Urteil des OLG Köln vom 29.06.2005

OLG Köln: pflichtverteidiger, adhäsionsverfahren, gebühr, trennung, vergütung, strafprozessordnung, strafrichter, körperverletzung, entziehen, gefahr

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 254/05
Datum:
29.06.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Srafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 254/05
Schlagworte:
Pflichtverteidiger; Adhäsionsverfahren
Normen:
StPO § 140; StPO § 404; RVG VV Nr. 4143
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 07.04.2005 ( 37 Qs 9/05)
wird aufgehoben.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Staatsanwaltschaft Bonn hat den Angeklagten am 29.04.2004 wegen
Körperverletzung zum Nachteil des Herrn T. W. zum Amtsgericht - Strafrichter - Bonn
angeklagt. Der Geschädigte hat im Adhäsionsverfahren die Verurteilung des
Angeklagten zur Zahlung von 5.000 EUR beantragt. In der Hauptverhandlung vor dem
Strafrichter am 04.10.2004 wurde der Beschwerdeführer dem Angeklagten als
Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 18.10.2004 wurde der Angeklagte sowohl zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten als auch zur Zahlung von 5.000 EUR
nebst Zinsen an den Geschädigten verurteilt.
3
Danach beantragte der Beschwerdeführer u. a. auch die Festsetzung einer
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG bezogen auf einen Streitwert von 5.000
EUR. Dies wurde zunächst von der Rechtspflegerin beim Amtsgericht Bonn durch
Beschluss vom 26.11.2004 abgelehnt. Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung hat der
zuständige Richter des Amtsgerichts Bonn durch Beschluss vom 01.02.2005
angeordnet, "dass dem Erinnerungsführer die von ihm beantragte Gebühr 4143 VV RVG
zuzüglich Mehrwertsteuer zu erstatten ist". Nachdem der Bezirksrevisor hiergegen
sofortige Beschwerde eingelegt hat, hat das Landgericht Bonn durch den fristgerecht
angefochtenen Beschluss angeordnet, dass die von dem Verteidiger beantragte Gebühr
4143 VV RVG nicht von der Landeskasse zu erstatten ist. Es hat die weitere
Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
4
II.
5
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
6
1. Die weitere Beschwerde ist gemäß §§ 33 Abs. 6 S. 1, 56 Abs. 2 S. 1 RVG statthaft,
denn das Landgericht hat sie wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Sie wurde
auch ordnungsgemäß, insbesondere innerhalb der Frist der §§ 33 Abs. 3 S. 3, Abs. 6 S.
4, 56 Abs. 2 S. 1 RVG eingelegt.
7
2. Die weitere Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung. Dem Pflichtverteidiger steht die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV
RVG zu, ohne dass es einer besonderen Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO bedarf
(ebenso: Hartung, in: Hartung/Römermann, RVG, 2004, VV Teil 4 Rdnr. 167; Kroiß, in:
Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 2004, VV Nrn. 4142 - 4146 Rdnr. 20; a. A.
N. Schneider, in: Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl., 2004, VV 4143 - 4144 Rdnr. 46,
jedoch unter verfehlter Berufung auf BGH Rpfleger 2001, 370 = NJW 2001, 2486). Dies
ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
8
a) Es ist - soweit erkennbar - allgemeine Auffassung, dass die Bestellung zum
Pflichtverteidiger das gesamte Verfahren und damit auch das Adhäsionsverfahren
erfasst (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 48. Aufl., 2005, § 140 Rdnr. 5; Laufhütte in:
Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl., 2003, § 140 Rdnr. 4 jeweils m.
w. N.). Dies folgt bereits daraus, dass eine Trennung zwischen der Tätigkeit des
Verteidigers und derjenigen des anwaltlichen Vertreters im Adhäsionsverfahren nicht
möglich ist: Es ist praktisch keine Tätigkeit des Pflichtverteidigers für den Angeklagten
denkbar, die nicht zugleich zumindest auch Einfluss auf die Höhe des im
Adhäsionsverfahrens geltend gemachten Anspruchs haben könnte. Nur so lässt sich
auch die von dem Bezirksrevisor und dem Landgericht vertretene Auffassung
rechtfertigen, dass die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG entstanden sei,
wenn auch nicht gegen das Land. Für ein privatrechtliches Auftragsverhältnis zwischen
dem Angeklagten und dem Beschwerdeführer neben der Pflichtverteidigung und
beschränkt auf das Adhäsionsverfahren besteht nicht der mindeste Anhaltspunkt. Der
Angeklagte hatte keine Veranlassung den Pflichtverteidiger insoweit gesondert zu
beauftragen, da er ohne weiteres davon ausgehen konnte, dass sich bereits die
Verteidigungstätigkeit auch auf das Adhäsionsverfahren auswirkt.
9
b) Bis zum In-Kraft-Treten des RVG am 01.07.2004 entsprach es der überwiegenden
Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Schleswig NStZ 1998, 201; OLG Hamm StV
2002, 89 (LS)), dass der Pflichtverteidiger auch ohne besondere Beiordnung für die
Tätigkeit im Adhäsionsverfahren zu vergüten ist. Durch das In-Kraft-Treten des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 01.07.2004 hat sich keine Änderung ergeben.
10
Der Wortlaut der Nr. 4143 VV RVG steht der Auffassung, dass die Gebühr gemäß Nr.
4143 VV RVG dem Pflichtverteidiger zusteht, ohne dass es einer vorherigen Beiordnung
gemäß § 404 Abs. 5 StPO bedarf, zumindest nicht entgegen. Sowohl die Überschrift des
Unterabschnitts 5 "Zusätzliche Gebühr" als auch die Differenzierung der Gebührenhöhe
zwischen dem Wahlanwalt einerseits und dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten
Anwalt andererseits sprechen dafür, dass der gerichtlich bestellte Pflichtverteidiger
diese Gebühren erhalten kann.
11
Dies entspricht auch dem klar erklärten Willen des Gesetzgebers. In der Begründung
des Entwurfs des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes heißt es:
12
"Der Pflichtverteidiger soll die Gebühr nach Nummer 4143 VV RVG-E ebenfalls
13
erhalten. Das entspricht dem geltenden Recht. Sie wird - wie derzeit nach § 97
Abs. 1 Satz 4, §§ 89, 123 BRAGO - der Höhe nach durch § 49 RVG-E begrenzt."
(BT-Drs. 15/1971, S. 228)
c) Dem stehen auch nicht die insbesondere vom OLG München (StV 2004, 38)
vertretenen systematischen Bedenken entgegen. Die Regelung des § 404 Abs. 5 S. 1
StPO, die auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Angeklagten im
Adhäsionsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, verliert ihre Bedeutung
nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch die
Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren umfasst. Es bleiben im Rahmen
des § 404 Abs. 5 StPO die Fälle übrig, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO
nicht gegeben sind.
14
Es macht auch Sinn, dass in Fällen notwendiger Verteidigung der Pflichtverteidiger
unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe auch für das Adhäsionsverfahren bestellt ist, in anderen Fällen eine
Beiordnung grundsätzlich aber nur erfolgt, wenn die Voraussetzungen des § 114 ZPO
vorliegen. Der Pflichtverteidiger muss zwangsläufig auch gegenüber dem
Adhäsionsantrag tätig werden. In einfacher gelagerten Fällen, in denen eine
Verteidigung nicht notwendig i. S. des § 140 StPO ist, geht es dagegen um die Frage,
ob überhaupt auf Kosten der Staatskasse ein Rechtsanwalt für den Angeklagten tätig
werden muss.
15
d) Es erscheint auch gerechtfertigt, dass der Angeklagte insofern besser gestellt ist als
der Nebenkläger, denn die Bestellung zum Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a
Abs. 1 S. 1 StPO umfasst gerade nicht die Beiordnung für das Adhäsionsverfahren
(BGH NJW 2001, 2486 = Rpfleger 2001, 370). Diese Trennung zwischen der
Beiordnung als Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a Abs. 1 StPO einerseits und
der Beiordnung als Beistand des Antragstellers gemäß § 404 Abs. 5 StPO andererseits
beruht entscheidend darauf, dass verhindert werden soll, "dass die Staatskasse mit
Gebührenansprüchen belastet wird, die durch das Einklagen nicht bestehender oder
überhöhter Ersatzansprüche im Adhäsionsverfahren entstehen. Dem könnte aber nicht
mehr vorgebeugt werden, wenn der dem Nebenkläger nach § 397a StPO bestellte
anwaltliche Beistand ohne weitere gerichtliche Prüfung auch im Adhäsionsverfahren für
den Nebenkläger auftreten und für diesen jegliche Forderungen ohne Rücksicht auf
deren Erfolgsaussicht geltend machen könnte sowie hierfür anschließend nach den
Maßstäben des § 123 BRAGO entschädigt würde." (BGH NJW 2001, 2486, 2487).
Gerade diese Gefahr besteht jedoch beim Pflichtverteidiger nicht. Dieser hat es nicht in
der Hand, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe Ansprüche im Adhäsionsverfahren
geltend gemacht werden. Das Missbrauchsrisiko besteht hier nicht.
16
e) Schließlich erscheinen dem Senat auch die von der Kammer angestellten
fiskalischen Erwägungen nicht so gewichtig, dass deswegen eine andere Entscheidung
geboten wäre. Der Pflichtverteidiger kann nach der vom Senat vertretenen Auffassung
zwar auch dann Vergütung aus der Staatskasse verlangen, wenn der Angeklagte
wirtschaftlich durchaus im Stande wäre, die Kosten der Rechtsverteidigung gegen den
Adhäsionsantrag zu tragen. In diesem Fall wird er sich im Ergebnis diesen Kosten aber
auch nach der hier vertretenen Auffassung nicht dauerhaft entziehen können. Die
Vergütung des Pflichtverteidigers gehört zu den Kosten des Verfahrens, die der
Angeklagte im Falle seiner Verurteilung zu tragen hat (Meyer-Goßner, a. a. O., § 464a
Rdnr. 1 m. w.N).
17
II.
18
Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 56 Abs. 2 S. 2 RVG nicht veranlasst.
19