Urteil des OLG Köln vom 24.11.1992

OLG Köln (vorstand, tochtergesellschaft, bundesrepublik deutschland, mehrheit, gesellschaft, antrag, beteiligung, aktiengesellschaft, tatsächliche vermutung, teil)

Oberlandesgericht Köln, 22 U 72/92
Datum:
24.11.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
22. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 U 72/92
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 91 O 203/91
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 03.02.1992 verkündete Urteil
der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 91 O 203/91
- wird zu-rückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die
Klägerin. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die
Vollstreckung der Beklagten durch eine Sicherheitslei-stung von
26.500,00 DM abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Voll-
streckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Beiden Parteien wird
gestattet, die Sicherheit auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft
einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu er-
bringen.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin ist seit Mitte 1987 mit 37 % am stimmberechtigten Kapital der Beklagten
beteiligt. Mehrheitsaktionärin mit einer Beteiligung von 57 % ist die C. K. AG, früher
C. AG in K..
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Zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung gemäß § 17 Abs. 2 AktG und der
darauf begründeten Kon-zernvermutung bestand zwischen der Mehrheitsaktio-närin
und der Beklagten seit dem 13.12.1977 ein sogenannter Entherrschungsvertrag, auf
dessen In-halt Bezug genommen wird (Bl. 52 f d.A.). Im Hin-blick auf diesen
Entherrschungsvertrag erstellte der Vorstand der Beklagten in den Jahren 1987 bis
1990 keinen Abhängigkeitsbericht und nahm auch im Lagebericht nicht die in § 312
Abs. 3 Satz 3 AktG für abhängige Unternehmen vorgesehene Schlußerklä-rung auf.
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In den vergangenen Jahren verlagerte die Beklag-te einen Teil ihres
Auslandsgeschäfts, das sie ursprünglich durch eigene Niederlassungen in Grie-
chenland, den Niederlanden und Italien betrieben hatte, auf gemeinsame
Tochtergesellschaften mit der C. AG, nämlich die N. C. H. AG, die C. N. S. N.V. und
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die N. C. D. A. SpA. Die Hauptversamm-lung der Beklagten wurde an diesen
Vorgängen nicht beteiligt.
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Zum 01.07.1991 wurde die Co. V. AG, eine öster-reichische Tochtergesellschaft der
C. Versiche-rungs AG, mit der N. Ve. AG, eine österreichische Tochtergesellschaft
der Beklagten, verschmolzen. Die Hauptversammlung der aufnehmenden N. Ve. AG
stimmte der Verschmelzung zu. Die Verschmelzung erfolgte durch Gewährung von
neuen Aktien an die Aktionäre der übertragenden Gesellschaft, nämlich die C.
Versicherungs AG und die C. Lebensversiche-rungs AG in K.. Die beiden deutschen
C. Gesell-schaften erwarben dadurch eine Beteiligung an der aufnehmenden
Gesellschaft von 25,53 %, während die Beklagte mit einer Quote von 74,47 %
Mehrheitsge-sellschafterin blieb.
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Im Laufe des Jahres 1991 ergaben sich darüber hinaus personelle Verflechtungen
zwischen der Be-klagten und ihrer Mehrheitsaktionärin. So übernahm der
Vorstandsvorsitzende der Beklagten, Herr K. , zugleich das Amt des
Vorstandsvorsitzenden in der C. K. AG, während ihr weiteres Vorstandsmitglied Dr.
H. ebenfalls in den Vorstand der Mehrheits-aktionärin gewählt wurde. Ferner wurde
das Vor-standsmitglied Dr. Dr. L. der Beklagten zugleich als Generalbevollmächtigter
der C. K. AG tätig. Dies geschah jeweils mit Zustimmung des Aufsichts-rats der
Beklagten.
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Die Klägerin legte in der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.06.1991 gegen
die Entlastungsbe-schlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat, die gegen bzw. ohne die
Stimmen der Klägerin zustandegekom-men waren, Widerspruch zu Protokoll ein.
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Die Klägerin hat mit ihrer Klage die Unwirksam-keit der Jahresabschlüsse der
Beklagten für die Geschäftsjahre 1987 bis 1990 und die Feststellung von
Pflichtverletzungen des Vorstands der Beklag-ten geltendgemacht sowie die
Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.06.1991
angefochten.
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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Ent-herrschungsvertrag zwischen der
Beklagten und ih-rer Mehrheitsaktionärin sei aus formellen Gründen - fehlende
Zustimmung der Hauptversammlungen der beteiligten Gesellschaften - und aus
inhaltlichen Gründen - u.a. zu kurze Kündigungsfrist - unwirk-sam. Mithin habe ein
Abhängigkeitsbericht erstellt werden müssen, dessen Fehlen zur Nichtigkeit des
Jahresabschlusses führe. Denn ohne den Abhängig-keitsbericht ließen sich weder
die Schutzvor-schriften für die Minderheitsaktionäre einhalten noch sei eine
vollständige Prüfung des Jahres-abschlusses, die sich auch auf etwaige Ersatz-
ansprüche wegen benachteiligender Geschäfte mit dem herrschenden Unternehmen
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zur erstrecken habe, möglich.
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Die Klägerin hat ferner die Auffassung geäußert, der Vorstand der Beklagten habe
seine Pflichten verletzt, als er ohne Beteiligung der Hauptver-sammlung der
Beklagten die österreichische Toch-tergesellschaft der Beklagten mit der österrei-
chischen Tochtergesellschaft ihrer Mehrheitsak-tionärin verschmolzen habe. Die
Fusion laufe auf eine Gewinngemeinschaft im Sinne des § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG
hinaus. Außerdem habe es sich um einen wesentlichen Teil des Unternehmens der
Beklagten gehandelt, da das österreichische Prämienvolumen seinerzeit etwa 15 %
des Prämienvolumens der Be-klagten ausgemacht habe. Nach den Leitlinien, die der
Bundesgerichtshof in der sogenannten Holzmül-ler-Entscheidung (NJW 1982, 1703)
aufgestellt ha-be, sei eine Beschlußfassung der Hauptversammlung der Beklagten
mit einer Mehrheit von 3/4 des vertretenen Grundkapitals erforderlich gewesen.
Zumindest habe der Vorstand der Beklagten pflicht-widrig gehandelt, weil er die
Angelegenheit nicht gemäß § 119 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung der Beklagten
zur Beschlußfassung vorgelegt habe.
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Dies gelte gleichermaßen für die Umwandlung der griechischen, italienischen und
niederländi-schen Zweigniederlassung der Beklagten in Gesell-schaften, an denen
jeweils die C. AG beteiligt ist. Hierin komme eine Gesamtstrategie zum Aus-druck,
wonach das Auslandsgeschäft der Beklagten vollständig in
Gemeinschaftsunternehmen überführt werden solle. Dies sei nicht ohne
entsprechende Anpassung der Satzung zulässig. Jedenfalls sei der Vorstand der
Beklagten verpflichtet gewesen, in jedem Einzelfall die Zustimmung der
Hauptversamm-lung gemäß § 119 Abs. 2 AktG einzuholen.
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Was schließlich die personellen Verflechtungen zwischen der Beklagten und ihrer
Mehrheitsaktionä-rin anbelange, so sei die Interessenkollision der Doppelmandate
angesichts der Konkurrenzsituation zwischen der Beklagten und der C.
Versicherungs AG vorprogrammiert. Die betreffenden Vorstandsmit-glieder
verstießen daher durch die Übernahme der Ämter in der C. K. AG gegen ihre
gegenüber der Beklagten und deren Aktionären obliegenden Treupf-lichten.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen,
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I.
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daß die Jahresabschlüsse der Beklag-ten für die Geschäftsjahre 1987, 1988,
1989 und 1990 nichtig sind;
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II.
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daß der Vorstand der Beklagten ei-ne rechtswidrige Pflichtverletzung da-durch
begangen hat, daß er daran mit-wirkte, die Co. V. -AG, W., auf die N. Ve.-
Aktiengesellschaft, W., in der Weise zu verschmelzen, daß die N. Ve. -AG (nach
Namensänderung die heutige "N. C. Verwaltungs-AG") dafür neue Ak-tien an die
C. Versicherung AG und die C. Lebensversicherungs-AG im Gesamt-umfang
einer Beteiligung von 25,53 % an der aufnehmenden Gesellschaft ge-währte,
ohne der Hauptversammlung der Beklagten die geplante Verschmelzung zur
Beschlußfassung vorzulegen und ei-nen mit einer Mehrheit, die mindestens drei
Viertel des bei der Beschlußfas-sung vertretenen Grundkapitals umfaßt, gefaßten
zustimmenden Beschluß der Hauptversammlung erwirkt zu haben;
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hilfsweise hierzu festzustellen,
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daß der Vorstand der Beklagten ei-ne rechtswidrige Pflichtverletzung da-durch
begangen hat, daß er daran mit-wirkte, die Co. V. -AG, W., auf die N. Ve.-
Aktiengesellschaft, W., in der Weise zu verschmelzen, daß die N. Ve. -AG (nach
Namensänderung die heutige "N. C. Verwaltungs-AG") dafür neue Ak-tien an die
C. Versicherung AG und die C. Lebensversicherungs-AG im Gesamt-umfang
einer Beteiligung von 25,53 % an der aufnehmenden Gesellschaft ge-währte,
ohne der Hauptversammlung der Beklagten die geplante Verschmel-zung zur
Beschlußfassung analog zu § 119 Abs. 2 AktG vorzulegen und einen mit
Mehrheit gefaßten zustimmenden Be-schluß der Hauptversammlung erwirkt zu
haben;
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III.
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daß die vom Vorstand der Beklagten betriebene Transformation des bisher durch
eigene Zweigniederlassungen oder 100%ige Tochtergesellschaften im Aus-land
betriebenen Versicherungsgeschäf-tes in ein Versicherungsgeschäft, das durch
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Tochtergesellschaften betrieben wird, an denen die Beklagte und die C.
Versicherungs-Aktiengesellschaft mit Sitz in K. oder mit dieser verbundene
Gesellschaften beteiligt sind, nicht ohne vorherige Änderung der Satzung der
Beklagten weiterbetrieben werden darf;
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hilfsweise hierzu festzustellen,
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daß die vom Vorstand der Beklagten betriebene Transformation des bisher durch
eigene Zweigniederlassungen oder 100%ige Tochtergesellschaften im Aus-land
betriebenen Versicherungsgeschäf-tes in ein Versicherungsgeschäft, das durch
Tochtergesellschaften be-trieben wird, an denen die Beklagte und die C.
Versicherungs-Aktiengesell-schaft mit Sitz in K. oder mit dieser verbundene
Gesellschaften beteiligt sind, nicht weiterbetreiben darf, oh-ne der
Hauptversammlung das Gesamtkon-zept und die zu seiner Verwirklichung
geplanten Einzelschritte zur Beschluß-fassung vorzulegen und einen mit einer
Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertrete-nen
Grundkapitals umfaßt, gefaßten zu-stimmenden Beschluß der Hauptversamm-
lung erwirkt zu haben;
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ganz hilfsweise hierzu festzustellen,
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daß die vom Vorstand der Beklagten betriebene Transformation des bisher durch
eigene Zweigniederlassungen oder 100%ige Tochtergesellschaften im Aus-land
betriebenen Versicherungsgeschäf-tes in ein Versicherungsgeschäft, das durch
Tochtergesellschaften betrieben wird, an denen die Beklagte und die C.
Versicherungs-Aktiengesellschaft mit Sitz in K. oder mit dieser verbun-dene
Gesellschaften beteiligt sind, nicht weiterbetreiben darf, ohne der
Hauptversammlung des Gesamtkonzept und die zu seiner Verwirklichung
geplan-ten Einzelschritte zur Beschlußfassung analog zu § 119 Abs. 2 AktG
vorzulegen und einen mit Mehrheit gefaßten zu-stimmenden Beschluß der
Hauptversamm-lung erwirkt zu haben;
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IV.
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daß die Vorstandsmitglieder der Be-klagten, die Herren C. K., Vorstands-
vorsitzender, Dr. A. H., Vorstand und Dr. Dr. E. L., Stellvertretender Vor-stand
gegen ihre Pflichten als Vor-standsmitglieder der Beklagten versto-ßen, wenn sie
die Ernennung zu Vor-ständen bzw. Herr Dr. Dr. L. als Ge-neralbevollmächtigter
der C. K. AG an-nehmen und diese Ämter ausüben;
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ferner hat sie beantragt,
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V.
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die in der Hauptversammlung der Be-klagten vom 25. Juni 1991 gefaßten Be-
schlüsse, mit denen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat Entlastung erteilt
worden ist, für nichtig zu erklären;
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VI.
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der Beklagten die Kosten aufzugeben;
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VII.
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der Klägerin nachzulassen, eine ihr auferlegte Sicherheitsleistung durch
Bankbürgschaft zu erbringen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, ihr Sicherheitsleistung durch Bürgschaft einer deutschen Groß-bank
zu gestatten.
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Sie hat vorgetragen, die Jahresabschlüsse für die Jahre 1987 bis 1990 seien
wirksam. Abhängigkeits-berichte hätten nicht erstellt werden müssen, weil die aus
der Mehrheitsbeteiligung folgende Abhän-gigkeitsvermutung sowohl durch den
Entherrschungs-vertrag als auch durch das Gesamtbild der Bezie-hungen zwischen
der Beklagten und ihrer Mehrheits-aktionärin widerlegt werde. Im übrigen führe aber
auch das Fehlen eines notwendigen Abhängigkeitsbe-richts nicht zur Nichtigkeit des
Jahresabschlus-ses. Der Abhängigkeitsbericht sei weder Teil des
Jahresabschlusses noch des Lageberichts. Etwai-ge Ersatzansprüche aus
benachteiligenden Geschäf-ten mit dem herrschenden Unternehmen seien nicht
bilanzierungsfähig, so daß auch unter diesem Ge-sichtspunkt eine Nichtigkeit des
Jahresabschlusses nicht in Betracht komme.
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Bei der Verschmelzung der Co. V. AG auf die österreichische Tochtergesellschaft der
Beklagten habe die Hauptversammlung der Beklagten nicht beteiligt werden müssen.
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Das Prämienvolumen der österreichischen Tochtergesellschaft der Beklagten habe
nur 8 % des Prämienvolumens der von der Be-klagten geführten
Versicherungsgruppe ausgemacht. Es habe sich mithin nicht um die Ausgliederung
des wertvollsten Teils des Betriebsvermögens und damit um eine Änderung der
Unternehmensstruktur von Grund auf gehandelt.
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Ein Gesamtkonzept, das Auslandsgeschäft nur noch durch gemeinsame
Tochtergesellschaften der Beklag-ten und der C. Versicherungs AG zu betreiben,
gebe es nicht. Es handele sich lediglich um punktuelle Zusammenführungen, die in
die Kompetenz des Vor-stands fielen und von der Satzung gedeckt seien.
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Soweit die Klägerin die Feststellung der Pflicht-widrigkeit der Doppelmandate
begehre, sei dies un-zulässig, da die Klägerin nicht die Verletzung ei-gener Rechte
geltendmache. Im übrigen seien solche Doppelmandate üblich und rechtmäßig.
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Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 03.02.1992, auf das wegen aller
Einzelheiten verwiesen wird, die Beschlüsse der Hauptversamm-lung der Beklagten
vom 25.06.1991, durch die dem Vorstand und dem Aufsichtsrat Entlastung erteilt
worden ist, für nichtig erklärt und die Klage im übrigen abgewiesen. Es hat in seiner
Begründung ausgeführt, daß zwischen der Beklagten und ih-rer Mehrheitsaktionärin
ein Abhängigkeitsverhält-nis bestehe, das durch den Entherrschungsvertrag nicht
widerlegt werde, da der Vertrag nicht die erforderliche Mindestdauer vorgesehen
habe. Das Fehlen der danach notwendigen Abhängigkeitsberich-te berechtige die
Klägerin nur zur Anfechtung der Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung,
führe aber nicht zur Nichtigkeit der Jahresabschlüsse, da der Abhängigkeitsbericht
kein Bestandteil des Jahresabschlusses sei. Soweit sich die Klägerin gegen die
gemeinsamen Auslandsaktivitäten der Be-klagten und ihrer Mehrheitsaktionärin
wende, sei weder ein Satzungsverstoß zu erkennen noch stünden angesichts des
hiervon betroffenen Prämienvolumens der Beklagten Grundsatzentscheidungen in
Frage, die der Mitwirkung der Hauptversammlung bedürften. Der hinsichtlich der
Doppelmandate gestellte Fest-stellungsantrag sei mangels Feststellungsinteres-ses
unzulässig und im übrigen auch unbegründet, da solche Doppelmandate nicht
untersagt seien.
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Gegen das ihr am 12.02.1992 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.03.1992
Berufung eingelegt, die sie nach entsprechender Fristverlängerung mit einem am
25.05.1992 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
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Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung den vom Landgericht abgewiesenen Teil
ihres Klagebegehrens weiter. Sie wiederholt hierzu ihr Vorbringen vor dem
Landgericht und führt ergänzend aus, die Unwirksamkeit der Jahresabschlüsse 1987
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bis 1990 ergebe sich bereits daraus, daß die Beklagte ohne die Erstellung der
Abhängigkeitsberichte auch die hierfür benötigten Belege nicht gesammelt habe und
daher ihre Buchhaltung mangelhaft sei. Dementspre-chend könnten die
Jahresabschlüsse kein zutreffen-des Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage
nachzeichnen, da etwaige Ausgleichsansprüche wegen benachteiligender Geschäfte
unberücksichtigt ge-blieben seien. Der Zusammenhang zwischen Abhängig-
keitsbericht und Jahresabschluß ergebe sich auch aus § 285 Nr. 14 HGB, wonach im
Anhang zum Jah-resabschluß das Abhängigkeitsverhältnis anzugeben ist. Auch
diese Vorschrift sei verletzt worden, was den Jahresabschluß nichtig mache. Ebenso
führe das Fehlen der in den Lagebericht aufzunehmenden Schlußerklärung nach §
312 Abs. 3 AktG zur Nich-tigkeit des Jahresabschlusses, da ohne eine solche
Schlußerklärung der Abschlußprüfer einen uneinge-schränkten Bestätigungsvermerk
im Sinne des § 322 Abs. 1 HGB nicht habe erteilen dürfen.
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Soweit das Landgericht eine Mitwirkung der Haupt-versammlung der Beklagten bei
der Verschmelzung ihrer österreichischen Tochtergesellschaft mit der
österreichischen Tochtergesellschaft ihrer Mehr-heitsaktionärin nicht für erforderlich
gehalten habe, verkenne es die Tragweite der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs. Danach komme es für die Beurteilung der Frage, ob die
Geschäftspolitik des Vorstands eine Grundlagenentscheidung betref-fe, nur darauf
an, ob wesentliche Teile des Unter-nehmens berührt seien. Dies sei bei der österrei-
chischen Tochtergesellschaft der Beklagten im Hin-blick auf deren Prämienvolumen
der Fall gewesen. Das Landgericht habe demgegenüber die Wesentlich-keitsgrenze
zu hoch angesetzt.
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Aus den gleichen Gründen beruhe auch die Beur-teilung des Landgerichts, daß die
Umwandlung des Auslandsgeschäfts der Beklagten in Gemeinschafts-unternehmen
mit ihrer Mehrheitsaktionärin weder einer Satzungsänderung noch der Mitwirkung der
Hauptversammlung der Beklagten bedürfe, auf einer Fehleinschätzung. Die hinter
diesen Maßnahmen ste-hende Gesamtstrategie sei inzwischen noch weiter-geführt
worden. So habe die Beklagte ohne Befra-gung der Hauptversammlung ihre
Revisionsabteilung unter eine "gemeinsame Leitung" mit der C.-Gruppe gestellt.
Ferner habe sie es unternommen, auch ihr Rechenzentrum und das Management
ihres Immobilien-besitzes auszugliedern.
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Das Feststellungsinteresse der Klägerin für ihren Antrag zu IV ergebe sich daraus,
daß sie durch die infolge der personellen Verflechtungen ermöglichte intensive
Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und ihrer Mehrheitsaktionärin im Ausland
in ihrem Mitgliedschaftsrecht verletzt sei. Der Antrag sei auch begründet, weil ein
Doppelmandat bei konkur-rierenden Unternehmen wegen der zwangsläufig be-
stehenden Interessenkollision eine Pflichtverlet-zung bedeute.
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Die Klägerin beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des ange-fochtenen Urteils der 11. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts K. vom 3. Februar 1992 - 91 O 203/91 - festzu-
stellen,
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I.
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daß die Jahresabschlüsse der Beklagten für die Geschäftsjahre 1987, 1988, 1989
und 1990 nichtig sind,
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II.
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daß der Vorstand der Beklagten eine rechtswidrige Pflichtverletzung dadurch
begangen hat, daß er daran mitwirkte, die Co. V. -AG W., auf die N. Ve. -Ak-
tiengesellschaft, W., in der Weise zu verschmelzen, daß die N. Ve.-AG (nach
Namensänderung die heutige "N. C. Ver-waltungs-AG") dafür neue Aktien an die
C. Versicherungs AG und die C. Lebens-versicherungs-AG im Gesamtumfang
einer Beteiligung von 25,53 % an der aufneh-menden Gesellschaft gewährte, ohne
der Hauptversammlung der Beklagten die ge-plante Verschmelzung zur
Beschlußfas-sung vorzulegen und einen mit einer Mehrheit, die mindestens drei
Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt, gefaßten
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zustim-menden Beschluß der Hauptversammlung erwirkt zu haben,
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hilfsweise hierzu festzustellen,
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196
daß der Vorstand der Beklagten eine rechtswidrige Pflichtverletzung dadurch
begangen hat, daß er daran mitwirkte, die Co. V. -AG, W., auf die N. Ve. -Ak-
tiengesellschaft, W., in der Weise zu verschmelzen, daß die N. Ve.-AG (nach
Namensänderung die heutige "N. C. Ver-waltungs-AG") dafür neue Aktien an die
C. Versicherungs AG und die C. Lebens-versicherungs-AG im Gesamtumfang
einer Beteiligung von 25,53 % an der aufneh-menden Gesellschaft gewährte, ohne
der Hauptversammlung der Beklagten die ge-plante Verschmelzung zur
Beschlußfas-sung analog § 119 Abs. 2 AktG vorzule-gen und einen mit Mehrheit
gefaßten zustimmenden Beschluß der Hauptversamm-lung erwirkt zu haben,
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III.
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daß die vom Vorstand der Beklag-ten betriebene Transformation des bis-her durch
eigene Zweigniederlassun-gen oder 100%ige Tochtergesellschaften im Ausland
betriebenen Versicherungsge-schäftes in ein Versicherungsgeschäft, das durch
Tochtergesellschaften betrie-ben wird, an denen die Beklagte und die C.
Versicherungs-Aktiengesellschaft mit Sitz in K. oder mit dieser verbun-dene
Gesellschaften beteiligt ist/sind, nicht ohne vorherige Änderung der Sat-zung der
Beklagten weiterbetrieben wer-den darf,
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hilfsweise hierzu festzustellen,
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daß die vom Vorstand der Beklag-ten betriebene Transformation des bis-her durch
eigene Zweigniederlassun-gen oder 100%ige Tochtergesellschaften im Ausland
betriebenen Versicherungsge-schäftes in ein Versicherungsgeschäft, das durch
Tochtergesellschaften betrie-ben wird, an denen die Beklagte und die C.
Versicherungs-Aktiengesellschaft mit Sitz in K. oder mit dieser verbun-dene
Gesellschaften beteiligt ist/sind, nicht weiterbetreiben darf, ohne der
Hauptversammlung das Gesamtkonzept und die zu seiner Verwirklichung
geplanten Einzelschritte zur Beschlußfassung vor-zulegen und einen mit einer
Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen
Grundkapi-tals umfaßt, gefaßten zustimmenden Be-schluß der Hauptversammlung
erwirkt zu haben,
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ganz hilfsweise hierzu festzustellen,
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daß die vom Vorstand der Beklag-ten betriebene Transformation des bis-her durch
eigene Zweigniederlassun-gen oder 100%ige Tochtergesellschaften im Ausland
betriebenen Versicherungsge-schäftes in ein Versicherungsgeschäft, das durch
Tochtergesellschaften betrie-ben wird, an denen die Beklagte und die C.
Versicherungs-Aktiengesellschaft mit Sitz in K. oder mit dieser verbun-dene
Gesellschaften beteiligt ist/sind, nicht weiterbetreiben darf, ohne der
Hauptversammlung das Gesamtkonzept und die zu seiner Verwirklichung
geplanten Einzelschritte zur Beschlußfassung ana-log § 119 Abs. 2 AktG
vorzulegen und einen mit Mehrheit gefaßten zustimmen-den Beschluß der
Hauptversammlung er-wirkt zu haben,
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IV.
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daß die Vorstandsmitglieder der Beklag-ten, die Herren C. K., Vorstandsvorsit-
zender, Dr. A. H., Vorstandsmitglied, und Dr. Dr. E. L., Stellvertretendes
Vorstandsmitglied, gegen ihre Pflichten als Vorstandsmitglieder der Beklagten
verstoßen, wenn sie die Bestellung zu Vorständen und Herr Dr. Dr. L. als Ge-
neralbevollmächtigter der C. K. AG an-nehmen und diese Ämter ausüben,
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der Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen,
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VI.
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das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären und der Klägerin als Gläu-bigerin
Sicherheitsleistung, auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der
Bundesrepublik Deutschland an-sässigen Großbank oder öffentlich-rechtlichen
Sparkasse, zu gestatten,
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VII.
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äußerst hilfsweise der Klägerin für den Fall des teilweisen oder vollständigen
Unterliegens nachzulassen, die Zwangs-vollstreckung durch Sicherheitslei-stung,
auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik
Deutschland ansässigen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse, abzu-
wenden.
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Die Beklagte beantragt,
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1.)
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die Berufung zurückzuweisen,
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2.)
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hilfsweise der Beklagten nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gemäß § 712
ZPO gegen Sicherheitsleistung abzuwenden sowie
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3.)
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der Beklagten die Befugnis einzuräumen, etwa zu leistende Sicherheiten durch
die Bürgschaft einer deutschen Großbank stellen zu können.
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Die Beklagte trägt vor, ihr Jahresabschluß in den Jahren 1987 bis 1990 leide nicht an
Buchhaltungs-mängeln, insbesondere fehlten keine für den Ab-hängigkeitsbericht
erforderlichen Belege. Die Klä-gerin gehe von der irrigen Vorstellung aus, ein
Abhängigkeitsbericht beruhe auf anderen Belegen, als sie dem Jahresabschluß
zugrundeliegen. Für den Abhängigkeitsbericht gebe es jedoch keine ei-gene
Belegsammlung mit einem eigenen Kontorahmen, sondern es gehe im
Abhängigkeitsbericht vielmehr darum, einen bestimmten Kreis der in der Buchhal-
tung dokumentierten Geschäfte gesondert darzustel-len und zu beurteilen. Wenn
diese Darstellung und Beurteilung unterbleibe, ändere sich nichts an der
Ordnungsmäßigkeit der Buchhaltung für die Zwecke des Jahresabschlusses.
Ansprüche der Beklagten gegen ihre Mehrheitsaktionärin wegen nachteiliger
Geschäfte bestünden nicht und könnten auch nicht vermutet werden. Zudem dürften
lediglich vermute-te Ansprüche nicht bilanziert werden. Soweit in dem Anhang des
Jahresabschlusses die nach § 285 Nr. 14 HGB erforderlichen Angaben über das
Mutter-unternehmen der Beklagten unterblieben seien, han-dele es sich lediglich um
einen Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift, der nicht zur Unwirksamkeit des
Jahresabschlusses führe.
281
282
Im übrigen wiederholt und ergänzt die Beklagte ihr Vorbringen erster Instanz und tritt
dem Berufungs-vortrag der Klägerin entgegen.
283
284
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten
Schriftsätze und auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
285
286
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
287
288
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die
Abweisung des Feststellungsbegehrens der Klägerin durch das angefochtene Urteil
entspricht der Sach- und Rechtslage.
289
290
1.) Antrag zu I.
291
292
Der zulässige Antrag auf Feststellung der Nich-tigkeit der Jahresabschlüsse der
Beklagten für die Geschäftsjahre 1987 bis 1990 ist unbegründet, da keiner der
gesetzlichen Nichtigkeitsgründe nach seinen Voraussetzungen erfüllt ist.
293
294
Allerdings hat es die Beklagte in den Jahren 1987 bis 1990 unterlassen,
Abhängigkeitsberichte zu er-statten, obgleich sie hierzu gemäß § 312 AktG ver-
pflichtet war. Da die Beklagte im Mehrheitsbesitz der C. K. AG steht, wird gemäß § 17
Abs. 2 AktG vermutet, daß die Beklagte von ihrer Mehrheitsak-tionärin abhängig ist.
Diese Abhängigkeitsvermu-tung kann zwar durch einen Entherrschungsvertrag
widerlegt werden. Die entsprechende Vereinbarung vom 13.12.1977 zwischen der
Beklagten und ihrer Mehrheitsgesellschafterin wurde aber den Anforde-rungen an
einen wirksamen Entherrschungsvertrag schon deshalb nicht gerecht, weil wegen
der vorge-sehenen Kündigungsregelung keine Vertragsdauer von mindestens 5
Jahren gewährleistet war. Auf die Ausführungen des Landgerichts in dem
angefochte-nen Urteil wird Bezug genommen. Ebensowenig ist mangels näherer
Substantiierung von Seiten der Beklagten die Abhängigkeitsvermutung "durch das
Gesamtbild der Beziehungen" zwischen der Beklagten und der C. K. AG widerlegt,
wie ebenfalls das Landgericht zutreffend dargelegt hat. Die Beklagte ist dem in
zweiter Instanz nicht mehr entgegen-getreten und hat inzwischen durch ihren
Vorstand einen Abhängigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 1990 nachholen lassen.
295
296
Entgegen der Auffassung der Klägerin führte das Fehlen der Abhängigkeitsberichte
jedoch nicht zur Nichtigkeit der betreffenden Jahresabschlüsse.
297
298
a)
299
300
Die Nichtigkeit eines Jahresabschlusses nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG setzt voraus,
daß der Jahresab-schluß durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die zum Schutz
der Gesellschaftsgläubiger gegeben sind. Diese Voraussetzungen sind im
vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt.
301
302
Der Jahresabschluß einer Aktiengesellschaft be-steht nach § 242 Abs. 3 HGB aus
der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung sowie gemäß § 264 Abs. 1 HGB
zusätzlich aus einem Anhang, der mit der Bilanz und der Gewinn- und
Verlustrechnung eine Einheit bildet. Der Abhängigkeitsbericht ist danach nicht Teil
des Jahresabschlusses, so daß sich das Fehlen eines notwendigen
Abhängigkeitsbe-richts nicht auf den Inhalt des Jahresabschlusses auswirkt.
303
304
Ebenso wie der Abhängigkeitsbericht ist auch der Lagebericht kein Bestandteil des
Jahresabschlus-ses, sondern steht selbständig neben diesem, wie sich aus § 264
Abs. 1 Satz 2 HGB ergibt. Folglich kann das Fehlen der Schlußerklärung des
Vorstands aus seinem Abhängigkeitsbericht, die nach § 312 Abs. 3 Satz 3 AktG in
den Lagebericht aufzunehmen ist, ebenfalls keinen Einfluß auf den Inhalt des
Jahresabschlusses und damit auf seine Wirksamkeit haben. Hieran ändert sich
entgegen der Auffassung der Klägerin nichts dadurch, daß Jahresabschluß und
Lagebericht gemäß § 322 HGB einer gemeinsamen Abschlußprüfung unterzogen
werden. Denn der da-nach zu erteilende Bestätigungsvermerk soll gemäß § 322 Abs.
1 HGB nur bescheinigen, daß einerseits der Jahresabschluß den Grundsätzen
ordnungsgemäßer Buchführung entspricht sowie ein den tatsächlichen Verhältnissen
der Gesellschaft entsprechendes Bild vermittelt und andererseits der Lagebericht im
Einklang mit dem Jahresabschluß steht. Da die Schlußerklärung des Vorstands aus
dem Abhängig-keitsbericht nach § 312 Abs. 3 Satz 3 AktG ledig-lich in den
Lagebericht, nicht aber in den Jahres-abschluß aufzunehmen ist, kann sich deren
Fehlen weder auf den Inhalt des Jahresabschlusses noch auf die Richtigkeit des
Bestätigungsvermerks des Abschlußprüfers gemäß § 322 Abs. 1 HGB auswirken.
305
306
Die Klägerin vermag einen inhaltlichen Mangel der betreffenden Jahresabschlüsse
auch nicht daraus herzuleiten, daß die Buchhaltung der Beklagten nicht
ordnungsgemäß organisiert gewesen sei, weil die für einen Abhängigkeitsbericht
benötigten Belege in der Buchhaltung nicht gesammelt worden seien. Das Gesetz
schreibt insoweit keine geson-derte Belegsammlung vor. Der Abhängigkeitsbericht
beruht vielmehr auf denselben Belegen, die auch dem Jahresabschluß
zugrundeliegen. Die Jahresab-schlüsse der Beklagten wurden jeweils von einem
Abschlußprüfer geprüft und von diesem mit dem Be-stätigungsvermerk gemäß § 322
HGB versehen. Damit wurde den betreffenden Jahresabschlüssen auch die
Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchfüh-rung bescheinigt.
Irgendwelche Anhaltspunkte, daß in den dem Abschlußprüfer vorgelegten
Unterlagen Geschäftsvorgänge zwischen der Beklagten und ihrer
Mehrheitsaktionärin buchhalterisch nicht hinrei-chend erfaßt gewesen seien, hat die
307
Klägerin nicht vorgetragen.
308
Es kann ferner nicht davon ausgegangen werden, daß die Jahresabschlüsse
unvollständig sind, weil sie keine Ersatzansprüche der Beklagten aus nach-teiligen
Geschäften mit ihrer Mehrheitsaktionärin ausweisen. Die Klägerin hat keine näheren
Anhalts-punkte dafür vorgetragen, daß solche Ansprüche be-standen haben.
Entgegen ihrer Auffassung läßt sich die Existenz solcher Ansprüche auch nicht
vermu-ten. Denn es besteht weder einer gesetzliche noch eine tatsächliche
Vermutung, daß es im faktischen Konzern regelmäßig zu nachteiligen Geschäften mit
der herrschenden Gesellschaft kommt.
309
310
Die Jahresabschlüsse sind lediglich insoweit zu beanstanden, als entgegen § 285
Nr. 14 HGB in ihrem Anhang nicht der Name und der Sitz des Mutterunternehmens,
in dessen Konzernabschluß die Gesellschaft erfaßt wird, angegeben sind. Das
Fehlen dieser Angaben führt jedoch nicht zur Nich-tigkeit der Jahresabschlüsse
gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Hierfür wäre erforderlich, daß ein Bu-chungsvorgang,
seine Unterlassung oder die sonsti-ge Bilanzgestaltung gesetzeswidrig ist (Schilling
in Großkommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 256 Anm. 4). Dieser Inhalt des
Jahresabschlusses wird indes durch die fehlende Verweisung auf den Kon-
zernabschluß des Mutterunternehmens nicht berührt. Der Verstoß gegen § 285 Nr. 14
HGB begründet daher lediglich einen Ordnungsmangel. Aber selbst wenn ein
inhaltlicher Mangel zu bejahen wäre, müßte er als geringfügig eingeordnet werden,
da die Dar-stellung der Vermögens- und Ertragslage im Jahres-abschluß nicht
beeinträchtigt wird. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG führt jedoch nur bei wesentlichen
Gesetzesverstößen zur Nichtigkeit des Jahresab-schlusses (Zöllner in Kölner
Kommentar zum Aktien-gesetz, § 256 Rdnr. 2, 25).
311
312
b)
313
314
Der Nichtigkeitsgrund des § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG greift ebenfalls nicht ein. Diese
Vorschrift setzt voraus, daß die nach § 316 Abs. 1 u. 3 HGB erfor-derliche Prüfung
des Jahresabschlusses unterblie-ben ist. Im vorliegenden Fall hat jedoch sowohl
eine Prüfung der Jahresabschlüsse als auch der Lageberichte gemäß § 316 Abs. 1
HGB stattgefunden. Der Abhängigkeitsbericht ist demgegenüber nicht nach § 316
HGB, sondern nach § 313 AktG zu prüfen, auf den in § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG nicht
Bezug genommen wird. Das Fehlen der Schlußerklärung des Vorstands im
Lagebericht gemäß § 312 Abs. 3 AktG ändert nichts daran, daß der Lagebericht
ordnungs-gemäß geprüft worden ist. Im übrigen stellt § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG auch
nur auf die Prüfung des Jahresabschlusses ab, zu dessen Bestandteilen der
Lagebericht jedoch nicht gehört.
315
316
2.) Antrag zu II
317
318
Der Hauptantrag wie auch der Hilfsantrag auf Fest-stellung der Pflichtverletzung des
Vorstands im Zusammenhang mit der Verschmelzung der österrei-chischen Tochter
der Beklagten sind zulässig. Die Klägerin hat für beide Anträge das nach § 256 ZPO
erforderliche Feststellungsinteresse, da sie die Pflichtwidrigkeit des Vorstands
jeweils daraus ableitet, daß dieser es unterlassen habe, die Hauptversammlung der
Beklagten über die Verschmel-zung ihrer österreichischen Tochtergesellschaft mit
der österreichischen Tochtergesellschaft ih-rer Mehrheitsaktionärin abstimmen zu
lassen. Nach wohl einhelliger Meinung kann der Aktionär die Feststellung der
Pflichtwidrigkeit von Vorstands-maßnahmen jedenfalls dann begehren, wenn er die
rechtswidrige Verletzung seines eigenen Mitglied-schaftsrechts geltendmacht, was
namentlich dann der Fall ist, wenn der Vorstand die notwendige Zu-stimmung der
Hauptversammlung nicht eingeholt hat (vgl. BGH, NJW 1982, 1703 "Holzmüller";
Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1991, Sei-te 537 f m.w.N.).
319
320
In der Sache ist das Begehren der Klägerin jedoch nicht begründet.
321
322
a)
323
324
Eine Gewinnvereinbarung zwischen der Beklagten und ihrer
Mehrheitsgesellschafterin, die gemäß §§ 292 Abs. 1 Nr. 1, 293 Abs. 1 AktG eine
Zustimmung der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von 3/4 des vertretenen
Grundkapitals erforderlich machen würde, ist von der Klägerin nicht näher dargelegt
worden und vermag daher ihr Begehren nicht zu rechtfertigen.
325
326
Der vorgetragene Sachverhalt reicht ferner nicht aus, um eine ungeschriebene
Zuständigkeit der Hauptversammlung der Beklagten zu bejahen.
327
328
Der Bundesgerichtshof hat in der "Holzmüller"-Ent-scheidung eine solche
Zuständigkeit für Kapitaler-höhungen in einer durch Ausgliederung wesentlicher
Betriebsteile entstandenen Tochtergesellschaft be-jaht (BGH, a.a.O., 1707 f). Im
Schrifttum wird die Anerkennung derartiger Zuständigkeiten, mit denen die
Mitspracherechte der Aktionäre bis in abhän-gige Gesellschaften verlängert werden,
ebenfalls befürwortet (Raiser, Recht der Kapitalgesellschaf-ten, Seite 578 f;
Emmerich-Sonnenschein, Konzern-recht, Seite 103; Lutter, Festschrift für H. We-
stermann, 1974, Seite 365; Gessler, Festschrift für W. Stimpel, 1985, Seite 786).
Ausgangspunkt hierfür ist die Tendenz bereits des geltenden Aktienrechts, die
Minderheitsaktionäre vor einer Entwertung ihrer Mitgliedschaft durch unmittelbare
329
oder mittelbare Eingriffe der Mehrheit oder einer von ihr beeinflußten Verwaltung,
gerade auch im Konzernrecht, zu schützen. Dieser Schutz kann nur dann umfassend
gewährt werden, wenn den Aktionären der Obergesellschaft ein Anspruch auf
Beteiligung an grundlegenden, für ihre Rechtsstellung bedeut-samen
Entscheidungen in der Tochtergesellschaft über ihre Hauptversammlung eingeräumt
wird (BGH, a.a.O., 1707).
330
Voraussetzung für ein solches Mitbestimmungsrecht der Aktionäre der
Obergesellschaft ist jedoch, daß die Tochter durch Ausgliederung wesentlicher
Betriebsteile der Obergesellschaft entstanden ist oder ein zumindest vergleichbarer
Sachverhalt vor-liegt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht er-füllt.
331
332
Die österreichische Tochtergesellschaft der Be-klagten bestand bereits seit
Jahrzehnten und ist nicht erst durch eine Abspaltung vom Betriebsver-mögen der
Beklagten entstanden. Nach dem von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt kann
auch nicht davon ausgegangen werden, daß die österreichische Tochtergesellschaft
einen wesentlichen Teil des Betriebsvermögens der Beklagten darstellt. Zur Frage
der Wesentlichkeit hat der Bundesgerichtshof in der erwähnten Entscheidung noch
nicht abschlie-ßend Stellung genommen, da in dem zugrundeliegen-den Fall
annähernd das gesamte Betriebsvermögen der Muttergesellschaft in eine
Tochtergesellschaft ausgegliedert worden war. Im Schrifttum wird zum Teil die
Auffassung vertreten, daß die Wesentlich-keitsgrenze unterschritten sei, wenn die
Tätigkeit der Tochtergesellschaft nur 15 % des Tätigkeits-bereichs der
Obergesellschaft ausmache (Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980,
Seite 138). Nach anderer Ansicht soll dies erst bei einem Anteil von 10 % der Fall
sein (Gessler, a.a.O., Seite 787; Lutter, Festschrift für Fleck, 1988, Seite 180).
Maßgeblich für die Bemessung dieses Anteils ist entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht allein das von der Beklagten selbst erwirtschaftete Beitragsvolumen,
sondern das der gesamten N.-Gruppe. Denn die Teilhaberechte an dem Vermögen
der Beklagten erstrecken sich auch auf die Erträge aus verbundenen Unternehmen.
Danach ergibt sich bei einem Gesamtbeitragsaufkommen der N.-Gruppe von 2,18
Milliarden DM im Jahre 1990 für die österreichische Tochter mit 180 Millionen DM nur
ein Anteil von 8,25 %. Dieser Anteil liegt un-ter der Wesentlichkeitsgrenze und
begründet daher kein Mitwirkungsrecht der Hauptversammlung der Be-klagten an
dem streitigen Verschmelzungsvorgang.
333
334
b)
335
336
Der Hilfsantrag der Klägerin ist unbegründet, weil auch eine Zuständigkeit der
Hauptversammlung nach § 119 Abs. 2 AktG nur bei grundlegenden Entschei-dungen
in Betracht kommt, hier aber - wie ausge-führt - die Wesentlichkeitsgrenze nicht
erreicht war. Das Landgericht ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, daß der
Vorstand der Beklagten ohne Pflichtverletzung von der Möglichkeit des § 119 Abs. 2
337
AktG keinen Gebrauch gemacht hat.
338
3.) Antrag zu III
339
340
Die im Zusammenhang mit Transformation des Aus-landsgeschäfts der Beklagten
gestellten Anträge sind ebenfalls zulässig. Hinsichtlich des Hauptan-trags ergibt sich
das Feststellungsinteresse der Klägerin aus § 179 AktG, weil eine Verletzung des für
Satzungsänderungen bestehenden Mitwirkungs-rechts der Hauptversammlung
geltendgemacht wird. Für die beiden Hilfsanträge folgt das Feststel-lungsinteresse
aus den selben Erwägungen wie hin-sichtlich des Antrags zu II.
341
342
Die Anträge sind indes ebenfalls unbegründet.
343
344
a)
345
346
Der Hauptantrag zu III kann keinen Erfolg haben, weil die Überführung von
Auslandsniederlassungen bzw. von ausländischen Töchtern der Beklagten in
Gesellschaften mit einer Beteiligung anderer Ge-sellschafter von der Satzung der
Beklagten gedeckt ist. Die Satzung sieht in § 2 Abs. 1 a neben dem unmittelbaren
auch den mittelbaren Betrieb von Versicherungsgeschäften im Ausland vor und
gestat-tet in § 2 Abs. 2 ausdrücklich auch die Beteili-gung an anderen
Versicherungsunternehmen. Die Tat-sache, daß die Beklagte mit der von der
Klägerin vorgetragenen geänderten Unternehmensstrategie von einer seit
Jahrzehnten praktizierten Ausgestaltung ihres ausländischen
Versicherungsgeschäfts abgeht, führt nicht notwendig zu einer faktischen Sat-
zungsänderung. Maßgebend ist allein, daß sich das geänderte Konzept noch in den
von dem eindeutigen Satzungswortlaut vorgegebenen Grenzen hält.
347
348
b)
349
350
Der erste Hilfsantrag kann weder auf eine ge-setzliche noch auf eine ungeschriebene
Zuständig-keit der Hauptversammlung gestützt werden. Die in §§ 340 c, 361 AktG
vorgesehene Mitwirkung der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von 3/4 des
vertretenen Grundkapitals scheidet im vorliegenden Fall aus, weil weder eine
Verschmelzung der Be-klagten selbst noch eine Übertragung ihres gesam-ten
Vermögens vorgetragen ist. Für eine analoge Anwendung der §§ 340 c, 361, 293
AktG, wie sie zum Teil im Schrifttum befürwortet wird (vgl. Lutter, Festschrift für Fleck,
351
1988, Seite 181 f; Rehbinder, ZGR 1983, 98; Karsten Schmidt, a.a.O., Seite 778 f), ist
im Hinblick auf die Vorschrift des § 119 Abs. 2 AktG und die vom Bundesgerichts-hof
aufgestellten Grundsätze zur ungeschriebenen Zuständigkeit der Hauptversammlung
kein Raum. Ei-ne solche ungeschriebene Zuständigkeit läßt sich allerdings für die
hier zu beurteilende Frage nicht aus der "Holzmüller"-Entscheidung des Bun-
desgerichtshofs herleiten; denn hier geht es nicht um eine konkrete Maßnahme der
Ausgliederung und der Kapitalerhöhung bei einer Tochtergesellschaft, sondern um
die Weiterführung eines geänderten Un-ternehmenskonzepts, also um die künftige
Unterneh-mensstrategie.
352
c)
353
354
Eine Pflicht des Vorstands, hierzu einen Beschluß der Hauptversammlung
einzuholen, könnte sich allenfalls aus § 119 Abs. 2 AktG ergeben, wenn die
Weiterführung der angesprochenen Unternehmens-strategie eine grundlegende
Entscheidung darstel-len würde. Hiervon kann jedoch angesichts eines Anteils des
ausländischen Geschäfts der Beklagten von 15,7 % am gesamten Prämienvolumen
der N. -Gruppe, wobei die verschmolzene österreichische Tochter bereits etwa 8 %
erwirtschaftet, nicht ausgegangen werden, so daß auch der zweite Hilfs-antrag der
Klägerin abzuweisen war.
355
356
4.) Antrag zu IV
357
358
Dieser Antrag ist vom Landgericht mit zutreffenden Erwägungen als unzulässig
angesehen worden, da der Klägerin insoweit das nach § 256 ZPO erforderliche
Feststellungsinteresse fehlt. Ein solches Fest-stellungsinteresse wäre nur gegeben,
wenn die Klä-gerin mit der von ihr vorgetragenen Pflichtwidrig-keit des Vorstands
zugleich einen Eingriff in ihr Mitgliedschaftsrecht geltendmachen könnte. Dies ist
indes nicht der Fall. Die Geltendmachung von Pflichtwidrigkeiten des Vorstands im
Zusammenhang mit der Übernahme von Doppelmandaten steht gemäß § 84 AktG
allein dem Aufsichtsrat zu. Ein Mitwir-kungsrecht der Hauptversammlung oder ein
Anspruch des Aktionärs auf Durchsetzung eines satzungsge-mäßen oder
aktienrechtlich ordnungsgemäßen Verhal-tens des Vorstands besteht dagegen nicht.
359
360
Im übrigen ist der Antrag der Klägerin auch unbe-gründet. Vorstands-
Doppelmandate, die mit der nach § 88 AktG erforderlichen Zustimmung des
Aufsichts-rats übernommen werden, sind nach wohl allgemei-ner Auffassung als
zulässig anzusehen (vgl. BGH, NJW 1980, 1629; Semmler, Festschrift für E. Stie-fel,
1987, Seite 719 ff, 732; Lindermann, AG 1987, 225, 236; Hoffmann-Becking, ZHR
1986, 570, 574). Dies gilt auch für Doppelmandate im Konzern (Semm-ler, a.a.O.).
Soweit bei der Ausübung der Doppelm-andate Interessenkonflikte entstehen können,
361
ist es Sache der betreffenden Vorstandsmitglieder, sich so zu verhalten, daß eine
Pflichtverletzung gegenüber der jeweiligen Gesellschaft vermieden wird (vgl. BGH,
NJW 1980, 1629; Hoffmann-Becking, a.a.O., Seite 582).
362
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
363
Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Urteilsbeschwer: 2 Millionen DM
364