Urteil des OLG Köln vom 02.11.2010

OLG Köln (auflage, klage auf zahlung, beschwerdeführer, stgb, zahlung, ehefrau, höhe, schaden, interesse, strafkammer)

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 704/10
Datum:
02.11.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 704/10
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über eine Änderung der
Bewährungsauflage im Beschluss der Kammer vom 25.4.2008 (Az. 106
KLs 18/06) an das Landgericht Köln - auch zur Entscheidung über die
Kosten des Beschwerdeverfahren - zurückverwiesen.
Der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt H. für das
Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
G r ü n d e
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
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I.
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Mit nach Verwerfung der Revision seit dem 21.05.2009 rechtskräftigem Urteil vom
25.04.2008 hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts Köln – 106-18/06 –
gegen den 1949 geborenen, vormals als Notar tätigen Verurteilten wegen Untreue
im Zusammenhang mit der Abwicklung eines von ihm beurkundeten
Grundstückskaufvertrages eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitstrafe von 1
Jahr und 6 Monaten verhängt (Band I, Bl. 1 ff. BewH). Als Bewährungsauflage hat
die Kammer dem Verurteilten unter Nr. 3 unter anderem auferlegt, den bei der E.
Versicherung in Köln entstandenen Schaden nach besten Kräften
wiedergutzumachen (Bl. 80 R BewH). Mit Urteil vom 26.09.2009 hat der 18.
Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Rahmen eines zwischen der E.
und dem Verurteilten geführten Zivilprozesses die Auffassung vertreten, dass
diesem – entgegen dem strafrechtlichen Urteil – lediglich eine fahrlässige
Amtspflichtverletzung vorgeworfen werden kann (Band I, Bl. 94 R BewH). Am
15.10.2009 (Band I, Bl. 85 BewH) hat der Verurteilte gegen seine
Berufshaftpflichtversicherung – I.-J. – Klage auf Zahlung von 1,5 Mio. Euro
erhoben. Damit sollte ein Teil des nach Auffassung der E. im zweistelligen
Millionenbereich liegenden Schadens ausgeglichen werden (Band I, Bl. 82 BewH).
Den Gerichtskostenvorschuss in Höhe von ca. 16.000,00 Euro musste der nicht
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über ausreichende Liquidität verfügende Verurteilte sich von seiner Ehefrau
darlehensweise zur Verfügung stellen lassen (Band I, Bl. 85 BewH). Auf einen ihm
dies aufgebenden Beschluss des Landgerichts Köln vom 25.11.2009 (Band I, Bl.
124 ff. BewH) hin legte der Verurteilte seine derzeitigen wirtschaftlichen
Verhältnisse dar (Band I, Bl. 158 ff. BewH). Er habe bislang keine Zahlungen an
die E. leisten können, da er abgesehen von einer Mieteinnahme für eine ihm
gehörende Eigentumswohnung, die unter Berücksichtigung zu zahlenden
Wohngeldes 391,00 Euro betrage, über kein eigenes Einkommen verfüge (Band I,
Bl. 158 BewH). Er lebe von der Unterstützung seiner Ehefrau. Nach am 24.07.2008
erfolgter Freigabe von seitens der Staatsanwaltschaft arrestierten und gepfändeten
Vermögens habe er einen Betrag in Höhe von 420.000,00 Euro an seine erste
Ehefrau zum Zwecke der Tilgung einer bei dieser bestehenden
Darlehensrückzahlungsverpflichtung überwiesen. Mit dem Erlös aus dem Verkauf
einer Schiffsbeteiligung in Höhe von 50.000,00 Euro habe er einen Sollsaldo auf
einem Konto bei der Stadtsparkasse ausgeglichen (Band I, Bl. 160 BewH). Er habe
– über die Verbindlichkeiten gegenüber der E. hinaus – Schulden in Höhe von ca.
179.000,00 Euro (Band I, Bl. 158 f. BewH). Mit Beschluss vom 23.08.2010 hat die
6. große Strafkammer des Landgerichts Köln den Bewährungsbeschluss vom
25.04.2008 hinsichtlich der Auflage zur Schadenswiedergutmachung dahingehend
abgeändert, dass der Verurteilte statt zur Schadenswiedergutmachung verpflichtet
ist, bis zum Ablauf der Bewährungszeit monatlich 100 Sozialstunden abzuleisten
(Band II, Bl. 246 ff. BewH). Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 30.08.2010
(Band II, Bl. 267 ff. BewH), ergänzt mit Verteidigerschriftsatz vom 14.10.2010 (Band
II, Bl. 280 ff. BewH). Mit Beschluss vom 18.10.2010 hat das Landgericht Köln der
Beschwerde nicht abgeholfen (Band II, Bl. 291 ff. d.V.). Hierin hat das Gericht unter
anderem ergänzend ausgeführt, dass es dem Verurteilten bewusst aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit freigestellt habe, sich selbst eine Arbeitsstelle für die
Ableistung gemeinnütziger Arbeit zu suchen, die seinem gesundheitlichen Zustand
und seiner Qualifikation entspricht, zu suchen. Die erteilte Auflage sei unter
Berücksichtigung dieses Umstandes nicht zu unbestimmt. Sollte es dem
Verurteilten nicht gelingen, eine Einsatzstelle zu finden oder die Einteilung der 100
Stunden auf den Monat vorzunehmen, bitte es um Mitteilung, damit er durch einen
Bewährungshelfer bei der Organisation der Ableistung der Sozialstunden
unterstützt werden könne (Band II, Bl. 292 f. BewH).
II.
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Die gemäß § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen unter
Berücksichtigung des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässige Beschwerde ist
begründet. 1. Nach § 56e StGB kann das Gericht Entscheidungen nach § 56b
StGB nachträglich ändern. Die nachträgliche Änderung steht im Ermessen des
Gerichts. Sie kommt dann in Betracht, wenn sich die objektive Situation geändert
hat sowie wenn das Gericht von bestehenden Umständen erst nachträglich
erfahren hat (Fischer, StGB, 57. Auflage, § 56e Rdnr. 2). Entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers ist diese Voraussetzung gegeben. Sein Einwand, es sei
keine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten, insbesondere sei
dem Gericht bereits bei Verkündung des Urteils und des Bewährungsbeschlusses
am 25.04.2008 seine wirtschaftliche Situation einschließlich der nicht bestehenden
Möglichkeit, wieder als Notar zu arbeiten, bekannt gewesen (Band II, Bl. 260. 262,
283 BewH), verfängt nicht. Zwar waren dem Gericht die vorbezeichneten
Umstände bekannt. Allerdings ging das Gericht davon aus, dass der Verurteilte
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noch vorhandene Vermögenswerte zur Schadenswiedergutmachung bei der E.
und nicht zur Tilgung anderweitiger Verbindlichkeiten gegenüber seiner ersten
Ehefrau und der Stadtsparkasse verwendet. Dass der unbestreitbar in
Millionenhöhe bestehende Schaden noch nicht zivilgerichtlich beziffert ist, steht der
Verpflichtung zur Leistung von Zahlungen an die DEVK entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers (Band II, Bl. 247, 263 BewH) nicht entgegen. 2. Auch ist
ein Ermessensfehlgebrauch nicht ersichtlich. a) Soweit der Beschwerdeführer die
Auffassung vertritt, es sei der Auflage zur Schadenswiedergutmachung nicht zu
entnehmen, dass er sich unter Hinnahme eigener wirtschaftlicher Einbußen zu
bemühen habe, den entstandenen Schaden auszugleichen (Band II, Bl. 261
BewH), erscheint dies unverständlich. Es bedarf keiner Diskussion, dass eine
Schadenswiedergutmachung zu eigenen finanziellen Einbußen desjenigen führen
kann, der den Schaden auszugleichen hat. b) Die Auffassung des
Beschwerdeführers, er führe den Zivilprozess gegen seinen
Berufshaftpflichtversicherer allein im Interesse der E., nicht aber im eigenen
Interesse, weil er Privatinsolvenz anmelden könne und die Forderung der E.
aufgrund der Tatsache, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf entgegen der
Auffassung der Strafkammer lediglich von einem fahrlässigen verhalten ausgehe,
der Restschuldbefreiung unterliege (Band II, Bl. 261 BewH), ist bereits deshalb
unzutreffend, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Klageerhebung am
15.10.2009 bereits wegen der zu erfüllenden Auflage zur
Schadenswiedergutmachung ein Interesse daran haben musste, dass seine
Berufshaftpflichtversicherung Zahlung leistet. c) Soweit der Beschwerdeführer
meint, das Gericht habe bei der Änderung der Auflage ausreichend nicht
berücksichtigt, dass er angeboten habe, monatlich 150,00 Euro an die E. zu zahlen
(Band II, Bl. 238, 265 BewH), verkennt er, dass allein ein Angebot zur Zahlung
noch keine Wiedergutmachung bedeutet. 3. Auch steht einer in dem
angefochtenen Beschluss erfolgten Änderung der Bewährungsauflage nicht die
Vorschrift des § 56b Abs. 2 Satz 2 StGB entgegen. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers (Band II, Bl. 264 BewH) steht die Erfüllung der Auflage zur
Ableistung von Sozialstunden der Wiedergutmachung des Schadens nicht
entgegen. Soweit der Beschwerdeführer hierzu ausführt, die Fortführung des
Rechtsstreits gegen seinen Haftpflichtversicherer würde damit aus wirtschaftlicher
Sicht überflüssig, da ihm im Falle des Privatinsolvenzverfahrens
Restschuldbefreiung zu erteilen wäre, und er damit ankündigt, er werde die Klage
zurücknehmen, ist dem entgegenzuhalten, dass für diesen Fall allenfalls die
Klagerücknahme, aber nicht die Ableistung von Sozialstunden die
Wiedergutmachung des Schadens beeinträchtigen würde. 4. Die Erfüllung der
Auflage zur Ableistung von Sozialstunden ist auch nicht unzumutbar i.S.d. § 56b
Abs. 1 Satz 2 StGB. Die von dem Beschwerdeführer vorgenommene Berechnung
zu einer etwaigen, möglichen Anrechnung erbrachter Leistungen für den Fall eines
Bewährungswiderrufs (Band II, Bl. 289 BewH) vermögen die Unzumutbarkeit des
Umfangs der zu leistenden Arbeitsstunden nicht zu belegen. Angesichts der Höhe
des verursachten Schadens und der "Denkzettelfunktion" von Auflagen (vgl. OLG
Celle, NStZ 1990, 148) halten sich die auferlegten Sozialstunden im Rahmen des
dem Gericht eingeräumten Ermessens.
5. Die angeordnete Auflage ist jedoch – nur deshalb - aufzuheben, weil sie nicht
dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht wird.
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Bewährungsauflagen müssen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar
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sein. Nur so können Verstöße einwandfrei festgestellt werden und der Verurteilte
weiß unmissverständlich, wann ihm der Widerruf der Bewährung droht. Die
Tatsache, dass die Verfassung die Entziehung der Freiheit dem Richter vorbehält
(Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) haben den Gesetzgeber veranlasst, die inhaltliche, dem
Bestimmtheitsgebot entsprechende Ausgestaltung von Auflagen und Weisungen
ausschließlich dem Gericht zu übertragen. Deshalb darf sich das Gericht nicht
darauf beschränken, nur den Umfang der gemeinnützigen Leistungen festzulegen.
Vielmehr muss in der Auflage auch die Zeit, innerhalb derer die Arbeitsleistung zu
erfüllen ist, die Art und nach Möglichkeit auch der Ort dieser Arbeitsleistung und die
Institution, bei der sie abzuleisten ist, niedergelegt werden. Da eine Auflage der
Genugtuung für das begangene Unrecht zu dienen hat (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB)
ist es deshalb notwendig, die gemeinnützige Leistung so auszuwählen, dass sie in
einem sinnvollen Zusammenhang mit dem vom Verurteilten begangenen Unrecht
steht. Diese ihm allein obliegende Befugnis zur inhaltlichen Ausgestaltung der
Arbeitsauflage darf das Gericht nicht an Dritte delegieren (OLG Frankfurt a.M.
NStZ-RR 1996, 220; OLG Dresden vom 29.04.2008 – 2 Ws 81/08 -, zitiert nach
iuris; Fischer, a.a.O., § 56b Rdnr. 8). Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das
Landgericht nicht gehindert, in einem neuen Beschluss die
Wiedergutmachungsauflage in eine Auflage zur Leistung von monatlich 100
Sozialstunden abzuändern. Da das Verschlechterungsverbot im strafprozessualen
Beschlussverfahren nicht gilt (Fischer, a.a.O., vor § 304 Rdnr. 5), wäre auch ein
auch ein Bewährungswiderruf denkbar.
Dem stimmt der Senat mit der Maßgabe zu, dass Bedenken gegen die
Verhältnismäßigkeit der Auflage insoweit bestehen, als dem Beschwerdeführer bei die
Erbringung von 100 Sozialstunden im Monat keine Urlaubszeiten eingeräumt werden.
Im Übrigen erscheint die Anzahl der zu leistenden Stunden zwar relativ hoch, hält sich
aber im Rahmen des der Strafkammer zustehenden Ermessens. Die Auflage darf nur
nicht einen solchen Umfang haben, dass sie einer Strafe gleichkommt und an den
Verurteilten unzumutbare Anforderungen stellt, indem sie auf dessen konkreten
Lebensumstände nicht die genügende Rücksicht nimmt (BVerfGE 83, 119). Letzteres
scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil der Beschwerdeführer keiner
Erwerbstätigkeit nachgeht, obwohl er in seinem Alter von 61 Jahren durchaus in der
Lage wäre, vollschichtig erwerbstätig zu sein. Dass er für sich selbst beschlossen hat,
sein Erwerbsleben zu beenden und sich entsprechend einzurichten, ist kein Umstand,
der der Auferlegung von Sozialstunden entgegensteht. Die Sozialstunden kommen –
bei genügender Urlaubszeit – auch ihrem Umfang nach noch nicht einer Strafe gleich.
Da eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist, ist der vom Beschwerdeführer gezogene
Vergleich mit der Regelung in der Geldstrafentilgungsverordnung verfehlt. Entsprechend
dem Zweck einer Bewährungsauflage, die Vollstreckung einer an sich verwirkten
Freiheitsstrafe abzuwenden (BVerfG a.a.O.), muss sie durchaus so gestaltet sein, dass
sie eine fühlbare Einschränkung der Lebensführung darstellt. Die vom
Beschwerdeführer angebotene Zahlung von 150 € im Monat, die er durch ein Darlehen
seiner geschiedenen Ehefrau gegen Arbeitsleistung auf ihrem Hof oder spätere
Erstattung durch Einkommen aus einer eventuellen Erwerbstätigkeit aufbringen will, ist
daher als völlig unzureichend anzusehen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von
ihm aufgewandten Gerichtskosten im Prozess gegen seine Haftpflichtversicherung, die
im Falle des Erfolges der Klage, von dem er ausgeht, ohnehin vom Gegner zu erstatten
wären. Die Zahlung der Haftpflichtversicherung i.H.v. 1,5 Millionen Euro würde zudem
nur einen Bruchteil des der E. AG durch das Handeln des Beschwerdeführers mit
verursachten Schadens abdecken und ihn insoweit von der eigenen Haftung freistellen.
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In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass die recht
unmissverständliche Drohung, im Falle der Aufrechterhaltung der Auflage die Klage, die
im Hinblick auf eine mögliche Privatinsolvenz ohnehin nur im Interesse der
geschädigten E. AG erhoben worden sei, mit voller Kostentragungslast
zurückzunehmen, auf Unverständnis stößt. Eine solche Denkweise lässt es durchaus
angezeigt erscheinen, dem Beschwerdeführer durch eine empfindliche Auflage seine
Verantwortung vor Augen zu führen.
Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers liegen nicht vor, denn der
Beschwerdeführer ist Volljurist und kann seine Argumente selbst vortragen.
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