dann, wenn der Anlockeffekt so stark sei, dass das Publikum von einer sachgerechten Prüfung des Warenangebotes abgelenkt und seine
Entschließung maßgeblich von der Erwägung bestimmt wird, den in Aussicht gestellten Gewinn zu erlangen, könne die Grenze zur
Sittenwidrigkeit überschritten sein. Dafür wird allein die Attraktivität der ausgelobten Preise im Allgemeinen nicht ausreichen. Es kann nämlich –
schon wegen der Häufigkeit derartiger Gewinnspiele und des damit einhergehenden Gewöhnungseffektes – nicht angenommen werden, dass
sich die Käufer aufgrund eines aus ihrer Sicht attraktiven Gewinnspiels dazu verleiten ließen, von einem Warenangebot unkritisch Gebrauch zu
machen. Der Umstand, dass Kunden aufgrund der Ankündigung eines Gewinnspieles ein Ladengeschäft aufsuchen und dort einen
Gelegenheits- oder Verlegenheitskauf tätigen, rechtfertige für sich genommen noch nicht die Sittenwidrigkeit; dies auch nicht, wenn die Kunden
die gekaufte Ware anderwärts bequemer hätten erwerben können. Weitere Umstände wie Irreführung über die Gewinnchance, eine verschleierte
Koppelung mit dem Warenabsatz oder die Behinderung kleinerer Mitbewerber könnte das Überschreiten der Sittenwidrigkeitsschwelle
herbeiführen (BGH a.a.O. 726 – Space Fidelity Peep-Show). Hierfür könne auch kennzeichnend sein, dass Kunden von einer preis- und
qualitätsbewussten Prüfung verschiedener Angebote durch werbendes Herausstellen leistungsfremder Vergünstigungen abgehalten werden
(BGH U. v. 15.6.00 – I ZR 202/98 (juris-Dokument), dort im Hinblick auf die Einheitlichkeit des Angebots verneint; ebenso U. v. 15.06.00 – I ZR
193/98 (juris-Dokument); WRP 00, 1138, 1139 – Null-Tarif).
14 bb) In dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hat die Rechtsprechung und insbesondere Literatur schon vor Aufhebung des RabattG und der
ZugabeVO eine im Umbruch begriffene Entwicklungslinie im Bereich der Wertreklame gesehen (vgl. etwa KG GRUR-RR 01, 277, 279; Fezer
WRP 01, 989, 1009, 1010/11; Schricker/Henning-Bodewig WRP 01, 1367, 1401; Berlit WRP 01, 349, 352). Dies gilt in noch stärkerem Maße
Wegfall der genannten beiden Gesetzeswerke, was Zugaben und Rabatte grundsätzlich legitimiere (OLG Frankfurt GRUR-RR 02, 30, 31;
Karlsruhe OLG-Report 02, 75, 76 ("das Unlauterkeitskriterium des übertriebenen Anlockens hat grundsätzlich ausgedient"); Fezer a.a.O. 1008;
Köhler GRUR 01, 1067 und 1069; Nordemann NJW 01, 2505, 2509; Cordes WRP 01, 867, 870; Berlit a.a.O. 352; Heermann WRP 01, 855, 859;
insgesamt zurückhaltend: Berneke WRP 01, 615 und 616, aber den Willen des Gesetzgebers in gleicher Weise feststellend (618)). Eine
Auflockerung der strengen Anforderungen an den Tatbestand des übertriebenen Anlockens sei auch deshalb geboten, da nach Meinung der
Bundesregierung wegen des gestiegenen Bildungs- und Informationsniveaus und der erhöhten Sensibilität der Verbraucher es des gesetzlichen
Zugabe- und Rabattverbotes nicht mehr bedürfe (kritisch zu dieser über das neuere Verbraucherleitbild noch hinausgehenden Einschätzung:
Berneke a.a.O. 617 und 620; Köhler a.a.O. 1069; Zustimmung zur Anhebung der Messlatte: Heermann a.a.O. 860).
15 cc) Im Hinblick auf die oder nach Aufhebung von ZugabeVO und RabattG hat es bereits etliche auch von den Parteien überwiegend selbst schon
angesprochene Äußerungen in (überwiegend) Literatur und (vereinzelt) in Rechtsprechung gegeben, die dadurch entstandene Wertungslücke
zu erfassen und zu schließen. Dabei zeichnet sich augenscheinlich ein gewisser Wertungskonsens ab.
16 (1) Insbesondere Köhler GRUR 01, 1067, 1070 hat in Anlehnung an Art. 6 lit. c der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr
herausgearbeitet, dass kein Grund ersichtlich sei, den traditionellen Geschäftsverkehr anders zu behandeln als den elektronischen, weshalb die
Richtlinienvorgabe, Zugaben insoweit für zulässig zu erachten, wenn sie klar als solche erkennbar seien, die Bedingungen für ihre
Inanspruchnahme leicht zugänglich sei sowie klar und unzweifelhaft angegeben würden, auch auf die vorliegende Fallgestaltung zu übertragen.
Mit dem (hoch ansetzenden) Verbraucherleitbild korrespondiere denn auch, dem Konsumenten die Informationen zu geben, die ihn in die Lage
versetzten, seine vorausgesetzte verständige Konsumentscheidung zu treffen. Dieses Gebot der Angebotstransparenz (so schon Fezer a.a.O.
1011; vgl. ferner Berneke a.a.O. 618; Schricker/Henning-Bodewig a.a.O. insbesondere 1402 bis 1404; Cordes a.a.O. 870) führe dazu, dass, um
der Gefahr der Preisverschleierung oder der Verschleierung der Werthaltigkeit des gesamten Angebotspaketes zu wehren (vgl. hierzu auch
Nordemann a.a.O. 2511; Heermann a.a.O. 864; Berneke a.a.O. 621; Cordes a.a.O. 870; OLG Düsseldorf WRP 01, 711: noch unter der Geltung
der ZugabeVO), der Wert der Nebenleistung, wenn er nicht gar nach Markt- oder Durchschnittswert ausgewiesen werden (so Köhler a.a.O. 1071),
so doch zumindest den Wert klar und unmissverständlich erkennbar machen müsse (OLG Frankfurt GRUR-RR 02, 30, 31; Schricker/Henning-
Bodewig a.a.O. 1404; so wohl auch Cordes a.a.O. 870; so empfehlend: Berneke a.a.O. 621). Eine solche Kenntlichmachung des Wertes der
Zugabe kann entbehrlich sein, wenn er evident ist (Köhler a.a.O. 1071; Nordemann a.a.O. 2511).
17 (2) Dabei wird das Wertverhältnis von Hauptware und Dreingabe zum ausschlaggebenden Gradmesser für die Sittenwidrigkeitsbeurteilung
gemacht. So soll Sittenwidrigkeit der Beigabe anzunehmen sein, wenn der objektive Wert der Dreingabe oder – mangels Anhaltspunkten – die
vom Werbenden selbst geschaffene Werterwartung des angesprochenen Verkehrs in einem Übermaßverhältnis besteht (KG a.a.O. 278; Berneke
a.a.O. 618; Berlit a.a.O. 352, 353), was anzunehmen ist, wenn dieser faktische oder erwartbare Wert der Zugabe, und sei es nur durch
übertriebene Anpreisung einer in Wahrheit minderwertigen Sache (Berneke a.a.O. 621), den der Hauptsache übersteigt (Cordes a.a.O. 870; vgl.
auch Nordemann a.a.O. 2511 – Faustformel: Zugabe maximal Hälfte des Warenwertes; anders: OLG Jena GRUR-RR 02, 32, 33: Höhe der
Treueprämie unzulässig, da mit 12,5 % das Vierfache des vormals nach § 2 RabattG Zulässigen; vgl. auch Heermann a.a.O. 863: Wert und
Wertverhältnis bloße Indizien; Berneke a.a.O. 618: objektiver Wert der Vergünstigung oder Verhältnis ihres Wertes zum Wert der Hauptsache für
sich genommen keine geeigneten Kriterien; vgl. zu Wertverhältnissen ebenso Senat OLG-Report 00, 433), wenn die attraktive oder – wie
hinzuzufügen ist – attraktiv erscheinende Prämie bereits bei niedrigster Umsatzschwelle erreicht werden kann (Berlit a.a.O. 353), oder wenn die
Nebenleistung für den Verkehr einen jedenfalls erheblichen Wert darstellt, die Nebenleistung mit der Hauptleistung in keinem
Gebrauchszusammenhang steht und der konkrete Wert der Nebenleistung für den Verbraucher nicht hinreichend bestimmbar ist (OLG Frankfurt
GRUR-RR 02, 30, 31).
b)
18 aa) Die Beklagte, welche das Präsent mit Wendungen wie – hier nur vereinzelt beispielhaft – "Exklusives Schmuck-Set", "sorgfältigst verarbeitet",
"feinste Verarbeitung", "bezaubernder Blickfang", "Verleiht Ihrer festlichen Abendgarderobe strahlenden Glanz" und "Steine – mit Ihrem
exklusiven Schmuck-Set werden Sie zum bewunderten Mittelpunkt eines festlichen Abends" als sehr werthaltig darstellt, ist im Rechtsstreit
bemüht, das Geschenk als billige Dutzendware hinzustellen. Ob in diesem Auseinanderfallen von Schein und Sein eine Irreführung des Verkehrs
liegt und als solche selbständig angreifbar, kann dahinstehen. Denn auch auf Rückfrage des Senates hat der Kläger erklärt, darauf stelle er seine
Klage nicht ab (vgl. zur Möglichkeit einer solchen Streitgegenstandsbestimmung etwa BGH WRP 99, 517, 519 – Am Telefon nicht süß sein?).
19 bb) Zwar ist der Wert der Gabe nicht angegeben. In diesem Informationsdefizit kann aber für sich genommen ein Wettbewerbsverstoß nicht
gesehen werden. Zwar finden sich solche Erwägungen in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr und Anklänge an ein solches
Tatbestandsmerkmal etwa bei Schricker/Henning-Bodewig a. a. O. 1404. Dieses Moment kann zwar Beurteilungselement innerhalb der
Fallgruppe übertriebenes Anlocken sein, nicht aber eigenständig diese Fallgruppe schon ausfüllen. Dafür bedürfte es einer ausdrücklichen
diesbezüglichen Vorgabe des Gesetzgebers.
20 cc) Die hier vorzunehmende Bewertung hat anzusetzen bei einem vom Gesetzgeber bei Aufhebung der ZugabeVO und des RabattGs zum
Ausdruck gebrachten hochgesteckten Verbraucherleitbild, einer bewussten gesetzgeberischen Liberalisierung des Wertreklamebereichs, der
nicht wieder über allgemeine wettbewerbsrechtliche Wertungskategorien konterkariert werden darf, einem europarechtlichen Kontext, der auch
ausstrahlt auf das Verständnis allgemeiner wettbewerbsrechtlicher Begrifflichkeiten, und nicht zuletzt bei einer deutlich im Umbruch befindlichen
höchstrichterlichen Rechtsprechung, die nachdrücklich herausstellt, dass eine Wertreklame grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, zumal der
Anlockeffekt als Wesensmerkmal jeder Werbung innewohne, und dass, selbst wenn die Werbung "eine äußerst anregende Darbietung von
besonderem Ausmaß und mit ungewöhnlichen Sofortgewinnen erwarten ließe und darüber hinaus den Eindruck erwecke, es seien nicht gerade
billige Markenartikel größerem Ausmaßes zu gewinnen", dies für sich genommen noch nicht ausreiche, um die rechtlichen Voraussetzungen
eines übertriebenen Anlockens zu erfüllen. Davon könne "erst dann" gesprochen werden, "wenn diese Kunden durch die mit dem" – dort –
"Gewinnspiel verbundenen sachfremden Beeinflussungen davon abgehalten werden, die Güte und Preiswürdigkeit dieser Waren zu prüfen"
(BGH a.a.O. 726 – Space Fidelity Peep-Show; WRP 99, 517, 516 (seine Entscheidung... nur noch danach trifft...) – Am Telefon nicht süß sein?;
vgl. auch Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR, 22. Aufl., § 1 UWG, 166 und 90 b). Auch die Häufigkeit derartiger – dort – Gewinnspiele und der
damit einhergehende Gewöhnungseffekt haben in die Würdigung Eingang zu finden (BGH a.a.O. 725 – Space Fidelity Peep-Show). Es ist
abzustellen, in welchen Gebrauchszusammenhang Haupt- und Nebenleistung gestellt sind (OLG Frankfurt a.a.O. 31). Innerhalb dieser
Gesamtbetrachtung kommt dem Wert der Nebenleistung und dem Wertverhältnis von Hauptleistung und Beigabe nur die Bedeutung eines von
mehreren Beurteilungskriterien zu. Der Senat kann sich aber insbesondere zur Anwendung von starren Wertgrenzen und Wertverhältnissen als
Sittenwidrigkeitsschwellen nicht verstehen.
21 dd) Gemessen an diesen Vorgaben kann die vorliegend beanstandete Werbung nicht als übertrieben anlockend eingestuft werden.
22 Zwar muss auch die Beklagte einräumen, dass die Umschreibung des Schmuck-Sets überaus vollmundig geraten ist. Andererseits ist ohne
Widerspruch geblieben und im Übrigen dem Senat aus vielfältiger Befassung mit gleichgerichteten Werbemaßnahmen der Beklagten bekannt,
dass es zur von ihr selbst als Euromarketing bezeichneten Werbestrategie gehört, ihrer monatlich in Mailings präsentierten Produktpalette
Dreingaben unterschiedlichster Art beizustellen. Der nach dem bezeichneten Verbraucherleitbild vorausgesetzte Konsument, vorliegend
vordringlich: die Konsumentin, begegnet solcher Wertreklame zunehmend auf Schritt und Tritt in ihrem Alltagsumfeld und gerade auch als von
der Beklagten nach einem Kaufgeschäft innerhalb des letzten Jahres angesprochene Kundin, an welche sich die Werbesendung mit der hier
beanstandeten Werbung gerichtet hat. Danach ist bei ihr nicht nur ein Gewöhnungseffekt eingetreten, sondern auch ein Erfahrungswissen
gerade in Bezug auf die Beklagte ausgebildet worden über die wahre Werthaltigkeit solcher Zugaben (dieses Wort ist jedenfalls nach Aufhebung
der ZugabeVO einsetzbar, da nicht schon automatisch mit dem Makel eines Verletzungstatbestand besetzt). Mag die von der Beklagten
angeschriebene, weil bereits erfasste Kundin im Hinblick auf das Weihnachtsfest, auf welches das Mailing ausgerichtet war, auch davon
ausgegangen sein, dass sich die Beklagte gegenüber sonst im Hinblick auf das anstehende Ereignis die Gabe etwas mehr hat kosten lassen, so
ist die Verbraucherin aber doch vertraut damit, innerhalb welcher Wertgrenzen ein Unternehmen wie die Beklagte solche Präsente einzusetzen
pflegt und auch wirtschaftlich dazu nur im Stande sein kann, und ist an die Blumigkeit werblicher Aussagen gewöhnt. Danach misst sie im
Hinblick auf Vorerfahrungen dem gepriesenen Geschenk keine übertriebenen Wert bei. Dass es anders gewesen sei und insbesondere, dass
das Geschenk einen Wert von tatsächlich 129,70 DM verkörpere, hat der beweisbelastete Kläger zwar behauptet, aber – wie auch vor dem Senat
zur Sprache gekommen – ohne Beweisantritt belassen. Zudem steht das vorliegende Geschenk in einem inneren Zusammenhang mit der
Kosmetikreihe der Beklagten. Schmuck und Kosmetika ergänzen sich. Danach werden auch keine sachfremden Gebrauchsbereiche
zusammengeführt. Begehrlichkeiten nach Konsumartikeln werden danach auch nicht durch ganz andersartige, weil auch andersartig besetzte
Objekte des Begehrens erweckt oder unangemessen verstärkt. Danach mag im einen oder anderen Fall, falls sich eine Kundin nur auf das
Billigstangebot (allerdings zuzüglich teuren Versandkosten) beschränkt, der Wert der Zugabe gar über dem der Hauptleistung liegen. Gleichwohl
ist nach der objektiven Werthaltigkeit des Geschenkes, wie es der Größenordnung nach auch von der Verbraucherin erkannt wird, und dem
Funktionszusammenhang die werbliche Präsentation so ausgestaltet, dass die Beklagte das Kaufen als reizvolle Beschäftigung anbietet und ihr
Angebot durch weitere Anlockeffekte besetzt und aufwertet. Das durch die Dreingabe mitgeprägte Bestellerlebnis ist jedoch insgesamt nicht so
geartet, dass die Produktreihe der Beklagten nachhaltig in den Hintergrund tritt und für den angesprochenen Verkehr das Habenwollen oder gar
Haben müssen der Gratisgabe andere Motive im Kaufgeschehen so sehr verdrängen, dass diese nahezu unbeachtlich geworden sind.
23 c) Der Senat kann diese Feststellungen aufgrund eigener Anschauungen und Sachkunde treffen. Denn vorliegend sind Aussagen über
Gegenstände des allgemeinen Bedarfs betroffen (BGH WRP 97, 1062, 1063 = NJW 97, 3376, 3377 – Herstellergarantie; Köhler in Köhler/Piper,
UWG, 2. Aufl., Vor. § 13, 315); zudem handelt es sich bei den in der Werbung verwendeten Begriffen um solche, deren Verständnis in einem
bestimmten Sinne einfach und naheliegend ist (BGH NJW 00, 588 – Last-Minute-Reise). Das Vorliegen dieser Merkmale hat der beweisbelastete
Kläger im Übrigen selbst nicht in Zweifel gezogen. Ungeachtet dessen hat er auch keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Dass der Senat
wie das Landgericht eine eigene Urteilungsfähigkeit für sich in Anspruch nimmt und gleichwohl zu einem anderen Ergebnis gelangt, stellt nicht
zugleich eine Selbstentwertung der eigenen Einschätzungsfähigkeit durch das Gericht dar. Denn der Senat ist – wie ausgeführt – von einer
anderen Rechtsplattform ausgegangen. Sie ist es, die zu einem anderen als dem landgerichtlichen Ergebnis führt.
2.
24 Antrag Ziff. 2 (Gewähren).
25 a) Grundsätzlich ist für das Verbot des tatsächlichen Gewährens der in Rede stehenden Nebenleistung nach § 1 UWG kein Raum, zumal eine §
1 Abs. 1 der früheren ZugabeVO entsprechende Regelung fehlt (OLG Frankfurt GRUR-RR 02, 30, 31; vgl. auch HansOLG Hamburg WRP 96,
314, 321, Berufungsentscheidung zu BGH WRP 98, 727 = GRUR 98, 1037 – Schmuck-Set; die Revisionsentscheidung sagt aber – entgegen der
Bewertung des Beklagten – zum "Gewähren" nichts aus, da das Berufungsgericht den klägerischen Antrag insoweit abgewiesen hat und nur die
dortige Beklagte Revision eingelegt hatte). Das HansOLG Hamburg hat aber das Gewähren nicht als Tatbestandsmöglichkeit des § 1 UWG
generell ausgeschlossen, sondern nur dann, wenn diese Handlung ihrerseits den lauteren Wettbewerb nicht selbst unmittelbar beeinträchtigt
(HansOLG Hamburg a.a.O. 321), wenn ihm neben der Ankündigung mithin selbst kein eigener wettbewerbsrechtlicher Unwertgehalt zukommt.
26 b) Nachdem aber – wie dargelegt – der Ankündigung kein wettbewerbsrechtlicher Verstoßgehalt zukommt, kann auch dem Gewähren als
Perpetuierung eines Anlockeffektes kein weiterreichender Unwertgehalt beigemessen werden, auch dann nicht, wenn man in die Bewertung
einschließt, dass das Geschenk der einen oder anderen Kundin aus einem Gefühl der Dankbarkeit oder des Anstandes heraus Anlass sein
könnte, von dem ihr hinsichtlich der Hauptleistung eingeräumten Rücktrittsrecht keinen Gebrauch zu machen. Denn legt man die nicht als
übertrieben anzusehenden Anlockmechanismen zugrunde, so taugen die damit verbundenen Wirkungszusammenhänge auch nicht, als
übertriebene Sperre für eine Rechtsausübung angesehen zu werden.
II.
27 Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 i.V.m. § 3 ZPO.
III.
28 Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO). Zwar ist der Tatbestand des übertriebenen Anlockens im
Umbruch begriffen, er erfährt jedoch maßgeblich neue Anstöße durch die Literatur, welche weitgehend den Versuch unternimmt, alte
Wertungsstrukturen im neuen rechtlichen Umfeld zu erhalten. Der Senat sieht sich zur jüngsten Rechtsprechung des BGH und etwa auch der des
OLG Frankfurt nicht im Widerspruch. Die vorliegende Entscheidung zeichnet nur die insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
schon angelegten Leitlinien durch konkrete Umsetzung auf den vorliegenden Fall nach. Sollte der BGH dies anders sehen, wird er im Fall einer
Nichtzulassungsbeschwerde die Gelegenheit ergreifen, seine Rechtsprechung weiter auszuformen und zu verdeutlichen.