Urteil des OLG Oldenburg vom 23.02.2005

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Gericht:
OLG Oldenburg, 08. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 8 U 301/04
Datum:
23.02.2005
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823, ZPO § 287
Leitsatz:
Der Hersteller von Fahrrädern haftet für fehlerhafte Pedale eines Zulieferers, wenn er keine
stichprobenhaften Materialprüfungen an den Pedalen vorgenommen hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
8 U 301/ 04
8 O 2100 / 02 Landgericht Oldenburg
B e s c h l u ß
In dem Rechtsstreit
der Firma V ... , vertreten durch die Fr. H ... GmbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer H ... , N ... ,
Beklagte und Berufungsklägerin,
— Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ... —
gegen
Frau B ... , O ... ,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
— Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ... —
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 23. Februar 2005
beschlossen:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 09. November 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8.
Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Wert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 8.500,– € festgesetzt.
* * * * * * *
Gründe:
Wegen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nimmt der Senat auf das angefochtene Urteil Bezug.
Die Berufung der Beklagten richtet sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 7.500,– €
nebst Verzugszinsen sowie gegen die Feststellung des Landgerichts, daß sie verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche
immateriellen Zukunftsschäden aus dem Vorfall vom 11.07.2001 zu ersetzen. Die Beklagte macht hierzu im
einzelnen geltend, den Vorfall nicht verschuldet zu haben. Ein vermutetes Verschulden habe sie ausgeräumt.
Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Senat hat in seinem begründeten Hinweisbeschluß vom 19. Januar 2005 ausgeführt, daß die Berufung der
Beklagten keine Aussicht auf Erfolg bietet. Auf diese Ausführungen wird gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug
genommen.
Die Stellungnahme der Beklagten zum Hinweisbeschluß mit Schriftsatz vom 21. Februar 2005 rechtfertigt kein
anderes Ergebnis. Auch vor dem Hintergrund, daß in der Fahrradfabrik der Beklagten werktäglich bis zu eintausend
Fahrräder montiert werden, hält der Senat daran fest, daß sich die Beklagte von der grundsätzlich einwandfreien
Beschaffenheit der Pedalen überzeugen mußte und muß. Wenn, wie sie es nunmehr konkretisiert hat, die Ursache
des Bruchs des Pedals nicht ein Bruch des Metallstiftes war, sondern ein Bruch des Plastikrahmens, so konnte ihr
Monteur – wie sie selbst einräumt – im Zuge der Montage des Pedals Materialfehler im Plastikrahmen nicht
erkennen. Gerade auch aus diesem Grunde hätte die Beklagte – wie es der Senat im einzelnen in seinem
Hinweisbeschluß dargestellt hat – das vermutete Verschulden nur durch den Nachweis ausräumen können, daß eine
zumindest stichprobenhafte Materialprüfung mit positivem Ergebnis erfolgt war, wobei die Intensität der gebotenen
Materialprüfung u.a. vom Ausmaß der bei Materialfehlern drohenden Schäden abhängig wäre. Im Hinblick auf die
große Anzahl der zu verarbeitenden Pedalen hätte sie den Nachweis durch ein eigenes Materialprüfungszertifikat,
durch ein entsprechendes TÜV–Zertifikat oder durch ein aussagekräftiges Prüfzertifikat des Herstellers der Pedalen
erbringen können. Mangels Vorlage eines Zertifikats kann es vorliegend dahinstehen, ob ihr neues Vorbringen aus
dem Schriftsatz zur Ursache des Pedalbruches außerdem als verspätet zurückzuweisen wäre.
Gegen die Auffassung des Senats im Hinweisbeschluß, die Höhe des erkannten Schmerzensgeldes und die
Feststellung des zukünftigen immateriellen Schadens seien rechtlich nicht zu beanstanden, wendet sich die
Stellungnahme der Beklagten nicht.
Nach allem erweist sich das Rechtsmittel der Beklagten als unbegründet.
Die Rechtssache besitzt im übrigen keine grundsätzliche Bedeutung; sie erfordert nicht eine Entscheidung des
Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
und 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
... ... ...
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Oberlandesgericht Oldenburg, den 19. Januar 2005
— 8. Zivilsenat —
– 8 U 301 / 04 –
Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO
In dem Rechtsstreit
V ... P ...
Beklagte und Berufungsklägerin ./. Klägerin und Berufungsbeklagte
RAe ... RAe ...
Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 hat der Gesetzgeber den Gerichten zwingend
aufgegeben, über nicht aussichtsreiche Berufungen im Wege dieser vereinfachten Erledigungsmöglichkeit zu
entscheiden, sofern nicht – wie vorliegend auch nicht gegeben – die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
oder die Rechtsfortbildung bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung erfordern.
Dabei hat der Gesetzgeber dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) dadurch Rechnung getragen, daß die
Parteien auf die beabsichtigte Zurückverweisung der Berufung hinzuweisen sind, wobei in diesem Zusammenhang
keine umfangreicheren Ausführungen als in der mündlichen Verhandlung notwendig sind. Ein knapper Hinweis, ggflls
durch Bezugnahme auf die vom Berufungsgericht für zutreffend erachteten Feststellungen und Gründe der
angefochtenen Entscheidung, kann im Einzelfall genügen (so der Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucksache
14/6036, S. 123).
Vorliegend hat das Landgericht die Beklagte u.a. mit Recht verurteilt, der Klägerin ein Schmerzensgeld von 7.500,00
€ nebst Verzugszinsen zu zahlen. Ebenso hat es zutreffend festgestellt, daß die Beklagte (auch) verpflichtet ist, der
Klägerin einen immateriellen Zukunftsschaden zu erstatten. Diese Entscheidung wird im Ergebnis durch das
Vorbringen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung nicht erschüttert. Das angefochtene Urteil beruht insoweit
weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513, 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde
zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Die Beklagte verkennt selbst nicht, daß sie als Herstellerin für die Herstellung und das Inverkehrbringen von Waren
nach den §§ 823 ff. BGB haftet. Tritt – wie vorliegend geschehen – ein Mangel an einem Produkt, der rechten
Pedale am Damenfahrrad Citybike 28, auf, wird nach den Grundsätzen des Anscheinbeweises ein Verschulden der
Herstellerin vermutet. Dabei spielt es entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rolle, daß nicht sie selbst,
sondern ihr Zulieferer, die streitverkündete Fa. Marwi CZ S.R.O. in Tschechien, die gebrochene Pedale hergestellt
hatte. Die Beklagte hatte als Endherstellerin (sog. „Assembler“) die von den Zulieferern hergestellten Einzelteile zu
einer sicheren Gesamtkonstruktion zu montieren und das gefahrlose Zusammenwirken und Funktionieren der
Einzelteile zu gewährleisten (MünchKomm/ Wagner, BGB, 4. Aufl., § 823, Rndnr. 558 mit weit. Nachw.). Wenn auch
sie dabei nicht jede von ihrem Zulieferer bezogene einzelne Pedale auf ihre Ordnungsmäßigkeit überprüfen mußte
(BGH, NJW 1975, 1827 f.), so war sie doch verpflichtet, sich von der grundsätzlich einwandfreien Beschaffenheit der
Pedalen zu überzeugen. Zu diesem Zweck bedurfte es einer zumindest stichprobenhaften Materialprüfung (vgl.
BGH, NJW 1977, 379 f.; OLG Saarbrücken, NJW–RR 1988, 611 f.). Die Intensität der gebotenen Materialprüfung war
u.a. abhängig vom Ausmaß der bei Materialfehlern drohenden Schäden. Dieser Schaden kann im Falle eines
plötzlichen Bruchs einer Pedale – wie dies nicht nur der vorliegende Fall zeigt, sondern allgemein bekannt ist –
beträchtlich sein. Stichprobenhafte Materialprüfungen von Pedalen waren daher in gewissen zeitlichen Abständen zu
wiederholen. Daß die Beklagte dieser Pflicht zu stichprobenhaften Materialprüfungen genügt hat, wird nicht dargetan.
Aus diesem Grunde wird ein den Schaden herbeiführendes pflichtwidriges Verhalten der Beklagten vermutet, von
dem sie sich nicht entlastet hat (zu den Anforderungen an den Entlastungsbeweis vgl. im einzelnen OLG
Saarbrücken, NJW–RR 1988, 611, 613).
Ebenso wenig ist die Höhe des erkannten Schmerzensgeldes und die Feststellung des zukünftigen immateriellen
Schadens rechtlich zu beanstanden. In dem vom Landgericht bei der Güteverhandlung am 20.08.2002
vorgeschlagenen Betrag von 6.000,– € war noch einem im Vergleich geforderten Nachgeben seitens der Klägerin
Rechnung zu tragen. Für die Höhe des gegenüber dem Vergleichsvorschlag auf 7.500,– € maßvoll heraufgesetzten
Schmerzensgeldbetrags im zwei Jahre später verkündeten Urteil waren allein der Schadensumfang und die
Schadensfolgen maßgeblich. Die Ausführungen des Landgerichts dazu bewegen sich im Rahmen des ihm gemäß §
287 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens. Sie bieten dem Senat keinen Anlaß zur
Herabsetzung des Schmerzensgeldbetrags.
Die Berufung der Beklagten hat nach allem im Sinne des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO keine Aussicht auf Erfolg.
Der Beklagten wird Gelegenheit gegeben, zum vorliegenden Hinweisbeschluss bis zum 19. Februar 2005 Stellung zu
nehmen.
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