Urteil des OLG Koblenz vom 01.12.2006

OLG Koblenz: treu und glauben, rücknahme der klage, berufsunfähigkeit, krankenschwester, chondropathia patellae, lebensversicherung, versicherungsnehmer, versicherungsverhältnis, rente

Bürgerliches Recht
OLG
Koblenz
01.12.2006
10 U 208/06
Hat eine Krankenschwester im Nachtdienst wegen der Erkrankung, aufgrund der sie ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr
ausüben kann, keine reelle Chance, für eine vergleichbare Tätigkeit als Krankenschwester auf einer Augen-, HNO- oder
Hautstation eines Krankenhauses einen Arbeitsplatz zu finden, da sie die Anforderungen an diese Tätigkeit
krankheitsbedingt teilweise nicht erfüllen kann, ist eine Verweisung auf diese vergleichbare Tätigkeit nach Treu und
Glauben ausgeschlossen.
Geschäftsnummer:
10 U 208/06
6 O 2/04 LG Trier
Verkündet
am 1. Dezember 2006
Birgit Schäfer
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
A.. Lebensversicherungs AG,
Beklagte und Berufungsklägerin,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
g e g e n
M…… S…….,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die
Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger und die Richterin am Landgericht Luther auf die mündliche Verhandlung
vom 10. November 2006
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 12. Januar 2006 teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab dem 01. September 2002 für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens
jedoch bis zum 01. November 2026, aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherung Nr. ………..
eine vierteljährliche, jeweils im Voraus fällige Barrente in Höhe von 3.005,12 Euro zuzüglich der jeweils geschuldeten
Bonusrente, derzeit monatlich 215,48 Euro, zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Klägerin ab dem 01. September 2002 bezüglich der Lebensversicherung Nr. ……….. für die
Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis zum 01. November 2026, von der Prämienzahlungspflicht befreit ist.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben die Klägerin 14 % und die Beklagte 86 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
G R Ü N D E :
I.
Die Klägerin begehrt Leistung wegen mindestens 50 % Berufsunfähigkeit aus dem bis zum 01. November 2026
bestehenden Versicherungsverhältnis mit der Beklagten, dessen Inhalt sich aus dem Versicherungsschein vom 16.
November 1991 (Blatt 20 ff.), den allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung sowie den
Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB 20, Blatt 29 ff.) ergibt.
Nach teilweiser Rücknahme der Klage, soweit es Leistung und Feststellung der Prämienzahlungsbefreiung für die Zeit
vom 10. Dezember 2001 bis zum 31. August 2002 betrifft, hat das Landgericht Trier mit am 12. Januar 2006 verkündetem
Urteil antragsgemäß die Beklagte verurteilt,
an die Klägerin ab dem 01. September 2002 für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis zum 01.
Dezember 2026, aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Lebensversicherung Nr. ……….. eine
vierteljährliche, jeweils im Voraus fällige Barrente in Höhe von 3.005,12 Euro zuzüglich der jeweils geschuldeten
Bonusrente, derzeit monatlich 215,48 Euro, zu zahlen, und festgestellt, dass die Klägerin ab dem 01. September 2002
bezüglich der Lebensversicherung Nr. ……….. für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis 01. Dezember
2026, von der Prämienzahlungspflicht befreit ist.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme für erwiesen erachtet, dass die Klägerin aufgrund eines schweren
fortgeschrittenen degenerativen Halswirbelsäulensyndroms mit Osteochondrosen in den Segmenten C4/C5 bis C6/C7
und Bandscheibenvorfällen C5/C6, einem fortgeschrittenen degenerativen Lendenwirbelsäulenleiden mit
Foraminastenosen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und Zustand nach Dekompensation und Foraminotomie
L4/L5 links mit lokalen belastungsabhängigen rezidivierenden lumbalgieformen Beschwerden, Restischialgien und
persistierenden neurologischen Ausfallerscheinungen im Bereich des linken Beines, einer Chondropathia patellae
beidseitig mit deutlicher pathologischer Patellaverschieblichkeit sowie Zustand nach operativer Therapie eines
Carpaltunnelsyndroms beidseitig nicht mehr in der Lage ist, zu knien, Gegenstände von mehr als 15 kg zu heben und zu
tragen, Gerüste und Leitern zu benutzen, Arbeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen vorzunehmen und
wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen jeglicher Art einzunehmen, wozu Bücken, Winden, Strecken und
Überkopfarbeiten gehören. Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts kann die Klägerin lediglich noch leichtere
körperliche Tätigkeiten ohne wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungsmuster, ohne Überkopfarbeiten, ohne besondere
Anforderungen an die Feinmotorik der linken Hand mit der Möglichkeit zur freien Wahl der Körperhaltung ohne Heben
und Tragen von Gegenständen von über 15 kg in geschlossenen temperierten Räumen ausüben, weshalb ihr die
Tätigkeit einer Krankenschwester im Nachtdienst zu 70 % nicht mehr zumutbar sei. Geeignete Verweisungstätigkeiten
habe die Beklagte nicht hinreichend dargetan.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, die sie wie
folgt begründet:
Das Landgericht habe zu Unrecht eine Verweisungsmöglichkeit verneint. Da es insoweit den Vortrag der Beklagten für
unzureichend hielt, hätte es zuvor eines Hinweises bedurft, aufgrund dessen im Einzelnen zu Verweisungsmöglichkeiten
näher vorgetragen worden wäre, was nun nachgeholt wird, wobei insoweit auf die Ausführungen in der
Berufungsbegründung vom 22. März 2006 nebst Anlage (Blatt 337 bis 358) Bezug genommen wird.
Ferner habe das Landgericht auch für die Zeit vom 02. November 2026 bis zum 01. Dezember 2026 Leistungen
zuerkannt und Beitragsbefreiung festgestellt, obwohl – unstreitig – das Versicherungsverhältnis bereits am 01. November
2026 endet.
Im Übrigen sei die Kostenentscheidung unrichtig, da unberücksichtigt geblieben sei, dass die Klägerin die Klage
teilweise (für die Zeit vom 10. Dezember 2001 bis zum 31. August 2002) zurückgenommen hat. Die Rücknahme betreffe
einen Streitwert von 12.402,44 Euro, sei somit im Hinblick auf den Gesamtstreitwert von 87.032,62 Euro nicht nur
geringfügig im Sinn des § 92 Abs. 2 ZPO.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie rügt das neue Vorbringen der Beklagten zu den Verweisungsmöglichkeiten als verspätet und ist der Auffassung, die
näher beziehungsweise neu aufgezeigten Betätigungsmöglichkeiten seien keine geeigneten Verweisungstätigkeiten,
wobei insoweit auf die Ausführungen in den Schriftsätzen des Klägervertreters vom 12. Juni 2006 (Blatt 363 – 369 d.A.)
und vom 13. Juni 2006 (Blatt 370 – 371 d.A.) Bezug genommen wird.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die zu
den Akten gereichten Schriftsätze und Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur in geringem Umfang Erfolg.
Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft der Klägerin auch für die Zeit vom 02. November 2026
bis zum 01. Dezember 2026 Leistungen zuerkannt und Beitragsbefreiung festgestellt hat. Die Klägerin hat zwar zunächst
behauptet, das Versicherungsverhältnis mit der Beklagten bestehe bis zum 01. Dezember 2026, nach Hinweis der
Beklagten auf den nicht bestrittenen Inhalt des von der Klägerin selbst vorgelegten Versicherungsscheins jedoch
unstreitig gestellt, dass das Versicherungsverhältnis bereits am 01. November 2026 endet. Für die Zeit nach Beendigung
des Versicherungsverhältnisses stehen ihr jedoch keine Versicherungsleistungen mehr zu, so dass auf die Berufung der
Beklagten das angefochtene Urteil insoweit abzuändern war.
Für die Zeit vom 01. September 2002 an steht der Klägerin jedoch für die Dauer der Berufsunfähigkeit bis längstens zum
01. November 2026 die geltend gemachte Versicherungsleistung aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur
Lebensversicherung Nr. ……….. zu.
Die Klägerin ist nämlich entgegen der Berufung unter Berücksichtigung des für die Berufungsentscheidung
maßgeblichen Sachverhaltes berufsunfähig im Sinn von § 2 Nr. 1 und 2 in Verbindung mit § 1 Nr. 1 der zum
Vertragsgegenstand gemachten Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB 20).
Vollständige oder teilweise (mindestens 50 %) Berufsunfähigkeit im Sinn von § 2 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 1 Nr. 1 der zum
Vertragsgegenstand gemachten Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Bl. 29 d.A.)
liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich dauernd
außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung
ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Im Rahmen der Ermittlung bedingungsgemäßer
Berufsunfähigkeit ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in
gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h., solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH-Urteil vom
22.09.1993 – IV ZR 203/92 – VersR 1993, 1470, 1471; Senatsurteil vom 10.11.2000 – 10 U 278/00 – NVersR 2001, 212).
Die Feststellung des Landgerichts, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung zu mindestens 50 % voraussichtlich auf
Dauer außer Stande ist, ihren bisherigen Beruf als Nachtschwester auszuüben, hat die Beklagte mit der Berufung nicht
angegriffen. Insoweit bestehen auch keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellung im
Sinn des § 529 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Auch unter Berücksichtigung des neuen Vortrags der Beklagten, der wegen des unterlassenen Hinweises des
Landgerichts gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO der
Berufungsentscheidung zugrunde zu legen ist, ist von einer mindestens 50 %-igen Berufsunfähigkeit der Klägerin
auszugehen, aufgrund derer ihr die vertraglich vereinbarten Leistungen zustehen und sie von ihrer
Beitragszahlungsverpflichtung freizustellen ist, da die Klägerin nicht auf die von der Beklagten nunmehr substantiiert
dargelegten Vergleichstätigkeiten verwiesen werden kann.
Will der Versicherer den Versicherungsnehmer auf eine zumutbare Vergleichstätigkeit verweisen, gehört es
grundsätzlich zu seiner Vortragslast, den Vergleichsberuf bezüglich der ihn prägenden Merkmale (z.B. Vorbildung,
Arbeitsbedingungen, Entlohnung, erforderliche Fähigkeiten, körperliche Kräfte) näher zu konkretisieren (BGH VersR
1999, 1134; VersR 1994, 1095, NJW-RR 1995, 20; VersR 2000, 349; VersR 2005, 676; Senat in VersR 2001, 1371; OLG
Saarbrücken OLGReport 2003, 353). Hat der Versicherer seiner Darlegungslast genügt, trifft den Versicherungsnehmer
die Beweislast dafür, dass keine andere Erwerbstätigkeit in einem die Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfang
ausgeübt werden kann (BGH VersR 2005, 676, 678). Verweisungen auf Tätigkeiten, die nur in Einzelfällen nach den
besonderen Anforderungen eines bestimmten Betriebes geschaffen oder auf spezielle Bedürfnisse eines bestimmten
Mitarbeiters zugeschnitten worden sind („Nischenarbeitsplätze“) scheiden grundsätzlich ebenso aus wie Verweisungen
auf Tätigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt nur in so geringer Anzahl zur Verfügung stehen, dass von einem Arbeitsmarkt
praktisch nicht mehr die Rede sein kann (BGH NJW-RR 1999, 1471, 1472). Das Risiko der Arbeitslosigkeit als solches
wird von der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zwar nicht geschützt. Dennoch ist eine Verweisung auf eine Tätigkeit
nach Treu und Glauben dann nicht möglich, wenn der Versicherungsnehmer wegen der Gesundheitsbeeinträchtigung,
die ihm die Fortführung seines bisherigen Berufs unmöglich macht, offensichtlich keinen Arbeitsplatz innerhalb des
Vergleichsberufs finden wird (OLG Karlsruhe VersR 2000, 1401).
Als Verweisungstätigkeiten hat die Beklagte benannt und näher dargelegt:
- Krankenschwester auf einer Augen-, HNO- oder Hautstation
- Arzthelferin/Ambulanzschwester
- Funktionsschwester
- Dialyseschwester/Tätigkeit in einem Blutspendezentrum
- Hygienefachschwester.
Sämtliche dieser Tätigkeiten sind jedoch keine Verweisungstätigkeiten im Sinn des § 2 Nr. 1 BB 20 (Blatt 29), die den
oben dargelegten Anforderungen genügen.
Die Verweisung auf eine Tätigkeit in einem Blutspendezentrum, als Dialyse- oder Hygienefachschwester scheidet bereits
deshalb aus, weil sich aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt, dass es sich hierbei um Tätigkeiten handelt, die eine
Zusatzausbildung von mindestens einem Jahr erfordern, somit nicht von der Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung und
Erfahrung ausgeübt werden können. Zwar kann dem Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben eine gewisse
Einarbeitung und Fortbildung zugemutet werden, allerdings nur, soweit zusätzlich erforderliche Fähigkeiten mit
Leichtigkeit innerhalb kurzer Zeit erworben werden können (Voit, VersR 1990, 22, 24). Hierbei handelt es sich jedoch vor
allem um den Erwerb solcher Möglichkeiten, die nur der Anpassung vorhandener Fähigkeiten und Kenntnisse an
Bedürfnisse des neuen Betriebes dienen und die bei jedem Arbeitsplatzwechsel anfallen (OLG Saarbrücken, NJW-RR
2003, 528). Eine für die Tätigkeit in einem Blutspendezentrum, als Dialyse- oder Hygienefachschwester erforderliche
Zusatzausbildung von mindestens einem Jahr kann jedoch weder mit Leichtigkeit noch innerhalb kurzer Zeit erworben
werden und ist dem Versicherungsnehmer daher keineswegs zumutbar, weshalb die Klägerin nicht auf diese Tätigkeiten
verwiesen werden kann.
Die Verweisung auf eine Tätigkeit als Krankenschwester auf einer Augen-, HNO- oder Hautstation kommt zunächst
deshalb nicht in Betracht, weil solche Stationen im Krankenhaus, in dem die Klägerin vor ihrer Erkrankung tätig war, nicht
existieren. Zwar ist es durchaus möglich, dass bei einer Tätigkeit auf diesen Stationen in einem anderen Krankenhaus
die Anteile an schwerer körperlicher Tätigkeit, die die Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr auszuüben vermag, geringer
sind als bei ihrer bisherigen Tätigkeit als Nachtschwester auf der Inneren Abteilung, weshalb nicht auszuschließen ist,
dass für diese Verweisungstätigkeiten „abstrakt“ eine geringere als 50%ige Berufsunfähigkeit vorliegt.
Der Senat hält es jedoch bereits aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung für offensichtlich, dass die Klägerin gerade
wegen ihrer Erkrankung keine reelle Chance hat, tatsächlich einen Arbeitsplatz in einem anderen Krankenhaus auf einer
Augen-, HNO- oder Hautstation zu finden. Es liegt auf der Hand, dass ein Arbeitgeber bei der Auswahl unter den
Bewerbern vorrangig darauf achten wird, dass diese nicht allein den alltäglichen durchschnittlichen Anforderungen des
zu besetzenden Arbeitsplatzes möglichst gut genügen, sondern sämtlichen, auch seltenen oder Ausnahmesituationen
der Berufsausübung möglichst umfassend und flexibel gewachsen sind. Bestehen insoweit jedoch bei einem Bewerber
erhebliche Defizite, wird er jedenfalls bei der – hier allein in Betracht kommenden – Suche nach einer abhängigen
Beschäftigung faktisch keine Chance haben, sich gegen andere Bewerber erfolgreich durchzusetzen und den erstrebten
Arbeitsplatz zu bekommen, auch wenn er bei isolierter, abstrakter Betrachtungsweise noch zu „50 oder mehr Prozent“ für
den betreffenden Beruf „berufsfähig“ ist. Ohne dass es insoweit des Aufstellens einer allgemeinen Regel für sämtliche
Berufe bedarf, erscheint es für den Senat jedenfalls bei der konkreten Beurteilung der Verwendungschance als
Krankenschwester evident, dass ein derartiges „Einstellungshandicap“ es der Klägerin nahezu unmöglich macht, in
einem anderen Krankenhaus auf einer Augen-, HNO- oder Hautstation eine neue Anstellung zu finden. Wegen ihrer
körperlichen Verfassung ist es der Klägerin nämlich nicht möglich, alle auch auf diesen Stationen anfallenden Tätigkeiten
auszuüben. Wenn auch auf solchen Stationen die Patienten in der Regel mangels stärkerer körperlicher Gebrechen nicht
gebettet und gewaschen werden müssen, so entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass dort zumindest vereinzelt
auch solche Patienten betreut werden müssen, die unabhängig von der aktuell zu behandelnden Erkrankung an
körperlichen Gebrechen leiden und Hilfe z.B. beim Aufstehen und Waschen benötigen bzw. solche Tätigkeiten gar nicht
mehr ausführen können, weshalb zu ihrer Betreuung Tätigkeiten erforderlich sind (z.B. Zwangshaltungen, Heben von
Lasten von mehr als 15 kg), deren Ausübung der Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr möglich ist. Kann sie jedoch
nicht alle auf einer solchen Station anfallenden Aufgaben erfüllen, liegt es auf der Hand, dass es für sie gerade wegen
ihrer starken körperlichen Einschränkung offensichtlich ausgeschlossen ist, in einem anderen Krankenhaus auf einer
Augen-, HNO- oder Hautstation eine neue Arbeitsstelle zu finden. Die Verweisung auf eine solche Tätigkeit ist daher
nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Auch auf die Tätigkeit als Funktionsschwester kann die Klägerin nicht verwiesen werden. Zwar handelt es sich bei der
Tätigkeit auf einer Funktionsabteilung (z.B. Durchführung von Elektrokardiogrammen, Belastungskardiogrammen,
Durchführung von Lungenfunktionstests in Form von Spirometrie oder Bodyplethysmographie oder die Kombination der
kardiopulmonalen Leistungsdiagnostik bei Spiroergometrien, Durchführung von Gastroskopien oder Coloskopien) um
eine körperlich überwiegend leichte Arbeit, die die Klägerin ausüben könnte, wenn man zugunsten der Beklagten
unterstellt, dass die Tätigkeiten einer Funktionsschwester auch ohne besondere Anforderungen an die ausweislich des
erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens vom 06.09.2005 (Blatt 251 d.A.) eingeschränkte Feinmotorik der
linken Hand der Klägerin durchgeführt werden können. Da es sich jedoch nicht ausschließlich um leichte körperliche
Tätigkeiten handelt, mithin zumindest auch um von der Klägerin nicht mehr durchführbare mittelschwere körperliche
Tätigkeiten, die Klägerin somit krankheitsbedingt nicht allen Anforderungen einer Funktionsschwester gerecht werden
kann, hat sie wegen ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen und ihrer nur beschränkten Verwendungsfähigkeit aus
oben genannten Gründen offensichtlich keine reelle Chance, eine Anstellung als Funktionsschwester in einer anderen
Klinik zu erhalten, weshalb auch eine Verweisung auf diese Tätigkeit nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist.
Auch eine Verweisung auf die Tätigkeit als Arzthelferin oder Ambulanzschwester kommt nicht in Betracht, wie das
Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Voraussetzung für eine Verweisungsmöglichkeit ist, dass die Klägerin als
Krankenschwester aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung, mithin aufgrund ihrer vorhandenen Kenntnisse und
Fähigkeiten, den Aufgabenbereich des Vergleichsberufs im Wesentlichen beherrscht. Etwaige Defizite müssen nach Art
und Umfang im Rahmen einer angemessenen Einarbeitung, wie sie jeder Antritt einer neuen Arbeitsstelle mit sich bringt,
ausgeglichen werden können. Zu einer darüber hinausgehenden Fortbildung ist der Versicherte nach § 2 Nr. 1 BUZ nicht
verpflichtet (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2003, 528 mit Hinweis auf BGH,NJW-RR 1997, 529, NJW-RR 2000, 550, OLG
Hamm VersR 1997, 479). Aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten kann jedoch die Klägerin nicht ohne unzumutbare
Fortbildung die allgemein an eine Arzthelferin oder Ambulanzschwester gestellten Anforderungen erfüllen. Zu deren
Tätigkeiten gehören nach dem Vorbringen der Beklagten unter anderem die Praxisorganisation, Büro- Verwaltungs- und
Abrechnungsarbeiten, Entgegennahme von Telefonanrufen, Terminvergabe, Führen von Patientenkarteien, Abrechnung
mit Krankenkassen und Privatpatienten, Durchführung einfacher Laborarbeiten. All dies entspricht nicht der Ausbildung
und Erfahrung der Klägerin als Krankenschwester, die unstreitig über keinerlei EDV-Kenntnisse verfügt. Zwar mag die
Vorbildung einer Krankenschwester ausreichend sein für eine Einarbeitung in das Tätigkeitsfeld einer Arzthelferin oder
Ambulanzschwester. Mit einem nur wenige Tage dauernden Kurs zur Eingabe von Daten in den PC ist die erforderliche
Einarbeitung jedoch keineswegs zu bewältigen, da mit einem solchen Kurs weder die erforderlichen Kenntnisse für die
Praxisorganisation, Verwaltungs-, Abrechnungs- und sonstigen nicht zum Aufgabenbereich einer Krankenschwester
gehörenden Tätigkeiten einer Arzthelferin oder Ambulanzschwester vermittelt werden können, sondern allenfalls
rudimentäre Kenntnisse in der Datenverarbeitung. Die zusätzlich erforderlichen Fähigkeiten können gerade nicht mit
Leichtigkeit innerhalb kurzer Zeit erworben werden, weshalb eine Verweisung der Klägerin auf eine Tätigkeit als
Arzthelferin oder Ambulanzschwester ausscheidet (vgl. auch OLG Saarbrücken, OLGReport 2003, 353 – 356).
Aufgrund ihrer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % steht der Klägerin daher die geltend gemachte Leistung aus der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit der Beklagten zu, allerdings längstens für den Versicherungszeitraum, somit
allenfalls bis zum 01.11.2026 und nicht, wie das Landgericht ausgeführt hat, bis zum 01.12.2026. Dass das
Versicherungsverhältnis zum 01.11.2026 endet, ergibt sich aus dem von der Klägerin selbst vorgelegten
Versicherungsschein (Blatt 21 d.A.), weshalb das Urteil des Landgerichts Trier insoweit abzuändern war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 ZPO.
Hinsichtlich der Kostentragungslast für den ersten Rechtszug ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Klage für den
Zeitraum vom 10. Dezember 2001 bis zum 31. August 2002 zurückgenommen hat. Zudem war die Klage hinsichtlich des
Monats November 2026 abzuweisen. Die Rücknahme bzw. das Teilunterliegen der Klägerin bezieht sich somit auf einen
Leistungszeitraum von 9,67 Monaten und einen Streitwert von 12.828,95 Euro, nämlich
9.686,50 Euro (=3.005,12 Euro Rente : 3 Monate x 9,67 Monate) zuzüglich
2.084,65 Euro (=215,58 Euro Bonusrente x 9,67 Monate) zuzüglich
1.056,90 Euro (80 % von 136,62 Euro x 9,67 Monate).
Der für die Kostenentscheidung maßgebliche Streitwert des ersten Rechtszugs bis zur Teilrücknahme am 09. September
2004 betrug 91.769,92 Euro, nämlich
laufende Leistungen ab Anhängigkeit der Klage am 12. Januar 2004
42.071,68 Euro (=3.005,12 Euro Rente : 3 Monate x 42 Monate) zuzüglich
9.054,36 Euro (=215,58 Euro Bonusrente x 42 Monate) zuzüglich
4.590,43 Euro (80 % von 136,62 Euro x 42 Monate),
laufende Leistungen insgesamt somit 55.716,47 Euro
zuzüglich der fälligen Rückstände bis zum 11. Januar 2004
27.713,88 Euro (=3.005,12 Euro Rente x 9 + 3.005,12 x 2/9) zuzüglich
5.533,94 Euro (=215,58 Euro Bonusrente x 25,67) zuzüglich
2.805,63 Euro (80 % von 136,62 Euro x 25,67 Monate),
Rückstände insgesamt somit 36.053,45 Euro
Diese Zuvielforderung war nicht nur geringfügig im Sinn des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, sondern bezog sich auf 14 % des
Streitwertes, weshalb die Parteien die Kosten des Rechtsstreits entsprechend dem jeweiligen Unterliegen gemäß § 92
Abs. 1 ZPO anteilig zu tragen haben.
Die Kosten für das Berufungsverfahren hat trotz des geringfügigen Teilobsiegens der Beklagten diese gemäß § 92 Abs. 2
Nr. 1 ZPO allein zu tragen, da das Unterliegen der Klägerin nur geringfügig ist und keine höheren Kosten verursacht hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben
sind.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 80.261,76 Euro festgesetzt,
nämlich:
laufende Leistungen ab Anhängigkeit der Klage am 12. Januar 2004
42.071,68 Euro (=3.005,12 Euro Rente : 3 Monate x 42 Monate) zuzüglich
9.054,36 Euro (=215,58 Euro Bonusrente x 42 Monate) zuzüglich
4.590,43 Euro (80 % von 136,62 Euro x 42 Monate),
laufende Leistungen insgesamt somit 55.716,47 Euro
zuzüglich der fälligen Rückstände vom 01. September 2002 bis zum 11.
Januar 2004
19.022,41 Euro (=3.005,12 Euro Rente x 6,33 Quartale) zuzüglich
3.664,86 Euro (=215,58 Euro Bonusrente x 17 Monate) zuzüglich
1.858,03 Euro (80 % von 136,62 Euro x 17 Monate),
Rückstände insgesamt somit 24.545,30 Euro.
Weiss Zeitler-Hetger Luther