Urteil des OLG Koblenz vom 23.06.2010

OLG Koblenz: wiedereinsetzung in den vorigen stand, anspruch auf rechtliches gehör, ablauf der frist, rechtsverletzung, gestatten, widerruf, fürsorgepflicht, strafvollzug, quelle, verschulden

OLG
Koblenz
23.06.2010
2 Ws 184/10 (Vollz)
1. Zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen des Rechtsbeschwerdeverfhrens gehört es, dass ein
zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorliegt.
2. Gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn der
Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Dazu muss er Tatsachen vortragen, die, wenn sie gegeben wären, eine Rechtsverletzung zumindest als
möglich erkennen lassen. Dabei muss aus der Begründung des Antrags hervorgehen, welche Maßnahme
der Vollzugsbehörde der Antragsteller beanstandet und inwiefern er sich in seinen Rechten verletzt fühlt.
3. Die formellen Anforderungen an die Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung sind
grundsätzlich innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG zu erfüllen. Zwar kann es
die Fürsorgepflicht des Gerichts in bestimmten fällen gebieten, einen Gefangenen, der innerhalb der Frist
des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG einen vom Gericht nicht als ausreichend angesehenen Antrag verfasst
hat, auf die Mängel hinzuweisen und ihm ausnahmesweise zu gestatten, die fehlenden Erklärungen auch
noch nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG nachzuholen. Dies gilt indes
nicht für Antragsschriften, die von Rechtsanwälten oder von forensisch erfahrenen Gefangenen
eingereicht werden.
4. Die pauschale Behauptung, die Vollzugsplanfortschreibung erfülle nicht die gesetzlichen und
verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen des § 7 Abs. 2 StVollzG und der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel
1, Art. 3 Abs. 1 GG, ohne konkrete Darlegung, inwiefern sich der Gefangene in seinen Rechten verletzt
fühlt, genügt nicht den Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG.
Geschäftsnummer:
2 Ws 184/10 (Vollz)
10 STVK 573/2009 (Vollz) – LG Trier
In der Strafvollzugssache
des
Strafgefangenen ...,
zurzeit in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt … (X),
w e g e n Vollzugsplanfortschreibung
hier: Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht Völpel, die Richterin am Oberlandesgericht Speich und den Richter am
Oberlandesgericht Dr. Leitges
am 23. Juni 2010 beschlossen:
1. Dem Gefangenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur
Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Trier in Wittlich vom 22. März 2010 gewährt.
2. Der Antrag des Gefangenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 22. März 2010 wird kostenpflichtig als
unzulässig verworfen.
4. Der Geschäftswert für die Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 1 Nr. 1 j, 60, 52 Abs. 1 GKG auf 500,00
€ festgesetzt.
G r ü n d e:
I.
1. Der Gefangene verbüßt derzeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 4 Monaten (8023 VRs
280/07); die Vollstreckung soll am 8. November 2010 zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 3
Monaten (nach Widerruf; 8021 VRs 2003/02) sowie einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten
(nach Widerruf; 8021 VRs 6698/03) unterbrochen und am 8. Juni 2011 fortgesetzt werden; das Strafende
ist auf den 17. Dezember 2013 notiert.
Unter dem 1. Dezember 2009 schrieb die Vollzugsplankonferenz den Vollzugsplan dahingehend fort,
dass der Gefangene weiterhin im geschlossenen Vollzug und alleine in einem Haftraum unterzubringen
sei. Er zeige ein äußerst respektloses Verhalten und eine Schuldeinsicht seinerseits sei nicht erkennbar.
Da er die Tat leugne, könne er spezifische Behandlungsangebote der Justizvollzugsanstalt nicht nutzen;
dies stehe auch einer bedingten vorzeitigen Entlassung im Wege, so dass Vollzugslockerungen derzeit
verfrüht seien. Für eine Unterbringung im offenen Vollzug sei der Gefangene wegen seiner
problematischen Persönlichkeit und dem mangelnden Schuldbewusstsein nicht geeignet. Die
Vollzugsplanfortschreibung wurde dem Gefangenen am 1. Dezember 2009 eröffnet.
Hiergegen richtete sich der Gefangene mit seinem am 15. Dezember 2009 eingegangenen Antrag auf
gerichtliche Entscheidung, mit dem er pauschal geltend machte, die Vollzugsplanfortschreibung erfülle
nicht die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen, ohne hierzu nähere
Ausführungen zu machen.
2. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 22. März 2010, dem Gefangenen zugestellt am 26. März 2010,
wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Gefangenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
zurück und verwarf seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig, da er innerhalb der Frist
des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG keinen den formellen Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG
genügenden Antrag gestellt habe.
3. Hiergegen richtet sich die am 27. April 2010 zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
erhobene Rechtsbeschwerde.
Der Gefangene beantragt zunächst, ihm hinsichtlich der Versäumung der Monatsfrist für die Einlegung der
Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und trägt hierzu vor, er habe
rechtzeitig, nämlich unter dem 18. April 2010, den Urkundsbeamten zur Niederschrift seines Rechtsmittels
angefordert.
Zur Begründung der Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene, die Strafvollstreckungskammer habe seinen
Vortrag zur Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung im Schriftsatz vom 15. Januar 2010
nicht zur Kenntnis genommen, bei ihrer Entscheidung übergangen und damit seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt. Darüber hinaus rügt der Gefangene die Verletzung von § 112 Abs. 1 Satz 1
StVollzG, dessen Anforderungen durch die Strafvollstreckungskammer unzumutbar überzogen worden
seien.
Ferner beantragt der Gefangene, ihm auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu
bewilligen.
II.
1. Dem Gefangenen war gemäß § 116 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung in
die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, da er einen Sachverhalt
glaubhaft gemacht hat, nach dem er ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung der
Rechtsbeschwerde einzuhalten. Den vorliegenden Akten und der Erklärung des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle lässt sich entnehmen, dass der Gefangene rechtzeitig vor Ablauf der Frist, nämlich bereits
am 18. April 2010, beantragt hat, die von ihm beabsichtigte Rechtsbeschwerde zu Protokoll des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; mehr kann von ihm unter Berücksichtigung seiner
eingeschränkten Möglichkeiten im Strafvollzug nicht verlangt werden.
2. Die gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG statthafte Rechtsbeschwerde hat jedoch keinen Erfolg; sie ist
unzulässig.
a) Zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen des Rechtsbeschwerdeverfahrens gehört es, dass ein
zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorliegt, was der Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren
von Amts wegen zu überprüfen hat. Das gilt namentlich für die Frage, ob der Antrag auf gerichtliche
Entscheidung den formellen Verfahrensvoraussetzungen des § 109 Abs. 2 StVollzG entsprach (vgl. KG,
Beschl. v. 18.05.2009 – 2 Ws 8/09 Vollz -, NStZ-RR 2010, 61; zit. n. juris Rdnr. 6 m.w.N.).
Gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn der
Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Dies bedeutet, dass er Tatsachen vortragen muss, die, wenn sie gegeben wären, eine Rechtsverletzung
als möglich erscheinen lassen; er muss also einen Sachverhalt vortragen, der die Annahme einer
Rechtsverletzung nicht von vornherein als völlig abwegig und ausgeschlossen erscheinen lässt. Dem
Gericht muss es aufgrund des Sachvortrags möglich sein, einen solchen Sachverhalt ohne Zuhilfenahme
weiterer Erklärungen und Unterlagen zu erkennen. Dabei muss die Begründung des Antrags erkennen
lassen, welche Maßnahme der Vollzugsbehörde der Antragsteller beanstandet und inwiefern er sich in
seinen Rechten verletzt fühlt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 07.06.2001 – 1 Vollz (Ws) 138/01 – NStZ 2002,
531; zit. n. juris Rdnr. 8; KG, a.a.O., Rdnr. 8 m.w.N.; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 109
Rdnr. 19 m.w.N; Isak/Wagner, Strafvollstreckung, 7. Aufl. 2004, Rdnr. 1018 m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen genügt der Antrag des Gefangenen vom 10. Dezember 2009 ersichtlich nicht. Er
erschöpft sich in der pauschalen Behauptung, die Vollzugsplanfortschreibung erfülle nicht die
gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen des § 7 Abs. 2 StVollzG und der Art. 2
Abs. 1 i.V.m. Artikel 1, Art. 3 Abs. 1 GG, ohne konkret darzulegen, inwiefern sich der Gefangene in seinen
Rechten verletzt fühlt.
Die Ausführungen des Gefangenen in seinem Schriftsatz vom 15. Januar 2010 – bei Gericht eingegangen
am 19. Januar 2010 - hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ihrer Sachentscheidung nicht zugrunde gelegt.
Sofern dieser Schriftsatz die formellen Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG erfüllt, erfolgte dies nicht
innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, was jedoch Voraussetzung für die
Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung ist (vgl. KG, a.a.O., Rdnr. 7). Da die
Vollzugsplanfortschreibung dem Gefangenen am 1. Dezember 2009 bekannt gemacht wurde, lief die Frist
zur Stellung eines den Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG genügenden Antrags am 15. Dezember
2009 ab.
c) Die Strafkammer war auch nicht gehalten, den Gefangenen auf die Unzulänglichkeiten und formellen
Mängel seines am 15. Dezember 2009 bei Gericht eingegangenen Antrags auf gerichtliche Entscheidung
hinzuweisen. Zwar kann es die Fürsorgepflicht des Gerichts in bestimmten Fällen gebieten, einen
Gefangenen, der innerhalb der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG einen vom Gericht nicht als
ausreichend angesehenen Antrag verfasst hat, auf die Mängel hinzuweisen und ihm ausnahmsweise zu
gestatten, die fehlenden Erklärungen auch noch nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 112 Abs. 1
Satz 1 StVollzG nachzuholen (vgl. HansOLG Hamburg ZfStrVO 1979, 56; KG NStZ-RR 1997,154 m.w.N.).
Dies gilt indes nicht für Antragsschriften, die von Rechtsanwälten oder von forensisch erfahrenen
Gefangenen eingereicht werden; denn von diesen kann erwartet werden, dass sie mit den formellen
Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG vertraut sind (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Rdnr. 9; KG, a.a.O. Rdnr.
11). Vorliegend handelt es sich bei dem Antragsteller um einen forensisch erfahrenen Gefangenen, wie
sich nicht nur aus den Darlegungen der Strafvollstreckungskammer in dem angegriffenen Beschluss,
sondern auch aus Form und Inhalt sämtlicher Schreiben des Gefangenen ergibt; diese lassen nicht
unerhebliche Kenntnisse auf dem Gebiet des Strafvollzugsrechts erkennen.
3. Darüber hinaus ist es auch nicht geboten, die angefochtene Entscheidung zur Fortbildung des Rechts
oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu überprüfen. Die Anforderungen an die
Abfassung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG sind in der
obergerichtlichen Rechtsprechung – wie ausgeführt – geklärt; hiervon weichen weder die angegriffene
Entscheidung noch der Senat ab.
4. Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren kann gemäß § 120 Abs. 2 StVollzG i.V.m. § 114
Satz 1 ZPO nicht gewährt werden, da die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine
Erfolgsaussicht hat.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.