Urteil des OLG Karlsruhe vom 02.07.2014

OLG Karlsruhe: wiedereinsetzung in den vorigen stand, hund, halter, überprüfung, gefahr, rasse, unerfahrenheit, gefährdung, versuch, unterliegen

OLG Karlsruhe Beschluß vom 2.7.2014, 2 (7) Ss 318/14; 2 (7)
Ss 318/14 - AK 97/14
Zu den Sorgfaltspflichten des Halters eines Kampfhundes
Leitsätze
Der Halter eines Kampfhundes i.S.d. § 1 Abs. 2 PolVogH BW, bei dem die rassespezifisch
begründete Vermutung besonderer Gefährlichkeit nicht durch eine Verhaltensprüfung widerlegt
ist, muss damit rechnen, dass der Hund jederzeit auch ohne vorherige Warnzeichen Menschen
anfällt.
Tenor
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gewährt. Damit ist der die Revision des
Angeklagten als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 16. April
2014 gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 22. Januar
2014 wird als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
1 Gegenstand des Verfahrens sind Verletzungen, die durch Bisse eines Hundes verursacht
wurden, dessen Halter der Angeklagte war.
2 Das den Angeklagten freisprechende Urteil des Amtsgerichts Ettenheim hob das
Landgericht Freiburg auf und verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger
Körperverletzung zu der Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 EUR unter Bewilligung
von Zahlungserleichterungen.
3 Nach den getroffenen Feststellungen war der Angeklagte Halter eines zuvor noch nicht
gegenüber Menschen aggressiv gewordenen Hundes, bei dem es sich jedenfalls um
einen American Staffordshire Terrier-Mischling handelte. Diese Einordnung des Hundes
war dem Angeklagten aufgrund eines entsprechenden bestandskräftigen Bescheids der
als Ortspolizeibehörde zuständigen Gemeinde Friesenheim bekannt. Eine
Verhaltensprüfung des Hundes hatte der Angeklagte nicht vornehmen lassen. Als der
Vermieter in Begleitung seiner damals neun Jahre alten Tochter den Angeklagten in
seiner Wohnung aufsuchte, sprang der Hund das Kind, das den Arm nach dem Hund
ausgestreckt hatte, unvermittelt an und biss es - mit erheblichen Verletzungsfolgen - ins
Gesicht. Der Kindesvater, der zum Schutz seiner Tochter eingriff, wurde in den Arm
gebissen.
4 Hiergegen hat der Angeklagte fristgerecht Revision eingelegt. Hinsichtlich der
Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung, die zur Verwerfung der Revision mit
Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 16.04.2014 geführt hat, hat der Angeklagte
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit der Revision wird die Sachrüge
erhoben. Inhaltlich werden damit jedoch auch verfahrensrechtliche Verstöße geltend
gemacht.
II.
5 Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zu entsprechen, nachdem
fristgerecht dargetan und glaubhaft gemacht wurde, dass die Versäumung der Frist zur
Begründung der Revision (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) auf einem Verschulden einer
Kanzleikraft des Verteidigers beruhte, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist. Damit
ist zugleich dem Verwerfungsbeschluss des Landgerichts die Grundlage entzogen.
III.
6 Die danach zulässige Revision erweist sich als offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2
StPO).
7 1. Die Verfahrensrügen sind aus den in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft
dargelegten Gründen bereits unzulässig. Bezüglich der Rüge eines
Beweisverwertungsverbots ergibt sich die Unzulässigkeit auch daraus, dass sich aus dem
Vorbringen nicht ergibt, ob der Verwertung der angeblich unter Verstoß gegen die
Belehrungspflichten nach §§ 163a Abs. 3, 136 StPO gewonnenen Angaben in der
Hauptverhandlung rechtzeitig widersprochen wurde (vgl. BGHSt 38, 214; Meyer-
Goßner/Schmitt a.a.O., § 136 Rn. 25 m.w.N.).
8 2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keine Rechtsfehler auf.
9
a. Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger
Körperverletzung (§ 229 StGB).
10 aa. Der Halter eines Hundes ist verpflichtet, diesen zu überwachen und so abzusichern,
dass Verletzungen oder sonstige Schädigungen Dritter verhindert werden. Ein Hund stellt
eine Gefahrenquelle dar, da er in seinem Verhalten nicht vernunftgesteuert und im
Allgemeinen unberechenbar ist (BayObLGSt 1987, 174; NJW 1991, 1695; Stree/Bosch in
Schönke/Schröder, StGB 28. Aufl. 2010, § 13 Rn. 43; Rudolphi/Stein in SK-StGB, § 13
Rn.27). Die hiernach im Einzelfall zu treffenden Vorkehrungen richten sich danach,
welche Anforderungen im Hinblick auf die konkreten Umstände nach der
Verkehrsauffassung und im Rahmen des Zumutbaren an einen verständigen,
umsichtigen und in vernünftigen Grenzen vorsichtigen Hundehalter zu stellen sind, um
eine Schädigung Dritter durch das Tier tunlichst abzuwenden (OLG Frankfurt NStZ-RR
2011, 205; BayObLG a.a.O. und BayObLGSt 1993, LG Verden NStZ 2006, 689).
Grundsätzlich ist dabei zwar die bisherige Führung des Hundes von besonderer
Bedeutung, weil sie die Grundlage für die Annahme sein kann, dass er die
Unberechenbarkeit, die im Allgemeinen im Verhalten eines Tieres zu beobachten ist,
überwunden und sich als gutartig erwiesen hat oder er im Gegenteil bereits durch erhöhte
Aggressionsbereitschaft oder gar Bösartigkeit aufgefallen ist (BayObLG a.a.O; LG Verden
a.a.O.; vgl. auch BGH NStZ 2002, 315). Daneben spielen aber auch das Alter und die
Rasse des Hundes eine Rolle (BayObLG NJW 1991, 1695; LG Verden a.a.O.).
11 Handelt es sich um einen Kampfhund, werden die Sorgfaltspflichten des Tierhalters
durch § 4 der Polizeiverordnung des Innenministeriums und des Ministeriums Ländlicher
Raum über das Halten gefährlicher Hunde vom 03. August 2000 (PolVOgH) konkretisiert.
Während die Pflichten des Tierhalters lediglich beim besonders gefahrenträchtigen
Führen eines solchen Hundes außerhalb des befriedeten Besitztums in § 4 Abs. 2 bis 5
PolVOgH im Einzelnen geregelt sind, statuiert § 4 Abs. 1 PolVOgH im Übrigen, dass
diese Tiere so zu halten und zu beaufsichtigen sind, dass von ihnen keine Gefahr für
Menschen, Tiere oder Sachen ausgehen kann. Für die Beurteilung des Falles spielt
dabei weiter eine Rolle, dass bei Kampfhunden aufgrund ihrer rassespezifischen
Merkmale eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit vermutet wird, diese
Vermutung jedoch durch eine Verhaltensprüfung widerlegt werden kann (§ 1 Abs. 1 und
2 PolVOgH).
12 bb. Nachdem der Angeklagte eine Verhaltensprüfung des Hundes nicht vorgenommen
hatte, musste der Angeklagte danach allein aufgrund der rassespezifischen
Gefährlichkeit des Hundes damit rechnen, dass dieser auch ohne vorherige Warnzeichen
Menschen anfallen könnte und dagegen Vorkehrungen treffen. Gerade beim
Zusammentreffen mit Kindern, bei denen aufgrund ihrer altersbedingten Unerfahrenheit
mit nicht sachgerechtem Umgang mit Hunden zu rechnen ist, war erhöhte Vorsicht
geboten. Der Angeklagte wäre deshalb gehalten gewesen, den Hund in Anwesenheit
des Kindes entweder anzuleinen oder ihn während des Besuchs des Kindes in einem
anderen Raum einzusperren, um jegliche Gefährdung des Kindes durch den Hund
auszuschließen. Die Missachtung dieser Sorgfaltspflichten, die vorhersehbar - wie
geschehen - zu durch den Hund verursachten Verletzungen führen konnte, begründet
den Vorwurf fahrlässigen Handelns, wobei dem Angeklagten auch die nachfolgende
Verletzung des um den Schutz seiner Tochter bemühten Vaters zuzurechnen ist.
13 b. Beweiswürdigung und Strafzumessung, die ohnehin nur eingeschränkt
revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegen, erweisen sich ebenfalls als
rechtsfehlerfrei. Die von der Revision gegen die im angefochtenen Urteil vorgenommene
Beweiswürdigung vorgebrachten Angriffe erschöpfen sich - wie die
Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend ausführt - in dem
unzulässigen Versuch, eine eigene abweichende Würdigung der Beweise, zudem
weitgehend auf der Grundlage urteilsfremden Vorbringens, vorzunehmen.
IV.
14 Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.