Urteil des OLG Stuttgart vom 03.08.2010

OLG Stuttgart: vergleich, vollstreckungstitel, gegenpartei, ermessen, anwaltskosten, unfall, rechtsberatung, gerichtsgebühr, abgeltung, verfügung

OLG Stuttgart Beschluß vom 3.8.2010, 8 W 337/10
Kostenfestsetzung: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei ausdrücklicher Titulierung einer vorprozessualen
Kostenpauschale in einem Prozessvergleich
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Ravensburg vom 26.
Mai 2010, Az. 4 O 341/09,
abgeändert:
Aufgrund des rechtswirksamen Vergleichs des Landgerichts Ravensburg vom 6. Mai 2010, Az. 4 O 341/09, sind von den Beklagten als
Gesamtschuldner an den Kläger an Kosten zu erstatten:
764,98 EUR
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 19. Mai 2010.
2. Der Kostenfestsetzungsantrag des Klägers und die sofortige Beschwerde der Beklagten werden im übrigen
zurückgewiesen.
3. Die Beklagten tragen die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Die Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt. Von den außergerichtlichen
Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 23,5 % und der Kläger 76,5 %.
Beschwerdewert: 333,12 EUR
Gründe
1.
1
Im Hauptsacheverfahren haben die Parteien am 6. Mai 2010 einen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen, in dem sie vereinbarten:
2
"1. Die Beklagten verpflichten sich als Gesamtschuldner, zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche des Klägers aus dem Unfall... über die bereits
bezahlten 10.000 EUR hinaus zu bezahlen:
3
a) an den Kläger 12.774,03 EUR;
b) an den Sachverständigen...;
c) an den Kläger auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten 1.000 EUR.
4
2. die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3."
5
Mit der Klage waren außergerichtliche Anwaltskosten aus dem ursprünglichen Gegenstandswert von 26.471,02 EUR eingeklagt worden.
6
In der Kostenfestsetzung nahm die Rechtspflegerin eine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht vor.
Mit Beschluss vom 26. Mai 2010 wurde demgemäß ein Erstattungsbetrag zu Gunsten des Klägers von 1.019,92 EUR festgesetzt.
7
Gegen die am 28. Mai 2010 zugestellte Entscheidung haben die Beklagten am 11./14. Juni 2010 sofortige Beschwerde eingelegt, deren
Zurückweisung die Gegenpartei beantragt hat. Im Streit ist die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, wobei die Beklagten
ihre Beschwer darin sehen, dass statt einer 0,65-Verfahrensgebühr eine solche von 1,3 berücksichtigt wurde. Hieraus errechnet sich eine
Differenz von 333,12 EUR, um die sich die Beklagten "verbessern" wollen.
8
Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
2.
9
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RpflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO zulässig und hat auch in der
Sache teilweise Erfolg.
10 Anders als in den vom Senat am 18. März 2010, Az. 8 W 132/10 (in juris), sowie am 10. Februar 2010, Az. 8 W 73/10, und am 18. Februar 2010 ,
Az. 8 W 70/10, entschiedenen Fällen ist hier bei der Frage der Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die
gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 RVG-VV davon auszugehen, dass eine Titulierung der
Geschäftsgebühr vorliegt (§ 15a Abs. 2 RVG). Denn der Vergleich enthält eine ausdrückliche Zahlungspflicht in Höhe von 1.000 EUR auf die
außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers. Insoweit besteht ein Vollstreckungstitel gegen die Beklagten als Dritte i.S.d. § 15a Abs. 2,
Alt. 2 RVG mit der Folge, dass sich diese auf die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 RVG-VV berufen können.
11 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit niedriger war als der der vorgerichtlichen (gerichtlich:
16.471,02 EUR; vorgerichtlich: 26.471,02 EUR; - bezüglich der Klageerhöhung war eine vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht
entfaltet worden -), und dass eine Titulierung der Geschäftsgebühr in dem Prozessvergleich lediglich in Höhe von 1.000 EUR erfolgte.
12 Die vorgerichtliche 1,3-Geschäftsgebühr belief sich danach auf 985,50 EUR netto und einschließlich Auslagenpauschale auf 1.196,43 EUR
brutto, die gerichtliche 1,3-Verfahrensgebühr lediglich auf 787,80 EUR netto und einschließlich Auslagenpauschale auf 961,28 EUR brutto, so
dass nur die Hälfte hiervon, also 480,64 EUR zur Anrechnung kommen könnten (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, Vorb. 3
RVG-VV Rn. 205; Onderka/N. Schneider in Schneider/Wolf, Anwaltkommentar RVG, 5. Aufl. 2010, Vorb. 3 RVG-VV Rn. 227).
13 Da jedoch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren lediglich in Höhe von 1.000 EUR tituliert worden sind, nicht aber wegen der weiteren
196,43 EUR verringern sich die anzurechnende hälftige Geschäftsgebühr von 480,64 EUR um weitere 98,22 EUR (die Hälfte von 196,43 EUR)
auf einen Betrag von 382,42 EUR und die festsetzbaren außergerichtlichen Kosten des Klägers auf 2.331,97 EUR.
14 Danach ergibt sich bei Durchführung des Kostenausgleichs ein Erstattungsbetrag zu Gunsten des Klägers von nur 764,98 EUR und nicht von
1.019,92 EUR.
15 Unter entsprechender Abänderung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 26. Mai 2010 waren der Kostenfestsetzungsantrag
des Klägers und die sofortige Beschwerde der Beklagten im übrigen als unbegründet zurückzuweisen.
16 Die Kostenfolge beruht auf Nr. 1812 GKG-KV und §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Wegen des teilweisen Unterliegens der Beklagten im
Beschwerdeverfahren kam eine vollständige Nichterhebung der gerichtlichen Gebühr nach billigem Ermessen nicht in Betracht.