Urteil des OLG Oldenburg vom 26.09.2006

OLG Oldenburg: treu und glauben, vergleich, vorrang, anpassung, befristung, anteil, lebensstellung, nettoeinkommen, lebensstandard, familienrecht

Gericht:
OLG Oldenburg, 12. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 12 UF 74/06
Datum:
26.09.2006
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1582, BGB § 1573, BGB § 1360, GG Art 6
Leitsatz:
1. Konkurriert ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach langjähriger Ehe (mehr als 23 Jahre) mit
dem Anspruch des kinderbetreuenden Ehegatten in einer neuen Ehe, ist es zur Vermeidung eines
verfassungswidrigen Ergebnisses geboten, § 1582 Abs. 1 BGB in der Weise auszulegen, dass es
sich um keine Ehe von "langer Dauer" handelt und beide Ansprüche gleichrangig sind. Dies gilt
jedenfalls dann, wenn der Aufstockungsunterhalt lediglich dazu dient, dem geschiedenen Ehegatten
einen die eigene, eheunabhängige Lebensstellung übersteigenden Lebensstandard zu sichern.
2. Alle nach der Ehescheidung entstandenen gleichrangigen Ansprüche wirken sich beim
nachehelichen Unterhalt bedarfsmindernd aus.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
12 UF 74/06
19 F 133/06 AG Lingen
verkündet 26.09.2006
Urteil
Im Namen des Volkes
In der Familiensache
F...,
Kläger und Berufungskläger
— Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt xxx —
gegen
F...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
— Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt xxx —
hat der 12. Zivilsenat — 4. Senat für Familiensachen — des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche
Verhandlung vom
05. September 2006
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ..., des Richters am Oberlandesgericht ... und der
Richterin am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. Juni 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht –
Lingen geändert:
1. Der vor dem Amtsgericht Meppen am 22. März 2005 im Verfahren 16 F 67/03 geschlossene Vergleich wird mit
Wirkung vom 1. November 2005 dahingehend abgeändert, dass der Kläger an die Beklagte nur noch einen
nachehelichen Unterhalt in Höhe von 165 Euro monatlich für Oktober bis Dezember 2005 und monatlich 200 Euro ab
Januar 2006 zu zahlen hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.800 Euro zu zahlen.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 2/3 und dem Kläger zu 1/3 auferlegt.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung aus diesem Urteil durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I.
Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte waren seit 1978 miteinander verheiratet. Die im März
2005 geschiedene Ehe war kinderlos.
Der Kläger wird als Lehrer nach A12 besoldet. Die seit 1992 als Verkäuferin erwerbstätige Beklagte bezieht ein
monatliches Einkommen von netto rund 1.075 Euro. Im Scheidungsverfahren schlossen die Parteien einen
Vergleich, in welchem sich der Kläger zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von monatlich 600 Euro
verpflichtete.
Nachdem der Kläger am ... 2005 erneut geheiratet und die Vaterschaft für sein bereits am ... in P... geborenes Kind
anerkannt hat, begehrt er den Wegfall seiner Unterhaltspflicht ab Oktober 2005.
Durch das am 21. Juni 2006 verkündete Urteil hat das Amtsgericht – Familiengericht – Lingen die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger mit Rücksicht auf die mit der Eheschließung verbundene
Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse ein Festhalten an dem 2005 geschlossenen Vergleich zumutbar sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.
Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen zu seinen Einkommensverhältnissen und beantragt
das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Lingen vom 21. Juni 2006 zu ändern und den vor dem Amtsgericht –
Familiengericht – am 22. März 2005 geschlossenen Unterhaltsvergleich dahingehend abzuändern, dass er der
Beklagten ab Oktober 2005 keinen Unterhalt mehr zu zahlen hat,
sowie hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, den für die Monate März bis September
2006 gezahlten Unterhalt in Höhe von 4.200 Euro an ihn zurückzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.
Die Akte 16 F 67/03 AG Meppen hat vorgelegen. Weitere tatsächliche Feststellungen hat der Senat nicht getroffen.
II.
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Der Kläger ist der Beklagten nur noch in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verpflichtet. Zudem hat die Beklagte an den Kläger
überzahlten Unterhalt in Höhe von 2.800 Euro zurückzuzahlen.
Die Klage ist als Abänderungsklage zulässig. Denn mit dem Vorbringen, seiner neuen Ehefrau und dem
gemeinsamen Kind zum Unterhalt verpflichtet zu sein, macht der Kläger eine wesentliche Änderung der für die
Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Umstände geltend. Da er die Anpassung eines Vergleichs erstrebt, ist
auch eine rückwirkende Anpassung ohne die Zeitschranke aus § 323 Abs. 3 ZPO statthaft.
Die Klage ist teilweise begründet. Die Änderung eines Prozessvergleichs beurteilt sich allein nach materiellem
Recht. Von der Grundlage der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung hängt es ab, inwieweit der Kläger
nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) eine Anpassung der getroffenen
Vereinbarung verlangen kann. Dieses ist dann der Fall, wenn es einer Partei aufgrund veränderter Umstände nach
Treu und Glauben nicht zuzumuten ist, sich an der Vereinbarung festhalten zu lassen. Davon ist im Unterhaltsrecht
regelmäßig dann auszugehen, wenn ein Unterhaltspflichtiger nach Abschluss des Vergleichs weiteren vor oder
gleichrangig Berechtigten zum Unterhalt verpflichtet ist und sich hieraus eine wesentliche Änderung seines
unterhaltsrelevanten Einkommens ergibt. Allerdings führt die Abänderungsklage nicht zu einer freien, von den
bisherigen Grundlagen unabhängigen Neufestsetzung des Unterhalts, sondern nur zu einer Anpassung der
getroffenen Vereinbarung an die veränderten Umstände (BGH FamRZ 1995, 665 ff.).
Hiernach gilt folgendes:
Die Frage nach einer Befristung oder Kürzung des Unterhaltsanspruchs gemäß §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 S. 2
BGB stellt sich derzeit nicht. Denn die Parteien haben sich in Kenntnis dieses Gesichtspunktes auf die unbefristete
Unterhaltszahlung geeinigt. Diese Vergleichsgrundlage hat unverändert Bestand.
Als weitere Verpflichtungen sind der erst nachträglich hinzugekommene Kindesunterhalt wie auch der
Unterhaltsanspruch der Ehefrau des Beklagten zu berücksichtigen. Das Unterhaltsrecht gewährleistet keine auf
Dauer fixierte Lebensstandardgarantie. Für den unterhaltsberechtigten Ehegatten wirkt sich eine mit sinkenden
Einkommen verbundene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage unmittelbar auf seinen nach den ehelichen
Lebensverhältnissen angemessenen Bedarf aus (BGH FamRZ 2003, 590). Diese Erwägungen hat der BGH mit Urteil
vom 15. März 2006 (FamRZ 2006, 683) auf die Änderung aller sonstigen das Einkommen des Unterhaltsschuldners
belastenden Veränderungen übertragen, sofern diese dauerhaft und von dem Schuldner nicht vermeidbar sind.
Ausdrücklich führt der BGH in diesem Zusammenhang das Hinzutreten weiterer vor oder gleichrangiger
Unterhaltsansprüche an. Solche Ansprüche beeinflussen das Einkommen in derselben Weise wie andere
unumgängliche Verbindlichkeiten. Sie berühren daher nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern wirken sich direkt auf
den angemessenen Bedarf der Beklagten aus.
Dies betrifft zweifelsfrei den nunmehr vom Kläger zu tragenden Kindesunterhalt. Es handelt sich bei Sarah
ausweislich der Geburtsurkunde um das Kind des Klägers, so dass es auf die von der Beklagten geäußerten Zweifel
schon aus Rechtsgründen nicht ankommt (§ 1599 Abs. 1 BGB). Dem sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden
Anspruch des Kindes kann sich der Kläger nicht entziehen. Es ist auch unerheblich, dass das Kind bereits vor
Abschluss des Vergleichs geboren worden war und damals schon ein materiellrechtlicher Anspruch bestanden hat.
Entscheidend ist vielmehr die unstreitige Tatsache, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses noch
nicht in Anspruch genommen worden war und auch keine Leistungen erbracht hat. Demgemäss war dieser Anspruch
in dem früheren Verfahren auch nicht zur Sprache gekommen. Nach ständiger Rechtsprechung bleibt ein
bestehender Anspruch solange unberücksichtigt, wie er nicht geltend gemacht wird (Palandt/Diederichsen § 1609
Rn. 1). Es ist dem Kläger nicht anzulasten, wenn er im Hinblick auf diese Rechtsprechung potentielle Ansprüche
nicht in das ursprüngliche Verfahren eingeführt hat. Erst mit der Begründung des neuen Familienverbandes haben
sich vorliegend die für die Unterhaltsbemessung wesentlichen Umstände geändert. Damit ist der Kläger nicht
gehindert, diesen Anspruch der Beklagten auch noch nachträglich entgegenzuhalten.
Entsprechendes gilt für den Unterhaltsbedarf der jetzigen Ehefrau des Klägers.
Der Bedarf der jetzigen Ehefrau des Klägers tritt gleichrangig neben den Anspruch der Beklagten aus § 1573 Abs. 2
BGB. Bei dem Alter des Kindes von weniger als drei Jahren besteht kein Zweifel, dass der Mutter ein
entsprechender Anspruch aus § 1570 BGB zustünde. Der sich damit grundsätzlich aus § 1582 Abs. 1 BGB
ergebende Gleichrang der Ansprüche wird nicht dadurch beseitigt, dass die bis zur Zustellung des
Scheidungsantrags mehr als 24 Jahre dauernde Ehe als „lang“ im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen wäre. Eine
solches Normverständnis würde dem auf Art 6 GG beruhenden Schutz von Ehe und Familie nicht gerecht und hätte
die Verfassungswidrigkeit der Norm zur Folge.
Konkurrieren die Ansprüche des geschiedenen und des jetzigen Ehegatten, ist die Vorschrift dahin zu überprüfen, ob
die vom Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums getroffene Entscheidung auf ausreichend
tragfähigen Gründen beruht, um eine Ungleichbehandlung der widerstreitenden Rechtspositionen zu rechtfertigen
(BVerfG FamRZ 1984, 346). Ob sich das § 1582 BGB zugrunde liegende Prinzip des zeitlichen Vorrangs immer
durchsetzen kann, wenn den jeweiligen Ansprüchen ein gleicher Stellenwert zukommt, bedarf zwar keiner Vertiefung.
Es ist nach der Überzeugung des Senats aber nicht gerechtfertigt, jedem Anspruch auf nachehelichen Unterhalt
allein aufgrund des Zeitablaufs den Vorrang vor jedem nachfolgenden Anspruch zuzubilligen – und zwar unabhängig
von dessen Stellenwert. Dies allein kann kein tragfähiger Grund für eine Regelung sein, die über den Anspruch auf
Ehegattenunterhalt hinaus auf die Bedürfnisse der Kinder aus der neuen Ehe ausstrahlt. Es wäre mit dem durch Art
6 GG gewährleisteten Schutz der neuen Familie unvereinbar, wenn § 1582 Abs. 1 BGB in dem Sinn anzuwenden
wäre, dass bei einer nach Jahren als lang zu bezeichnenden Ehe jeder Unterhaltsanspruch des geschiedenen
Ehegatten einen auf Kinderbetreuung gestützten Anspruch verdrängen würde. Dies entspräche nicht dem
Stellenwert, der dem Anspruch aus § 1570 sachlich zukommt und den der Gesetzgeber diesem auch in allen
anderen Normen eingeräumt hat.
Der Unterhaltsanspruch des kinderbetreuenden Elternteils wird in erster Linie von dem Bedarf des kleinen Kindes auf
Pflege und Erziehung getragen (vgl. BGH, FamRZ 1998, 541. FamRZ 2005, 354. Gernhuber/CoesterWaltjen
Familienrecht 5. Aufl. § 30 Rn. 19) und ist aus diesem Grund in jeder Hinsicht privilegiert. Er kann jederzeit
unabhängig von Einsatzzeiten geltend gemacht werden. er lebt wieder auf, wenn eine erneute Bedürftigkeit aufgrund
eines Vermögensverfalls oder nach Aufhebung einer später geschlossenen Ehe eintritt (§§ 1577 Abs. 4 S. 2, 1586a
Abs. 1 S. 1 BGB) und er kann die Rechtsfolgen aus einer Pflichtverletzung des Unterhaltsgläubigers abmildern (§
1579 BGB). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört dieser Anspruch in seinem Kernbereich zum
unverzichtbaren Scheidungsfolgenrecht (BGH FamRZ 2004, 601). Demgegenüber kommt dem Anspruch auf
Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) der geringste Stellenwert zu. Er soll dem Ehegatten mit eigenem
Einkommen den sog. „vollen“ Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen sichern. Die daraus folgende
„Lebensstandardgarantie“ steht im Gegensatz zu dem sonst das Unterhaltsrecht beherrschenden Prinzip der
Eigenverantwortung. Um diesem Grundsatz wiederum ein stärkeres Gewicht zu verleihen, hat der Gesetzgeber
bereits mit dem Unterhaltsänderungsgesetz von 1986 die Möglichkeit einer Befristung dieses Anspruchs eingeführt.
Bei der nach § 1573 Abs. 5 BGB zu treffenden Billigkeitsabwägung ist die Dauer der Ehe zwar eines der im Gesetz
genannten Kriterien. Die Rechtsprechung lässt eine Befristung aber auch noch nach mehr als 20 Jahren zu, weil der
Anspruch sich nicht aus der Dauerhaftigkeit der Ehe sondern aus den in jedem Einzelfall zu prüfenden
wirtschaftlichen Verflechtungen und Abhängigkeiten der Ehegatten rechtfertige (vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, 177.
OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 1040). Aus den gleichen Erwägungen hat der BGH bei einer Ehedauer von knapp15
Jahren die Möglichkeit einer Befristung des Anspruchs gebilligt (BGH FamRZ 2006, 1006).
Die Entwicklung von Gesetzgebung und Rechtsprechung zeigt, dass es sich bei dem Anspruch aus § 1573 Abs. 2
BGB um ein gegenüber allen anderen Anspruchsgrundlagen deutlich schwächer ausgestaltetes Recht handelt. Der
nacheheliche Unterhalt kann angesichts der von den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzgebers abweichenden
wirtschaftlichen Entwicklung keine Lebensstandardgarantie gewährleisten, so dass die Ehedauer allein kein
schützwürdiges Vertrauen auf den unveränderten Bestand dieses Anspruchs begründen kann. Sie ist daher kein
geeignetes Kriterium, um den Stellenwert des Betreuungsunterhalts in Frage zu stellen.
Der Bedarf des Kindes an Betreuung und Versorgung besteht unabhängig von einer früheren Lebensgestaltung
seiner Eltern. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Ausweitung des Unterhaltsanspruchs aus § 1615 l BGB, der
für die ersten Lebensjahre des Kindes einen von der Ehe unabhängigen Unterhaltsanspruch begründet – wobei sich
wiederum eine inhaltliche Annäherung beider Ansprüche vollzieht (vgl. BGH FamRZ 2005, 354). Jedenfalls in den
Fällen, in denen allein ein auf einer langen Ehezeit beruhender Anspruch des früheren Ehegatten auf
Aufstockungsunterhalt einen potentiellen Anspruch des jetzigen Ehegatten aus § 1570 BGB verdrängt, ist der in §
1582 BGB ausnahmslos und unabhängig von seinem Grund normierte Vorrang aller Ansprüche auf nachehelichen
Unterhalt nicht mit dem Schutzzweck des Art 6 GG zu vereinbaren. Diese Überzeugung des Senats entspricht der
weit überwiegenden Auffassung in der Literatur, die ebenfalls von der Verfassungswidrigkeit ausgeht oder zumindest
erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung äußert (vgl. Palandt/Brudermüller 65 Aufl. § 1582
BGB Rn. 3. Staudinger/Verschraegen 12. A. § 1582 Rn. 11. Büttner in Johannsen/Henrich Eherecht 4. Aufl. § 1582
BGB Rn. 5. Hülsmann in FamK § 1582 BGB Rn 6. Klein in KKFamR 2. Aufl. § 1582 4. Maurer in Münch/Komm §
1582 Rn. 5. Gernhuber/CoesterWaltjen § 30 Rn. 126. Rauscher, Familienrecht Rn. 614. Soergel/Häberle § 1582 BGB
Rn. 6. Frenz NJW 1993, 1102, 1104. Puls, FamRZ 1998, 865, 875).
Dieser Beurteilung kann nicht durch eine Anwendung von § 1579 BGB begegnet werden. Billigkeitserwägungen
sollen eine Ergebniskorrektur im Einzelfall ermöglichen. Damit können sie zwar ein bei strikter Rechtsanwendung
sonst nicht mehr verfassungskonformes Ergebnis verhindern. Sie ermöglichen jedoch keine Änderung der
bestehenden Rangordnung und können daher die grundsätzlichen Wertungswidersprüche nicht beseitigen. Dies ist
schon deshalb nicht gewährleistet, weil Billigkeitskorrekturen durchweg auf einzelfallbezogenen gerichtlichen
Entscheidungen beruhen, die allgemeine Auslegung des Gesetzes aber dazu führen kann, dass der Einzelne seine
Rechte nicht ausreichend wahrnimmt.
Letztlich greift auch der Gesichtspunkt nicht durch, dass der Ehegatte aus einer nachfolgenden Ehe eher als der
frühere Ehegatte auf die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen verwiesen werden kann (so aber BTDrs. 7/650 S. 143).
Im Fall des Aufstockungsunterhalts kann dies – wie der vorliegenden Fall zeigt – darauf hinauslaufen, dass dem
geschiedenen Ehegatte dauerhaft ein zusätzliches Einkommen zur Verfügung steht, welches ihm eine bessere
Lebensstellung sichert, als er sie aus eigener Kraft je hätte erreichen können. Im Mangelfall müsste ein solches
Zusatzeinkommen wiederum mittelbar aus öffentlichen Kassen finanziert werden. Eine solche Konsequenz
widerspricht dem Grundsatz nachehelicher Eigenverantwortung ebenso wie auch dem Prinzip des Nachrangs aller
sozialrechtlichen Hilfen zum Lebensunterhalt. In einer vergrößerten „Bedarfsgemeinschaft“ ist die Kürzung aller
Ansprüche die unvermeidliche Folge, wenn sich ein Berechtigter nicht auf den Vorrang seines Anspruchs berufen
kann.
Diesen Erwägungen steht der Beschluss des BVerfG vom 10. Januar 1984 (FamRZ 1984, 346) nicht entgegen.
Diese Entscheidung betrifft die konkurrierenden Ansprüche zweier Ehegatten, die beide minderjährige Kinder
betreuen. Nur für diesen Fall hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Gesetzgeber die Grenzen des
ihm zuzubilligenden Gestaltungsspielraum gewahrt hat. Um einen damit vergleichbaren Sachverhalt handelt es sich
vorliegend nicht. Es liegt weder ein Mangelfall vor noch können die konkurrierenden Ansprüche als gleichgewichtig
angesehen werden. Zudem haben sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seitdem in einer
Weise entwickelt, dass sie nicht mehr den Grundlagen entsprechen, welche für die damalige Entscheidung
ausschlaggebend waren. Auch die zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1582 ergangenen Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs betreffen durchweg andere Fallgestaltungen (vgl. BGH FamRZ 1985, 362. FamRZ 1987, 916.
FamRZ 1988, 705).
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist jedoch nicht geboten, soweit das Gesetz die Möglichkeit einer
verfassungskonformen Auslegung eröffnet. Der nach Auffassung des Senats mit Art 6 GG vereinbare Gleichrang der
Ansprüche ist bereits dann gegeben, wenn der Begriff einer langen Ehedauer nicht den Sinn einer absoluten
Zeitgrenze erhält, sondern zugleich die durch die Ehe entstandenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und
Verflechtungen in die Beurteilung einbezogen werden.
Das Gesetz enthält keine Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen von einer langen Ehedauer auszugehen ist. In
der Gesetzesbegründung findet sich als Beispiel die auf einer alleinigen Haushaltsführung von etwa 20 Jahren
beruhende wirtschaftliche Abhängigkeit (BTDrs. 7/650 S. 143). Der BGH hat grundsätzlich mit Ablauf von 15 Jahren
eine den Vorrang sichernde lange Ehedauer angenommen (BGH FamRZ 1983, 886). Dieser Rechtsprechung haben
sich die Instanzgerichte angeschlossen. Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Gesichtspunkte lassen sich
allerdings nicht ohne weiteres auf einen Fall übertragen, in dem der neue Ehegatte nach § 1570 BGB
unterhaltsberechtigt wäre. Mittlerweile hat sich das Verständnis vom Stellenwert dieses Anspruchs und des der
bestehenden Ehe zukommenden Schutzes erheblich gewandelt. Die geschiedene und die bestehende Ehe sind
grundsätzlich gleichwertig (BVerfG FamRZ 2003, 1821). Der den Anspruch aus § 1570 BGB rechtfertigende
Betreuungsbedarf minderjähriger Kinder ist dabei nicht geringer zu bewerten, als das Vertrauen des geschiedenen
Ehegatten in die Sicherung seines Lebensbedarfs. Dass sich diesbezüglich ein grundlegender Wandel der
Wertvollstellungen vollzogen hat, zeigt sich in der sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Reform des
Unterhaltsrechts, durch die auch bei langer Ehedauer zumindest ein Gleichrang der Ansprüche des
kinderbetreuenden Ehegatten gewährleistet werden soll. Unter diesen Umständen lässt sich keine absolute Grenze
feststellen, bei der eine viele Jahre dauernde Ehe den neuen Ehegatten unter allen Umständen im Rang verdrängt.
Daher sind bei der Auslegung des Gesetzes neben der absoluten Zeitdauer auch alle sonstigen Kriterien zu
berücksichtigen.
Diese Erwägungen führen dazu, dass im vorliegenden Fall nicht von einer langen Ehedauer iSv. § 1582 BGB
ausgegangen werden kann.
Die Ehe der Parteien war kinderlos. Die Beklagte war seit 1992 selbst vollschichtig erwerbstätig. Der
Versicherungsverlauf weist seit dieser Zeit eine kontinuierliche Vollzeittätigkeit aus. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit
entspricht in jeder Hinsicht ihrem beruflichen Werdegang, so dass die Beklagte keine Einbußen in ihrer von der Ehe
unabhängigen Lebensstellung hat hinnehmen müssen. Der Anspruch beruht allein auf § 1573 Abs. 2 BGB und soll
ihr lediglich aufgrund der langen Ehezeit einen höheren Lebensstandard sichern. Abgesehen von der reinen Zeitdauer
gibt es demnach keine Gesichtspunkte, die für eine Bevorzugung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt
sprechen könnten. Diese Zeitdauer ist mit etwas mehr als 23 Jahren wiederum nicht so lang, dass damit eine
absolute Grenze überschritten wäre, bei der jeder andere Aspekt bedeutungslos wird. Es gibt im Gegenteil keine
Gesichtspunkte, aufgrund derer es für die bei Zustellung des Scheidungsantrags knapp 55 Jahre alten Beklagte
schlechthin unzumutbar wäre, wenn sie sich in ihrer Lebensstellung an den ohne Eheschließung erreichten
Lebensstandard anpassen müsste. Im Verhältnis hierzu hat der Betreuungsunterhalt ein so erhebliches Gewicht,
dass beiden Ansprüchen derselbe Rang zukommt.
Die Höhe des Anspruchs der jetzigen Ehefrau des Klägers bemisst sich nach denselben Grundsätzen, wie sie auch
für den geschiedenen Ehegatten gelten. Denn sobald der frühere Ehegatte für sich keinen Vorrang mehr in Anspruch
nehmen kann, sind die sich aus einem weiteren Anspruch ergebenden Verpflichtungen genauso zu behandeln, wie
jeder andere kraft Gesetzes bestehende Unterhaltsanspruch. Eine andere Beurteilung wäre mit der durch Art 6 GG
geschützten Freiheit zur Eheschließung und der freien Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht zu
vereinbaren. Dies betrifft auch den Gesichtspunkt, dass dem neuen Ehegatten die frühere Ehe und etwaige hieraus
folgende Unterhaltspflichten bekannt waren. Zwar hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 1. Oktober 1984
(FamRZ 1984, 346) darauf abgestellt, dass die Kenntnis von der früheren Ehe ein hinreichender Grund für die in §
1582 BGB vorgenommene Differenzierung sei. Dieser Erwägung steht aber der Gesichtspunkt gegenüber, dass auch
die neue Ehe eine Erwerbsgemeinschaft ist, in der der nicht erwerbstätige Ehegatte seinen eigenen Beitrag zum
Familienunterhalts leistet (BVerfG FamRZ 2003, 1821, 1823). Es ist daher konsequent, wenn der BGH nunmehr den
Anspruch jedes im gleichen Rang hinzutretenden Unterhaltsberechtigten als bedarfsprägend ansieht. Das Verhältnis
mehrerer Ansprüche untereinander folgt ausschließlich aus dem ihnen zugewiesenen Rang. In diesem zeigt sich der
ihnen von der Gesellschaft jeweils beigemessene Stellenwert. Sind die Ansprüche gleichrangig, sind sie folglich
gleich zu beurteilen. Denn die zweite Ehe genießt keinen geringeren Schutz als die Folgewirkungen aus einer
geschiedenen Ehe (BVerfG FamRZ 1980, 326. FamRZ 2003, 1821, 1823). Es gibt daher keinen sachlichen Grund,
die vom BGH entwickelten Grundsätze zu den bedarfsprägenden Folgen eines weiteren gleichrangigen Anspruchs
nur deshalb nicht anzuwenden, weil es sich hierbei um den Anspruch eines Ehegatten aus einer später
geschlossenen Ehe handelt.
Da beide Ansprüche bedarfsprägend sind (BGH FamRZ 2006, 683), beeinflussen sie sich wechselseitig in ihrer
Höhe. Sie lassen sich auch nicht im Wege der Dreiteilung (vgl. dazu Gutdeutsch FamRZ 2006, 1072) ermitteln. Denn
hierdurch wäre eine ausreichende Berücksichtigung der beiderseitigen Unterhaltsinteressen dann nicht gewährleistet,
wenn – wie im vorliegenden Fall – das Einkommen eines Berechtigen mehr als die Hälfte des unterhaltsrelevanten
Einkommens beträgt. Dies müsste bei zwei Unterhaltsberechtigten immer zu einem Wegfall des Anspruchs statt zu
der bei gleichrangigen Ansprüchen gebotenen anteiligen Kürzung führen. Zu Verzerrungen kann es auch dann
kommen, wenn die einzelnen Ansprüche nach unterschiedlichen Grundlagen festzustellen sind.
Der Senat hält es aus diesem Grund für geboten, die Ansprüche beider Berechtigter zunächst gesondert
festzustellen. Dabei muss es trotz des Gleichrangs beider Ansprüche dabei verbleiben, dass der Splittingvorteil nur
in der neuen Ehe zu berücksichtigen ist. Die Tatsache der Wiederverheiratung kann nicht zu einer Erhöhung des
nach den ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Bedarfs führen. Zudem ändert die Rangfolge nichts an dem
Grundsatz, dass die vom Gesetzgeber einer bestehenden Ehe eingeräumten Vorteile dieser nicht dadurch wieder
entzogen werden dürfen, dass sie zugleich einer geschiedenen Ehe zugewiesen werden (BVerfG FamRZ 2003,
1821, 1823. BGH FamRZ 2005, 1817). Diesem Gesichtspunkt ist dadurch Rechnung zu tragen, dass der Bedarf des
jetzigen Ehegatten um den im unterhaltsrelevanten Einkommen enthaltenen Splittingvorteil vermindert und ein
Ausgleich nur hinsichtlich des nicht gedeckten Anteils vorgenommen wird.
Zur Wahrung eines angemessenen Verhältnisses ist dabei auch für den jetzigen Ehegatten von einer fiktiven
Trennung auszugehen, d.h. ebenfalls von einem um den Erwerbstätigenbonus geminderten Bedarf. Zwar wirkt sich
der Erwerbstätigenbonus in einer bestehenden Ehe nicht aus (BGH FamRZ 1989, 842. FamRZ 2002, 742).
Abweichend von dieser Rechtsprechung sind aber nunmehr Ansprüche zu beurteilen, die in einer wechselseitigen
Abhängigkeit stehen und zugleich den angemessenen Lebensbedarf des Verpflichteten beeinflussen. Diese
Beurteilung wäre erschwert, wenn für ihre Bemessung unterschiedliche Maßstäbe herangezogen würden. Im
Ergebnis wirkt sich jeder zusätzliche Unterhaltsanspruch zu Lasten des Familienunterhalts aus und muss von dem
Unterhaltsverpflichteten und seinem Ehegatten gemeinsam getragen werden. Es handelt sich daher nur um eine
Methode, die eine angemessene Verteilung der Mittel zwischen den konkurrierenden Ansprüchen bewirken kann.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich für 2005 folgende Berechnung:
Ausgangspunkt für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs ist das Einkommen des Klägers aus seiner Tätigkeit
als Lehrer. Dieses betrug im Jahr 2005 rund 49.245 Euro. Der in diesem Betrag enthaltene Verheiratetenzuschlag ist
auch bei der Bemessung des Anspruchs der Beklagten zu berücksichtigen. Denn es handelt sich hierbei um eine
von der neuen Ehe unabhängige Leistung, die auch nach der Scheidung allein aufgrund bestehender Unterhaltspflicht
gezahlt wird (vgl. §§ 39, 40 BBesG. OLG Celle 2005, 716). Bei dem um einen Freibetrag von 1.860 Euro
verminderten Einkommen ergibt sich bei einem Lohnsteuerabzug nach Steuerklasse 1 ein Jahresnettoeinkommen
von 36.565 Euro. Abzüglich der im Ausgangsverfahren belegten Zahlungen auf die private Kranken und
Pflegeversicherung sowie der Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen ergibt sich ein anrechenbares
Nettoeinkommen von rund 2.645 Euro. Dieses vermindert sich um den Tabellenbetrag für den bedarfsmindernd zu
berücksichtigenden Kindesunterhalt (BGH FamRZ 2006, 683) sowie den Beitrag zur privaten Krankenversicherung
für das Kind auf 2.305 Euro. Abzüglich von 1/7 Erwerbstätigenbonus beläuft sich das im Verhältnis zur Beklagten
unterhaltsrelevante Einkommen auf 1.975 Euro.
Die Höhe dieses Betrages wird nicht durch Veränderungen beim Vorteil mietfreien Wohnens beeinflusst. Die Parteien
haben in ihrem Vergleich für den Wohnwert und die anzuerkennenden Belastungen jeweils gleich hohe Beträge
angesetzt, die sich im Ergebnis neutralisieren. Der von dem Kläger nunmehr getragene Wohnbedarf des Kindes und
seiner Ehefrau ist Teil ihres jeweils angemessenen Unterhalts und daher kein Anlass, von der ursprünglichen
Bewertung abzuweichen. Da die sonstigen Umstände unverändert fortbestehen, sind die Parteien insoweit weiterhin
an ihre vergleichsweise vorgenommene Bewertung gebunden.
Entsprechendes gilt für die auf Seiten der Beklagten anzusetzenden Einkommensverhältnisse. Diese haben sich
praktisch nicht verändert, so dass nach der Grundlage des geschlossenen Vergleichs als Erwerbseinkommen 1.075
Euro (6/7Anteil 920 Euro) und als fiktiver Mietertrag 100 Euro anzusetzen sind. Der Vorteil aus dem Personalrabatt
ist bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts unberücksichtigt geblieben, so dass auch insoweit die
Vergleichsgrundlage Bestand hat.
Als unterhaltsrelevantes Einkommen beider Parteien ergibt sich damit ein Betrag von 2.995 Euro (1.975 + 920 +
100). Ohne den Unterhaltsanspruch der Ehefrau des Klägers beläuft sich der eheangemessene Bedarf auf rund
1.500 Euro, so dass sich nach Abzug des eigenen Einkommens ein Betrag von 480 Euro (1.500 – 920 – 100) ergibt.
Für die Bemessung des Bedarfs der Ehefrau des Beklagten ist auf Seiten des Klägers von einem um 208 Euro für
die zusätzliche Krankenversicherung auf 2.095 Euro (6/7Anteil 1.795 Euro) verminderten Einkommen auszugehen.
Damit ergibt sich ein angemessener Unterhaltsbedarf von rund 900 Euro. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass der
Kläger im Jahr 2005 noch nicht den Lohnsteuerabzug nach der Steuerklassen III in Anspruch genommen hat. Denn
auch bei einer fiktiven Berechnung unter Einbeziehung des Splittingvorteils ergäbe sich kein grundlegend anderes
Ergebnis. Zwar würde sich bei einem anrechenbaren Einkommen von 2.495 Euro ein auf 1.070 Euro erhöhter Bedarf
errechnen. Dieser mindert sich um den im Vergleich der beiden Einkommen verbliebenen Splittingvorteil von 190
Euro auf rund 880 Euro, so dass sich hieraus keine zugunsten den Beklagten wirkende Entlastung beim Einkommen
ergibt.
Eine Verteilung dieser beiden Bedarfsbeträge im Verhältnis des einen festen Selbstbehalt übersteigenden
Einkommens würde dem Gesichtspunkt, dass es sich um in der Höhe von einander abhängige Ansprüche handelt
und auch der angemessene Eigenbedarf der Verpflichteten gewahrt bleiben muss, nicht gerecht. Hieraus würde im
Gegensatz zum Gleichrang der Ansprüche eine unverhältnismäßige Belastung der neuen Familie folgen. Bei den
gegebenen Einkommensverhältnissen hält es der Senat daher für einen geeigneten Ansatz, den einzelnen Anspruch
in das Verhältnis zur Summe aller Ansprüche zu setzen und auf den sich hieraus ergebenden Anteil zu kürzen.
Bei einem Gesamtbedarf von 1.380 Euro entfällt auf die Beklagte dabei ein Anteil von 34%, so dass sie gerundet
165 Euro an Unterhalt beanspruchen kann.
Dieses Ergebnis führt auch in der Gesamtschau zu einer angemessenen Verteilung des verfügbaren Einkommens.
Zusammen mit ihrem eigenen Einkommen von 1.175 Euro stehen der Beklagten 1.340 Euro zur Verfügung. Der
neuen Familie verbleiben nach Abzug des Unterhalts 1.930 Euro – von denen bei einem auf 595 Euro gekürzten
Anteil der jetzigen Ehefrau auf den Kläger rechnerisch 1.335 Euro entfallen. Damit ist sein eigener angemessener
Bedarf im Verhältnis zur Beklagten noch gewahrt.
Ab 2006 haben sich ausweislich der vorgelegten Gehaltsmitteilung die Einkommensverhältnisse durch den
ausgezahlten Kinderzuschlag sowie die Sonderzahlung verändert. Bei einem Jahresbruttoeinkommen von
hochgerechnet 51.485 Euro ergibt sich unter Berücksichtigung des von dem Kläger in Anspruch genommenen
Steuerfreibetrages von 2.400 Euro und einem Lohnsteuerabzug nach der Lohnsteuerklasse 3 ein
Jahresnettoeinkommen von 38.800 Euro. Dies entspricht bei ansonsten unveränderten Verhältnissen einem
monatlichen Nettoeinkommen von rund 2.480 Euro (6/7Anteil 2.125 Euro). Auf Seiten der Beklagten sind unverändert
1.175 Euro (6/7Anteil 1.020 Euro) anzusetzen, so dass sich ein angemessener Bedarf von gerundet 550 Euro ergibt.
Da der Kläger nunmehr dem Lohnsteuerabzug nach der Steuerklasse III unterliegt, ist für die Bemessung des
Bedarfs seiner Ehefrau bei einem Jahresnettoeinkommen von rund 43.955 Euro nach Abzug aller unverändert
gebliebenen Belastungen ein Nettoeinkommen von rund 2.660 Euro zugrunde zu legen. Hieraus folgt ein
angemessener Bedarf von 1.140 Euro, der teilweise durch den freien Anteil aus dem Splittingvorteil in Höhe von 180
gedeckt ist, so dass sich ein Restbetrag von 960 Euro ergibt.
Von dem Gesamtbedarf von 1.510 Euro entfallen auf die Beklagte 36%, so dass sich ihr angemessener
Restanspruch auf 200 Euro beläuft.
Auch damit ist eine angemessene Verteilung des Einkommens gewährleistet. Die Beklagte kann über insgesamt
1.375 Euro verfügen, während der neuen Familie nach Abzug des zu zahlenden Unterhalts 2.460 Euro verbleiben.
Soweit der Kläger der Beklagten in der Vergangenheit einen höheren als den aus dem Tenor ersichtlichen Unterhalt
gezahlt hat, ist die Beklagte ihm gemäß § 812 BGB zur Rückzahlung verpflichtet. Denn mit der rückwirkenden
Herabsetzung des Unterhalts ist der rechtfertigende Grund für diese Leistung entfallen. Einwände gegen diesen
Anspruch hat die Beklagte nicht erhoben. Da der Kläger unstreitig monatlich 600 Euro gezahlt hat, sind für die
Monate März bis September 2006 jeweils 400 Euro, insgesamt folglich 2.800 Euro zu zahlen.
Das neue Vorbringen im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22. September 2006 gibt keinen Anlass, erneut in die
mündliche Verhandlung einzutreten. Es ist nicht ersichtlich, welche Gründe den Kläger an einem rechtzeitigen
Vortrag gehindert haben.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision gegen dieses Urteil wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Sache zu.
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