Urteil des OLG Koblenz vom 20.01.2009

OLG Koblenz: schnittstelle, verfügung, rechtliches gehör, internet, dienstleistungsfreiheit, unzumutbarkeit, kommission, erlass, kündigung, spiel

Bürgerliches Recht
OLG
Koblenz
20.01.2009
1 W 6/09
1. Die Durchführung eines Abhilfeverfahrens ist ausnahmsweise denn entbehrlich, wenn die Beschwerde unmittelbar bei
dem Beschwerdegericht eingelegt worden und besonders eilbedürftig ist.
2. Das Verbot des Vermittelns von Glücksspielen im Internet spätestens mit dem Ablauf des 31.12.2008 nach dem
Glücksspielstaatsvertrag der Bundesländer macht die Kündigung eines Geschäftsbesorgungsvertrags über das
Vermitteln von Lottospielen zwischen einer Lottogesellschaft und einer Internetvermittlungsgesellschaft grundsätzlich
nicht entbehrlich.
3. Der Internetvermittlungsgesellschaft ist es unter dem Gescihtspunkt von Treu und Glauen nicht verwehrt, sich auf den -
ungekündigten - Geschäftsbesorgungsvertrag zu berufen, so lange die abschließende Klärung aussteht, ob das
generelle Verbot des Vermittelns von Glücksspielen im Internet gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag
verstößt.
Geschäftsnummer:
1 W 6/09
4 HK.O 177/08 LG Koblenz
OBERLANDESGERICHT
KOBLENZ
BESCHLUSS
in dem Rechtsstreit
1. G… GmbH,
- Antragstellerin zu 1. und Beschwerdeführerin -
2. T… AG,
- Antragstellerin zu 2. -
Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen: Rechtsanwälte
gegen
L… GmbH,
- Antragsgegnerin -
Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Itzel, die
Richterin am Oberlandesgericht Dr. Cloeren und den Richter am Landgericht Burkowski
am 20. Januar 2009
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin zu 1. wird der Beschluss des Vorsitzenden der 4. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Koblenz vom 23. Dezember 2008 abgeändert:
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, die der Antragstellerin zu 1. bis zum 5.
Januar 2009 zur Verfügung gestellte elektronische Schnittstelle (EGU) zur Weiterleitung von Spielaufträgen von
Spielteilnehmern an den bundesweiten Spielveranstaltungen Lotto 6 aus 49, Spiel 77, Super 6 und Glücksspirale wieder
zu öffnen und zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 990.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerinnen begehren im einstweiligen Verfügungsverfahren die Offenhaltung einer elektronischen
Schnittstelle zum EDV-System der Antragsgegnerin zur Weiterleitung von Spielaufträgen.
Die Antragstellerin zu 1. übernimmt auf der Grundlage eines mit der Antragsgegnerin geschlossenen
Geschäftsbesorgungsvertrages – im Folgenden: GV – vom 11. März 2002 die Aufgaben einer virtuellen Annahmestelle
(Ziff. 1.2. GV); laut Ziff. 3.1. GV vermittelt sie die Teilnahme an von der Antragsgegnerin angebotenen Spiel- und
Wettgeschäften, u.a. schwerpunktmäßig Lotto 6 aus 49, Spiel 77, Super 6.
Die Spiele und Wetten werden zunächst über die Internetseiten t….com der Antragstellerin zu 2. akquiriert und dann
durch die virtuelle Annahmestelle der Antragstellerin zu 1. über eine von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellte
Schnittstelle an diese übermittelt.
Das Landesgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag von Rheinland-Pfalz vom 3. Dezember 2007 (GVBl. 2007, S. 240)
verbietet in Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages der Bundesländer nach Ablauf einer Übergangszeit bis zum 31.
Dezember 2008 das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet.
Die Antragstellerin zu 2. hat ihr Geschäftsfeld zum Jahreswechsel der T… Services Ltd. Überlassen.
Die Antragstellerinnen – bzw. die Geschäftsnachfolgerin der Antragstellerin zu 2 . – betreiben das Vermittlungsgeschäft
im Internet weiter; gegen sie gerichtete ordnungsbehördliche Verfügungen auf Einstellung des Betriebes sind bislang
nicht ergangen.
Die Antragsgegnerin hat zum 05. Januar 2009 die elektronische Schnittstelle abgeschaltet.
Das Landgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2008 den Erlass einer einstweiligen Verfügung
zurückgewiesen.
Mit ihrer Beschwerde will die Antragstellerin zu 1. die Offenhaltung der elektronischen Schnittstelle erreichen, im
wesentlichen mit der Begründung, das generelle Verbot der Internetvermittlung verstoße gegen EU-Recht, der
Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Antragsgegnerin sei daher nach wie vor wirksam.
Ohne die Bereitstellung der Schnittstelle sei sie in ihrer Existenz bedroht, sie befürchte nicht nur einen dauerhaften
Verlust ihrer Kunden, sondern auch deren Schadensersatzansprüche, soweit Tipps u.a. von Dauerspielscheinen nicht
weitergeleitet werden könnten.
Der Antragsgegnerin wurde rechtliches Gehör gewährt.
II.
1. Die bei dem Oberlandesgericht eingelegte Beschwerde gegen den, den Erlass einer einstweiligen Verfügung
zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Koblenz (§ 937 Abs. 2 ZPO), ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
Der Durchführung des in § 572 Abs. 1 ZPO geregelten Abhilfeverfahrens bei dem Landgericht bedurfte es nicht.
Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein aus Gründen der Prozessökonomie vorgesehenes Verfahren, welches
inhaltlich einer Gegenvorstellung gleichkommt. Es ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn die Beschwerde
unmittelbar bei dem Beschwerdegericht eingelegt worden und
besonders eilbedürftig
Abhilfeverfahrens vgl. auch Zöller-Heßler. ZPO, 27. Aufl., § 572 Rdnr. 4).
Abgesehen davon, dass durch die hier gewählte Entscheidung des Landgerichts (Beschluss ohne mündliche
Verhandlung nach § 937 Abs. 2 ZPO) Gelegenheit gegeben werden soll, zügig das Rechtsmittelgericht anzurufen
(Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 937 Rdnr. 2a), gebietet in besonders eilbedürftigen Fällen das Gebot effektiven
Rechtsschutzes eine Beschleunigung des Verfahrens. Dem widerspräche es, in diesen Fällen eine Zeitverzögerung
dadurch zu verursachen, in dem eine bei dem Beschwerdegericht erhobene Beschwerde zunächst dem Landgericht zur
Entscheidung über die Abhilfe zugeleitet wird, um sie dann erneut – im Fall der Nichtabhilfe – dem Beschwerdegericht
vorzulegen.
Die Antragstellerin hat ihre Beschwerde unmittelbar dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zugeleitet.
Von einer besonderen Eilbedürftigkeit ist hier auszugehen, da die Antragstellerin zu 1. zum Betrieb ihres laufenden
Geschäfts auf die Bereitstellung der - abgeschalteten - Schnittstelle dringend angewiesen ist.
2. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 935 ZPO) ist zulässig. Die Antragstellerin zu 1. kann sich sowohl auf
einen Verfügungsanspruch als auch auf einen Verfügungsgrund berufen.
2.1. Der Antragstellerin zu 1. steht aufgrund des mit der Antragsgegnerin geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags
die Offenhaltung/Bereitstellung der elektronischen Schnittstelle nach wie vor zu.
a) Der Geschäftsbesorgungsvertrag ist
nicht
Der Antragstellerin zu 1. ist bislang keine Kündigungserklärung zugegangen.
Die Antragsgegnerin hat die Schnittstelle zwar am 5. Januar 2009 geschlossen; sie erbringt mithin eine von ihr
geschuldete Leistung seit diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ein solches Verhalten, welches verschiedene Gründe haben
kann (z.B. technische Störung), führt zu einer Vertragsstörung, es stellt jedoch keine Kündigungserklärung dar, die als
rechtsgestaltende Willenserklärung hinreichend deutlich erklärt werden muss.
b) Der Antragstellerin zu 1. ist es auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf den Geschäftsbesorgungsvertrag zu
berufen, weil der Antragsgegnerin ein Festhalten am Vertrag wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht mehr
zugemutet werden kann und sie deshalb das Dauerschuldverhältnis mit der Antragstellerin zu 1. gemäß § 313 Abs. 3
Satz 2 BGB ohne weiteres kündigen könnte.
aa) Die Antragsgegnerin selbst hat von einer Kündigung abgesehen, obwohl der Glücksspielstaatsvertrag seit dem 01.
Januar 2008 in Kraft getreten ist und ihr mithin ausreichend Zeit zur Verfügung stand, eine Kündigung auszusprechen,
wenn sie die Fortsetzung des Geschäftsbesorgungsvertrages über den Ablauf der Übergangsfrist für die
Internetvermittlung im Glücksspielstaatsvertrag (Ende: 31.12.2008; § 25 Abs. 6 GlüStV) hinaus als unzumutbar
angesehen hätte.
Dieses Verhalten spricht dafür, dass der Antragsgegnerin eigentlich an einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses
gelegen ist.
bb) Allein aus der Bestimmung des § 4 Abs. 4 GlüStV könnte die Antragsgegnerin keine Unzumutbarkeit der Fortsetzung
des Vertrages herleiten. Zwar verbietet § 4 Abs. 4 GlüStV das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet, so dass die
Geschäftsgrundlage des Vertrages – Vermitteln von Glücksspielen im Internet – entfallen zu sein scheint.
Jedoch bestehen erhebliche Bedenken, ob diese innerstaatliche Regelung nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit des
Art. 49 EG-Vertrag verstößt.
Die Antragstellerin zu 1. hat hierzu u.a. auf eine diesbezügliche Stellungnahme der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften (Aufforderungsschreiben Vertragsverletzung-Nr. 2007/4866 – Anlage AST 12) verwiesen. Darin meldet
die Kommission erhebliche Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der im GlüStV u.a. in § 4 Abs.
4 getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Spielsucht an.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 22. August 2008 (VG 35 A 15.08) auf die
Gemeinschaftsrechtswidrigkeit – Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit – des generellen Internetvermittlungsverbots
bei Lotterien mit nicht mehr als zwei Gewinnentscheidungen pro Woche und Klassenlotterien erkannt.
Den von der Kommission und dem Verwaltungsgericht Berlin angeführten und durchaus überzeugenden Erwägungen
gegen die Konformität des Internetvermittlungsverbots mit EU-Recht – von deren Darstellung im Einzelnen hier
abgesehen wird, da sie den Beteiligten bekannt sind – vermag sich der Senat nicht zu verschließen.
Auch wenn der Senat von einer endgültigen Klärung der angesprochenen Rechtsfrage absieht, lässt sich aufgrund der
erheblichen Bedenken gegen die Übereinstimmung der Regelung des § 4 Abs. 4 GlüStV mit Art. 49 EG-Vertrag keine
Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag und damit ein Kündigungsrecht der Antragsgegnerin wegen des Wegfalls
der Geschäftsgrundlage mit der notwendigen Überzeugungssicherheit feststellen.
cc) Die Unzumutbarkeit am Festhalten des Vertrages wegen Begehens einer Ordnungswidrigkeit der Antragsgegnerin
aufgrund der Durchführung desselben, kann ebenso wenig festgestellt werden.
Die Annahme von im Internet vermittelten Spielen stellt, soweit ersichtlich, keine Ordnungswidrigkeit zu Lasten der
Antragsgegnerin dar (vgl. § 13 LGlüG).
Im Übrigen wäre zweifelhaft, ob eine solche bei Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Vermittlungsverbots überhaupt
möglich wäre.
dd) Ebenso wenig wird der Antragsgegnerin ein Wettbewerbsverstoß durch die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem
Geschäftsbesorgungsvertrag entgegengehalten werden können, wenn sie diesen aufgrund erheblicher Zweifel an der
Übereinstimmung des innerstaatlichen Rechts mit der Dienstleistungsfreiheit des EG-Vertrages weiterhin erfüllt.
ee) Schließlich könnte die Antragsgegnerin zur Begründung der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag nicht die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 928/08 – heranziehen.
Zwar verstößt danach § 4 Abs. 4 GlüStV nicht gegen die Verfassung. Die Entscheidung räumt jedoch Bedenken
bezüglich eines (möglichen) Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit nicht aus.
Die Antragstellerin kann daher derzeit auf der Durchführung des Geschäftsbesorgungsvertrages bestehen.
2.2. Die Antragstellerin zu 1. hat auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.
Ohne das Offenhalten der Schnittstelle hat sie schwerwiegende Nachteile für ihren Geschäftsbetrieb (der ausschließlich
in der virtuellen Annahme und Vermittlung besteht) zu befürchten, bis hin zu einem Verlust ihres Betriebes. Sie hat nicht
nur erhebliche Umsatzeinbußen wegen nicht möglicher Vermittlung von Spielen an die Antragsgegnerin zu besorgen,
sondern auch ggfs. Schadensersatzansprüche von Kunden (z. B. aus dem Ausland, aus Berlin oder Kunden mit
Dauerspielscheinen).
Zwar steht ihr aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg in Hamburg eine Schnittstelle zur
Verfügung, die Antragstellerin hat aber überzeugend dargelegt, dass ihr System seine Zuverlässigkeit gerade auf die
Redundanz mehrer Schnittstellen gründet.
2.3. Die erstrebte Verfügung zielt nicht auf die Sicherung des Hauptsacheanspruchs, der hier in der Feststellung der
Wirksamkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages besteht.
Dies wird vorliegend nicht festgestellt; eine endgültige Befriedigung des Anspruchs der Antragstellerin zu 1. erfolgt daher
nicht.
3. Nach § 938 ZPO bestimmt das Gericht nach Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich
sind; es ist somit auch nicht an den Wortlaut des Antrags gebunden, darf jedoch über den Antrag nicht hinausgehen.
Die Antragstellerin zu 1. erstrebt, „ … der Antragsgegnerin zu untersagen, die … Schnittstelle … abzuschalten.“ Bei
formaler Betrachtung könnte dieser Antrag, nachdem die Schnittstelle nunmehr abgeschaltet ist, keinen Erfolg mehr
haben. An dem formalen Wortlaut ist hier jedoch nicht festzuhalten, vielmehr ist das Begehren unter Würdigung des
Beschwerdevorbringens dahingehend auszulegen, dass es der Antragstellerin zu 1. nach Sperrung der Schnittstelle um
die Wiederbereitstellung derselben geht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Dr. Itzel Dr. Cloeren Burkowski