Urteil des OLG Köln vom 23.06.1993

OLG Köln (kläger, unfall, umstände, ersatz, zeichen, fahrrad, bemessung, radweg, arbeitskraft, radfahrer)

Oberlandesgericht Köln, 13 U 59/93
Datum:
23.06.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 59/93
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 2 O 368/92
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. Januar 1993 verkündete
Urteil des Landgerichts Aachen - 2 O 368/92 - teilweise abgeändert und
wie folgt neu gefaßt: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner
verurteilt, an den Kläger 4.822,52 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26.
Oktober 1992 zu zahlen. Es wird festgestellt, daß die Beklagten als
Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren
materiellen und immateriellen Schäden aufgrund des Verkehrsunfalls
vom 6. März 1992 auszugleichen, soweit diese Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder
übergehen werden, wobei jeweils eine Mitverschuldensquote des
Klägers von 3/5 zu berücksichtigen ist. Im übrigen wird die Klage
abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Von
den Kosten des 1. Rechtszuges tragen der Kläger 7/10 und die
Beklagten als Gesamtschuldner 3/10. Von den Kosten der Berufung
tragen der Kläger 3/5 und die Beklagten als Ge-samtschuldner 2/5. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig. In der Sache selbst
hat das Rechtsmittel, mit dem der Kläger eine hälftige Schadensquotelung erstrebt,
teilweise Erfolg.
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1.)
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Die Beklagten haften dem Kläger dem Grunde nach gemäß §§ 7 Abs. 1, 9 StVG, 3
Nr. 1, 2 PflVG auf Ersatz von 2/5 des durch den Unfall entstandenen materiellen
Schadens.
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Der Unfall war für die Beklagten zu 1. nicht unabwendbar iSd § 7 Abs. 2 StVGG. Die
Beklagte zu 1. trifft vielmehr ein Verschulden an dem Unfall. Denn die Beklagte zu 1.
hat es entweder an der gebotenen Aufmerksamkeit fehlen lassen (§ 1 Abs. 2 StVO)
oder sie ist mit nach den Verhältnis-sen unangemessener Geschwindigkeit gefahren
(§ 3 Abs. 1 StVO).
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Den Beklagten ist zwar zuzugeben, daß der Beklag-ten zu 1. an der Unfallstelle die
Vorfahrt zu-stand. Der Kläger war wartepflichtig, da in seiner Richtung das
Verkehrszeichen 205 aufgestellt war. Dabei ist zivilrechtlich ohne Bedeutung,daß
das Verkehrszeichen nicht durch das Straßenverkehrsamt H. aufgestellt war. Denn
bei erfolgten Verkehrs-regelungen auf einem Firmen- oder Werksgelände ist die
StVO entsprechend anwendbar (vgl. Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht,
Rdnr. 16 zu § 1 StVO).
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Die Wartepflicht des Klägers entfiel nicht etwa deshalb, weil in Fahrtrichtung der
Beklagten zu 1. kein positives Zeichen 301 oder 306 aufgestellt war. Steht das
Zeichen 205 allein, so verpflichtet es doch zum Warten und verschafft, gleichsam als
Reflex, der anderen Straße praktisch Vorfahrt (Ja-gusch-Hentschel, a.a.O., Rdn. 39,
45 zu § 8 StVO m.w.N.).
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Ohne Belang für die Wartepflicht des Klägers ist ferner der Umstand, daß in
Fahrtrichtung der Beklagten zu 1. das Zeichen 250 ("Verbot für Fahr-zeuge aller Art"
mit dem Zusatz "Ausgen. Anliefe-rer u. Personal" aufgestellt war. Die Mißachtung des
Zeichens 250 ist zwar verkehrswidrig; dadurch wird ein bestehendes Vorfahrtsrecht
aber nicht be-seitigt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß die
Vorfahrtsberechtigung bestehen bleibt, wenn der Berechtigte eine für ihn, jedoch
nicht all-gemein, gesperrte Straße (z. B. Anliegerverkehr) benutzt (vgl. BGH NJW
1982, 334; BGH NJW 1986, 2652).
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Wenn auch der Beklagten zu 1. hiernach die Vor-fahrt zustand, so traf sie doch eine
besondere Sorgfaltspflicht, die sie verletzt hat. Ein Vor-fahrtsberechtigter darf zwar
grundsätzlich auf die Beachtung seiner Vorfahrt vertrauen. Dieser Vertrauensschutz
gilt jedoch nicht ausnahmslos. Der Vorfahrtberechtigte darf sich dann nicht auf die
Beachtung seiner Vorfahrt verlassen, wenn konkrete Umstände Anlaß zu der
Befürchtung geben, ein anderer Verkehrsteilnehmer werde die Vorfahrt verletzen (vgl.
OLG Frankfurt VersR 1976, 345). Solche Umstände waren vorliegend gegeben.
Denn die Beklagte zu 1. hatte schon allein durch das Schild "Achtung!Radweg
kreuzt", Anlaß zu besonderer Vor-sicht. Dies nicht nur aus dem Grunde, daß Radfah-
rer sich oft nicht verkehrsgerecht verhalten. Die örtlichen Verhältnisse waren so
beschaffen, daß der überwiegende Autoverkehr (der Kunden) links abbog, während
die Zufahrt zum Parkplatz nur geringe Verkehrsfrequenz erwarten ließ, da sie für den
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Kundenverkehr gesperrt war. Für einen kreuzen-den Radfahrer wie den Kläger, der
den (falschen) Entschluß zur Überquerung der Zufahrt gefaßt hat-te, war es deshalb
nicht ganz leicht, sich auf ei-nen Geradeausfahrer einzustellen, selbst wenn man
berücksichtigt, daß die Beklagte zu 1. unstreitig keinen Fahrtrichtungsanzeiger
gesetzt hatte, also als Geradeausfahrerin erkennbar war. Denn zum Erkennen des
Geradeausfahrens stand nur sehr wenig Zeit zur Verfügung, da die Entfernung von
der weißen Linie, welche die Fahrbahn für den Kunden-verkehr begrenzte, bis zur
Unfallstelle nur wenige Meter betrug.
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Mußte sich die Beklagte zu 1. somit in besonderem Maße auf herankommende
Radfahrer einstellen, so ist der Senat anhand der zu den Akten gereichten
Fotografien davon überzeugt, daß der Kläger für die Beklagte zu 1. erkennbar war -
und zwar gleich ob der Kläger angehalten hatte oder nicht. Im Ein-mündungsbereich
befindet sich am Straßenrand wohl ein Gebüsch; dieses ist indessen nicht so aus-
gestaltet, als daß es einen erwachsenen Mann mit Fahrrad verdecken könnte, mag
auch der Radweg als solcher verdeckt gewesen sein. Die Beklagte konnte und
mußte daher den Kläger in aufmerksamer Weise beobachten, sich auf eine mögliche
Vorfahrtsver-letzung einrichten und notfalls noch langsamer als "allenfalls 20 km/h"
fahren.
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Den Kläger trifft an dem Unfall ein - erhebli-ches - Mitverschulden, welches bei der
Bemessung des Schadensersatzes gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB mit zu
berücksichtigen ist. Denn er, der Kläger, hat wie dargelegt die Vorfahrt verletzt und
damit ei-nen der gravierendsten Verstöße gegen das Straßen-verkehrsrecht
begangen. Das Gewicht der Vorfahrts-verletzung überwiegt bei der Abwägung der
Scha-densursachen, allerdings darf die um das Verschul-den der Beklagten zu 1.
erhöhte Betriebsgefahr des Beklagten-Fahrzeugs nicht zu gering angesetzt wer-den.
Von daher ist eine Schadensquotelung von 2/5 zu 3/5 zu Lasten des Klägers
angemessen.
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Was die Höhe des ausgleichsfähigen Schadens anbetrifft, tritt der Senat den
Ausführungen in dem angefochtenen Urteil bei und veweist auf diese Ausführungen
mit einer Ergänzung und einer Änderung. Zu ergänzen ist, daß ein Abzug "neu für
alt", den die Beklagten im Berufungsrechts-zug für das Fahrrad vornehmen wollen,
nicht in Betracht kommt. Denn das Fahrrad war erst drei Wochen alt und damit noch
praktisch neu. Nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung bei praktisch neuen
Kraftfahrzeugen anwendet, die aber auch bei Fahrrädern gelten (vgl. Palandt-
Heinrich Rdn. 14 zu § 251 BGB), ist in einem solchen Fall bei der
Schadensbemessung vom Neupreis auszugehen.
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Eine Änderung ist vorzunehmen hinsichtlich der Dauer des Ausfalls der Arbeitskraft
des Klägers und des sich daraus ergebenden Schadens. Denn wie die Beklagten mit
Recht vortragen, ist davon auszugehen, daß der Kläger ab dem Zeitpunkt der
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Erkrankung seiner Ehefrau, also ab dem 25. Ju-ni 1992, seine Haushalts- und
Gartentätigkeit wieder aufgenommen hat. Ferner steht ihm kein Ersatz zu für die Zeit,
in der er sich aus nicht unfallbedingten Gründen im Krankenhaus befand (28. -
30.03.1992). Diese Schadensposition ist da-her nur mit 93 (Tagen) x 20,00 DM =
1.860,00 DM anzusetzen. Der materielle Schaden stellt sich hiernach wie folgt dar:
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1. Ausfall an Arbeitskraft 1.860,00 DM
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2. Fahrradschaden 1.067,50 DM
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3. Bekleidungsschaden 162,00 DM
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4. Heilbehandlungskosten 65,00 DM
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5. Fahrtkosten 111,80 DM
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6. Unkostenpauschale 40,00 DM
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Gesamt 3.306,30 DM
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Davon stehen dem Kläger 2/5, mithin 1.322,52 DM zu.
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2.)
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Neben dem Anspruch auf Ersatz seines materiel-len Schadens steht dem Kläger
gemäß §§ 847 BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG ein Anspruch auf Zahlung eines
Schmerzensgeldes zu. Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes waren
die im erstinstanz-lichen Urteil herangezogenen Umstände und die vom Kläger noch
weiter vorgetragenen Beschwerden (Anschwellen des Beines bei längerfristiger Be-
lastung; Taubheitsgefühl im linken Schienbein) zu berücksichtigen. Die jetzt noch
vorgetragenen Beschwerden sind bei einem älteren Menschen nach einer solchen
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Verletzung ohne weiteres glaubhaft, wirken sich angesichts der übrigen schon
berück-sichtigten Umstände aber nicht nennenswert erhö-hend bei der Bemessung
des Schmerzensgeldes aus. Unter Einbeziehung des den Kläger bei der Unfall-
verursachung treffenden Mitverschuldens erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld
von 3.500,00 DM ange-messen.
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3)
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Da die Heilbehandlung des Klägers nach wie vor nicht abgeschlossen ist, war auch
dem Feststel-lungsantrag in dem vom Senat festgelegten Umfang zu entsprechen,
vgl. im übrigen § 536 ZPO.
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Die zuerkannten Zinsen sind nach §§ 284, 286, 288, 291 BGB gerechtfertigt.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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Streitwert für die Berufung gemäß Beschluß vom 23. April 1993: 4.761,57 DM.
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Beschwer des Klägers: 2.900,62 DM
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Beschwer der Beklagten: 1.860,95 DM
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