Urteil des OLG Karlsruhe vom 29.01.2016

im bewusstsein, beweisantrag, mobiltelefon, offenkundig

OLG Karlsruhe Beschluß vom 29.1.2016, 2 (6) Ss 318/15; 2 (6) Ss 318/15 - AK
99/15
Unbefugte Aufhebung der Kartensperre eines Mobiltelefons
Leitsätze
1. Der Entsperr-Code ("Unlock-Code") zur Aufhebung der Kartensperre eines
Mobiltelefons ("SIM-Lock") stellt ein Betriebsgeheimnis im Sinne des § 17 Abs. 2 UWG
dar.
2. Der Entsperr-Code wird nicht dadurch offenkundig, dass er im Internet - gesondert
für jedes einzelne Mobiltelefon - unter erheblichen Schwierigkeiten unbefugt in
Erfahrung zu bringen ist.
3. Die dauerhafte Sperrung des Entsperr-Codes nach dreimaliger Fehleingabe und die
Kosten der Beschaffung eines Entsperr-Codes sind allgemeinkundige Tatsachen.
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 9.
März 2015 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
1 Das Amtsgericht Heidelberg sprach den Angeklagten am 10.10.2013 wegen
gewerbsmäßigen Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gem. § 17
Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 UWG in 137 Fällen schuldig. Die
Verhängung einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 80.- EUR blieb
vorbehalten. Das Landgericht Heidelberg verwarf die Berufungen des Angeklagten
und der Staatsanwaltschaft am 09.03.2015 und stellte fest, dass das Verfahren
rechtsstaatswidrig verzögert wurde. Aus diesem Grund gelte die Gesamtgeldstrafe
in Höhe von 60 Tagessätzen als vollstreckt. Die Bewährungszeit wurde auf ein
Jahr festgesetzt; ferner wurde dem Angeklagten eine Geldauflage in Höhe von
3.000 EUR erteilt.
2 Die Revision, mit der der Angeklagte das Verfahren beanstandet und die
Verletzung sachlichen Rechts rügt, ist aus den zutreffenden Gründen der
Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 10.06.2015
offensichtlich unbegründet.
II.
A.
3 Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4 1. Der Angeklagte hat das Entsperren von durch einen „SIM-Lock“ (Kartensperre)
an einen bestimmten Netzbetreiber gebundene Mobiltelefonen ermöglicht, indem
er ohne Einwilligung des Netzbetreibers den jeweiligen Entsperr-Code („Unlock-
Code“) weitergab.
5 a) Technische Grundlagen:
6 Bei einem SIM-Lock handelt es sich um eine Einrichtung in Mobiltelefonen, die
dafür sorgt, dass das nämliche Mobiltelefon lediglich mit SIM-Karten eines
bestimmten einzelnen Netzbetreibers benutzt werden kann. Die Möglichkeit eines
SIM-Locks wird durch den Hersteller dem Mobiltelefon implementiert; der
Netzbetreiber kann diese Möglichkeit nutzen und die vom Hersteller vorgesehene
Sperre aktivieren. In seltenen Fällen aktiviert bereits der Hersteller die Sperre und
teilt dann dem Netzbetreiber den Code zum Entsperren mit. Der Grund für die
Anbringung dieser Sperre besteht darin, dass diese Mobiltelefone durch den
jeweiligen Netzbetreiber subventioniert werden und meist mit einer
entsprechenden SIM-Karte dieses Betreibers im Einzelhandel angeboten werden
Die jeweilige SIM-Karte wird dabei benötigt, um überhaupt von dem Mobiltelefon
ab- bzw. ausgehende Gespräche führen zu können. In der Regel kommen solche
Mobiltelefone zusammen mit einer SIM-Karte als sogenanntes „Prepaid-Bundle“ in
den Einzelhandel und werden zu einem Preis angeboten, der deutlich unter dem
konventionellen Einzelhandelspreis des jeweiligen Mobiltelefons liegt. Bei den
eingelegten SIM-Karten handelt es sich meist um solche auf Guthabenbasis, für
die kein monatlicher Basispreis zu zahlen ist. Trotzdem erhofft sich der
Netzbetreiber, dass der Kunde nicht nur das beim Kauf auf der SIM-Karte
üblicherweise vorhandene Startguthaben verbraucht, sondern die Karte durch den
Kunden erneut aufgeladen wird, um es durch die Inanspruchnahme von
Telekommunikationsdienstleistungen zu verbrauchen. Durch die Subventionierung
tritt der Netzbetreiber in Vorleistung und hofft auf eine Amortisation seiner
Investition durch die späteren Einnahmen, denn durch den verbilligten Kauf eines
entsprechenden „Prepaid-Bundles“ ist der Käufer an eine bestimmte SIM-Karte
bzw. an SIM-Karten eines bestimmten Providers und damit an die Dienstleistungen
dieses Providers gebunden.
7 Der SIM-Lock kann allerdings durch die Eingabe eines sogenannten „Unlock-
Codes“ (Entsperr-Code) dauerhaft deaktiviert werden, womit eine Nutzung auch
mit anderen SIM-Karten möglich wird. Dieser gerätespezifische, aus der IMEI-
Nummer des Mobiltelefons generierte Entsperr-Code kann vom jeweiligen
Netzbetreiber gegen Entgelt - in der Regel zwischen 50 EUR und 100 EUR -
bezogen werden. Kostenlos ist er erst nach einem Zeitablauf von zwei Jahren seit
Aktivierung der SIM-Karte zu erhalten. Damit soll sichergestellt werden, dass sich
die Subventionierung von Mobiltelefonen ohne gleichzeitigen Abschluss eines
Laufzeitvertrages mit erheblichen Grundgebühren für den Netzbetreiber
wirtschaftlich rechnet. Allerdings hat der Benutzer eines Mobiltelefons nur drei
Versuche zur Eingabe des Entsperr-Codes. Wird bei der Eingabe jeweils ein
Fehler gemacht oder ein falscher Code eingegeben, ist das Mobiltelefon dauerhaft
gesperrt und kann nicht mehr benutzt werden.
8 b) Tatgeschehen:
9 Der Angeklagte war im Jahr 2008 Geschäftsführer der S. GmbH mit Sitz in L.,
welche im Handelsregister des Amtsgerichts M. unter HRB ... eingetragen war.
Unter der Internetadresse „s. .de“ bot er mit seinem Unternehmen neben
Mobiltelefonen und diesbezüglichem Zubehör auch Dienstleistungen an.
10 In Kenntnis der unter a) geschilderten Umstände und im Bewusstsein der
Tatsache, dass sein Vorgehen ohne Einwilligung des jeweiligen Netzbetreibers
erfolgt und somit unbefugt ist, bot der Angeklagte gleichwohl wissentlich und
willentlich an, den SIM-Lock von Mobiltelefonen gegen Entgelt zu entsperren. Auf
Grund dessen wurde die von ihm geführte Gesellschaft von Kunden beauftragt,
ihnen gegen ein Entgelt den benötigten Entsperr-Code zu übermitteln. Hierzu
teilten sie die IMEI-Nummer ihres zu entsperrenden Mobiltelefons dem
Angeklagten mit, der diese in aller Regel wiederum an einen tunesischen
Kontaktmann weiterleitete. Dieser generierte oder beschaffte sodann selbst den
Entsperr-Code oder ließ durch unbekannte Dritte den Entsperr-Code widerrechtlich
generieren oder beschaffen und teilte diesen dem Angeklagten mit. Danach reichte
der Angeklagte seinen Kunden den Code weiter, die diesen zum Entsperren
verwenden konnten. In einigen seltenen Ausnahmefällen gelang es dem
Angeklagten, im Internet über verschiedene Webseiten an Anleitungen zur
Erstellung des Entsperr-Codes zu gelangen, wobei sich auch für ihn die
Durchführung der Anleitungen und die Generierung des jeweiligen Entsperr-Codes
aufwändig und schwierig gestalteten, weshalb er in aller Regel den Entsperr-Code
gegen Entgelt über seinen tunesischen Kontaktmann bezog.
11 ln der Zeit von Februar bis Ende August 2008 reichte der Angeklagte in
mindestens 137 Fällen die von ihm in unbefugter Weise beschafften Entsperr-
Codes ohne Genehmigung der Netzprovider an Kunden weiter, wobei er jeweils
handelte, um sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende
Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Der Preis
der erbrachten Leistung lag zwischen 5,99 EUR und 64,50 EUR; im Durchschnitt
betrug er knapp 18, - EUR. Der Gesamtbetrag belief sich auf 2.421,46 EUR.
12 2. Das Landgericht hat die Taten als gewerbsmäßigen Verrat von Geschäfts- und
Betriebsgeheimnissen gem. 㤠17 Abs. 2 Ziffer 2, Abs. 2 Ziffer 1, Abs. 1, Abs. 5
UWG“ in 137 Fällen gewertet und in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen
Folgendes ausgeführt:
13 Der Unlock-Code zum Entsperren eines bestimmten, mittels SIM-Lock gesperrten
und dadurch an einen bestimmten Netzbetreiber gebundenen Mobiltelefons stelle
ein Betriebsgeheimnis im Sinne des § 17 UWG dar. Der Unlock-Code sei im Jahr
2008 auch nicht offenkundig, d.h. für jedermann bekannt oder auch nur leicht
zugänglich gewesen. Wenn ein Besitzer eines Mobiltelefons über eine
Internetseite an eine Abfolge von Algorithmen gelange, mit deren Hilfe er aus der
IMEI-Nummer den Entsperr-Code entwickeln könne, so könne nicht von leichter
Zugänglichkeit gesprochen werden. In einem solchen Fall könne sich der jeweilige
Interessent nicht ohne größere Schwierigkeiten, Zeitaufwand und Opfer mit
lauteren Mitteln Kenntnis vom jeweiligen Unlock-Code verschaffen. Der Unlock-
Code stellte damit zur Tatzeit ein Geheimnis im Sinne des § 17 UWG dar. Der
Geheimhaltungswille des jeweiligen Betriebsinhabers sei vorhanden, da der für
das jeweilige Mobiltelefon erforderliche Unlock-Code vom Netzbetreiber nicht
sofort, sondern erst gegen Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder nach
Ablauf einer bestimmten Zeit mitgeteilt werde. Der Netzbetreiber habe auch ein
berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung des jeweiligen
Entsperr-Codes, da er über diese Geheimhaltung den Erwerber des jeweiligen
Mobiltelefons an sich binde oder zu binden hoffe und aus dieser Bindung
Einnahmen erzielen wolle, um die Subventionierung des Mobiltelefons abzugelten.
Der Angeklagte habe ohne Erlaubnis durch den jeweiligen Betriebsinhaber
unbefugt gehandelt, sich über einen tunesischen Kontaktmann den jeweiligen
Entsperr-Code beschafft und diesen weitergegeben. Die Befugnis sei unabhängig
von der Strafbarkeit oder Straflosigkeit der Weitergabe des Unlock-Codes, sondern
allein abhängig von der Erlaubnis des Betriebsinhabers. Darauf, ob das Verhalten
des tunesischen Lieferanten in Tunesien strafbar sei, komme es daher nicht an.
B.
14 Die Revision deckt keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.
15 Die Revision beanstandete mit zwei Verfahrensrügen die Ablehnung von
Beweisanträgen. Daneben erhebt sie die Sachrüge. Im Kern greift sie die
Feststellung der Kammer an, dass es sich bei den vom Angeklagten im
Tatzeittraum für seine Kunden ermittelten Entsperr-Codes um ein
Betriebsgeheimnis im Sinne des § 17 Abs. 1 und 2 UWG gehandelt habe. Der
Angeklagte habe sich das Wissen um das Betriebsgeheimnis (Entsperr-Code)
auch nicht unbefugt verschafft. Im Urteil sei nicht festgestellt - was erforderlich sei -,
dass sich der tunesische Kontaktmann des Angeklagten (in Tunesien oder
Deutschland) strafbar gemacht habe.
16 1. Die erhobene Verfahrensrüge, der in der Hauptverhandlung vom Verteidiger
gestellter Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen Ö. aus Göttingen sei
fehlerhaft als Beweisermittlungsantrag qualifiziert worden und daher fehlerhaft nicht
förmlich nach § 244 Abs. 3 StPO abgelehnt worden, ist zulässig und begründet;
jedoch beruht das Urteil auf diesem Rechtsfehler nicht.
17 Der Beweisantrag lautete wie folgt:
18 „Im Jahr 2008 und auch 2007 gab es diverse Internetseiten mit welchen kostenfrei
Folgendes angeboten wurde: Im Falle, dass jemand dem Betreiber der Seite die
IMEI-Nummer eines Mobiltelefons mitgeteilt hat, wurde dem betreffenden der
Entsperrungscode auf der Webseite angezeigt. Beweis: Herr Ö. Herr Ö. hat
mehrfach derartige Codes bezogen.“
19 Die Kammer lehnte den Antrag wie folgt ab:
20 „Der Antrag ist zu unbestimmt und stellt einen Beweisermittlungsantrag dar. Die
Internetseiten, die 2007 und 2008 existierten, werden nicht bezeichnet, ebenso die
Handys und die zugehörigen Codes. Auch der Amtsermittlungsgrundsatz erfordert
die Vernehmung des Zeugen nicht, zumal auch nicht erkennbar ist, auf welchem
Weg man zu den Internetseiten gelangen konnte.“
21 a) Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Die Strafkammer hat den
Beweisantrag fälschlich als Beweisermittlungsantrag behandelt. Die Behauptung
stellte jedoch einen förmlich zu bescheidenden Beweisantrag dar. Ein
Beweisantrag ist ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag an das Gericht, zu
einer bestimmten Beweistatsache ein bestimmtes Beweismittel einzuholen. Die zu
beweisende Tatsache (zur Schuld- und/oder Rechtsfolgenfrage) ist bestimmt zu
behaupten unter Angabe eines konkreten Beweismittels. Beweistatsachen sind
allerdings nur diejenigen Tatsachen, die mit dem Beweismittel unmittelbar
bewiesen werden sollen. Wird ein Zeuge - wie vorliegend - als Beweismittel
benannt, müssen die im Beweisantrag genannten bestimmten Beweistatsachen
dem Zeugenbeweis überhaupt zugänglich sein und mit ihm unmittelbar bewiesen
werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 244 Rn. 17 ff).
22 Beweisermittlungsanträge dienen demgegenüber der Vorbereitung von
Beweisanträgen, die der Antragsteller noch nicht stellen kann, weil er die
Beweistatsache noch nicht kennt oder nicht bestimmt bezeichnen kann (Meyer-
Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn. 25)
23 Vorliegend sollte mit dem Zeugen Ö. unmittelbar bewiesen werden, dass in den
Jahren 2007 und 2008 Internetseiten existierten, auf denen kostenfrei Entsperr-
Codes nach Mitteilung der IMEI-Nummer mitgeteilt wurden. Der Beweisantrag
enthält damit eine zu beweisende Tatsache und ein Zeuge ist mit ladungsfähiger
Anschrift benannt. Auch die Konnexität ist dargelegt - der Zeuge „habe selbst
mehrfach derartige Codes bezogen“.
24 Der Antrag ist auch nicht zu unbestimmt. Es kann - bei der Flüchtigkeit der
Internetadressen - schwerlich verlangt werden, dass der Zeuge heute noch die
genauen Adressen oder die damals erhaltenen Codes im Detail weiß. Für das
erkennbare Ziel des Beweisantrages - die Entsperr-Codes seien zur Tatzeit über
Anbieter im Internet herauszufinden gewesen - ist dies auch nicht erheblich. Es
sollte bewiesen werden, dass es für Jedermann über das Internet möglich
gewesen sei, an solche Entsperr-Codes zu gelangen. Es bliebe der
Beweiswürdigung vorbehalten, die konkrete Erinnerung des Zeugen wie die
Bedeutung der Aussage in rechtlicher Hinsicht zu bewerten.
25 Der Antrag hätte damit als Beweisantrag behandelt und als solcher bei einer
Ablehnung förmlich nach § 244 Abs. 3 StPO verbeschieden werden müssen.
26 b) Der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler
beruht. Das Urteil muss auf dem Verfahrensfehler beruhen, wobei schon das
möglich Beruhen ausreicht, d.h. nur wenn ein Kausalzusammenhang zwischen
Gesetzesverletzung und Urteil ausgeschlossen werden kann, ist ein
Verfahrensfehler als nicht ursächlich für das Urteil anzusehen (LR/Franke, StPO,
26. Aufl. 2012, § 337 StPO Rn. 23; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl. 2013, § 337 StPO
Rn. 38; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 337 StPO Rn 37 m.w.N.).
27 Bei mit fehlerhafter Begründung abgelehnten Beweisanträgen kann ein Beruhen
des Urteils in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, wenn die Anträge mit
anderer Begründung zu Recht hätten abgelehnt werden können und die
Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten hierdurch nicht berührt wurden
(Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.).
28 Dies ist vorliegend unter Berücksichtigung der Urteilsausführungen der Fall. Die
Ablehnung des Beweisantrags war zwar von der Begründung nicht ausreichend, in
der Sache aber nicht fehlerhaft. Für die Frage, ob die Entsperr-Codes im
Tatzeitraum ein Betriebsgeheimnis der Mobilgeräteanbieter im Sinne des § 17
UWG darstellten oder offenkundig waren - was das Landgericht in einer nicht zu
beanstandenden Beweiswürdigung ausgeschlossen hat -, war die bloße
Möglichkeit, dass im Tatzeitraum über verschiedene Internetseiten Entsperr-Codes
gefunden werden konnten, bedeutungslos. Auch bei Annahme der
Beweistatsache hätte die Kammer daraus nicht den (von der Verteidigung
angenommenen) zwingenden Schluss ziehen müssen, dass die Unlock-Codes
keine Betriebsgeheimnisse mehr darstellten. Dass ein Betriebsgeheimnis
tatsächlich (unbefugt) gelüftet werden kann, macht dieses nicht offenkundig iSd §
17 UWG.
29 Im Einzelnen: Eine unbefugte Geheimnisverwertung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG
liegt nur vor, wenn es sich bei dem SIM-Lock-Code zur Tatzeit um ein Geheimnis
i.S.d. § 17 UWG handelt.
30 Der SIM-Lock-Code des einzelnen Mobiltelefons stellt ein Geschäfts- oder
Betriebsgeheimnis gemäß § 17 Abs. 1 und 2 UWG dar (so auch Müller-
Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2015, § 42 Rn. 83;
Busch/Giessler, SIM-Lock und Prepaid-Bundles - Strafbarkeit bei Manipulation,
MMR 2001, 586; Wolf, Strafrechtliche Bewertung des Missbrauchs von
Mobiltelefon-Prepaid-Paketen und SIM-Karten, MMR 10/2003, XIV).
31 Das Geschäftsgeheimnis ist im UWG nicht definiert. Unter den Begriff des
Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses iSd § 17 Abs. 2 UWG fallen nur solche
betriebsbezogene Tatsachen, die nach dem erkennbaren Willen des
Betriebsinhabers geheim gehalten werden sollen, die ferner nur einem begrenzten
Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind und hinsichtlich derer der
Betriebsinhaber deshalb ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat, weil die
Aufdeckung der Tatsache geeignet wäre, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen
Schaden zuzufügen (BGH NStZ 2014, 325 mwN). Sie unterscheiden sich dadurch,
dass sich das Geschäftsgeheimnis auf den kaufmännischen Geschäftsverkehr,
das Betriebsgeheimnis auf technische Inhalte bezieht (Ernst in: Ullmann, jurisPK-
UWG, 3. Aufl. 2013, § 17 UWG Rn. 13).
32 Offenkundig und damit nicht geheim ist eine Tatsache, wenn sie allgemein bekannt
oder dergestalt beliebigem Zugriff preisgegeben ist, dass für jeden an ihr
Interessierten die Möglichkeit besteht, sich unter Zuhilfenahme lauterer Mittel ohne
größere Schwierigkeiten und Opfer von ihr Kenntnis zu verschaffen (Hammer in
Graf/Jäger/Witt, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, 770 UWG § 17 Rn. 9
m.w.N.).
33 Die Angriffe der Revision - es läge bei den Unlock-Codes kein Geschäftsgeheimnis
vor - verfangen letztlich nicht. Selbst wenn es möglich gewesen sein sollte, im Jahr
2008 über bestimmte Internetseiten an eine Möglichkeit der Entsperrung des
individuellen SIM-Lock-Codes des einzelnen Mobiltelefons (über eine spezielle
Entsperrungssoftware) zu gelangen, bedurfte dies eines erheblichen und
unlauteren Aufwandes und war damit jedenfalls nicht offenkundig. Vielmehr
musste eine vom Vertreiber eingestellte, erkennbare und individuelle technische
Sperre mit Hilfe des Einsatzes von Technik, die von externen Programmieren
entwickelt wurde, im Internet gesucht (und begriffen) sowie das einzelne
Mobiltelefon technisch manipuliert werden. Die Sperre musste in jedem Einzelfall
mit einem anderen individuellen Code überwunden werden, sodass „der“ Entsperr-
Code gerade nicht offenkundig war; vielmehr musste einige (kriminelle) Energie
eingesetzt werden, um den individuellen Code aufzuheben. Dies ergibt sich nicht
zuletzt aus der teilweise geständigen Einlassung des Angeklagten (Feststellungen
zum komplizierten Vorgehen des Angeklagten UA S. 5 und Einlassung des
Angeklagten UA S. 14). Dieser teilte mit, dass 2008 Entsperr-Codes im Internet
kursiert seien, erklärte jedoch auch, dass die Durchführung (der im Internet
angebotenen Verfahren) und die Generierung der Codes sowie das Entsperren
der Mobiltelefone selbst nicht einfach gewesen seien. Diese Einlassung wurde
durch den Zeugen KHK R. bestätigt, dem gegenüber der Angeklagte im
Ermittlungsverfahren umfassende Angaben insbesondere dazu gemacht hatte, auf
welche Art und Weise er den SIM-Lock entfernt habe bzw. wie dieser entfernt
werden könne und welche Schwierigkeiten auf den verschiedenen Wegen zu
überwinden gewesen seien (vgl. UA S. 15f).
34 Der SIM-Lock-Code jedes einzelnen Mobiltelefons war nach dem Willen der
Geschäftsinhaber nur einem sehr begrenzten Personenkreis bekannt (nur den
Mitarbeitern, welche die Codes für die einzelnen Telefone einstellten) und nicht
etwa - was der Fall gewesen wäre, wenn der Entsperr-Code für jedes einzelne
Mobiltelefon ohne weiteres im Netz (oder sonst wo aufgelistet und einfach
aufrufbar gewesen wäre) - für jedermann offenkundig. Dies wurde weder behauptet
noch ist es ansonsten ersichtlich. Dass ein eingerichteter Sperr-Code durch
technische Manipulation umgangen werden kann, ändert nichts an seiner
Bestimmung, ein Geheimnis zu schützen und macht das Geheimnis nicht
offenkundig.
35 Der SIM-Lock-Code stellt vielmehr ein betriebsbezogenes Geheimnis dar. Das
Mobiltelefon wird im „Bundle“ von einem Anbieter aus Marktgesichtspunkten
(Kundenbindung) billiger verkauft und gerade deshalb für andere Anbieter
gesperrt, weshalb der SIM-Lock-Code nach dem erkennbaren Willen des
Betriebsinhabers geheim gehalten werden soll (vgl. BGHSt 40, 331,- juris Rn. 22 -:
Das Programm eines Geldspielautomaten stellt ein Betriebsgeheimnis dar. „Dass
bei unerlaubtem Einsatz eines solchen Hilfsmittels [unbefugt beschafftes
Programm] der Aufsteller das Benutzen des Spielgeräts nicht gestattet, tritt so
deutlich zutage, dass nicht davon gesprochen werden kann, es handle sich um
einen Vorbehalt, der sich im Motivationsbereich erschöpfe. Vielmehr fehlt es hier
an einer grundlegenden Voraussetzung für befugtes Spielen“).
36 Der Betriebsinhaber hat auch ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse, weil die
Aufdeckung des Codes geeignet wäre, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen
Schaden zuzufügen. Bei Lösung der Sperre entfällt die mit dem Code hergestellte
Bindung des Mobiltelefons an den Anbieter und der Anbieter hätte das konkrete
Mobilteil umsonst subventioniert in der Erwartung, dass während des Bestehens
des SIM-Locks (regelmäßig zwei Jahre) nur über den Anbieter Verbindungen (SIM-
Karten) bezogen und gekauft werden und er somit durch den Code letztlich
ausgleichenden Gewinn macht, da das günstiger verkaufte Mobiltelefon
mindestens zwei Jahre berechtigt nur über ihn gebührenpflichtig benutzt werden
kann.
37 Vor diesem Hintergrund kann ausgeschlossen werden, dass die Kammer bei
Vernehmung des Zeugen Ö. zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das Urteil
beruht mithin nicht auf der fehlerhaften Ablehnung dieses Beweisantrages.
38 c) Die zweite Verfahrensrüge, der in der Hauptverhandlung vom Verteidiger
gestellte Beweisantrag Nr. IX auf Vernehmung des Zeugen K. aus Österreich sei
rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, ist ebenfalls zulässig erhoben, jedoch
unbegründet.
39 Der Beweisantrag lautete wie folgt:
40 „Der Zeuge wird bestätigen, dass er seit 1999 Betreiber der Internetseite unter der
Domain „www.entsperren.net“ ist und dass er im Jahre 2008 auf seiner
Internetseite für jedermann ein Formular freigeschaltet hatte, in welches man die
IMEI Nummer von Handys eingeben konnte, worauf der Entsperr-Code angezeigt
wurde. Der Zeuge wird ferner bestätigen, dass dieser Dienst unentgeltlich war und
dass seine Internetseite über die Suchmaschine Google leicht auffindbar war. Der
Zeuge wird ferner bestätigen, dass er die Informationen für die Generierung des
Codes ebenfalls aus öffentlich zugänglichen Quellen erlangt hat.“
41 Die Kammer lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:
42 „Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen K. wird gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2
StPO abgelehnt, da die Ladung des Zeugen in Österreich zu erfolgen hat. Nach
dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts ist die Vernehmung des Zeugen
nicht erforderlich, da allein die Tatsache, dass er seit 1999 und damit auch im Jahr
2008 eine Internetseite betrieb, auf der er ein Formular geschaltet hatte, in das die
IMEI-Nummer eines Handys eingegeben werden konnte, woraufhin ein
Entsperrungscode aufgezeigt wurde, nicht die Folgerung nach sich zieht, der
Unlock-Code sei in irgendeinem Fall leicht zugänglich gewesen. Wie der
Augenschein zeigte, erfasste die Website nicht alle Handytypen und zeigte gleich
mehrere Entsperrungs-Codes an, sodass nicht feststellbar ist, ob für jedes Handy
der Unlock-Code leicht zugänglich war, zumal der Angeklagte selbst angegeben
hatte, er habe sich in den meisten Fällen den Unlock-Code über einen
tunesischen Lieferanten gegen Bezahlung besorgt.“
43 Die Revision rügt, dass die Kammer am 09.03.2015 lediglich eine österreichische
Internetseite in Augenschein genommen habe und sich weder aus der Ablehnung
noch aus dem Urteil ergäbe, ob dies die Internetseite aus dem Beweisantrag
gewesen sei. Im Freibeweis hätte über ein Telefonat geklärt werden können, ob
der Zeuge dies bekunden könne. Es hätte als gegeben angenommen werden
müssen, dass derartige Websites im Internet leicht auffindbar sind.
44 Die zulässige Verfahrensrüge ist unbegründet. Die Kammer hat den Beweisantrag
auf Vernehmung des Auslandszeugen rechtsfehlerfrei abgelehnt.
45 Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu
bewirken wäre, kann abgelehnt werden, wenn das Aufklärungsgebot keinen
Anlass zur Beweiserhebung gibt. Sie erlaubt eine vorweggenommene
Beweiswürdigung, die - engeren - Grenzen zulässiger Beweisantizipation für den
Augenscheinsbeweis gelten nicht. Im Freibeweisverfahren können Ermittlungen
darüber angestellt werden, ob von einem Auslandszeugen relevante
Bekundungen zur Beweisfrage zu erwarten sind. Die Ladung eines
Auslandszeugen darf nur abgelehnt werden, wenn das Gericht aufgrund
hinreichender Anhaltspunkte die sichere Überzeugung gewinnt, dass durch die
beantragte Einvernahme eine weiterführende und bessere Sachaufklärung nicht
zu erwarten ist, etwa weil abzusehen ist, dass der Zeuge die Beweisbehauptung
nicht bestätigen kann, oder für den Fall, dass der Zeuge dem Beweisantrag
entsprechend aussagt, ein Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts
auszuschließen ist (BGH NJW 2005, 2322; NStZ 2009, 168; NStZ-RR 2011, 116).
Ob die Ladung erforderlich ist, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen
Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden; hierbei sind die Klarheit und
Gesichertheit des bisherigen Beweisergebnisses, die Bedeutung der
Beweistatsache für die Entscheidung und mögliche verfahrenstechnische
Schwierigkeiten der Beweiserhebung in die Abwägung einzustellen (BGH NStZ
2007, 349; NStZ 2009, 168; ferner: BGH NStZ 2011, 268: Widerspruch zur
Einlassung des Angeklagten; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl. 2013, § 244 Rn. 212).
46 Nach diesen Maßstäben hat die Kammer den Beweisantrag mit rechtfehlerfreier
Begründung abgelehnt, da das Aufklärungsgebot nach dem durchgeführten
Augenschein der im Antrag enthaltenen Website (nur so können die Ausführungen
der Kammer in der Ablehnung verstanden werden), der übrigen Beweisaufnahme
und vor dem Hintergrund der Einlassung des Angeklagten (zu den Schwierigkeiten
im Internet den Entsperrungs-Code selbst zu generieren s.o.) keinen Anlass zur
Beweiserhebung durch den Auslandzeugen gab. Die Beweisbehauptung, dass
der Entsperr-Code im Tatzeitraum (auch) über leicht zu findende Internetseiten
selbständig zu ermitteln gewesen sei, ist, wie bereits ausgeführt, für die
Entscheidung bedeutungslos. Allein weil die Codes mit einigem Aufwand auch mit
Hilfe von Anbietern im Internet - unerlaubt - herausgefunden werden konnten,
machte sie nicht offenkundig. Sie verloren dadurch (bis heute) nicht ihren
Geheimnischarakter im Sinne des § 17 UWG (vgl. die Ausführungen zur ersten
Verfahrensrüge). Wie der der von der Kammer durchgeführte Augenschein zeigte,
erfasste die Internetseite nicht alle Typen von Mobiltelefonen und zeigte gleich
mehrere Möglichkeiten des Zugangs zu den Entsperrungs-Codes an, sodass die
Kammer den Schluss ziehen konnte, es sei nicht feststellbar, dass für jedes
Mobiltelefon der Unlock-Code leicht zugänglich war, zumal der Angeklagte selbst
angegeben hatte, er habe sich in den meisten Fällen den schwierig über das
Internet zu ermittelnden Unlock-Code über einen tunesischen Lieferanten gegen
Bezahlung besorgt. Das von der Kammer festgestellte Geschäftsmodell des
Angeklagten beruhte gerade auf seinem Angebot im Internet, die schwer zu
ermittelnden individuellen Unlock-Codes an Kunden zu verkaufen, die hierzu
selbst nicht in der Lage waren.
47 2. Die Sachrüge ist unbegründet.
48 Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen
gewerbsmäßigen Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gem. §§ 17
Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 UWG, 53 StGB in 137 Fällen.
49 a) Die Staatsanwaltschaft hatte vor Erhebung der Anklage am 15.04.2013 mit
Verfügung vom selben Tag die Strafverfolgung gemäß §§ 154, 154a StPO auf die
in der Anklageschrift genannten Taten/Gesetzesverletzungen - gewerbsmäßiger
Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4
Satz 1. S. 2 Nr. 1 UWG in 137 rechtlich selbständigen Handlungen - beschränkt,
weshalb es keiner Entscheidung bedurfte, ob vorliegend weitere Straftatbestände
in Betracht kamen (vgl. zur Frage einer Strafbarkeit gemäß §§ 303a, 269 Abs. 1
StGB, 108b UrhG und § 143 MarkenG Kusnik, CR 2011, 718 [ablehnend]; vgl.
auch die ebenfalls eine Strafbarkeit gemäß §§ 303a, 269 StGB ablehnende
Anmerkung von Neubauer in MMR 2011, 626 zu den Urteilen des AG Nürtingen
vom 20.09.2010, MMR 2011, 121, und AG Göttingen vom 04.05.2011, MMR 2011,
626, welche beide wegen unbefugten Entsperrens von SIM-Lock-Sperren bei
Mobiltelefonen eine Strafbarkeit wegen Fälschung beweiserheblicher Daten in
Tateinheit mit Datenveränderung nach §§ 269, 267, 303a, 303c, 52, 53 StGB
angenommen haben; weder Urteile noch Besprechungen setzen sich mit einer
Strafbarkeit nach § 17 UWG auseinander. Eine entsprechende Strafbarkeit unter
bestimmten Voraussetzungen bejahend: Busch/Giessler MMR 2001, 586 und Wolf
MMR 2003, XIV).
50 Die Feststellungen tragen den Schuldspruch auch in subjektiver Hinsicht, der
Angeklagte handelte mit dem erforderlichen bedingten Vorsatz. Er hatte Kenntnis
vom Vorliegen eines Betriebsgeheimnisses und hat sich dieses auch unbefugt
verschafft im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz Nr. 2 UWG. Im Urteil ist ausgeführt, dass
der Angeklagte im Bewusstsein der Tatsache war, dass sein Vorgehen ohne
Einwilligung des jeweiligen Netzbetreibers erfolgte und somit unbefugt erfolgte. Er
bot gleichwohl wissentlich und willentlich im Internet für Jedermann an, den SIM-
Lock von Mobiltelefonen gegen Entgelt zu entsperren. Der Angeklagte erhielt die
IMEI-Nummer des jeweiligen zu entsperrenden Mobiltelefons und generierte oder
beschaffte dann selbst oder über unbekannte Dritte (tunesischer Kontaktmann)
widerrechtlich den Entsperr-Code und reichte diesen dann an seine Kunden
weiter.
51 b) Soweit die Revision ausführt, die Feststellung der Strafbarkeit des tunesischen
Kontaktmannes (in Tunesien oder Deutschland) sei Voraussetzung für eine solche
des Angeklagten wegen der ihm vorgeworfenen „Datenhehlerei“, ist dies
unzutreffend. Die Kammer hat den Angeklagten nicht wegen Ausspähens von
Daten (§ 202a StGB) schuldig gesprochen; der künftige Straftatbestand der
„Datenhehlerei“ (§ 202d StGB-E) ist bislang noch nicht in Kraft getreten (vgl. auch
Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 259 Rn. 1 m.w.N.). § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG erfordert
demgegenüber keine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Vortat.
„Unbefugt“ im Sinne von § 17 UWG ist lediglich ein Verweis auf die allgemeine
Rechtswidrigkeit. Befugt handelt der Täter deshalb nur, wenn ihm ein
Rechtfertigungsgrund zur Seite steht (Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2014, §
33 Rn. 64 und 52). Ein Geheimnisverrat liegt nur dann nicht vor, wenn der
Angestellte zur Offenbarung aufgrund einer Einwilligung des Betriebsinhabers
berechtigt oder auf Grund gesetzlicher Vorschriften dazu verpflichtet ist (Dittrich in
Müller-Gugenberger, a.a.O., § 33 Rn. 57). Selbst nach der betrugsspezifischen
Auslegung des Tatbestandsmerkmals „unbefugte Verwendung von Daten“ in §
263a StGB liegt eine unbefugte Verwendung von Daten (auch) vor bei Eingabe
von Zugangscodes (PIN, TAN) gegen den (erkennbaren) Willen des Berechtigten
(Fischer, aaO, § 263a Rn. 11a m.w.N.).
52 Die Feststellungen tragen schließlich ebenfalls, dass der Angeklagte in subjektiver
Hinsicht aus Eigennutz handelte. Aus Eigennutz handelt wer sich (auch) von
einem Streben nach einem materiellen oder immateriellen Vorteil leiten lässt
(BGHSt 11, 97). Da der Angeklagte handelte, um sich durch die wiederholte
Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem
Umfang und einiger Dauer zu verschaffen, lagen diese Voraussetzungen vor.
53 3. Die Beweiswürdigung erweist sich als rechtsfehlerfrei. Sie ist weder in sich
widersprüchlich noch lückenhaft oder unklar und verstößt auch nicht gegen
Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.,
§ 337 StPO Rn. 27).
54 Die Revision greift die Beweiswürdigung insoweit an, wonach die Kammer zu
Unrecht technische Grundlagen als allgemein bekannt angenommen habe,
weshalb ein Verstoß gegen § 261 StPO gegeben sei. Angeführt wird dabei die
Annahme, der Entsperr-Code werde nach dreimaliger falscher Eingabe dauerhaft
gesperrt und ein Entsperr-Code koste in der Regel zwischen 50 und 100 EUR.
55 Allgemeinkundig sind Tatsachen, von denen verständige und lebenserfahrene
Menschen in der Regel Kenntnis haben oder über die sie sich ohne besondere
Sachkunde mit Hilfe allgemein zugänglicher Erkenntnismittel jederzeit zuverlässig
unterrichten können (BGHSt 6, 292; NJW 1992, 2088; KG NJW 1972, 1909; OLG
Frankfurt StV 1983, 192). Die Einbeziehung des aus zuverlässigen Medien ohne
Fachkenntnisse zu erlangenden Wissens gibt die Möglichkeit, ein
durchschnittliches Anforderungsniveau der Allgemeinkundigkeit zu bestimmen.
Das Allgemeinkundige (z. B. Naturvorgänge, Daten, geographische Verhältnisse,
geschichtliche Ereignisse; s. auch BGHSt 48, 28 = JR 2003, 290 m. zust. Anm.
Behm: nicht Fahrzeug- und Halterdaten des Fahrzeugregisters) kann zeitlich,
örtlich, dem Personenkreis nach oder auf andere Weise begrenzt sein (BGHSt 6,
292). Kennen die Mitglieder des Gerichts eine allgemeinkundige Tatsache nicht,
muss über sie Beweis erhoben werden, wenn nicht die Benutzung allgemein
zugänglicher zuverlässiger Erkenntnismittel (z.B. Stadtpläne, Lexika, populäre
Internet-Suchmaschinen) die Kenntnis noch vor der Entscheidung über den
Beweisantrag verschaffen kann (Hanack JZ 1970, 561; Alsberg/Nüse/Meyer S.
543; vgl. auch OLG Brandenburg StraFo 1997, 205). Der Weg der
Selbstinformation ist verschlossen, wenn in Fällen beschränkter
Allgemeinkundigkeit der Richter nicht zu dem Kreis gehört, in welchem eine
Tatsache allgemeinkundig ist (KK-Krehl, a.a.O., § 244 Rn. 132)
56 Bei Anwendung dieser Maßstäbe können beide Feststellungen als
allgemeinkundig angesehen werden. Sie sind über eine populäre Internet-
Suchmaschine sofort herauszufinden. Da als allgemeinkundig angenommen
werden kann, dass ein Entsperr-Code bei einem an einen Anbieter gebundenen,
subventionierten Mobiltelefon - das erkennbar billiger als herkömmlich angeboten
wird - etwas kostet, stellte sich insoweit ohnehin nur die Frage der Höhe der
Kosten. Unter „kosten für simlock entsperren“, das sich sofort bei der Frage nach
„SIM-Lock entsperren“ aufzeigt, findet man mit einem Klick heraus, dass etwa die
Telekom die Entsperrung, die erst nach zwei Jahren kostenlos ist, für 99,50 EUR
anbietet. Sieht man die vorliegende Fragestellung, die in der Einlassung des
Angeklagten wie des vernommenen Zeugen Entsperr-Codes und deren
unbefugten Gebrauch betraf, so kann - auch da die Kammer vorsichtig festgestellt
hat, dass der Preis für den Entsperr-Code „in der Regel“ 50 bis 100 EUR betrage -
diese Feststellung ebenso wie die nach der Lebenserfahrung nahe liegende
Feststellung, dass der Entsperr-Code (wie der PIN-Code des Mobiltelefons oder
der EC-Karte) nach dreimaliger falscher Eingabe dauerhaft gesperrt wird, als
allgemeinkundig angenommen werden. Im Übrigen kann das Urteil auf diesen, für
den Vorwurf des § 17 Abs. 2 UWG letztlich unerheblichen Feststellungen nicht
beruhen.
57 4. Der (milde) Strafausspruch hält gleichfalls rechtlicher Nachprüfung stand, er stellt
jedenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten dar. Die
Strafzumessungserwägungen lassen den Angeklagten beschwerende
Rechtsfehler nicht erkennen.
58 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Strafzumessung die Aufgabe
des Tatrichters. Das Revisionsgericht darf nur eingreifen, wenn die
Strafzumessungserwägungen im Urteil in sich fehlerhaft sind oder wenn der
Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und
gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt (Meyer-Goßner/Schmitt,
a.a.O., § 337 Rn. 34). Der Tatrichter muss daher die Zumessungserwägungen in
einem die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darlegen.
59 Das Landgericht hat bei Anwendung des zutreffenden Strafrahmens (auch die
Gewerbsmäßigkeit wurde vertretbar begründet) bei der Strafzumessung i.e.S.
lediglich die zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Umstände (insbesondere
frühe und weitegehende Angaben des Angeklagten zur Sache sowie den langen
Zeitablauf von bis zu sieben Jahren) aufgeführt. Dies beschwert den Angeklagten
nicht und ist im Hinblick auf die Art des Tatvorwurfs sowie die erkannte
Verwarnung mit Strafvorbehalt gem. § 59 StGB ausreichend (Höchstmaß von 180
Tagessätzen).
60 Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und die
Festsetzung einer Kompensation im Weg der Vollstreckungslösung entspricht den
in BGHSt 52, 124 entwickelten Grundsätzen. Die Kammer hat unter (kurzer)
Darlegung des Verfahrensgangs die Zeiten, in denen das Verfahren unter Verstoß
gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht gefördert wurde, dargelegt. Soweit danach
eine bloße Feststellung des Verstoßes nicht für ausreichend erachtet wurde und
60 Tagessätze, d.h. ein Drittel der verhängten Geldstrafe als vollstreckt erklärt
wurde, hält sich dies ebenfalls in den Grenzen des tatrichterlichen
Beurteilungsspielraums. Der Einwand einer überlangen Verfahrensdauer in der
Tatsacheninstanz wurde in der Revisionsbegründung nicht erhoben, eine
zulässige Verfahrensrüge liegt nicht vor.
61 5. Die Überprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
III.
62 Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.