Urteil des OLG Köln vom 28.05.2003

OLG Köln: umkehr der beweislast, einstweilige verfügung, vertragsstrafe, auslage, materialien, hinterlegung, zustellung, arztpraxis, vollstreckung, arzneimittel

Oberlandesgericht Köln, 6 U 17/03
Datum:
28.05.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 17/03
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 33 O 313/02
Tenor:
1.) Die Berufung der Klägerin gegen das am 7.1.2003 verkündete Urteil
der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 33 O 313/02 - wird
zurückgewiesen.
2.) Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Summe
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Die Parteien können die Sicherheiten durch eine schriftliche,
unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland
zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstitutes leisten.
4.) Die Revision wird nicht zugelassen.
B e g r ü n d u n g:
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I
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Die Parteien stehen sich als Hersteller und Vertreiber von Arzneimitteln zur Bekämpfung
der allergischen Rhinitis (Heuschnupfen) gegenüber. Nach einer Mailing-Aktion, bei der
Patienten wie aus der Anlage K 1 ersichtlich zu Werbezwecken unmittelbar
angeschrieben worden waren, gab die Beklagte unter dem 12.6.2001 eine strafbewehrte
Unterlassungserklärung des Inhalts ab, das verschreibungspflichtige Arzneimittel X. (r)
außerhalb von Fachkreisen nicht zu bewerben und/oder bewerben zu lassen. Die
Klägerin nimmt die Beklagte im vorliegenden Verfahren mit der Begründung auf
Zahlung von Vertragsstrafe in Anspruch, diese sei 74 mal verwirkt, weil in insgesamt 74
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Arztpraxen Werbematerial für X. (r) aufgefunden worden sei. Sie hat wegen dieses
Sachverhaltes zudem eine durch Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 22.5.2002
- 315 O 94/02 - erlassene einstweilige Verfügung erwirkt. Die Beklagte, die
vorprozessual einen Betrag von 5.164,03 EUR und damit die versprochene
Vertragsstrafe von 10.100 DM in einmaliger Höhe gezahlt hat, hat die Auslage in den
Arztpraxen nicht bestritten, aber die Auffassung vertreten, es liege im Rechtssinne nur
ein Verstoß vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs.1 Ziff.1 ZPO
auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, durch das die
Klage abgewiesen worden ist. Im Berufungsverfahren reduziert die Klägerin die
Klageforderung auf 125.000 EUR und wiederholt und vertieft im übrigen ihre
Vorbringen, wonach insbesondere 74 Verstöße vorliegen und die vereinbarte
Vertragsstrafe 74 mal verwirkt worden ist.
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II
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Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Aufgrund des
festgestellten Sachverhaltes liegt nur ein Verstoß gegen die vertragliche
Unterlassungsverpflichtung vor, weswegen der aus dem Vertragsstrafeversprechen
gem. § 339 BGB herrührende Zahlungsanspruch der Klägerin durch die vorprozessual
geleistete Zahlung erfüllt worden und gem. § 362 Abs.1 BGB erloschen ist.
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Auch angesichts der Reduzierung der Forderung von ursprünglich nahezu 377.000
EUR auf nunmehr 125.000,00 EUR ist die Berufung zulässig. Die Klägerin will im
Berufungsverfahren nicht, was unzulässig wäre, nur unbestimmte Teile ihrer Forderung
durchsetzen, sondern sie reduziert lediglich - weiterhin auf der Basis von 74 Verstößen -
die Höhe des verlangten Gesamtbetrages. Das ergibt sich aus ihrem Vortrag, die
Berufung werde betragsmäßig reduziert und mit dieser Reduzierung sei dem Gebot der
Angemessenheit Genüge getan. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die
Bestimmung des § 343 BGB gegenüber Kaufleuten gem. § 348 HGB keine Anwendung
findet, ist eine derartige Reduzierung möglich und begegnet, weil eindeutig ist, dass mit
Zahlung der nunmehr verlangten Gesamtsumme weiterhin alle angeblichen 74
Verstöße erledigt sein sollen, keinen Zulässigkeitsbedenken.
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In der Sache stellt die Auslegung von Werbematerialien in einer Arztpraxis dem Grunde
nach einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung dar, obwohl jener eine "Mailing-
Aktion" an Patienten zugrundegelegen, die Beklagte sich also ohne Einschaltung von
Arztpraxen unmittelbar an die Patienten gewandt hatte. Das ergibt sich aus dem über
die damalige konkrete Verletzungsform hinausgehenden Wortlaut der Erklärung, nach
deren Ziff.1) die Beklagte sich verpflichtet hat, es zu unterlassen "das
verschreibungspflichtige Arzneimittel X.(r) außerhalb der Fachkreise zu bewerben
und/oder bewerben zu lassen." Anhaltspunkte dafür, dass die Vereinbarung entgegen
ihrem Wortlaut begrenzt auf die konkrete Verletzungsform gemeint gewesen sein
könnte, bestehen nicht. Die Parteien streiten über diese Frage auch nicht, insbesondere
geht die Beklagte selbst von einem Verstoß aus und hat deswegen die Vertragsstrafe in
einmaliger Höhe gezahlt.
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Ausgehend hiervon ist das landgerichtliche Urteil auch unter Berücksichtigung des
zweitinstanzlichen Vortrags der Klägerin im Ergebnis und in der Begründung zutreffend.
Die von den Parteien diskutierte Frage der Zusammenfassung mehrerer Verstöße etwa
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nach den Grundsätzen des Fortsetzungszusammenhanges, würde sich nur stellen,
wenn ohne die zusammenfassende Betrachtungsweise überhaupt mehrere
selbständige Verstöße gegen die Unterlassungsverpflichtungserklärung vorlägen.
Zusammengefasst werden können nur mehrere Tathandlungen. Das Landgericht hat
indes zu Recht festgestellt, dass von derartigen mehreren Tathandlungen im
Rechtssinne nicht ausgegangen werden kann.
Die Beklagte hat - soweit von der Klägerin aufgefunden - in insgesamt 74 Arztpraxen für
das Publikum zugänglich Patientenbroschüren (Anlage K 3) sowie Faltblätter (Anlage K
4), für beide Werbemittel bestimmte Ständer (Anlage K 5) und schließlich sogenannte
"Urlaubsaufsteller" - das sind kleine Pappständer, auf denen der Arzt eintragen kann,
wann die Praxis wegen Urlaubs geschlossen ist (Anlage K 6) - auslegen bzw. aufstellen
lassen. Auf all diesen Werbemitteln wurde für X. geworben. Bei der Beurteilung der
Frage, ob darin mehrere oder nur eine Handlung zu sehen sind, ist nicht allein darauf
abzustellen, ob die Beklagte eine oder mehrere tatsächliche Handlungen vorgenommen
hat, sondern das Institut der natürlichen Handlungseinheit zu berücksichtigen (vgl. BGH
NJW 01,2622 ff = GRUR 01,758,760 - "Trainingsvertrag" m.w.N.). Danach liegt im
Rechtssinne nur eine Handlung vor, wenn der Schuldner zwar mehrere tatsächliche
Handlungen begeht, diese aber alle auf einem einzigen Entschluss beruhen und sich
bei natürlicher Betrachtungsweise wegen ihres engen zeitlichen und tatsächlichen
Zusammenhangs als eine einzige Handlung darstellen. Dass eine derartige
Zusammenfassung auch im vorliegenden Fall geboten ist, zeigt der Umstand, dass
anderenfalls sogar die Frage gestellt werden könnte, ob die einzelnen in der Praxis
deponierten Faltblätter nicht sogar als jeweils eigene Verstöße zu zählen seien.
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Natürliche Handlungseinheit besteht nicht nur hinsichtlich der "Versorgung" einer
einzelnen Arztpraxis mit den erwähnten insgesamt vier Werbematerialien, sondern
hinsichtlich der Auslage dieser Werbematerialien in den 74 Arztpraxen insgesamt. Der
Entscheidung ist mit der Kammer zugrunde zu legen, dass es sich um eine (zentral
gesteuerte) Werbeaktion der Beklagten gehandelt hat, die die Hinterlegung der
Patienteninformationen in einer Vielzahl von Arztpraxen zum Gegenstand hatte. Hierfür
spricht angesichts der - teils erheblichen - räumlichen Distanz zwischen den betroffenen
Praxen, die in mehreren sowohl alten als auch neuen Bundesländern betrieben werden,
einerseits und der zeitlichen Nähe, in der die Auslagen dort gefunden worden sind,
andererseits schon der äußere Anschein des Geschehens. Im übrigen könnte auch nicht
zum Nachteil der Beklagten ein anderer Handlungsablauf zugrundegelegt werden, weil
die Klägerin einen solchen nicht substantiiert darlegt hat. Sie trägt hierzu allerdings vor,
der Auslage der Werbematerialien in den einzelnen Ärzten lägen vermutlich jeweils
eigenständige Entschlüsse verschiedener Pharmaberater der Beklagten zu Grunde.
Damit legt sie aber nicht in einer einlassungsfähigen Weise dar, dass die
vertragswidrige Auslage entgegen dem durch das äußere Erscheinungsbild vermittelten
Anschein nicht auf einer Anweisung der Beklagten, sondern tatsächlich auf 74
selbständigen Handlungsentschlüssen von 74 Pharmaberatern beruht habe. Die von ihr
in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich in Anspruch genommene Umkehr der
Beweislast oder andere Beweiserleichterungen kommen nicht in Betracht. Die Beklagte
hat durch keine der in Betracht kommenden Handlungsalternativen eine Ursache
gesetzt, die es rechtfertigen könnte, ihr den Beweis dafür aufzuerlegen, dass die
Auslage nicht auf einem Entschluss des einzelnen Pharmaberaters beruhte. Im übrigen
wäre der Klägerin, die die einzelnen Pharmaberater als Zeugen benennen könnte, die
Beweisführung auch nicht unmöglich.
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Ist damit von einer zentral gesteuerten Werbemaßnahme auszugehen, so war es, wie es
das Landgericht formuliert hat, lediglich eine Frage der zufälligen, auch von der
Erlaubnis der angesprochenen Ärzte abhängigen "Streubreite", in wie vielen Praxen die
Materialien tatsächlich ausgelegt worden sind. Aus dem Vortrag der Klägerin ist auch
nicht ersichtlich, dass die betroffenen Praxen etwa zu deutlich unterschiedlichen Zeiten
mit den Materialien ausgestattet worden wären. Damit sind in einer einheitlichen Aktion
zeitnah verschiedene Multiplikatoren mit dem Werbematerial ausgestattet worden. Es
liegt aus diesen Gründen im Sinne der natürlichen Handlungseinheit ein einheitlicher
Verstoß vor, weswegen die Vertragsstrafe nur einmal angefallen und durch die
unstreitige Zahlung der Anspruch erfüllt ist.
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Zu demselben Ergebnis gelangt man im übrigen unter Berücksichtigung der
Grundsätze, die der BGH in der vorerwähnten Entscheidung "Trainingsvertrag" (GRUR
01, 758,759 f) für die Frage aufgestellt hat, in welchem Umfang bei - hier indes nicht
gegebenen - mehrfachen Verstößen gegen eine strafbewehrte
Unterlassungsverpflichtung Vertragsstrafen verwirkt sind. Der BGH hat in jener
Entscheidung allerdings ausgeführt, dass in diesen Fällen nicht von den Regeln des
Fortsetzungszusammenhanges auszugehen sei. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall
ausgelegt werden, welche Regelung der Vertrag für die betreffende Situation des
mehrfachen Verstoßes enthalte. Dabei sei auch auf die Grundsätze der ergänzenden
Vertragsauslegung zurückzugreifen. Tut man dies, so sind die Gesamtumstände zu
berücksichtigen, die zu dem Unterlassungsvertrag geführt haben. Diese lassen indes
keinen Zweifel daran zu, dass die Parteien für die vorliegende Fallkonstellation nur die
Verwirkung einer Vertragsstrafe in einmaliger Höhe vereinbart haben. Ausgangspunkt
war damals der bundesweite Versand einer Werbepostkarte an Patienten, wie sie aus
der Anlage K 1 ersichtlich ist. Diese bundesweite "Mailing-Aktion" war ausdrücklicher
Gegenstand der in der Akte des Verfügungsverfahrens mit der Anlage AST 5
vorgelegten Abmahnung, die zu der Unterlassungserklärung geführt hat. Daraus ergibt
sich, dass eine etwaige Wiederholung einer derartigen bundesweiten Mailing-Aktion
auch nicht mehrere, sondern nur einen Verstoß darstellen würde. Es ist trotz der
Formulierung "für jeden Fall der Zuwiderhandlung" ausgeschlossen und geradezu
unvorstellbar, dass die Parteien etwa gemeint haben könnten, bei einer Wiederholung
der Mailing-Aktion würde die Vertragsstrafe in Höhe der Anzahl der versandten
Postkarten fällig. Legt man dies zugrunde, so kann die vorliegende Aktion, in der
ebenfalls zeitgleich eine unübersehbar große Anzahl von Patienten angesprochen
worden ist - obwohl dies nicht durch direkte Übersendung von Werbematerial, sondern
die Auslage in Arztpraxen geschehen ist - nur einen Verstoß darstellen.
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Es geht danach entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung
geäußerten Auffassung auch nicht an, die Vorgehensweise der Beklagten deswegen in
vier selbständige Handlungen im Rechtssinne und damit in vier Verstöße zu
zergliedern, weil es sich um vier verschiedene Werbematerialien gehandelt hat.
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An dem Vorliegen nur eines Verstoßes ändert sich auch nichts dadurch, dass in den
acht erst mit der Replik vom 1.10.2002 benannten Praxen die Materialien noch nach
Zustellung der einstweiligen Verfügung aufgefunden worden sind. Es kann nicht
ausgeschlossen werden und liegt sogar nahe, dass auch diese Praxen bereits im
Rahmen der dargelegten Werbeaktion der Beklagten beliefert worden waren. In diesem
Fall stellt indes das bloße Belassen der Materialien bei den Ärzten trotz
zwischenzeitlicher Zustellung der einstweiligen Verfügung keinen erneuten Verstoß
gegen die vertragliche Unterlassungsverpflichtung dar.
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Ohne Erfolg bleibt schließlich der Einwand der Klägerin, der Betrag von 10.100 DM
stehe außer Verhältnis zu dem Gewicht des in Rede stehenden Verstoßes. Ob das
zutrifft und angesichts der großräumig betriebenen Mailingaktion diese Höhe der
Vertragsstrafe zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr möglicherweise nicht
ausgereicht hat, kann offen bleiben. Denn nachdem die Klägerin das so ausgestaltete
Vertragsangebot angenommen hat, stand ihr der Betrag jedenfalls nur in einmaliger
Höhe zu, weil es sich aus den dargelegten Gründen um nur einen Verstoß gegen die
strafbewehrte vertragliche Unterlassungsverpflichtung gehandelt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die der
Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Das gilt
sowohl für die Anerkennung des Rechtsinstituts der Handlungseinheit, als auch mit
Blick auf die Entscheidung "Trainingsvertrag" für die Frage der Vertragsauslegung bei
mehreren Einzelhandlungen. Die Anwendung dieser Rechtsfragen auf den
vorliegenden Einzelfall hat nicht im Sinne des § 543 Abs.2 Ziff.1 ZPO grundsätzliche
Bedeutung. Ebenso ist aus diesem Grunde eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs.2 Ziff.2 ZPO).
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 125.000 EUR
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