Urteil des OLG Karlsruhe vom 16.10.2012

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 16.10.2012, 2 UF 85/12
Leitsätze
Verfahrenskostenhilfe ist auch im Beschwerdeverfahren nur für eine Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung zu gewähren. Für eine bloß verfahrensbegleitende Rechtswahrnehmung,
die sich der Beschwerde des Versorgungsträgers weder widersetzt noch sonst das
Beschwerdeverfahren fördert, kann keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden. Dies ist der
Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter im Beschwerdeverfahren über eine Entscheidung zum
Versorgungsausgleich gerade keine eigenen Rechte verfolgt und nicht die eigene
Rechtsposition verteidigt, sondern der Beschwerde ausdrücklich nicht entgegentritt.
Tenor
1. Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin begehrt Verfahrenskostenhilfe für ein Beschwerdeverfahren.
Gegenstand des Verfahrens ist die Beschwerde eines privaten Versorgungsträgers gegen
die vom Amtsgericht getroffene Regelung des Versorgungsausgleichs.
2 Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben am 18.07.1991 vor dem
Standesbeamten des Standesamtes A. die Ehe geschlossen. Der Scheidungsantrag der
Antragstellerin ist dem Antragsgegner am 26.08.2011 zugestellt worden.
3 Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 15.02.2012 die Ehe geschieden (Ziffer 1). Unter
Ziffer 2 hat es den Versorgungsausgleich geregelt und dabei u.a. bestimmt, dass im Wege
der internen Teilung zu Lasten des Anrechts des Antragsgegners bei der Union
Investment Service Bank AG zu Gunsten der Antragstellerin ein Anrecht in Höhe von
5.631,51 EUR, bezogen auf den 31.07.2011, übertragen wird. Des weiteren hat es im
Wege der internen Teilung zu Lasten des UniProfiRente-Depots … der Antragstellerin bei
der Union Investment Service Bank AG zu Gunsten des UniProfiRente-Depots … des
Antragsgegners bei der Union Investment Service Bank AG ein Anrecht in Höhe von
874,18 EUR, bezogen auf den 31.07.2011, nach Maßgabe des staatlich förderfähigen
Altersvorsorgevertrags übertragen.
4 Die Union Investment Service Bank AG hat gegen den ihr am 21.02.2012 zugestellten
Beschluss mit Schriftsätzen vom 23.02.2012, eingegangen am 28.02.2012, Beschwerden
eingelegt, die zum einen die bei ihr bestehende Altersversorgung des Antragsgegners als
auch zum anderen die Altersversorgung der Antragstellerin betreffen. Sie hat gerügt, dass
das Amtsgericht bei beiden Versorgungen von einem falschen Ausgleichswert
ausgegangen sei.
5 Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 12.04.2012 ist die Beschwerdeschrift den Beteiligten
mit dem Hinweis übersandt worden, dass beabsichtigt sei, ohne mündliche Verhandlung
gemäß § 68 Abs. 3 FamFG zu entscheiden. Es ist ferner darauf hingewiesen worden, dass
auf der Grundlage der in erster Instanz erteilten Auskunft des Versorgungsträgers die
Beanstandung in der Beschwerdebegründung berechtigt erscheine. Den Beteiligten ist
mitgeteilt worden, wie danach die Entscheidung des Amtsgerichts abzuändern wäre.
6 Mit Schriftsatz vom 07.05.2012 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin
mitgeteilt, dass sie die Antragstellerin auch in der Beschwerdeinstanz vertrete und der
Beschwerde nicht entgegentrete. Zugleich hat sie beantragt, der Antragstellerin auch für
das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
7 Der Senat hat mit Beschluss vom 23.05.2012 der Beschwerde des Versorgungsträgers
stattgegeben. Gerichtskosten sind gemäß § 20 FamGKG für das Beschwerdeverfahren
nicht erhoben worden. Mit Verfügung vom 06.09.2012 ist die Antragstellerin darauf
hingewiesen worden, dass Verfahrenskostenhilfe für eine nur verfahrensbegleitende
Rechtswahrnehmung, die sich weder dem Rechtsmittel widersetze noch das Verfahren
sonst irgendwie fördere, nicht bewilligt werden könne.
8 Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass ihr ebenso wie in erster Instanz auch für das
Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden müsse. In Ehesachen und
Folgesachen bestehe sowohl in erster als auch in zweiter Instanz Anwaltszwang. Auch in
erster Instanz „begleite“ der Verfahrensbevollmächtigte lediglich das Verfahren und setze
sich gegen den Versorgungsausgleich nicht zur Wehr. Eine „verfahrensbegleitende
Rechtswahrnehmung“ sei dem Gesetz fremd und dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu
entnehmen. § 76 FamFG differenziere nicht zwischen Antrags- und Amtsverfahren.
Vorliegend sei das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin auch nicht offensichtlich
begründet gewesen, was sich daraus ergebe, dass der Senat seine Verfügung vom
12.04.2012 durch Verfügung vom 08.05.2012 ergänzt habe.
II.
9 Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren ist zurückzuweisen, da die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 1
FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO für eine Bewilligung nicht vorliegen.Es fehlt im
Beschwerdeverfahren an einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung der
Antragstellerin, da diese sich der Beschwerde nicht widersetzt hat und das
Beschwerdeverfahren auch sonst in keiner Weise gefördert hat.
10 1. Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG finden auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe die
Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende
Anwendung. Die Vorschrift verweist damit pauschal auf die Bestimmungen der
Zivilprozessordnung, ohne zwischen Amtsverfahren und Antragsverfahren zu
differenzieren. Damit gilt jedoch auch für ein von Amts wegen betriebenes Verfahren, dass
die bloße Betroffenheit in eigenen Rechten nicht ausreichend ist, um
Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
11 Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur
in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint. Dabei gebietet nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der
Bundesverfassungsgerichts das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der
Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes.
Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in
Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der
öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Danach darf
Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht
unverhältnismäßig erschwert werden (vgl. BVerfGE 63, 380, 394 f). Der Unbemittelte muss
grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein
Begüterter Er muss einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Aussichten
vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 51, 295,
302; 81, 347, 357).
12 § 114 ZPO fordert, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; die Vorschrift setzt damit unausgesprochen
voraus, dass die hilfesuchende Partei entweder eigene Rechte verfolgt oder aber eigene
Rechte verteidigt. Von dem Grundsatz, dass Prozesskostenhilfe für eine Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung zu gewähren ist, geht auch § 119 ZPO für die zweite Instanz aus.
Somit kann auch in zweiter Instanz Prozesskostenhilfe grundsätzlich nur für den
Rechtsmittelführer oder den Rechtsmittelgegner bewilligt werden (OLG Karlsruhe, FamRZ
2006, 1134). Bereits für FGG-Familiensachen nach altem Verfahrensrecht galt, dass im
Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz auch ohne Gegnerstellung Prozesskostenhilfe
für eine sinnvolle Verfahrensbeteiligung gewährt werden konnte, nicht jedoch für eine bloß
verfahrensbegleitende Rechtswahrnehmung, die sich weder der Beschwerde widersetzt
noch sonst das Beschwerdeverfahren fördert. Sowohl aus dem Wortlaut der einschlägigen
Vorschriften (§§ 114 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, „Rechtsverfolgung,
Rechtsverteidigung“) als auch aus Sinn und Zweck der Prozess- bzw.
Verfahrenskostenhilfe als Instrument zur Gewährleistung der Rechtsschutzgarantie folgt
jedoch, dass Verfahrenskostenhilfe für eine nur verfahrensbegleitende
Rechtswahrnehmung, die sich weder der Beschwerde widersetzt noch das Verfahren
sonst irgendwie fördert, nicht bewilligt werden kann. Durch die Verfahrenskostenhilfe soll
ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden, was voraussetzt, dass die hilfesuchende
Partei überhaupt Rechtsschutz für sich in Anspruch nimmt. Es entspricht deshalb nicht nur
der ständigen Rechtsprechung der Senate des Oberlandesgerichts Karlsruhe, sondern
auch der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass in
Beschwerdeverfahren des Versorgungsträgers für eine nur verfahrensbegleitende
Rechtswahrnehmung durch einen anderen Beteiligten keine Verfahrenskostenhilfe
bewilligt werden kann (OLG Karlsruhe, FamRZ 2006, 1134; OLG Hamm, FamRZ 2009,
1933; OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 1754; OLG Zweibrücken, FamRZ 1999, 1092;
Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 119 Rn. 57; Keidel/Zimmermann, FamFG, 17. Aufl., § 76
Rn. 9; Johannsen/Henrich/Markwardt, Familienrecht, 5. Aufl., § 114 ZPO Rn. 33;
Schoreit/Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 11. Aufl., 2. Kap.
§ 114 ZPO Rn. 12; Zimmermann, Prozesskostenhilfe, 3. Aufl., Rn. 220 ). Auch das
Bundesverfassungsgericht hat einem zur Äußerung Berechtigten im
Verfassungsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe versagt, wenn eine Stellungnahme
zu den in der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen fehlt und eine inhaltliche
Auseinandersetzung insoweit nicht erfolgt (BVerfG, NJW 1995, 1415).
13 An dieser Rechtslage hat sich auch durch das Inkrafttreten des FamFG nichts geändert.
Dem Gesetzgeber lag es fern, die Voraussetzungen, die an die Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe gestellt werden, herabzusetzen. Der ursprüngliche
Gesetzesentwurf, der vorsah, die Anforderungen an die Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe in Amtsverfahren herabzusetzen, ist aufgegeben worden. Die
bisherige Rechtsprechung zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Verfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit kann daher weiterhin Anwendung finden (Johannsen/Henrich,
a.a.O., § 76 FamFG Rn. 1).
14 Die Antragstellerin hat hier im Beschwerdeverfahren gerade keine eigenen Rechte verfolgt
oder die eigene Rechtsposition verteidigt. Sie ist der Beschwerde ausdrücklich nicht
entgegengetreten. Eine nicht hilfsbedürftige Partei, die erkennt oder aufgrund des
rechtlichen Hinweises des Senats erkennen kann, dass die Beanstandungen des
Versorgungsträgers berechtigt sind, würde in dieser Situation in der Beschwerdeinstanz
von der Einschaltung eines Rechtsanwalts absehen. Nach den Erfahrungen des Senats
entspricht es gängiger Praxis, dass sich die Beteiligten im Beschwerdeverfahren eines
Versorgungsträgers nicht äußern, wenn sie selbst die Beanstandungen der Beschwerde
als berechtigt ansehen.
15 2. Auch der Einwand der Antragstellerin, dass hinsichtlich der Bewilligung von
Verfahrenskostenhilfe zwischen erster und zweiter Instanz kein Unterschied gemacht
werden dürfe, überzeugt nicht.
16 Grundsätzlich ist Verfahrenskostenhilfe für jede Instanz gesondert zu bewilligen, § 119
Abs. 1 Satz 1 ZPO. Bereits hieraus folgt, dass die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
für die erste Instanz nicht unbedingt eine Bewilligung auch für die zweite Instanz nach sich
zieht. Zudem bestimmt § 149 FamFG, dass sich die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe
für das Scheidungsverbundverfahren in der Regel auch auf eine
Versorgungsausgleichsfolgesache erstreckt. Die Bewilligung ist damit für dieses
Verfahren eindeutig geregelt. § 149 FamFG entspricht § 624 Abs. 2 ZPO a.F. Da der
Versorgungsausgleich im Scheidungsverbund im Regelfall von Amts wegen zu regeln ist,
können die Beteiligten dieser Folgesache nicht entgehen, weshalb ohne Rücksicht auf die
Erfolgsaussicht Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist (OLG Hamburg, FamRZ 1981,
581). Bereits insoweit besteht ein Unterschied zwischen erster und zweiter Instanz. Zwar
gilt auch in erster Instanz der Amtsermittlungsgrundsatz. Die Beteiligten sind jedoch
verpflichtet, zur Klärung ihrer in der Ehezeit erworbenen Anrechte beizutragen,
insbesondere den Fragebogen zum Versorgungsausgleich (V 10) auszufüllen und
etwaige Lücken im Versicherungsverlauf zu klären. Aufgabe der
Verfahrensbevollmächtigten ist es unter anderem, die Beteiligten hierbei zu unterstützen
und die Erklärungen der Gegenseite zu ihren Anwartschaften sowie die Auskünfte der
Versorgungsträger auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit sowie auf die Plausibilität der
Berechnungen zu überprüfen. Kurz gesagt müssen die Beteiligten in erster Instanz im
Versorgungsausgleichsverfahren mitwirken und bedürfen hierzu anwaltlicher Hilfe. In
zweiter Instanz können sie im Beschwerdeverfahren des Versorgungsträgers mitwirken,
müssen es aber nicht.
17 3. Die Antragstellerin hat zuletzt ihren Hilfsantrag, ihr Verfahrenskostenhilfe für die
anwaltliche Prüfung der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels zu gewähren, nicht mehr
aufrecht erhalten. Die Frage, ob insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden könnte,
braucht folglich nicht beantwortet zu werden. Nur ergänzend weist der Senat deshalb
darauf hin, dass für eine Prüfung der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels vor
Rechtsmitteleinlegung keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden kann, da es sich um
eine anwaltliche Tätigkeit zwischen den Instanzen handelt (BGH, MDR 2007, 1088). Was
die Prüfung des Rechtsmittels nach Einlegung durch den Versorgungsträger anbelangt,
gilt grundsätzlich, dass Prozesskostenhilfe für einzelne Prozesshandlungen und einzelne
Gebührentatbestände nicht bewilligt werden kann (Zöller/Geimer, a.a.O., § 114 Rn. 4).
18 4. Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, da die Frage, ob
Verfahrenskostenhilfe für eine nur verfahrensbegleitende Rechtswahrnehmung in der
Beschwerdeinstanz bewilligt werden kann, vom Bundesgerichtshof bislang nicht
entschieden worden ist. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist möglich, weil die
Entscheidung Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe betrifft (vgl. BGH, FamRZ
2007, 1720).