Urteil des OLG Koblenz vom 18.03.2009

OLG Koblenz: unterhaltspflicht, befristung, schichtdienst, krankenschwester, geburt, beitrag, kinderbetreuung, wahrscheinlichkeit, zukunft, zusammensetzung

Familienrecht
OLG
Koblenz
18.03.2009
9 UF 596/08
1. Eine Befristung des Unterhaltsanspruchs nach § 1615 I Abs. 2 BGB vor der Vollendung des 3. Lebensjahres des
Kindes kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung eine hinreichend sichere Prognose
für die Annahme besteht, dass die Billigkeitsvoraussetzungen für einen verlängerten Anspruch nach § 1615 I Abs. 2 S. 4
BGB vorliegen.
2. Wegen der Anknüpfung an das frühere Einkommen der Mutter kann der Unterhaltsanspruch nach § 1615 I BGB den
Anspruch der verheirateten Mutter auf Zahlung von Betreuungsunterhalt übersteigen.
Geschäftsnummer:
9 UF 596/08
9 F 31/08
AG Trier
Verkündet
am 18. März 2009
Walther, Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle
in der Familiensache
D….. E…..,
- Beklagter und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
P…. G……,
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen Unterhalts nach § 1615 l BGB.
Der 9. Zivilsenat – 2. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter
am Oberlandesgericht Bock und die Richterinnen am Oberlandesgericht Semmelrogge und Schilz-Christoffel
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2009
für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Trier vom 24. September 2008 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Dar Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
Die Berufung des Beklagten, die lediglich noch die Verurteilung zur Zahlung von Unterhalt nach § 1615 l Abs. 2 BGB für
die Zeit ab Juni 2010 angreift, ist unbegründet.
Eine Befristung der Unterhaltspflicht bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes der Parteien, also bis
einschließlich Mai 2010, kommt nicht in Betracht. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin besteht auch für die folgende Zeit
jedenfalls in Höhe von 300 €.
I.
Eine zeitliche Begrenzung der Unterhaltspflicht des Beklagten scheidet aus. Nach
§ 1615 l Abs. 2 S. 3 – 5 BGB in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung besteht die Unterhaltspflicht gegenüber
der Mutter für mindestens 3 Jahre nach der Geburt des Kindes. Sie verlängert sich, so lange und so weit dies der
Billigkeit entspricht. Bei der Entscheidung sind insbesondere die Belange des Kindes und die bestehenden
Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen.
Mit der gesetzlichen Neuregelung des § 1615 l Abs. 2 BGB sind die Regelungen über den Betreuungsunterhalt der nicht
verheirateten Mutter und den nacheheliche Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) weitgehend angeglichen worden. Nach
der früheren Rechtslage kam eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts der nicht verheirateten Mutter nur in Fällen
der groben Unbilligkeit in Betracht. Die Neuregelung wurde erforderlich, weil Art. 6 Abs. 5 GG eine gleiche
Ausgestaltung des Betreuungsunterhalts bei der Betreuung und Erziehung nichtehelich oder ehelich geborener Kinder
verlangt, soweit die Betreuung durch einen Elternteil aus kindbezogenen Gründen erforderlich ist. Eine Differenzierung
zwischen dem Wohl ehelich oder außerehelich geborener Kinder ist verfassungswidrig (BGH, FamRZ 2008, 1739 ff;
BVerfG, FamRZ 2007,
965 ff).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Verlängerung der Unterhaltspflicht trägt nach der Systematik des Gesetzes der
Anspruchsteller, also die Unterhalt begehrende Mutter (Wendl/Staudigl/Pauling, Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis,
7. A., § 7, Rnr. 22; BGH, FamRZ 08, 1739 ff; Peschel-Gutzeit, FPR 2008, 24 ff, 27). Sie muss darlegen und beweisen, dass
es ihr wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten nicht möglich ist, neben der eigenen Betreuung des Kindes
vollschichtig erwerbstätig zu sein. Ebenso muss derjenige, der Betreuungsunterhalt fordert, kindbezogene und ggf.
elternbezogene Verlängerungsgründe dartun.
Die Frage, ob bei einer gerichtlichen Entscheidung über den Unterhalt nach § 1615 l Abs. 2 BGB vor der Vollendung des
3. Lebensjahres des Kindes eine Befristung vorzunehmen ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird eine
zeitliche Begrenzung mit der Begründung abgelehnt, im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seien die Umstände,
die für eine Verlängerung der Unterhaltspflicht zu berücksichtigen seien, noch nicht hinreichend erkennbar (Borth,
Unterhaltsrechtsänderungsgesetz, Rnr. 364, 83; s.a.: Peschel-Gutzeit, Unterhaltsrecht aktuell, § 8, Rnr. 31). Nach Ansicht
von Dose ist der Unterhalt dann unbefristet zuzusprechen, wenn ein teilweiser oder völliger Wegfall des Anspruchs noch
nicht sicher prognostiziert werden kann (Dose, JA 2009, 1 ff. 5). Wie im Rahmen der Rechtsprechung zum früheren
Betreuungsunterhalt müsse die Ungewissheit über die genaue Höhe und Dauer des künftigen Betreuungsunterhalts
hinter der schon im Zeitpunkt der ersten Entscheidung absehbaren Fortdauer des Unterhaltsanspruchs dem Grunde
nach zurückstehen. Nach der dritten Auffassung ist eine Befristung vorzunehmen, wenn nicht im Zeitpunkt der
Entscheidung positiv festgestellt werden kann, dass die Billigkeitsvoraussetzungen für einen verlängerten Anspruch nach
§ 1615 l Abs. 2 S. 4 BGB vorliegen, wobei eine hinreichend sichere Prognose ausreichen soll (OLG Bremen, FamRZ 08,
1281; Peschel-Gutzeit, FPR 08, 24 ff, 27; s.a.: Schilling, FPR 08, 27 ff, 30; Weil, FamRB 2009, 51 ff.). Der Unterhalt
begehrenden Mutter können dabei Erleichterungen bei der Darlegungs- und Beweisführung zuzubilligen sein (OLG
Bremen, a.a.O.).
Die Streitfrage bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, denn auch nach der letztgenannten, strengeren
Auffassung, kommt eine Befristung der Unterhaltspflicht des Beklagten bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des
Kindes nicht in Betracht. Es besteht nämlich eine hinreichend sichere Prognose für die Annahme, dass die Klägerin im
Juni 2010 ihre Erwerbstätigkeit nicht über den bereits jetzt ausgeübten Umfang von 60 % einer Vollzeitstelle ausweiten
kann.
Zwar steht derzeit nicht fest, dass eine besondere Betreuungsbedürftigkeit des Kindes aufgrund einer Erkrankung
vorliegt. Nach dem Vortrag der Klägerin besteht lediglich der Verdacht, dass das Kind F.... an Epilepsie erkrankt sein
könnte. Gesicherte Erkenntnisse bestehen insoweit jedoch noch nicht.
Unabhängig vom Gesundheitszustand des Kindes ist der Klägerin eine Ausweitung ihrer Tätigkeit in ihrem Beruf für die
Zeit ab Juni 2010 neben der Kinderbetreuung nicht zumutbar. Die Klägerin ist Krankenschwester und arbeitet im
B…..krankenhaus in T.…. Die Tätigkeit als Krankenschwester wird im Schichtdienst rund um die Uhr ausgeübt. Die
Klägerin arbeitet derzeit im Umfang von 60 % einer Vollzeitstelle.
Eine vollschichtige Tätigkeit mit Früh-, Spät- und Nachtdiensten ist mit der Betreuung eines 3-jährigen Kindes nicht
vereinbar. Insoweit fehlen bereits ausreichende anderweitige Betreuungsmöglichkeiten. Die ordnungsgemäße
Betreuung eines 3-jährigen Kindes setzt im Übrigen eine hinreichende Kontinuität und Stetigkeit der Lebensumstände
voraus. Ständig wechselnde Arbeitszeiten im 3-Schichten-Dienst und in der Folge häufig wechselnde
Betreuungspersonen sind mit dem Wohl eines Kindes in diesem Alter nicht vereinbar.
Die Auffassung des Beklagten, es sei gerichtsbekannt, dass eine Vielzahl von Krankenschwestern einen Einsatz
ausschließlich in Nachtdiensten wünsche, so dass die Klägerin vollschichtig lediglich in der Früh- und Spätschicht
arbeiten könne, trifft nicht zu. Bei dieser Behauptung handelt es sich um eine bloße Vermutung des Beklagten, die
lediglich im Einzelfall – je nach Zeit, Zusammensetzung der Mitarbeiter und Krankenhaus – zutreffen kann. Für die
Billigkeitsprognose können aber nur diejenigen Umstände berücksichtigt werden, deren Vorliegen im relevanten
Zeitpunkt (Juni 2010) bereits heute mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.
Die Darlegungslast der Klägerin geht nicht so weit, dass sie jeden denkbaren Umstand widerlegen müsste, der ihr in der
Zeit ab Juni 2010 eine Vollzeittätigkeit ohne Schichtdienst oder mit anderen Arbeitszeiten ermöglichen könnte. Dasselbe
gilt für die vom Beklagten angesprochene Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels oder gar eines Berufswechsels.
Auf dieser Grundlage ist derzeit lediglich die Prognose hinreichend sicher, dass eine Ausweitung der Tätigkeit als
Krankenschwester am Arbeitsplatz der Klägerin eine Arbeit im Schichtdienst rund um die Uhr zur Folge hätte. Eine solche
Tätigkeit ist mit der Betreuung eines 3-jährigen Kindes nicht vereinbar, ohne dass es noch darauf ankäme, in welchem
Umfang anderweitige Betreuungsmöglichkeiten bestehen.
Sollten sich in Zukunft die Grundlagen für diese Prognose ändern, steht dem Beklagten die Möglichkeit der
Abänderungsklage offen.
II.
Der Beklagte ist verpflichtet, ab Juni 2010 an die Klägerin einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 300 € zu zahlen.
Bei der Berechnung des Unterhalts ist für beide Parteien auf das in den Gehaltsbescheinigungen ausgewiesene
Arbeitsentgelt abzustellen. Die Lohnsteuerbescheinigungen weisen demgegenüber lediglich das zu versteuernde
Einkommen aus.
Der Bedarf der Klägerin richtet sich nach ihrem vor der Geburt des Kindes erzielten Einkommen, wobei
schwangerschaftsbedingte Einkommensverringerungen außer Betracht bleiben müssen. Der Senat stellt deshalb auf das
in der Abrechnung für Dezember 2006 ausgewiesene Entgelt von umgerechnet netto monatlich 1.616 € ab. Hiervon sind
monatlich 130 € Fahrtkosten für eine Entfernung zum Arbeitsplatz von 13 km abzusetzen (Nr. 10.2 der
unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Koblenz – KoL). Es ergibt sich danach ein
Betrag von 1.486 €. Hiervon ist das von der Klägerin erzielte Einkommen abzusetzen. Es kann offen bleiben, ob das
erzielte Einkommen von monatlich 1.076 € auch in der zeit ab Juni 2010 teilweise überobligatorisch erwirtschaftet
werden wird. Selbst wenn man das Einkommen in vollem Umfang in die Unterhaltsberechnung einstellt und hinsichtlich
der berufsbedingten Aufwendungen lediglich die Pauschale von 5 % in Abzug bringt, ergibt sich ein Bedarf der Klägerin,
der den ausgeurteilten Betrag übersteigt.
Die Auffassung des Amtsgerichts, wonach der Unterhaltsanspruch der nicht verheirateten Mutter denjenigen einer
verheirateten Mutter mit gleichem Einkommen nicht übersteigen dürfe, teilt der Senat nicht. Der Unterhaltsanspruch nach
§ 1615 Abs. 2 BGB bemisst sich nämlich gerade nicht nach den ehelichen Lebensverhältnissen, sondern allein nach
dem früheren Einkommen der Mutter. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann, wenn die
Eltern vor der Geburt längere Zeit zusammen gelebt haben, weil vorher noch kein Unterhaltsanspruch gegen den Vater
bestand (BGH, FamRZ 2008, 1739). Der Unterhaltsanspruch der Ehefrau richtet sich demgegenüber nach den ehelichen
Lebensverhältnissen.
Der Beklagte ist in Höhe von 300 € leistungsfähig. Hinsichtlich seines Einkommens ist ebenfalls auf die
Gehaltsabrechnungen, nicht aber auf die Lohnsteuerbescheinigung abzustellen. Der Senat geht von dem Betrag von
1.683 € monatlich, wie ihn das Amtsgericht unter Herausrechnung der Krankheitszeiträume ermittelt hat, aus. Hiervon
sind unstreitig 100 € für berufsbedingte Aufwendungen abzuziehen.
Berücksichtigt in diesem Betrag ist der Beitrag des Beklagten zum D… Pensionsfonds von jährlich 220 € und der Beitrag
zu den vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von jährlich 478,56 €. Dies ergibt einen Betrag für die Altersvorsorge
von
698,56 €.
Nach Ziffer 10.1.2. KoL ist eine weitere Vermögensbildung von bis zu 4 % des Gesamtbruttoeinkommens als zusätzliche
Altersvorsorge in der Regel anzuerkennen. Der Beklagte erzielte im Jahr 2007 ein Gesamtbruttoeinkommen von
30.662,35 €.
4 % hiervon sind 1.226,49 €. Unter Abzug der bereits berücksichtigten Altersvorsorge verbleibt ein anerkennungsfähiger
Betrag von jährlich 527,93 € oder monatlich
43,99 €. Der Beklagte hat belegt, dass er Lebensversicherungen bei der D… bedient, die diesen Betrag übersteigen.
Damit ergibt sich folgendes Einkommen des Beklagten:
Erwerbseinkommen 1.683,00 €
abzüglich berufsbedingte Aufwendungen 100,00 €
abzüglich weitere zusätzliche Altersvorsorge 43,99 €
1.539,01 €.
Dies entspricht der 2. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle und ergibt für den Sohn F.... einen Zahlbetrag für den
Kindesunterhalt in Höhe von 214 €. Es verbleibt damit ein Einkommen von 1.325,01 €. Unter Berücksichtigung des dem
Beklagten zustehenden Selbstbehalts von 1.000 € (Nr. 21.3.2. KoL) ist der Beklagte in Höhe des titulierten Betrags
leistungsfähig.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird wie folgt festgesetzt:
- bis zum 27.01.2009: 4.972 €
- ab dem 28.01.2009: 3.600 €.
Bock Semmelrogge Schilz-Christoffel