Urteil des OLG Stuttgart vom 27.09.2007

OLG Stuttgart (kläger, versicherungsnehmer, rückkaufswert, klausel, verrechnung, kündigung, agb, vertragsschluss, lebensversicherung, unwirksamkeit)

OLG Stuttgart Urteil vom 27.9.2007, 7 U 64/07
Lebensversicherung: Heilung eines Transparenzmangels von AVB über den Rückkaufswert durch
Übergabe eines Versicherungsverlaufs
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart
vom 23.02.2007 - 16 O 518/06 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 6.000,00 EUR
Gründe
A
1
Der Kläger hatte bei der Beklagten seit 01.10.1998 eine Kapitallebensversicherung unterhalten. Nachdem er ab
Mai 2001 mit den Versicherungsbeiträgen in Rückstand geraten war, hat die Beklagte den Vertrag gekündigt
und darauf hingewiesen, dass aufgrund der kurzen Versicherungsdauer sich kein Rückkaufswert ergeben habe.
Im Wege einer Stufenklage begehrt der Kläger Auskunft über den Rückkaufswert der Lebensversicherung und
Auszahlung des entsprechenden Betrags.
2
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
4
Dagegen wendet sich der Kläger unter Vertiefung und Erweiterung seines Vorbringens, insbesondere in
rechtlicher Hinsicht, mit dem Rechtsmittel der Berufung.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und
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1. die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Rückkaufswert der mit dem Kläger geschlossenen
Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer ... vom 01.10.1998 zum Stichtag 31.08.2001 zu
erteilen;
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2. die Angaben aus Ziffer 1 an Eides statt zu versichern;
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3. die sich aus der Neuberechnung aus Ziffer 1 ergebenden Ansprüche sowie 208,08 Euro
vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten an den Kläger zu bezahlen;
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hilfsweise,
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die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Rückkaufswert der mit dem Kläger geschlossenen
Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer ... vom 01.10.1998 zum Stichtag 31.08.2001 auf
der Basis eines Mindestbetrages in Höhe der Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der
Prämienkalkulation der Beklagten berechneten ungezillmerten Deckungskapitals zu erteilen.
12 Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
B
13 Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
14 Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger aus dem zwischen den Parteien
geschlossenen und von der Beklagten wegen Zahlungsrückstands gekündigten Versicherungsvertrag kein
Anspruch auf Auszahlung eines Rückkaufswerts zusteht. Dem Kläger steht deshalb weder ein
Auskunftsanspruch noch ein Anspruch auf Neuberechnung des Rückkaufswerts zu.
15 1. Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass die den Rückkaufswert im Falle einer vorzeitigen
Vertragsbeendigung regelnden Klauseln in den von der Beklagten verwandten Allgemeinen
Versicherungsbedingungen - §§ 6 Abs. 3, 16 - nicht dem Transparenzgebot im Sinne von § 9 Abs. 1 AGB-
Gesetz bzw. § 307 Abs. 1 BGB entsprechen. Die von der Beklagten verwandten Klauseln sind nahezu
wortgleich mit denjenigen, die der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen vom 09.05.2001 beanstandet hat
(IV ZR 138/99, BGHZ 147, 373 = NJW 2001, 2012; IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 = NJW 2001, 2014; nunmehr
für die von der Beklagten verwandten Klauseln explizit: BGH, Urteil vom 18.07.2007 - IV ZR 258/03). In diesen
Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof Klauseln wegen Intransparenz für unwirksam erklärt, die die
Beitragsfreistellung, die Kündigung, den Rückkaufswert und die Abschlusskosten betreffen, weil sie dem
Versicherungsnehmer die wirtschaftlichen Nachteile nicht vor Augen führten, die durch die Verrechnung
insbesondere der Abschlussprovisionen nicht anteilig auf die gesamte Laufzeit des Vertrages, sondern auf die
ersten drei bis fünf Jahre entstehen. Die Konsequenzen dieses sog. Zillmerungsverfahrens müssten dem
Versicherungsnehmer deutlich gemacht werden. Er müsse bei Vertragsschluss wissen, welche wirtschaftlichen
Nachteile ihm bei Kündigung des Vertrages drohten.
16
a) Wie in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen wurde auch im vorliegenden Fall in einer
Tabelle auf Rückkaufswerte und beitragsfreie Versicherungssummen hingewiesen. Diese Tabelle
(Garantiewertetabelle, enthalten in der Anl. B 5) informierte gerade nicht darüber, dass in den ersten drei
Jahren nach Vertragsschluss überhaupt kein Rückkaufswert entsteht. Über derartige Folgen muss der
Versicherungsnehmer - so der Bundesgerichtshof - bei Vertragsschluss an der Stelle der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen in Grundzügen unterrichtet werden, an der die Regelung der Kündigung und der
Beitragsfreistellung angesprochen wird. Hinweise an anderer Stelle - wie z.B. hier in § 16 der
Versicherungsbedingungen - beheben den Mangel an Transparenz in § 6 Abs. 3 nicht.
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b) Weiter hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass auch Regelungen wie § 16 der vorliegend verwandten
Allgemeinen Versicherungsbedingungen den Anforderungen des Transparenzgebots nicht genügen. Der
erste Satz der Klausel, dass die mit dem Abschluss der Versicherung verbundenen Kosten nicht gesondert
in Rechnung gestellt werden, verstehe der Versicherungsnehmer als ihm günstig. Umso mehr müsse dem
Versicherungsnehmer an derselben Stelle in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verdeutlicht
werden, dass die nachfolgenden Regelungen der Verrechnung für ihn einen erheblichen wirtschaftlichen
Nachteil für den Fall bedeuten, dass er von seinem gesetzlichen Recht (§§ 176, 174 VVG) Gebrauch
mache, den Vertrag in den ersten Jahren zu kündigen oder beitragsfrei zu stellen. Der wirtschaftliche
Nachteil eines erheblichen Verlustes seiner eingezahlten Prämien werde dem Versicherungsnehmer mit der
im zweiten Satz der Klausel beschriebenen Regelung nicht hinreichend verdeutlicht. Zwar könne eine
Tabelle zur Darstellung der wirtschaftlichen Folgen hilfreich sein, wenn sie garantierte Rückkaufswerte so
darstelle, dass der Versicherungsnehmer leicht erkennen könne, in welcher Weise das Anwachsen des
Kapitals durch die Verrechnung mit den Abschlusskosten belastet werde. Die notwendige
Durchschaubarkeit für den Versicherungsnehmer werde aber erst dann erreicht, wenn in der Klausel auf die
Tabelle hingewiesen werde und im Wortlaut der Klausel im Ansatz auf die wirtschaftlichen Folgen der
Verrechnung deutlich genug aufmerksam gemacht werde.
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c) Zu den Konsequenzen der Unwirksamkeit der Klauseln hat der Bundesgerichtshof in einem weiteren
Urteil vom 12.10.2005 (IV ZR 162/03, NJW 2005, 3559, 3565) Stellung genommen (nunmehr auch im Urteil
vom 18.07.2007 a.a.O.). Die aufgrund der Unwirksamkeit der Klauseln entstandene Regelungslücke ist
nach den Maßstäben der § 6 Abs. 2 AGB-Gesetz bzw. § 306 Abs. 2 BGB in der Weise zu schließen, dass
es grundsätzlich bei der Verrechnung der geleisteten, einmaligen Abschlusskosten nach dem
Zillmerungsverfahren bleibe. Für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung dürfe der
vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts aber einen
Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser Mindestbetrag werde bestimmt durch die Hälfte des nach den
Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals.
19 2. Die letztgenannte Konsequenz ist im vorliegenden Fall jedoch nicht eingetreten. Die Intransparenz der
Klauseln wurde durch eine individuelle Aufklärung des Klägers geheilt. Grundsätzlich kann das auf einer
unklaren Klausel beruhende Informationsdefizit durch eine geeignete individuelle Aufklärung vor oder bei
Vertragsschluss behoben werden (vgl. Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 307 Rn. 346
m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der Gedanke, dass Umstände des Vertragsschlusses in die Beurteilung
einzubeziehen sind, ob eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 oder 2 BGB vorliegt, hat in §
310 Abs. 3 Nr. 3 BGB nunmehr auch Eingang in die gesetzliche Neuregelung des AGB-Rechts im Rahmen der
Schuldrechtsreform gefunden. Soweit die Beseitigung einer (auch) auf die Vertragsabwicklung bezogenen
Intransparenz in Frage steht, sind klare schriftliche Zusatzinformationen erforderlich, die dem Vertragspartner
auch noch im Falle eines später auftretenden Konflikts verfügbar sind (Fuchs a.a.O.). So kann nach Ansicht
des Bundesgerichtshofs (NJW 1992, 1097, 1099) eine für sich gesehen intransparente Zinsberechnungsklausel
dann unbeanstandet bleiben, wenn zugleich der Effektivzins zutreffend angegeben wird.
20 Im vorliegenden Fall ist eine Heilung der Intransparenz deshalb anzunehmen, weil dem Kläger bei
Antragstellung ein Versicherungsverlauf vorgelegt wurde, dem die Rückkaufswerte für sämtliche
Versicherungsjahre zu entnehmen sind. Der Tabelle (Anl. B 2) ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen,
dass in den ersten vier Versicherungsjahren nahezu kein Rückkaufswert zu erwarten ist. Dadurch wird das
durch die beanstandeten Klauseln und durch die dem Versicherungsschein beigefügte Garantiewertetabelle
entstandene Informationsdefizit in Bezug auf die durch die Konsequenzen des Zillmerungsverfahrens
entstandenen wirtschaftlichen Nachteile bei frühzeitiger Kündigung ausgeglichen (vgl. auch Römer/Langheid,
VVG, 2. Aufl., § 176 Rn. 11). Die Kenntnisnahme des Versicherungsverlaufs hat der Kläger durch Unterschrift
bestätigt.
21 Einer Heilung der Intransparenz steht entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht entgegen, dass in den
Versicherungsbedingungen nicht auf den Versicherungsverlauf (Anl. B 2) hingewiesen worden ist. Zu Recht
weist die Beklagtenseite in diesem Zusammenhang darauf hin, dass durch diese Argumentation die Gründe,
von denen sich der Bundesgerichtshof bei isolierter Beurteilung der Intransparenz der
Versicherungsbedingungen hat leiten lassen, in unzulässiger Weise mit der Frage vermischt werden, ob eine
Heilung der Intransparenz durch eine Zusatzinformation vorliegt. Der Versicherungsverlauf wurde für den Kläger
individuell als Zusatzinformation erstellt und ist nicht Teil des Antragsformulars oder der
Versicherungsbedingungen.
22 Hinzu kommt, dass der Kläger auf die genannten wirtschaftlichen Nachteile zusätzlich auf der Rückseite des
Antragsformulars (Rubrik „Höhe des Rückkaufswerts“: „Deshalb fällt bei Kündigung dieser Versicherungen in
den ersten Jahren kein oder nur ein niedriger Rückkaufswert an“) und der dem Versicherungsschein
beigefügten „Erläuterung der Garantiewerte“ hingewiesen wurde. Ein zusätzlicher Hinweis durch den
Versicherungsmakler oder den Versicherungsagenten in einem persönlichen Gespräch ist zur Heilung der
Intransparenz nicht erforderlich. Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen,
dass nicht zu erkennen sei, welche über die im vorliegenden Fall ohnehin notwendige schriftliche Aufklärung
hinaus dadurch hätte geleistet werden können.
23 3. Schließlich sind die oben genannten Klauseln nicht wegen materieller Unwirksamkeit, etwa wegen
unangemessener Benachteiligung der Versicherungsnehmer im Sinne von § 9 AGB-Gesetz, § 307 BGB zu
beanstanden. Die in der Klausel geregelte Verrechnung der Abschlusskosten mit den Beiträgen bei Beginn der
Vertragslaufzeit weicht nicht von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung in
unangemessener Weise ab. Darauf stellt der Bundesgerichtshof sowohl in der Ausgangsentscheidung vom
09.05.2001 (NJW 2001, 2014) als auch in der Folgeentscheidung vom 12.10.2005 (NJW 2005, 3559) ab (vgl.
dazu auch Römer/Langheid a.a.O., § 176 Rn. 10; Elfring NJW 2005, 3677). In der letztgenannten Entscheidung
hat der Bundesgerichtshof die im Treuhänderverfahren durchgeführte Ersetzung der durch die Urteile vom
09.05.2001 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärten Klauseln durch
inhaltsgleiche Bestimmungen für unwirksam erklärt. Der Bundesgerichtshof hat beanstandet, dass bei der
inhaltsgleichen Ersetzung der Klausel der Nachteil Bestand hätte, obwohl der Vertrag durch den
Transparenzmangel unter Verdeckung gerade desselben Nachteils zu Stande gekommen sei. Der Eingriff in die
Entschließungs- und Auswahlfreiheit bleibe unbeseitigt und bestünde - bei Einstellung der Prämienzahlungen -
in seinen Auswirkungen fort. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass die wegen Intransparenz unwirksame
Klausel mit den verdeckten Nachteilen für den Versicherungsnehmer letztlich doch verbindlich bliebe.
24 Wird der Transparenzmangel - wie hier - anderweitig geheilt, stellt sich die Frage der Perpetuierung des
Nachteils gerade nicht.
II.
25 Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die grundsätzlichen Rechtsfragen, ob die für die
Ermittlung des Rückkaufswerts relevanten Bestimmungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen wirksam
sind sowie die Konsequenzen einer Unwirksamkeit der Klauseln sind höchstrichterlich geklärt. Die Frage, ob
die Intransparenz einer Klausel ausnahmsweise geheilt werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls und obliegt
in erster Linie tatrichterlicher Würdigung.
III.
26 Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.