Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 13.03.2017

OLG Schleswig-Holstein: anhörung des kindes, freiwillige gerichtsbarkeit, persönliche anhörung, elterliche sorge, auskunft, verfahrensmangel, form, eltern, psychiatrie, psychotherapie

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Gericht:
Schleswig-
Holsteinisches
Oberlandesgericht
2. Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UF 194/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 50b FGG
Umgangsregelungsverfahren: Verfahrensfehler
unterlassener Anhörung des Kindes und Einholung einer
telefonischen Auskunft bei einem weiteren
Sachverständigen
Leitsatz
1. Im Umgangsrechtsverfahren kann die unterlassene Anhörung der betroffenen Kinder
ein wesentlicher Verfahrensmangel sein, der die Aufhebung und Zurückverweisung im
Beschwerdeverfahren rechtfertigt.
2. Will das Familiengericht von einer gutachterlichen Empfehlung abweichen, darf es
sich bei der weiteren Beweiserhebung nicht mit der Einholung einer telefonischen
Auskunft einer anderen unbenannten Sachverständigen begnügen.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Ahrensburg vom 9. Oktober 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht -
Familiengericht - Ahrensburg zurückverwiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Gegenstandswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Der Antragsgegnerin wird Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlung
unter Beiordnung des Rechtsanwalts … aus … bewilligt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um das Umgangsrecht des Antragstellers mit den
gemeinsamen Töchtern A, geboren am 28. August 1998 und B, geboren am 28.
August 1998.
Die Kinder sind aus der am 19. Dezember 1997 geschlossenen Ehe der Parteien
hervorgegangen. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts Ahrensburg vom
12. Juli 2001, Az. 20 (8) F 313/99 geschieden. Dabei wurde die elterliche Sorge für
die Töchter auf die Kindesmutter übertragen. In einem Umgangsrechtsverfahren
bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Ahrensburg, Az. 20 F 223/01 hat das
Gericht mit Beschluss vom 19. Juni 2003 den Umgang des Antragstellers mit den
Kindern ausgeschlossen. Grundlage war ein Gutachten des Sachverständigen Dr.
C, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 3. März 2003, das
zu dem Ergebnis kam, dass der Antragsteller an einer schweren seelischen
Erkrankung leide. Wegen wahnhafter Gedanken und Realitätsverlust sei ein
unbeschränkter oder eingeschränkter alleiniger Kontakt zu den Kindern nicht
möglich.
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Der Antragsteller begehrt nunmehr erneut eine Umgangsregelung. Das
Familiengericht hat erneut ein Gutachten des Sachverständigen Dr. C eingeholt
und aufgrund dieses Gutachtens den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde. Er
beantragt weiter Umgang mit seinen Kindern. Er bringt vor, er sei gesund. Es lägen
keine Beweise dafür vor, dass ein direkter Kontakt mit seinen Kindern nachteilig
sei.
II.
Die nach § 621 e ZPO zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte -
befristete Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen, da das
amtsgerichtliche Verfahren an wesentlichen Mängeln leidet.
Das Familiengericht hat es unterlassen, die Kinder der Parteien persönlich
anzuhören. Nach § 50 b Abs. 1 u. 3 FGG hat das Gericht in einem Verfahren, dass
die Personensorge betrifft, das Kind grundsätzlich persönlich anzuhören, wenn die
Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes von Bedeutung sind; von solchen
Anhörungen darf nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Für eine
Entscheidung in einem Umgangsrechtsverfahren nach § 1684 BGB sind
Neigungen, Bindungen und der Kindeswille in aller Regel von Bedeutung. Will das
Gericht gleichwohl von der Anhörung der Kinder absehen, muss es die leitenden
Gründe darlegen. Schwerwiegende Gründe, die es geboten erscheinen lassen, von
einer persönlichen Anhörung der Kinder abzusehen, liegen aber im Rahmen einer
vorzunehmenden Interessenabwägung nur dann vor, wenn durch die Anhörung
das Kind aus seinem seelischen Gleichgewicht gebracht wird und eine
Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu besorgen ist (vgl. BGH NJW-RR
1986, 1130/1131; Engelhard in Keidel/Kunze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15.
Aufl., § 50 Behrend Nr. 27 m.w.N.).
Gründe, von der persönlichen Anhörung der Kinder abzusehen, führt der
angefochtene Beschluss nicht an. Die persönliche Anhörung der Kinder ist
nachzuholen, denn diese hat das Ziel, dem Richter von den betreffenden Kindern
einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und möglichst ihren Willen sowie
Neigungen und Bindungen kennen zu lernen.
Von einer Anhörung hat auch nicht deshalb abgesehen werden können, weil nach
dem derzeitigen Stand ein Umgang des Antragstellers mit den Kindern in jeder
Form schlechthin ausgeschlossen ist. Zum einen kommt ein brieflicher Kontakt
infrage. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C vom 30. Juli 2007 ist es
zudem denkbar, dass es zu persönlichem Kontakt unter Begleitung einer dritten
Person kommt. Es ist nach dem Gutachten dabei nicht zu erwarten, dass der
Antragsteller seine paranoide Gedankenwelt den Kindern direkt mitteilt. Allerdings
so der Sachverständige - sei zweifelhaft, ob die Kinder von dem Kontakt seelisch
profitieren könnten. Falls die Kinder unter dem Kontakt leiden, müsse er untersagt
werden. Danach scheint ein begleiteter Umgang des Kindesvaters mit den Kindern
nicht von vornherein ausgeschlossen.
Hinzu tritt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel. Ausweislich des Protokolls
der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2007 hat das Familiengericht
Rücksprache mit einer nicht näher benannten psychologischen Sachverständigen
gehalten und hierauf seine Entscheidung gestützt. Im Protokoll heißt es:
"Das Gericht weist darauf hin, dass nach Rücksprache mit einer psychologischen
Sachverständigen ein Umgang mit dem Vater, der an einer solchen Krankheit
leidet, das Kindeswohl gefährden würde, weil die Verhaltensweisen für Kinder nicht
nachvollziehbar und beängstigend sind und das Wohl der Kinder gefährden."
Aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C lässt sich dies nicht herleiten. Der
Sachverständige hat einen begleiteten Umgang mit den Kindern gerade nicht
ausgeschlossen. Wenn das Familiengericht das Sachverständigengutachten für
unzutreffend gehalten hat, hätte ein ergänzendes Gutachten des
Sachverständigen Dr. C oder ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt
werden müssen.
Dies darf aber nicht telefonisch ohne Benennung der Sachverständigen
geschehen. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu
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geschehen. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu
entscheiden, ob es sich mit formlosen Ermittlungen (Freibeweis) begnügen kann
oder in der durch § 15 FGG vorgesehenen Form Strengbeweis erheben muss. Das
Strengbeweisverfahren ist dabei vor allem dann zu wählen, wenn es für die
Entscheidung auf die Erweisbarkeit einer bestimmten Einzeltatsache ankommt.
Die Bedeutung der Angelegenheit erfordert zudem eine förmliche
Beweiserhebung, wo die Schwere eines beabsichtigten Eingriffs bereits im Rahmen
der Amtsermittlung eine persönliche Anhörung des davon Betroffenen unerlässlich
macht (vgl. Schmid in Keidel/Kunze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., §
15 Rn. 6). Da ein völliger Ausschluss des Umgangsrechtes ein erheblicher Eingriff
in durch Artikel 6 GG geschützte Rechte der Kinder und Eltern ist, darf sich das
Familiengericht nicht auf ein formloses Beweisverfahren durch Einholung einer
telefonischen Auskunft einer Sachverständigen beschränken.
Aufgrund dieser Verfahrensmängel ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben
und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - zurückzuverweisen. Der
Senat hält es dagegen nicht für sachdienlich, von der Zurückverweisung
abzusehen und selbst zu entscheiden. Es erscheint sachgerechter, dass die
Anhörung der Kinder zunächst vom ortsnahen Familiengericht durchgeführt wird
und ggf. ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt wird.
Eines Antrags auf Zurückverweisung bedarf es im FGG-Verfahren nicht (vgl. OLG
Köln, FamRZ 2005, 1921).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§16 KostO, 13 a FGG.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 94 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. 30 Abs. 2 KostO.