Urteil des OLG Stuttgart vom 27.11.2013

OLG Stuttgart: psychische störung, sicherungsverwahrung, schutz des lebens, gefahr, neue tatsache, unterbringung, bedingter vorsatz, unbeteiligter dritter, körperliche unversehrtheit

OLG Stuttgart Beschluß vom 27.11.2013, 1 Ws 224/13
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ravensburg gegen den Beschluss des
Landgerichts - Große Strafvollstreckungskammer - Ellwangen vom 25. Oktober 2013 wird als
unbegründet
v e r w o r f e n .
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Verurteilten fallen der
Staatskasse zur Last.
Gründe
1 Die Staatsanwaltschaft Ravensburg wendet sich gegen die mit dem angefochtenen
Beschluss erfolgte Erledigterklärung der nachträglich angeordneten
Sicherungsverwahrung der Verurteilten. Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
2 Die heute 47 Jahre alte Verurteilte trat seit 1991 durch eine Vielzahl von Straftaten,
insbesondere Sachbeschädigungen durch Brandlegung sowie Brandstiftungen und
Gewaltdelikte in Erscheinung und ist mehrfach vorbestraft. U. a. wurde sie am 4.
Dezember 1995 vom Landgericht Ravensburg zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt. Gegenstand dieser Verurteilung waren zwei versuchte schwere
Brandstiftungen, eine versuchte Brandstiftung, 31 Sachbeschädigungen und eine
Nötigung. Nach Vollstreckung von zwei Dritteln dieser Strafe wurde sie im Mai 1997
bewährungsweise aus dem Vollzug entlassen. Bereits seit 13. Juni 1997 beging sie
jedoch weitere, z. T. erhebliche Straftaten, u. a. am 16. Juli 1997 einen versuchten Raub in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zum Nachteil zweier
Schülerinnen. Sie wurde deswegen am 17. Juli 1997 erneut inhaftiert und durch das
Amtsgericht Ravensburg am 2. Oktober 1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und sechs Monaten verurteilt. Am 15. Juli 1999 wurde die Reststrafenvollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt und die Verurteilte freigelassen. Nur zweieinhalb Monate
später, am 27. September 1999, beging sie einen schweren Raub zum Nachteil einer 76-
jährigen Frau, die mit ihrem schwerbehinderten, nahezu blinden und tauben Ehemann
unterwegs war, wobei sie ein Springmesser mit sich führte, sowie am 24. November 1999
einen Handtaschendiebstahl an einer 86-jährigen Passantin, wobei sie eine voll
funktionsfähige, geladenen Gaspistole und ein Springmesser bei sich führte. Schließlich
bedrohte sie am 3. Dezember 1999 eine 65-jährige Fahrradfahrerin mit vorgehaltener
geladener Gaspistole, um diese zu nötigen, ihre Handtasche herauszugeben. U. a. wegen
dieser Taten sowie mittlerweile eingeräumter weiterer früherer Brandlegungen im Zeitraum
von 1991 bis 4. Dezember 1999, bei denen gravierende Sachschäden von über 4
Millionen DM entstanden waren, verurteilte das Landgericht Ravensburg sie am 19. Mai
2000 wegen schwerer Brandstiftung in zwei Fällen und wegen Brandstiftung in vier Fällen
unter Einbeziehung der vier Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Ravensburg
vom 2. Oktober 1997 zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sowie wegen
Brandstiftung, Sachbeschädigung in vier Fällen, Diebstahls mit Waffen, schweren Raubes
sowie wegen Bedrohung zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 10 Monaten.
3 Durch Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 19. Februar 2008 wurde die nachträgliche
Unterbringung der Verurteilten in Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 S.1 i. V. m.
§ 66 Abs. 1 StGB angeordnet. Anlassverurteilung war die Entscheidung des Landgerichts
Ravensburg vom 19. Mai 2000, als Anlasstat wurde der am 27. September 1999
begangene schwere Raub, für den eine Einzelstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten
festgesetzt worden war, herangezogen. Das Landgericht Ravensburg sah in seinem Urteil
vom 19. Februar 2008, anders als noch im Urteil vom 19. Mai 2000, die hohe
Wahrscheinlichkeit, dass die Verurteilte in Freiheit infolge ihrer intensiven Neigung zu
Rechtsbrüchen neue Straftaten in der Art bisheriger Taten begehen werde, also erhebliche
Sachbeschädigungen durch Brandlegungen zur Bestätigung des „Größenselbst“,
Körperverletzungen zur Durchsetzung ihres Autonomieanspruchs, aber auch
Vermögensdelikte unter Inkaufnahme nicht unerheblicher Verletzungen der Opfer; die
Verurteilte habe, so das Landgericht, „aggressiver als früher“ gewirkt. Seine
Gefährlichkeitsprognose stützte das Landgericht - von zwei psychiatrischen
Sachverständigen beraten - u. a. auf die Persönlichkeitsstruktur der Verurteilten, ihre
zahlreichen Vorstrafen, den Umstand, dass die Verurteilte bereits zuvor zweimal nach
vorzeitiger bedingter Entlassung aus der Strafhaft rasch erneut rückfällig geworden und
deshalb erneut inhaftiert worden war, sowie auf ein tief verwurzeltes, kriminelles
Verhaltensmuster der Verurteilten.
4 Als „neue Tatsache“, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit der Verurteilten für die
Allgemeinheit hinweise, wertete das Landgericht Ravensburg das Vollzugsverhalten der
Verurteilten seit dem Jahr 2005, in dem sich eine neue, nunmehr „verhärtete Haltung“
zeigte. Während sie früher zeitweise zu angepasstem Verhalten bereit gewesen war, so
dass sogar bedingte Entlassungen verantwortet werden konnten, sei es im Jahr 2005 zu
einer massiven Verschlechterung des Verhaltens der Verurteilten gekommen. Neben einer
vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil einer Vollzugsbeamtin im Juni 2005 stellte
das Landgericht auf Disziplinarverstöße sowie eine zunehmende gegen das
Vollzugspersonal gerichtete Aufsässigkeit ab. Außerdem wurden in ihrer Zelle vermehrt
verbotene Gegenstände gefunden (abgebrochener Besenstiel, angespitzter Holzstock,
angespitzter Ast, Glasscherbe). Zudem wies die Verurteilte sowohl in der
Justizvollzugsanstalt S. als auch in der Justizvollzugsanstalt Z., in die sie vorübergehend
verlegt worden war, um ihr einen Neuanfang zu ermöglichen, jegliche therapeutischen
Angebote zurück. In der Hauptverhandlung hatte die Verurteilte erklärt, Konsequenzen aus
neuen Straftaten seien ihr gleichgültig; sie bemühe sich zwar, Konflikten aus dem Weg zu
gehen, werde aber letztlich tun, was sie wolle, und ihren Stimmungen nachgeben. Sie
kündigte an, „je nach Stimmung“ wieder straffällig zu werden und Leute zu attackieren, die
ihr „blöd“ kämen. Weiter erklärte sie, sie werde sich nach der Entlassung bewaffnen, ohne
dies allerdings näher zu erläutern. Diese Verhaltensänderung der Verurteilten sei, so das
Landgericht Ravensburg, nicht nur situationsbezogen und vorübergehend, vielmehr habe
sie sich zu einer Grundhaltung verfestigt. Das Landgericht Ravensburg war im Hinblick auf
die bisherige Dauer der völligen Verweigerung, ein sozialverträgliches Verhalten zu
versuchen, überzeugt, dass die Verurteilte diese Grundhaltung auch nach einer möglichen
Entlassung beibehalten werde.
5 Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Verurteilten gegen das Urteil vom 19. Februar
2008 wurde vom Bundesgerichtshof am 28. Mai 2008 durch Beschluss als unbegründet
verworfen.
6 Seit 14. Dezember 1999 befindet sich die Verurteilte nicht mehr in Freiheit. Zunächst war
sie in Untersuchungshaft, anschließend wurden bis 17. April 2008 die Gesamtstrafen aus
dem Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 19. Mai 2000 vollständig vollstreckt. Seit 18.
April 2008 war vorläufig gemäß § 275a Abs. 5 StPO Sicherungsverwahrung angeordnet,
seit 28. Mai 2008 wird die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in
der Justizvollzugsanstalt S. vollzogen. Zuletzt mit Beschluss vom 19. Dezember 2011 hat
die Strafvollstreckungskammer in Verfolgung der Vorgaben der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08, NJW 2011, 1931), mit
welcher wesentliche Teile des Rechts der Sicherungsverwahrung als mit der Verfassung
für unvereinbar erklärt und Übergangsregelungen bis zum 31. Mai 2013 geschaffen
wurden, die Fortdauer der Unterbringung der Verurteilten in der Sicherungsverwahrung
wegen Vorliegens einer psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG in
Gestalt einer kombinierten Persönlichkeitsstörung angeordnet. Die Anordnung wurde am
28. Dezember 2011 rechtskräftig.
7 Seither hat sich das Verhalten der Verurteilten nicht wesentlich verändert. Von der
Vollzugsanstalt wird sie als gemeinschaftsunfähig bewertet, es bestand Einzelhaft nach §
89 StVollzG mit einer Reihe weiterer Sicherungsmaßnahmen; seit dem 14. Juni 2013 ist
die Verurteilte in eigens für sie eingerichtete Appartementräume inklusiven Nasszelle,
Küche und Sanitärraum untergebracht, um dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot
Genüge zu tun. Sämtlichen Angeboten der Vollzugsanstalt verweigert sich die Verurteilte.
Gesprächsofferten des Sozialdienstes, des psychologischen Dienstes und des
medizinischen Dienstes schlägt sie aus. Das Angebot von Entspannungsübungen in Form
von „Qi Gong“ lehnte sie ab, stattdessen sucht sie Entspannung regelmäßig, indem sie
gegen ihr Zelleninventar oder die Haftraumtüre schlägt. Am 15. Juni 2009 versuchte sie
nach dem Öffnen der Zellentüre, einer Beamtin den Schlüssel abzunehmen, was ihr
jedoch nicht gelang. Hierbei äußerte sie, sie wolle „raus“ und drohte „zuzustechen“. Bei
einer am nächsten Tag erfolgten Zellendurchsuchung wurde eine 6,3 cm lange
Glasscherbe gefunden. Bei einer Kontrolle am 5. März 2010 fasste die Verurteilte durch
die geöffnete Essensklappe, packte die kontrollierende Beamtin am Kragen und forderte
sie auf, die Türe zu öffnen. Seither ist angeordnet, dass selbst die Öffnung der
Essensklappe nur im Beisein von zwei Bediensteten erfolgen darf. Diese Vorfälle räumte
die Verurteilte im Rahmen einer Anhörung am 17. Mai 2010 vor der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ellwangen ein. Sie habe eben „eine andere
Sichtweise auf die Dinge“; sie regele Dinge „eher auf körperlicher Ebene statt auf verbaler
Ebene“. Gesprächsangebote nehme sie nicht in Anspruch, sie wisse nicht, worüber sie mit
dem Sozialdienst, dem psychologischen Dienst oder dem medizinischen Dienst reden
solle. Diese Verweigerungshaltung dauert bis heute an: Gespräche mit der Mitarbeiterin
des Sozialen Dienstes sind im wesentlichen die einzigen tiefergehenden Kontakte zu
Mitmenschen, die Verurteilte lehnt es hierbei aber ab, über ihre psychische Verfassung zu
reden, von Therapieansätzen ganz zu schweigen.
8 Den Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 23. Mai 2012 über die Umstatuierung
der Verurteilten in ein psychiatrisches Krankenhaus nach § 67a Abs. 1, Abs. 2 StGB hob
der Senat mit Beschluss vom 9. November 2012 auf die Beschwerden der
Staatsanwaltschaft und der Verurteilten auf.
9 Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Große Strafvollstreckungskammer die
nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung mit sofortiger Wirkung,
frühestens jedoch ab Rechtskraft der Entscheidung, für erledigt erklärt, da sie nach
neuerlicher Begutachtung der Verurteilten die verschärften Voraussetzungen für die
Aufrechterhaltung der Sicherungsverwahrung in der Form des Art. 316f Abs. 2 Satz 2
EGStGB in ihrer Person nicht mehr als gegeben ansieht. Hiergegen wendet sich die
Staatsanwaltschaft Ravensburg mit ihrer sofortigen Beschwerde.
II.
10 Dem zulässigen Rechtsmittel bleibt der Erfolg aus den weitestgehend zutreffenden
Ausführungen des angefochtenen Beschlusses versagt.
11 Die Strafvollstreckungskammer geht zu Recht davon aus, dass sich die Entscheidung der
Fortdauer der nachträglich angeordneten Unterbringung der Verurteilten in der
Sicherungsverwahrung nach Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB richtet. Als sogenannter
„Altfall“ ist er dabei nach dem Willen des Gesetzgebers nach dem Maßstab zu beurteilen,
den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 (aaO)
angelegt hat, um den Vorgaben des EGMR an die Sicherungsverwahrung Rechnung zu
tragen. Obschon das Bundesverfassungsgericht die Weitergeltungsanordnung der Norm
des § 66b Abs. 1 StGB unter Beachtung strikter Verhältnismäßigkeit bis zum 31. Mai 2013
befristet hat, soll die modifizierte Fortgeltung der Regelung in Gestalt der genannten
Rechtsprechung so über die vom Bundesverfassungsgericht abgesteckte Übergangszeit
hinaus weiterhin einen angemessenen Schutz der Allgemeinheit vor weiterhin
hochgefährlichen Straftätern bieten (BT-Drs 17/9874, S. 32). Art. 316f Abs. 2 Satz 2
EGStGB in der Fassung vom 05.12.2012 lautet:
12 Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen
Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer
einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn
beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in
seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er
infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.
13 Der Gesetzgeber will dabei den Begriff der psychischen Störung so verstanden wissen
wie in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG und verlangt über die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hinausgehend eine Kausalität zwischen der Störung und der
hochgradigen Gefahr (BT-Drs 17/9874, S. 31). Demnach muss eine psychische Störung
vorliegen, die zumindest mitursächlich für die Gefährlichkeit des Verurteilten ist, wobei
sich letztere in einer hochgradigen Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- und
Sexualstraftaten manifestieren muss (BVerfG, Beschluss vom 11.07.2013 - 2 BvR 2302/11
-, Rdnr. 69 bei ; BGH, NJW 2013, 2295).
14 1. Ohne dass der Begriff der psychischen Störung sich mit den Eingangsmerkmalen der §§
20, 21 StGB deckt, werden die hier typischerweise vorkommenden Psychopathologien,
die eine Störung der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz oder der Impuls-
und Triebkontrolle beinhalten, idR auch den unbestimmten Rechtsbegriff der „psychischen
Störung“ iSd § 1 Abs. 1 Satz 1 ThUG erfüllen, der im Grundsatz weiter ist, da eine
Beeinflussung der Schuldfähigkeit gerade nicht vorausgesetzt wird (BGHSt 56, 248). Die
bei der Verurteilten schlüssig und nachvollziehbar diagnostizierte kombinierte
Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F61.0), die sowohl Züge einer dissozialen als auch einer
emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung aufweist, unterfällt wie etwa die rein
dissoziale Persönlichkeitsstörung (vgl. dazu BGHSt 56, 254) dieser Kategorie. Ohne
Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Konstrukt der „Psychopathie“ nach Hare,
welches - wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat - im deutschen
Psychiatriebereich nicht als Diagnose, sondern lediglich als klinisches
Prognoseinstrument Anwendung findet (Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl.,
S. 224ff).
15 Fehl geht indes die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, dass Ausführungen des
Sachverständigen zum Schweregrad des Krankheitsbildes obsolet seien (vgl. Ziff. IV. 2. c)
auf S. 17 des Beschlusses). Dieses Missverständnis beruht offenkundig darauf, dass die
Strafvollstreckungskammer dieses Kriterium alleine unter dem Gesichtspunkt des
Vorliegens von Auswirkungen der Psychopathologie auf die Schuldfähigkeit in Bedacht
nimmt, wofür der Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung iSd §§ 20, 21 StGB
erreicht sein muss. Dies verkennt, dass - ungeachtet der Frage strafrechtlicher
Verantwortlichkeit - auch eine nach den herkömmlichen psychiatrischen
Kategorisierungen anhand von Manualen (ICD-10, DSM-IV) diagnostizierte
Persönlichkeitsstörung nicht per se als psychische Störung iSd § 1 Abs. 1 Satz 1 ThUG zu
betrachten ist. Vielmehr kommt es auch beim Vorliegen etwa einer Persönlichkeitsstörung
entscheidend auf den Grad der objektiven Beeinträchtigung der Lebensführung des
Verurteilten in sozialer und ethischer Hinsicht an, den die Strafvollstreckungskammer
anhand des gesamten - auch des strafrechtlich relevanten - Verhaltens des Betroffenen zu
bestimmen hat (BVerfG, Beschluss vom 07.05.2013 - 2 BvR 1238/12 -, Rdnr. 16 bei
, zur dissozialen Persönlichkeitsstörung).
16 Dass sich der angefochtene Beschluss zu dieser Frage rechtsirrig nicht verhält, führt indes
nicht zu seiner Aufhebung, da der Senat die Rechtsfrage aufgrund der wiederholten
Befassung in der Sache selbst beantworten kann. Bereits in seiner Entscheidung vom 9.
November 2012, mit welcher die von der Strafvollstreckungskammer angeordnete
Umstatuierung der Verurteilten aufgehoben wurde (1 Ws 97/12), hat der Senat dazu
ausgeführt:
17 „Das Verhalten der Verurteilten im Vollzug, wo sie seit langem vereinzelt untergebracht
und nur mit erhöhten Sicherungsmaßnahmen im Gebäude bewegt wird, sowie ihr
impulsives Verhalten gegenüber den Sachverständigen führt auch den Senat zu der
Überzeugung, dass die Dissozialität, die durch ihre vielfältigen Vorverurteilungen zum
Ausdruck kommt, gerade auf der fehlenden Impulskontrolle und mithin auf der emotional-
instabilen Störung fußt, die Verurteilte maßgeblich bestimmt. Sie macht ihr ein Leben, wie
es eine gesunde Person führt, unmöglich und ist offenkundig von einem solchen
Schweregrad, dass die Verurteilte selbst hierunter leidet. Anders können die
autoaggressiven Verhaltensweisen der Verurteilten nicht gedeutet werden.“
18 Nach den Feststellungen des nunmehr von der Strafvollstreckungskammer beauftragten
Sachverständigen zu dem seitherigen Verlauf der Vollstreckung hat sich hieran nichts
geändert. Dabei kommt dem „Leiden“ iSd Ausführungen des Senats nicht die Bedeutung
zu, dass ein subjektiv empfundener Leidensdruck zu fordern wäre (BVerfG, Beschluss
vom 11.07.2013 - 2 BvR 2302/11 -, Rdnr. 119f bei ).
19 2. Zu Recht geht die Strafvollstreckungskammer nach den schlüssigen und
nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen auch davon aus, dass bei der
Verurteilten eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Sexual- und
Gewaltstraftaten nicht vorliegt.
20 Dabei ist Prüfungsmaßstab alleine, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (BVerfG,
Beschluss vom 07.05.2013 - 2 BvR 1238/12 -, Rdnr. 23 bei ) und selbst im Fall der
denkbar schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten der jeweiligen Deliktskategorie
zumindest eine signifikante Eintrittswahrscheinlichkeit besteht (BVerfG, Beschluss vom
11.07.2013 - 2 BvR 2302/11 -, Rdnr. 137 bei ). Delikte unterhalb dieser Schwelle
haben demgegenüber bei der Prognosebeurteilung außer Betracht zu bleiben (BVerfG,
aaO).
21 a) Nach Maßgabe dieses Prüfungsmaßstabes hat die Strafvollstreckungskammer die
Gefahr der Begehung einfacher Körperverletzungen zu Recht außer Betracht gelassen.
Diese erfüllen nicht einmal den Begriff der schweren Gewaltstraftaten (BGH, Urteil vom
13.03.2012 - 5 StR 497/11 -, Rdnr. 11f bei ). Hierbei ist zwar zu sehen, dass die
Verurteilte den Einsatz von gefährlichen Werkzeugen gegenüber Justizvollzugspersonal
gelegentlich angedroht, solche aber nie eingesetzt hat, obschon sie solche regelmäßig in
ihrer Zelle verborgen hatte und sie ihr damit zur Verfügung standen. Gleichwohl hat sie
diese nicht zur Verletzung benutzt, sodass der geforderte Schweregrad nicht erreicht ist.
22 b) Letzteres gilt auch für die von der Verurteilten nach den Ausführungen des
Sachverständigen weiter zu befürchtenden schweren Raubtaten. Obschon die Verurteilte
bei diesen Delikten jeweils Waffen oder gefährliche Werkzeuge in Gestalt von
Springmessern oder geladenen Gaspistolen bei sich führte und in einem Fall dem Opfer
die Gaspistole auch vorhielt und sie damit im Rechtssinne auch (als Drohungsmittel)
verwendete, hat sie sie bislang auch in diesen Situationen trotz des Widerstands einzelner
Opfer nie als Verletzungswerkzeug eingesetzt. Nach dem beschriebenen
Prüfungsmaßstab muss aber eine signifikante Eintrittswahrscheinlichkeit für die Begehung
eines schweren Raubes jedenfalls iSd § 250 Abs. 1 Nr. c) oder Abs. 2 Nr. 3 StGB
vorliegen, bei welchem der Täter eine andere Person schwer misshandelt oder zumindest
in die Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt. Dem Sachverständigen
folgend hat die Strafvollstreckungskammer diese Gefahr aufgrund der bisherigen
Delinquenz der Verurteilten nachvollziehbar nicht als hochgradig angesehen.
23 c) Gleiches gilt für den Ausschluss einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der
Begehung schwerer oder besonders schwerer Brandstiftungen durch die Verurteilte.
Obschon das Vertrauen der Strafvollstreckungskammer in eine Äußerung der Verurteilten
anlässlich eines Explorationsgesprächs im Jahre 2008, sie werde in Zukunft „mit 99-
prozentiger Wahrscheinlichkeit“ keine Brandlegungen mehr begehen, angesichts der
Ausführungen des Sachverständigen, diese Delikte seien zur Ableitung von inneren
Konflikten und Spannungen begangen worden, deren Auftreten er nach der
Haftentlassung vermehrt erwarte, wenig tragfähig ist, geht die Strafvollstreckungskammer
mit dem Sachverständigen im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die Begehung
schwerster Brandstiftungsdelikte nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten
ist.
24 Dass einfache Brandstiftungsdelikte iSd § 306 StGB die Schwelle der schwersten
Gewaltkriminalität nicht erreichen, rührt schon aus ihrer Eigenschaft als Eigentumsdelikt
her (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 306 RN 1 mwN). Bereits vor der Erklärung der
(nachträglichen) Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig hat das
Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass deren Zweck nicht die Sühne begangenen
Unrechts sei, sondern der Schutz der Allgemeinheit vor gemeingefährlichen Tätern. Auch
meinte es damals, die Regelung verstoße nicht gegen das rechtsstaatliche
Vertrauensschutzgebot im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG. Im Rahmen einer
Güterrechtsabwägung maß es hierbei dem Interesse der Allgemeinheit am Schutz vor
solchen Verurteilten, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen schwere
Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle
Selbstbestimmung Anderer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, eine
überragende Bedeutung bei, hinter dem das Freiheitsrecht des Verurteilten zurücktreten
müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.08.2006 - 2 BvR 226/06 -, NStZ 2007, 87; Rdnr 16 bei
). Diese Auffassung steht auch in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des
EGMR, dass Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK die Staaten nicht nur dazu verpflichtet,
vorsätzliches und rechtswidriges Töten selbst zu unterlassen, sondern auch dazu,
notwendige Maßnahmen zum Schutz des Lebens der Personen zu treffen, die seiner
Hoheitsgewalt unterstehen. Unter genau umschriebenen Umständen könne hierbei auch
die Verpflichtung bestehen, vorbeugende Maßnahmen zu treffen, um Personen zu
schützen, deren Leben durch Straftaten bedroht sind (EGMR, Urteil vom 24.10.2002 -
37703/97 -, „Mastromatteo./.Italien“, NJW 2003, 3259). Als zu schützendes „höchstes
Rechtsgut“ kommt danach das Eigentum nicht in Betracht, selbst wenn die Sachschäden
gravierend sind. Danach vermag die Gefahr der Begehung bloßer Eigentumsdelikte die
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht zu rechtfertigen.
25 Dem Sachverständigen weiter folgend hat die Strafvollstreckungskammer die hochgradige
Gefahr der Begehung schwerer oder besonders schwerer Brandstiftungen
ausgeschlossen. Sie hat hierbei zu Recht angenommen, dass diese Delikte als schwerste
Gewaltdelikte zu betrachten sind, da in diesen Fällen zumindest abstrakt die Gefährdung
der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens von Menschen droht. Eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit solcher Delikte sieht nach der bisherigen Delinquenz der Verurteilten
auch der Senat nicht. Die Strafvollstreckungskammer hat dabei durchaus bedacht, dass
die Verurteilte zwar auch wegen versuchter schwerer Brandstiftung in zwei Fällen
verurteilt wurde, bei denen sie an Wohngebäuden aufgeschichtete Gegenstände in Brand
setzte, sodass jeweils ein Übergreifen des Feuers auf die Wohngebäude erfolgte, was sie
beabsichtigte. Mit tragfähiger Begründung legt die Strafvollstreckungskammer aber dar,
dass das Ausmaß der abstrakten Gefährlichkeit der Brandlegungen in der Folgezeit
nachgelassen hat, da bei der letzten Brandlegungsserie in den Jahren 1994/1995 zwar
wiederum auch versuchte schwere Brandstiftungen abgeurteilt wurden, die Verurteilte
hierbei jedoch „lediglich“ Fahrzeuge oder Mülltonnen anzündete, die in solcher Nähe zu
Gebäuden abgestellt waren, dass die Gefahr eines Übergreifens des Feuers auf
Wohngebäude bestand und nur bedingter Vorsatz hinsichtlich des Übergreifens
angenommen wurde. Schließlich legt auch der Sachverständige schlüssig dar, dass das
Wiederholungsrisiko „unter 50%“ liege und damit hoch, aber nicht sehr hoch sei. Zwar
kann der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht an einer festen Prozentgrenze
festgemacht werden, vielmehr muss das Gewicht der prognostizierten Delikte in die
Betrachtung mit einbezogen werden (BVerfG, Beschluss vom 11.07.2013 - 2 BvR 2302/11
-, Rdnr. 137 bei ). Indes gründet der Sachverständige seine Überzeugung gerade
auch darauf, dass es der Verurteilten angesichts des bisherigen Delinquenzverlaufs bei
den Brandlegungen ersichtlich nicht um die Gefährdung oder Verletzung von Menschen
gegangen sei. Dies ist vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass die Verurteilte
jedenfalls bei einer Tat am 28. April 1995 selbst die Bewohner des bedrohten Gebäudes
vor dem Übergreifen des Feuers durch Klingeln warnte. Eine signifikante
Eintrittswahrscheinlichkeit schwerer oder besonders schwerer Brandstiftungen vermag
deshalb auch der Senat nicht zu erkennen.
26 3. Allem nach hat die Strafvollstreckungskammer die nachträgliche Anordnung der
Unterbringung der Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz
4 EGStGB zu Recht für erledigt erklärt und unternimmt die gebotenen Anstrengungen, den
erkannten Gefahren durch einen geeigneten Maßnahmenkatalog an Weisungen und
Auflagen im Rahmen der Führungsaufsicht zu begegnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom
07.05.2013 - 2 BvR 1238/12 -, Rdnr. 27 bei ). Mehr kann bei der gegebenen
Rechtslage im vorliegenden Falle nicht getan werden, um den gebotenen Schutz der
körperlichen Unversehrtheit unbeteiligter Dritter (s.o. S. 11), die jederzeit Opfer der
Verurteilten werden können, im Rahmen der engen Grenzen, die Verfassung und
Menschenrechtskonvention zur Durchsetzung des Freiheitsgrundrechts auch erkennbar
mittelgradig gefährlicher Täter ziehen, einigermaßen zu gewährleisten.
III.
27 Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.