Urteil des OLG Oldenburg vom 13.07.1999

OLG Oldenburg: selbstbehalt, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, private vorsorge, eltern, verfügung, einkünfte, eigenbedarf, verwertung, belastung, unterhaltspflichtiger

Gericht:
OLG Oldenburg, 12. Familiensenat
Typ, AZ:
Urteil, 12 UF 79/99
Datum:
13.07.1999
Sachgebiet:
Normen:
BSHG § 91
Leitsatz:
Leistungsfähigkeit des nach § 91 BSHG inanspruchgenommenen selbst schon Rente beziehenden
Kindes
Volltext:
Tatbestand
Der klagende Landkreis (im folgenden Kläger) nimmt den Beklagten aus
übergegangenem Recht auf Unterhalt für dessen Mutter in Anspruch.
Der Beklagte ist neben seinem Bruder G... O... ein Sohn der Frau E... O.... Dieser zahlt der Kläger seit dem 01.
November 1997 laufend Hilfe zur Pflege. Dies teilte er dem Beklagten durch Rechtswahrungsanzeige vom 28.
Oktober 1997 mit. Der Beklagte ist seit 1993 Rentner. Er erhält monatliche Einkünfte in Höhe von rund 3.100,- DM.
Zusammen mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau bewohnt er ein im gemeinsamen Eigentum stehendes
lastenfreies Einfamilienhaus.
Mit dem Vorbringen, er habe der Mutter des Beklagten von November 1997 bis Anfang September 1998 Leistungen
in Höhe von insgesamt rund 12.800,- DM und ab September monatlich laufend rund 510,- DM erbracht, hat der
Kläger den Beklagten auf Zahlung rückständiger Beträge von insgesamt 7.438,35 DM für die Zeit von November
1997 bis Dezember 1998 sowie ab Januar 1999 monatlich 396,61 DM laufenden Unterhalt in Anspruch genommen.
Der Bruder des Beklagten erfülle seine Unterhaltspflicht durch die in einem Übergabevertrag vom 03. Juli 1964
übernommene Zahlungsverpflichtung in Höhe von monatlich 30,- DM.
Der Beklagte ist der Klage unter Hinweis auf seine laufenden Belastungen, die Notwendigkeit von
Reparaturrücklagen und eine dann bei Berücksichtigung eines angemessenen Selbstbehalts fehlende
Leistungsfähigkeit entgegengetreten.
Durch das am 14. April 1999 verkündete Urteil hat das Amtsgericht -
Familiengericht - L... die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.
Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens beantragt er,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verurteilen,
an ihn für die Zeit ab 01. November 1997 einen monatlichen
Unterhalt in Höhe von 246,- DM zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.
Einem Erfolg des Rechtsmittels steht bereits entgegen, daß der Kläger es sich versagt hat, die Bedürftigkeit der
Mutter des Beklagten darzulegen. Da der Kläger seine Rechtsposition aus dem gesetzlichen Forderungsübergang
nach § 91 BSHG ableitet, obliegt es wie jedem anderen Unterhaltsberechtigten zunächst ihm, im einzelnen
darzustellen, daß das verfügbare Einkommen sowie vorhandenes Vermögen des Unterhaltsberechtigten nicht
genügen, um den eigenen Unterhaltsbedarf zu decken (§ 1602 Abs.1 BGB). Dieser Darlegungslast ist der
Kläger nicht bereits durch die Leistung von Sozialhilfe enthoben, weil zwischen dieser und der bürgerlich-rechtlichen
Unterhaltspflicht erhebliche Wertungsunterschiede bestehen (vgl. zur Darlegungslast bereits Senatsurteil vom 12.
März 1991, FamRZ 1991, 1347). Daß zu dem Sparvermögen seiner Mutter konkreter Sachvortrag fehlt, hat der
Beklagte bereits in seiner Klageerwiderung zu Recht bemängelt, so daß spätestens damit für den Kläger ein
deutlicher Hinweis auf die fehlende Schlüssigkeit seines Vorbringens verbunden war. Aber auch unabhängig davon
kommt ein Unterhaltsanspruch aus § 1601 BGB mangels ausreichender Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht in
Betracht. Zur Zahlung von Unterhalt ist nicht verpflichtet, wer bei Berücksichtigung seiner
sonstigen Verpflichtungen Unterhalt nur unter Gefährdung seines eigenen
angemessenen Unterhalts aufbringen könnte ( 1603 Abs. 1 BGB). Diese
Voraussetzungen sind bei dem zurechenbaren Einkommen des Beklagten von
insgesamt 3.600,- DM gegeben.
Dem Beklagten stehen laufende Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen
Altersversorgung in Höhe von insgesamt rund 3.100,- DM zur Verfügung. Daneben ist ihm nach ständiger
Rechtsprechung ein Vorteil für mietfreies Wohnen zuzurechnen, soweit ein zurechenbarer Mietwert die Belastungen
übersteigen. Auch wenn die Zurechnung darauf beruht, daß dieser Wohnvorteil dem Kapitalertrag aus Vermögen
entspricht, ist die Höhe des Wohnwertes gleichwohl
nicht nach einer bei Fremdvermietung erzielbaren Miete, sondern nach dem verfügbaren Einkommen zu bemessen.
Um eine gleichmäßige Behandlung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen, müssen Grundlage der
Berechnung die ersparten Mietaufwendungen des Beklagten sein. Während bei einer Ehewohnung nach der
Scheidung der Ehe aufgrund der nunmehr veränderten eigenen Lebensverhältnisse im allgemeinen eine Vermietung
oder sogar eine Veräußerung zumutbar sein mögen und sich aus diesem Gesichtspunkt die Zurechnung des
tatsächlichen Mietwertes rechtfertigt, gilt dies in aller Regel nicht bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegenüber
ihren Kindern. Hier ist der wirtschaftliche Vorteil unabhängig von der Größe der zur Verfügung stehenden Wohnfläche
und dem auf dem Wohnungsmarkt zu realisierenden Mietwert zu bestimmen.
Tatsächliche Einnahmen sind mit dem Wohnen im eigenen Haus nicht verbunden, so daß der Kapitalwert eines
Hausgrundstücks das zur Verfügung stehende Einkommen und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines
Unterhaltsverpflichteten nicht beeinflußt. Eine anderweitige Verwertung von selbst genutztem Grundbesitz hätte eine
die eigene Lebensführung grundlegende Beeinträchtigung zur Folge. Dies widerspräche der Wertung des Gesetzes,
das in § 1603 Abs. 1 BGB dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Verwandten die für die eigene angemessene
Lebensführung notwendigen Mittel belassen will. Demnach
ist bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegenüber ihren Kindern eine auf Erzielung höherer Einkünfte gerichtete
anderweitige Nutzung von Grundbesitz unzumutbar, zumal dem Unterhaltsverpflichteten ein anerkennenswertes
Interesse am Erhalt des Kapitals als zusätzliche Sicherung für die eigene Altersvorsorge zuzubilligen ist. Selbst
nach sozialhilferechtlichen Regeln kann im allgemeinen die Verwertung von
selbstgenutztem Grundbesitz nicht verlangt werden (§ 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG). Hinzu kommt, daß der Beklagte nicht
Alleineigentümer des Hausgrundstücks ist. Da seine Ehefrau zu Unterhaltsleistungen für ihre Schwiegermutter nicht
herangezogen werden kann und auch durch die geltend gemachten Ansprüche keine Einschränkung ihrer eigenen
Lebensführung hinnehmen muß (BGH FamRZ 1991, 182 [185]), ist für die Bemessung des Wohnvorteils allein auf
den Miteigentumsanteil
des Beklagten abzustellen. Unter Beachtung des nach der Rechtsprechung als angemessen angesehenen
Mietwertes von 1/4 bis 1/3 des verfügbaren Einkommens (Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des
Unterhalts 6. Aufl. Rn. 772) und unter Berücksichtigung der üblichen Hauskosten ist der dem Beklagten selbst
zuzurechnende Wohnwert jedenfalls mit keinem höheren Betrag als 500,- DM anzusetzen.
Das sich damit errechnende Gesamteinkommen von 3.600,- DM genügt gerade zur Deckung des angemessenen
Bedarfs der vorrangig zu berücksichtigenden eigenen Familie. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 12. März
1991 (FamRZ 1991, 1347) ausgeführt hat, kann es bei der vielfältigen Gestaltung der Lebensverhältnisse für die
Bestimmung des eigenen angemessenen Bedarfs eines Unterhaltsverpflichteten im Verhältnis zu seinen Eltern
keine festen Tabellensätze geben. An dieser Auffassung hält der Senat ungeachtet der nach der Änderung der
gerichtlichen Zuständigkeiten im Unterhaltsrechts zu beobachtenden Bestrebungen
fest, auch für diesen Fall Richtlinien zum Selbstbehalt aufzustellen. Es steht nur fest, daß der nach der Düsseldorfer
Tabelle bzw. den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien anderer Oberlandesgerichte gegenüber volljährigen Kindern
bestehende angemessene Selbstbehalt deutlich zu erhöhen ist. So hat bereits der Bundesgerichtshof im Urteil vom
26. Februar 1992 ausgeführt, daß sich nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private
Vorsorge für die Heranziehung nicht gesteigert Unterhaltspflichtiger deutlich über den sogenannten "großen"
Selbstbehalt hinausgehende Freibeträge ergeben (NJW 1992, 1393
[1305]). Nunmehr hat der Verein einen Zuschlag von 20 % zu dem angemessenen Bedarf gegenüber volljährigen
Kindern empfohlen (FamRZ 1995, 1333 Rn. 114). Das Landgericht Düsseldorf hat einen Zuschlag von zumindest 30
% für angemessen erachtet (FamRZ 1998, 50). Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in seinen Anmerkungen zu
der vom 01. Juli 1998 an geltenden Düsseldorfer Tabelle (NJW 1998, 1471; unverändert NJW 1999, 1846; s. auch
OLG Bremen FamRZ 1998, 1090) 2.250,- DM zugrunde gelegt, was bei dem Ausgangsbetrag von 1.800,- DM einem
Zuschlag von 25 % entspricht. Soweit in anderen Leitlinien ein erhöhter Selbstbehalt bei Unterhaltsansprüchen von
Eltern gegen ihre Kinder vorgesehen ist,
ist allgemein ebenfalls ein Zuschlag von 25 % auf den Selbstbehalt üblich (vgl. z.B. Unterhaltsrechtliche Leitlinien
der Familiensenate in Bayern, FamRZ 1999, 773 [776]). Wenn auch die zitierten Empfehlungen und Richtlinien keine
Bindungswirkung haben, geben sie doch wichtige Anhaltspunkte für den allgemein als angemessen anzunehmenden
Eigenbedarf. Hieraus läßt sich jedenfalls eine Grenze ableiten, bei deren Unterschreiten der angemessene Bedarf
des Unterhaltsverpflichteten nicht mehr gewahrt ist. Im übrigen besteht kein Widerspruch zu
der Auffassung des Senats, weil es sich dabei um Mindestbeträge handelt, die im Einzelfall dann erheblich
überschritten werden können, wenn der Unterhaltspflichtige weitere anerkennenswerte Belastungen substantiiert
darlegt.Zu beachten ist auch, daß in den erwähnten Richtlinien als Ausgangspunkt der Berechnung ein ohnehin
schon gegenüber volljährigen Kindern erhöhter Selbstbehalt zugrunde gelegt wird. Ob unter diesen Umständen die in
der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bewertungsansätze für den Bezirk des Oberlandesgerichts Oldenburg
übernommen werden können oder der dort genannte Selbstbehalt generell als Mindestbetrag zu gelten hat, mag hier
dahinstehen. Denn da nach Auffassung des Senats bei der Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern der
angemessene Eigenbedarf bei einem Zuschlag von weniger als 25 % auf den sogenannten "großen" Selbstbehalt
keinesfalls mehr gewahrt ist, fehlt es
hier an der Leistungsfähigkeit des Beklagten selbst dann, wenn man als
Ausgangspunkt den geringeren Selbstbehalt von 1.500,- DM zugrunde legt. Selbst dann kann der Beklagte
gegenüber seiner Mutter einen angemessenen Eigenbedarf von gerundet wenigstens 1.900,- DM in Anspruch
nehmen.
Für die über keine eigenen Einkünfte verfügende Ehefrau des Beklagten ist die Berücksichtigung eines
Unterhaltsbedarfs von 1.500,- DM angemessen. Beide Eheleute haben an den durch das Familieneinkommen
geprägten Lebensverhältnissen gleichen Anteil. Dieser für eine auseinanderbrechende Ehe geltende Grundsatz muß
erst recht für intakte Familienverhältnisse gelten. Daher rechtfertigen nur die mit dem Zusammenleben verbundenen
Ersparnisse in der Lebensführung einen geringfügigen Abschlag. Auch hierbei können nicht die für
Unterhaltspflichten aus geschiedenen Ehen entwickelten Berechnungsmethoden unkritisch übernommen werden,
weil - wie bereits ausgeführt - der andere Ehepartner durch die geltend gemachten Unterhaltsansprüche keine
Einschränkung seiner eigenen Lebensstellung hinnehmen muß. Daher ist es angemessen, den Bedarf des in
häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten entsprechend dem sich aus der Düsseldorfer Tabelle ergebenden
Verhältnis mit knapp 80 % des dem
Unterhaltspflichtigen zuzubilligenden Selbstbehalts zu berücksichtigen. Dies entspricht hier dem Betrag von
gerundet wenigstens 1.500,- DM.
Neben diesem dem Beklagten für den allgemeinen Lebensbedarf der Familie zu belassenden Betrag sind aber - nicht
aus dem Selbstbehalt aufzubringende - Sparleistungen als weitere Belastung zu berücksichtigen. Soweit sich diese
in einem angemessenen Rahmen bewegen, handelt es sich nicht um "Freibeträge" oder eine einseitige
Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten. Es entspricht
vielmehr einer vernünftigen Haushaltsführung, Rücklagen für größere
Anschaffungen, Reparaturen oder auch zunehmend notwendige Zuzahlungen bei Heilbehandlungen zu bilden. Die
Zahlung von Unterhalt für die Eltern darf nicht dazu führen, daß für Rücklagen keine Mittel mehr zur Verfügung
stehen und unerwartet auftretende Ausgaben zur Aufnahme eines Kredites zwingen. Die damit verbundenen
Mehrbelastungen könnten eine spürbare, über die durch § 1603 Abs. 1 BGB gezogenen Grenzen hinausgehende
Einschränkung der eigenen Lebensführung bewirken. Soweit das verfügbare Einkommen solche Sparleistungen
ermöglicht, sind diese daher in einer im Verhältnis zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen vertretbaren
Größenordnung als sonstige Verpflichtung leistungsmindernd zu berücksichtigen. Dies hat auch der
Bundesgerichtshof ausdrücklich gebilligt (BGH NJW 1992, 1393 [1394]).
Der von dem Beklagten hierfür geltend gemachte Betrag von monatlich 250,- DM ist bei den gegebenen
Einkommensverhältnissen offensichtlich angemessen, so daß bei einem Eigenbedarf von wenigstens 3.650,- DM
kein für Unterhaltszwecke freies Einkommen verbleibt. Es bedarf demnach keiner Vertiefung mehr, in welchem
Umfang von dem Beklagten dargelegte Beiträge für Versicherungen neben dem allgemeinen Selbstbehalt als
gesonderte Belastung zusätzlich berücksichtigt werden können.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Es bestehen keine Gründe, die Revision zuzulassen.
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