Urteil des OLG Stuttgart vom 16.10.2009

OLG Stuttgart (zpo, einzelrichter, beschwerde, sache, besetzung, aug, württemberg, baden, gesuch, befangenheit)

OLG Stuttgart Beschluß vom 16.10.2009, 8 W 409/09
Ablehnung eines Vormundschaftsrichters im Betreuungsverfahren: Behandlung eines
Ablehnungsgesuchs wegen Befangenheitsbesorgnis gegen einen Notar im Landesdienst Baden-
Württemberg im Übergangsfall
Leitsätze
1. Über das Ablehnungsgesuch wegen der Besorgnis der Befangenheit gegen einen Notar im Landesdienst
(Baden-Württemberg) entscheidet gem. § 5 Abs. 1 LFGG BW, § 6 FGG a. F. in Verbindung mit Art. 111 Abs. 1
Satz 1 FGG-RG das Landgericht gem. § 75 GVG durch die Zivilkammer als Kollegialgericht. Eine Übertragung auf
den Einzelrichter ist nicht zulässig.
2. Das Ablehnungsverfahren ist kein selbstständiges Verfahren i. S. des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG. Es wird
nicht durch eine Endentscheidung gem. Art. 111 Abs. 2 FGG-RG in Verbindung mit § 38 FamFG abgeschlossen.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des
Landgerichts Tübingen vom 24. September 2009, Az. 8 AR 13/09,
aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Zivilkammer des Landgerichts Tübingen
zurückverwiesen.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1.
1
Die Antragstellerin hat den Vormundschaftsrichter mit Schriftsatz vom 8. September 2009 wegen der
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Gesuch wurde durch den Einzelrichter der 8. Zivilkammer des
Landgerichts Tübingen mit Beschluss vom 24. September 2009 für unbegründet erklärt. Hiergegen hat die
Antragstellerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt.
2.
2
a)
ZPO und §§ 20 ff FGG a. F., Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG zulässig.
3
Auch wenn das Befangenheitsgesuch nach dem 1. September 2009 beim Notariat eingegangen ist, richtet sich
das Verfahren gem. Art. 111 Abs. 1 u. 2 FGG-RG nach altem Recht, weil es sich bei dem
Ablehnungsverfahren zwar um ein selbstständiges Zwischenverfahren handelt, in dem über das Gesuch
abschließend (bindend) entschieden wird (Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 46 Rdnr. 1 m. w. N.). In
Art. 111 Abs. 2 FGG-RG wird aber klargestellt, dass selbstständige Verfahren i. S. des Art. 111 Abs. 1 Satz 1
FGG-RG nur solche sind, die mit einer Endentscheidung abgeschlossen werden können.
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Endentscheidungen sind nach der Legaldefinition in § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG diejenigen, durch die der
Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt wird (Engelhardt in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, Art. 111
FGG-RG Rdnr. 3). Danach liegt eine Endentscheidung nur vor, wenn sich der gesamte Verfahrensgegenstand
oder ein selbstständiger Teil davon im Hinblick auf das zu regelnde Rechtsverhältnis als entscheidungsreif
darstellt, d. h. wenn aus der Sicht des Gerichts der Verfahrenszweck erfüllt ist und deshalb die Anhängigkeit
der Sache bzw. die Instanz durch den Rechtsprechungsakt beendet wird.
5
Dieser Funktion der unmittelbaren Verfahrensbeendigung steht diejenige von Neben- und
Zwischenentscheidungen gegenüber, die sich nicht auf die Hauptsache beziehen bzw. erst zur Herbeiführung
ihrer Entscheidungsreife bestimmt sind und deshalb der Endentscheidung vorausgehen (Meyer-Holz in Keidel,
a. a. O., § 38 FamFG Rdnr. 4).
6
Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht zwar durch einen Beschluss, der im Falle der
Erfolglosigkeit anfechtbar ist (§ 6 FGG a. F i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO; § 6 Abs. 2 FamFG), hierdurch wird
jedoch lediglich ein Zwischenverfahren beendet, nicht aber eine Entscheidung über das zu regelnde
Rechtsverhältnis getroffen, das vorliegend in der Einrichtung einer Kontrollbetreuung durch Beschluss vom 26.
Juni 2009 und dem hiergegen gerichteten Beschwerdeverfahren liegt.
7
Demzufolge richtet sich das Ablehnungsverfahren nach dem vor dem 1. September 2009 geltenden Recht
gem. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG.
8
b)
9
Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts, weil das Landgericht durch den
Einzelrichter nicht in der vorschriftsmäßigen Besetzung entschieden hat und damit der absolute
Beschwerdegrund des § 547 Nr. 1 ZPO analog vorliegt (OLG Zweibrücken FamRZ 2004, 564; BayObLG
FamRZ 2004, 1137; Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl. 2006, § 30 Rdnr. 3; je m. w. N.).
10 Die vorliegende Betreuungssache richtet sich nach dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der vor
dem 1. September 2009 geltenden Fassung (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG). Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2
LFGG BW entscheidet über die Ablehnung eines Notars im Landesdienst wegen Besorgnis der Befangenheit
das Landgericht und zwar gem. § 75 GVG durch die Zivilkammer als Kollegialgericht, soweit nicht nach den
Vorschriften der Prozessgesetze an Stelle der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat.
11 Der Gesetzgeber hat sich im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit aber auf die Einführung des fakultativen
Einzelrichters (§ 30 Abs. 1 Satz 3 FGG i. V. m. § 526 ZPO für das Beschwerdeverfahren) beschränkt und
davon abgesehen, den originären Einzelrichter (§§ 348, 568 ZPO) einzuführen (Meyer-Holz in
Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. 2003/2005, § 30 Rdnr. 8; Sternal in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 68
Rdnr. 95; je für das Beschwerdeverfahren und m. w. N.).
12 Im übrigen hat der Bundesgerichtshof selbst für das Verfahren der ZPO entschieden, dass über ein
Ablehnungsgesuch gegen den nach § 348 oder § 348a ZPO zuständigen Einzelrichter gem. § 45 Abs. 1 ZPO
die Zivilkammer ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu entscheiden hat (BGH NJW 2006, 2492; OLG
Oldenburg NJW-RR 2005, 1660; je m. w. N.) und ebenfalls bei einem Befangenheitsantrag gegen den
Einzelrichter gem. § 526 Abs. 1 ZPO das Berufungsgericht in der Besetzung mit drei Mitgliedern ohne
Mitwirkung des abgelehnten Richters (BGH NJW-RR 2007, 776 m. w. N.).
13 Hieraus kann geschlossen werden, dass im Falle der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch im FGG-
Verfahren (hier: a. F.), das ohnehin nur den fakultativen Einzelrichter kennt, gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 LFGG BW
immer die Zivilkammer des Landgerichts in ihrer vollen Besetzung zu entscheiden hat (Bassenge/Roth,
FGG/RpflG, 11. Aufl. 2007, § 6 FGG Rdnr. 25; Bumiller/Winkler, a. a. O., § 6 Rdnr. 16; Zimmermann in
Keidel/Kuntze/Winkler, a. a. O., § 6 Rdnr. 56 und 67a; Richter/Hammel, LFGG BW, 4. Aufl. 1995, § 5 Rdnr. 2;
Bumiller/Harders, FamFG, 9. Aufl. 2009, § 6 Rdnr. 20; Zimmermann in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 6
Rdnr. 42; je m. w. N.).
14 Vergleichbar ist die durch § 5 Abs. 1 Satz 2 LFGG BW übertragene Zuständigkeit der Entscheidung über das
Ablehnungsgesuch gegen einen Notar im Landesdienst auf das Landgericht als das im Rechtszug zunächst
höhere Gericht mit der Regelung in § 45 Abs. 3 ZPO.
15 Auch in diesem Fall entscheidet das Landgericht nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Zivilkammer
in ihrer vollen Besetzung (Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 45 Rdnr. 6 i. V. m. Rdnr. 1, 2 m. w. N.;
Gehrlein in Münchener Kommentar, ZPO, Bd. 1, 3. Aufl. 2008, § 45 Rdnr. 3; OLG Karlsruhe FamRZ 2006,
1555; je m. w. N.). Dem Ablehnungsverfahren kommt Kontrollfunktion zu ("Verhaltenskontrollrechtsbehelf"), für
die herkömmlich das Kollegialprinzip gilt (Vollkommer, a. a. O., § 45 Rdnr. 1 m. w. N.).
16 Nachdem der Einzelrichter, dem die Sache nicht einmal durch Kammerbeschluss übertragen worden war - was
nach der Auffassung des Senats allerdings auch nicht zulässig gewesen wäre -, das Gesuch für unbegründet
erklärt hat, ist die Entscheidung nicht durch den gesetzlichen Richter ergangen. Daher ist sie ohne weitere
Prüfung als auf der Rechtsverletzung beruhend anzusehen. Eine analoge Anwendung des § 561 ZPO ist
ausgeschlossen, weil der ursächliche Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung und der Entscheidung
unwiderlegbar vermutet wird (OLG Zweibrücken FamRZ 2004, 564 m. w. N.).
17 Entgegen OLG Karlsruhe (FamRZ 2006, 1555) entfällt vorliegend nicht die Notwendigkeit einer
Zurückverweisung an die Zivilkammer, da diese zunächst über das wiederholt gestellte Akteneinsichtsgesuch
der Antragstellerin gem. § 34 Abs. 1 FGG a. F. (§ 13 FamFG n. F.) wird entscheiden und ihr sodann -
gegebenenfalls - Gelegenheit zu einer weiteren Stellungnahme wird gewähren müssen, weswegen der Senat
die Beschwerde nicht abschließend bescheiden kann.
18 Infolge des Verfahrensmangels war deshalb die angefochtene Entscheidung des Landgerichts - unabhängig
von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit - aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und
Entscheidung an das Kollegium der Zivilkammer zurückzuverweisen (OLG Zweibrücken, a. a. O.; BayObLG
FamRZ 2004, 1137; je m. w. N.).
19
c)
Beschluss auch ohne eine Begründung der sofortigen Beschwerde durch die Antragstellerin und damit
unabhängig von einer etwaigen weiteren Argumentation auf Grund neuer Erkenntnisse aus dem Akteninhalt
aufzuheben und zurückzuverweisen war.
20
d)
1 Satz 1 FGG-RG.