Urteil des OLG Oldenburg vom 03.03.1993

OLG Oldenburg: schwangerschaft, schlichtungsverfahren, verjährung, korrespondenz, verweigerung, schmerzensgeld, geburt, unterrichtung, nachbehandlung, sicherheit

Gericht:
OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 5 W 20/93
Datum:
03.03.1993
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 852 ABS 2, BGB § 847
Leitsatz:
Zur Nachbeoabachtung zum Ausschluß des Fortbestandes einer Schwanger- schaft nach Abbruch
einer Zwillingsschwangerschaft. Zur verjährungs- hemmenden Wirkung eines Schlichtungsverfahrens.
Volltext:
Nach dem im Schlichtungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten ist zwar ein fehlerhaftes ärztliches
Handeln bei dem Eingriff zu verneinen. Der Verbleib eines Zwillings ist eine sehr seltene, aber auch bei korrektem
Vorgehen nicht mit absoluter Sicherheit zu vermeidende Komplikation. Ein vermeidbarer Fehler war es aber - das hat
der Gutachter ebenso deutlich herausgestellt -, den einweisenden und weiterbehandelnden Arzt nur kurz,
routinemäßig über den stationären Verlauf zu unterrichten und ihm nicht dringend und konkret eine sorgfältige
Nachbeobachtung zum Ausschluß des Fortbestandes einer Schwangerschaft zu empfehlen. Für diese
Versäumnisse bei der Sicherung einer sachgerechten Nachbehandlung (Sicherheitsaufklärung) kommt eine
Einstandspflicht der Antragsgegnerin zu 1.) nach dem bisherigen Sach- und Streitstand in Betracht.
Der Hinweis in der Antragserwiderung auf die erfolgte Untersuchung durch den nachbetreuenden Gynäkologen läßt
den erforderlichen Ursachensammenhang nicht von vornherein entfallen. Dieser könnte nur dadurch in Frage gestellt
werden, wenn feststeht, daß sich der Fehler auf den weiteren Verlauf nicht mehr ausgewirkt hat, d.h., wenn der
Fortbestand der Schwangerschaft ausschließlich auf dem Eingreifen des nachbehandelnden Gynäkologen beruht, so
daß das der Antragsgegnerin zu 1.) zuzurechnende Verhalten neutralisiert und die Kausalität abgebrochen wäre (vgl.
BGH VersR 1986, 601 f.). Das ist jedenfalls solange nicht der Fall, wie die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß
der nachversorgende Gynäkologe aufgrund intensiverer Empfehlungen durch das Krankenhaus den
Schwangerschaftsfortbestand früher erkannt hätte.
Mitverschuldensbegründende Nachlässigkeiten der Antragstellerin durch unzureichende Unterrichtung des
nachbehandelnden Arztes über gebotene Kontrolluntersuchungen sind demgegenüber nicht ersichtlich. Es ist
grundsätzlich Aufgabe der Ärzte, die gebotene Behandlung einer Patientin sicherzustellen. Die Erwägungen in der
Antragserwiderung zu einem freiwilligen Entschluß der Antragstellerin, das Kind zu behalten, sind rein spekulativ und
für die Erfolgsprognose unerheblich.
Der daraus schlüssig ableitbaren deliktischen Ersatzpflicht der Behandlungsseite für die Belastungen mit der
Schwangerschaft auch ohne pathologische Begleitumstände einschließlich des immateriellen Schadens (ständige
höchstrichterlicher Rechtssprechung, vgl. nur BGH VersR 1980, 555, 558; 1981 , 730; 1983, 396 f; 1984, 864; 1985,
1068, 1071), steht auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen, auf die sich die Antragsgegner in der
Beschwerdeerwiderung nunmehr ausdrücklich berufen.
Dazu bedarf es keiner abschließenden Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zulässigkeit eines gerichtlichen
Hinweises auf die Verjährungseinrede, die mit guten Gründen von der obergerichtlichen Rechtsprechung verneint
wird; selbst die von der Kammer herangezogene Mindermeinung in der Literatur erwägt insoweit lediglich einen
Hinweis auf den Zeitablauf (vgl. nur Zöller/Vollkomm, ZPO, 17. Aufl., § 42 Rn. 26, Zöller/Schneider a.a.0., § 114, 35
und Zöller/Stephan a.a.0. § 139 Rn. 11 jeweils mit vielen weiteren Nachweisen). Bereits aus den Unterlagen, die der
Kammer vor Beschlußfassung vorgelegen haben, war erkennbar, daß die Parteien miteinander über die Ersatzpflicht
in Kontakt getreten waren und insoweit ein Schlichtungsverfahren durchgeführt worden ist, in dessen Verlauf unter
dem 12.11.1990 ein Gutachten erstellt worden ist. Allein daraus ist die gemäß § 852 Abs. 2 BGB
verjährungshemmende Möglichkeit von Verhandlungen zu entnehmen, die der negativen Erfolgsprognose aufgrund
der zur Zeit der Beschlußfassung einseitig lediglich von der Kammer angesprochenen Einrede entgegensteht (vgl.
BGH VersR 1985, 744, 746).
Die von der Antragstellerin mit der Beschwerde vorgelegte vorgerichtliche Korrespondenz unterstreicht in aller
Deutlichkeit die zwischen 1989 und 1992 geführten Verhandlungen, in die entgegen der Beschwerdeerwiderung auch
ein Ausgleich für immaterielle Belastungen - allerdings mit unterschiedlichen Standpunkten - mit einbezogen war,
ohne daß bis dahin ein Ende der Verjährungshemmung durch klare und eindeutige Verweigerung der
Verhandlungsfortsetzung vorgelegen hätte.
Die Schmerzensgeldvorstellungen der Klägerin waren jedoch mangels näherer Darlegungen der Einzelumstände
insbesondere über den Verlauf von Schwangerschaft und Geburt und den damit verbundenen physischen und
sonstigen zu berücksichtigenden Belastungen wie Geschehen zu beschränken. Nach der bisherigen Aktenlage kann
lediglich von einer Entwicklung ausgegangen werden, die noch dem Normalverlauf entspricht, für das ein
Schmerzensgeld in der genannten Höhe je nach den weiteren Darlegungen in Betracht kommen kann. Die vom
Oberlandesgericht Köln (VersR 1987, 187) für angemessen gehalten 3.000,-- DM im Falle eines regelgerechten
Schwangerschaftsverlauf und -endes erscheint dem erkennenden Senat angesichts der generell bekannten
Schwangerschaftsbelastungen erheblich zu niedrig angesetzt zu sein (vgl. dazu bereits auch OLG Frankfurt, VersR
1988, 637).