Urteil des OLG Köln vom 27.04.1999

OLG Köln (stpo, untersuchung, staatsanwaltschaft, zuständigkeit, anordnung, entnahme, eingriff in grundrechtspositionen, antrag, örtliche zuständigkeit, sache)

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 218/99
Datum:
27.04.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 218/99
Tenor:
Das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Bonn wird als das Gericht
bestimmt, das für die gemäß § 81 g StPO i.V.m. § 2 des DNA-
Identitätsfeststellungsgesetzes vom 7. September 1998 zu treffende
Anordnung der Entnahme und für die nach § 81 f i.V.m. § 81 g Abs. 3
StPO zu treffende Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung
von Körperzellen des Verurteilten D. O. zum Zwecke der
Identitätsfeststellungen in künftigen Strafverfahren und zur Feststellung
des DNA-Identifizierungsmusters zuständig ist.
G r ü n d e
1
I.
2
Der tunesische Staatsangehörige D. O. wurde durch Urteil des Landgerichts Bonn vom
16. Mai 1997 u.a. wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter
sexueller Nötigung sowie wegen weiterer Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf
Jahren verurteilt. Er verbüßt diese Strafe z.Zt. in der JVA Köln.
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Die Staatsanwaltschaft Bonn hat unter dem 14. Dezember 1998 bei dem Amtsgericht -
Ermittlungsrichter - in Köln unter Bezugnahme auf § 81 g StPO i.V.m. § 2 DNA-IFG
beantragt, die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen des
Verurteilten zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren und zur
Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters anzuordnen; nach dem Antrag soll ein
vereidigter Sachverständiger des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen in
Düsseldorf mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt werden.
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Der Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Köln hat diesen Antrag durch Beschluß vom
22. Dezember 1998 mit der - aufgrund der späteren Rechtsprechung der
Beschwerdestrafkammer des Landgerichts Köln überholten - Begründung abgelehnt,
mangels einer Zuständigkeitsregelung in dem DNA-IFG sei eine Zuständigkeit des
Ermittlungsrichters nicht gegeben.
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Unter dem 11. Januar 1999 hat dann die Staatsanwaltschaft Bonn denselben Antrag an
den Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Bonn gerichtet. Dieser hat den Antrag durch
Beschluß vom 21. Januar 1999 mit der Begründung zurückgewiesen, es sei die örtliche
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Zuständigkeit des Amtsgerichts Köln gegeben, da die "Behandlung" des Betroffenen in
der JVA Köln durchzuführen sei und die Untersuchungshandlung lediglich in der
Entnahme von Körperzellen, etwa durch eine Speichelprobe, bestehe; die
anschließende Untersuchung der Probe in einem Labor sei keine
Untersuchungshandlung i.S.v. § 162 StPO, da es sich hierbei nur noch um "die
Auswertung" handele, so daß auch nicht nach § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO die
Zuständigkeit des Amtsgerichts Bonn für die Durchführung mehrerer
Untersuchungshandlungen in unterschiedlichen Bezirken gegeben sei. Eine hiergegen
gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn hat das Landgericht Bonn durch
Beschluß vom 8. Februar 1999 zurückgewiesen und hierbei die Ansicht vertreten, daß
zur Auswertung des Untersuchungsmaterials keine gesonderte richterliche Anordnung
erforderlich sei.
Darauf wandte sich die Staatsanwaltschaft Bonn unter dem 16. März 1999 erneut an das
Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Köln mit dem Antrag, die begehrte Maßnahme
anzuordnen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht Köln mit Beschluß vom 19. März 1999
mit der Begründung zurückgewiesen, es sei die Zuständigkeitskonzentration gemäß §
162 Abs. 1 Satz 2 StPO gegeben.
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Auf Bitte der Staatsanwaltschaft Bonn hat die Generalstaatsanwaltschaft die Sache dem
Senat zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 14 StPO vorgelegt.
8
II.
9
1.
10
Die Vorlage ist zulässig. Es besteht ein Streit zwischen den Amtsgericht Köln und Bonn
über die Zuständigkeit, der sich als negativer örtlicher Kompetenzkonflikt darstellt. Der
Senat ist das gemeinschaftliche obere Gericht, da es vorliegend nur um die
Zuständigkeit entweder des Amtsgerichts Köln oder des Amtsgerichts Bonn gehen
kann.
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Auch der Senat folgt zu der Frage, ob überhaupt für die Anordnung in "Altfällen"
bezüglich Verurteilter außerhalb anhängiger Ermittlungsverfahren nach § 2 DNA-IFG
die Zuständigkeit des (Straf-)Richters (so noch unbestimmt Senge in Karlsruher
Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 81 g Rn. 9 und 11) begründet ist, der - entgegen
vereinzelter Rechtsprechung (LG Berlin NJW 99, 302; AG Landau/Pfalz NJW 99, 303),
wonach keinerlei Zuständigkeit der Strafgerichte gegeben sei - inzwischen
herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum: Danach ist für die Anordnung
der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung auch in
Altfällen die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht gegeben (vgl.
OLG Zweibrücken NJW 99, 300 = NStZ 99, 209; OLG Celle NStZ 99, 210; LG Karlsruhe
NJW 99, 301; AG Bad Kreuznach NJW 99, 303; Senge NJW 99, 253, 255/256; Volk
NStZ 99, 165, 168 ff). Dies beruht darauf, daß § 2 DNA-IFG - obwohl die Vorschrift auch
der Gefahrenabwehr außerhalb anhängiger Strafverfahren dient - schon vom Wortlaut
her auf § 1 desselben Gesetzes und damit auf § 81 g StPO Bezug nimmt, der seinerseits
wieder in Absatz 3 auf § 81 a Abs. 2 und § 81 f StPO verweist. Demnach ergibt sich die
Zuständigkeit des Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht aus § 162 StPO (OLG Celle
a.a.O. S. 211). Daher bestehen gegen die Anordnungskompetenz des
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Ermittlungsrichters auch keine Bedenken deswegen, weil das zu erstellende DNA-
Identifizierungsmuster nicht der Beweisführung in einer anhängigen Strafsache, sondern
in einem etwaigen künftigen Strafverfahren dienen soll (Senge NJW 99, 255, 256); daß
der Gesetzgeber diese Frage nicht ausdrücklich geregelt hat (vgl. Volk NStZ 99, 170),
steht dem nicht durchgreifend entgegen.
2.
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In der Sache ist vorliegend (entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft)
das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - in Bonn für örtlich zuständig zu erklären.
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Dies ergibt sich daraus, daß § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO anzuwenden ist. Mit dem
wiederholt gestellten Antrag auf Anordnung der Entnahme und auf Anordnung der
molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen hält die Staatsanwaltschaft
richterliche Anordnungen in mehr als einem Bezirk im Sinne dieser Bestimmung für
erforderlich. Die Entnahme soll an dem Aufenthaltsort des Verurteilten in der JVA Köln
erfolgen; die Untersuchung soll in dem Landeskriminalamt in Düsseldorf durchgeführt
werden.
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Zwar wäre für einen isolierten Antrag nur auf Entnahme nach § 81 g Abs. 1 erste
Alternative StPO die Zuständigkeit des Amtsgerichts Köln nach § 162 Abs. 1 Satz 1
StPO gegeben. Die Zuständigkeitskonzentration nach § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO bei
dem Amtsgericht am Sitz der antragstellenden Staatsanwaltschaft greift aber deswegen
ein, weil die zugleich beantragte molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung
des DNA-Identifizierungsmusters über die Entnahmeanordnung hinaus einer
gesonderten richterlichen Anordnung bedarf und ihrerseits eine
Untersuchungshandlung i.S.d. § 162 StPO darstellt, die in einem anderen
Amtsgerichtsbezirk vorzunehmen wäre.
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Dem steht nicht entgegen, daß Entnahme und Untersuchung durch das Wort "und" in §
81 g Abs. 1 StPO miteinander verbunden sind und daß die eine Maßnahme von der
vorherigen Durchführung der anderen abhängig ist. Gemäß dem nach § 81 g Abs. 3
StPO entsprechend geltenden § 81 f StPO bedarf nämlich gerade die Untersuchung
ebenfalls der Anordnung durch den Richter. (Sie ist diesem - anders als die Anordnung
der Entnahme, die nach § 81 a Abs. 2 StPO in Eilfällen auch durch die
Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten angeordnet werden kann - sogar
ausschließlich vorbehalten; vgl. Pfeiffer, StPO, 2. Aufl., § 81 g Rn. 1; Senge NJW 99,
255). Unrichtig ist insofern der Ausgangspunkt der Beschlüsse des Amtsgerichts Bonn
vom 21. Januar 1999 und des Landgerichts Bonn vom 8. Februar 1999 in vorliegender
Sache, wonach die der Entnahme nachfolgende Untersuchung des DNA-Materials
keine Untersuchungshandlung i.S.d. § 162 StPO darstelle, weil es sich hier nur noch
"um die Auswertung" handele, für die keine gesonderte richterliche Anordnung
erforderlich sei. Das Gegenteil ergibt sich nicht nur schon in formeller Hinsicht aus § 81 f
StPO. Auch der Sache nach führt erst die Untersuchung zu dem eigentlichen Eingriff in
Grundrechtspositionen des Betroffenen, der den Richtervorbehalt erfordert, bis hin zu
der dauernden dateimäßigen Erfassung und Speicherung der bei der Untersuchung
gewonnenen DNA-Identifizierungsmuster beim Bundeskriminalamt (vgl. hierzu Senge in
KK § 81 g Rn. 15). Zudem obliegt es dem Richter, auch zu bestimmen, welcher
Sachverständige nach § 81 f Abs. 2 StPO zu beauftragen ist (vgl. Pfeiffer § 81 f Rn. 1;
Senge in KK § 81 f Rn. 3).
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Da demnach für die beantragten Maßnahmen der Entnahme und der Untersuchung
Anordnungen unterschiedlicher Gerichte (hier nach den Anträgen der
Staatsanwaltschaft Bonn je für sich betrachtet: des Amtsgerichts Köln und des
Amtsgerichts Düsseldorf) erforderlich wären, greift die Zuständigkeitsregelung des § 162
Abs. 1 Satz 2 StPO ein. Zwar dürfte es in der Regel in den Anwendungsbereich dieser
Vorschrift fallen, daß gleichzeitig und gleichrangig durchzuführende
Untersuchungshandlungen (etwa Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen in
verschiedenen Gerichtsbezirken) beantragt werden. Hierauf ist der Anwendungsbereich
des § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO aber nicht beschränkt. Weder dem Wortlaut noch der
Entstehungsgeschichte und dem Bedürfnis für diese durch das Erste Gesetz zur Reform
des Strafverfahrensrechts geschaffene Vorschrift (vgl. Rieß NJW 75, 84, 85) läßt sich
etwas dafür entnehmen, daß für die Anwendbarkeit des § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO
danach zu differenzieren wäre, ob die durchzuführenden verschiedenen
Untersuchungshandlungen gleichrangig oder (in zeitlicher oder sachlicher Hinsicht)
nachrangig sind. Die Zuständigkeitskonzentration tritt stets dann ein, wenn das
Bedürfnis nach der Vornahme richterlicher Handlungen in mehreren Bezirken hervortritt,
was schon in einem ersten Antrag der Fall sein, was aber auch erst bei einem späteren
Antrag deutlich werden kann (Rieß NJW 75, 85; vgl. auch Meyer-Goßner in Löwe-
Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 162 Rn. 13, 14).
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Schließlich stehen auch praktische Erwägungen der Zuständigkeit des
Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht am Sitz des Bezirks der Staatsanwaltschaft
jedenfalls nicht entgegen (wie dies in vergleichbarer anderer Sache auch schon das
Landgericht Köln durch Beschluß vom 18. Februar 1999 - 108 Qs 7/99) entschieden
hat). Die Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung
sind an dieselben Voraussetzungen des § 2 DNA-IFG und des § 81 g StPO geknüpft, so
daß die Staatsanwaltschaft deren Anordnung - wie auch vorliegend - in der Regel
gleichzeitig beantragen wird. Eine Entscheidung durch das Amtsgericht am Sitz der
Staatsanwaltschaft nach § 162 Abs. 1 Satz 2 StPO anstelle einer Entscheidung des
Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Verurteilte einsitzt oder sich sonst aufhält, kann
gleichermaßen und jedenfalls ohne Mehraufwand getroffen werden. In nicht seltenen
Fällen dürfte es sogar so sein, daß der Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht am Sitz
der Staatsanwaltschaft auch derjenige Ermittlungsrichter ist, der schon in dem
vorangegangenen Verfahren tätig war, das zu der Verurteilung i.S.d. § 2 DNA-IFG
geführt hatte und der deswegen auch die Voraussetzungen des § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81
g Abs. 1 StPO hinsichtlich der Art der Vorstrafe von allen denkbar zuständigen örtlichen
Amtsgerichten am ehesten einschätzen kann. Demgegenüber ließe eine Zuständigkeit
des Ermittlungsrichters desjenigen Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Verurteilte
einsitzt oder sich sonst aufhält - was auf vielfachen Umständen beruhen kann -, auch
nach Praktikabilitätsgesichtspunkten jedenfalls keine sachlichen Vorzüge erkennen.
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Nach alledem war die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht Bonn
zu bestimmen.
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