Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.11.2013

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 18.11.2013, 9 AR 19/13
Gerichtsstandsbestimmung bei Streitgenossen
Leitsätze
Eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO kommt nicht mehr in Betracht,
wenn der Kläger, der eine Klage gegen zwei Streitgenossen erhoben hatte, durch einen
Verweisungsantrag selbst dafür gesorgt hat, dass das Verfahren gegen einen der beiden
Streitgenossen abgetrennt und an ein anderes Gericht verwiesen wurde.
Tenor
1. Der Antrag des Klägers auf Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts wird
zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Bestimmungsverfahrens.
Gründe
I.
1
Am 10.04.2010 war der Kläger im Gebiet der Gemeinde H. (Beklagte Ziff. 1) mit dem
Fahrrad unterwegs. Er stürzte und zog sich Verletzungen zu. Der Kläger macht geltend,
der Sturz sei durch einen mangelhaften Zustand der Fahrbahn im Bereich der
Unfallörtlichkeit verursacht worden. Für seinen Sturz sei zum einen die Beklagte Ziff. 1 als
Gemeinde verantwortlich, und zum anderen die Beklagte Ziff. 2, die einige Zeit vor dem
Unfall im Bereich der Unfallstelle mangelhafte Tiefbauarbeiten ausgeführt habe. Mit
Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.03.2013 hat der Kläger Klage zum
Amtsgericht Überlingen erhoben. Er verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern
Schmerzensgeld und Schadensersatz.
2
Mit Verfügung vom 25.03.2013 hat das Amtsgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass
Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Überlingen für die Klage
gegen die Beklagte Ziff. 1 bestehen. Sachlich zuständig sei für diese gemäß § 71 Abs. 2
Nr. 2 GVG das Landgericht Konstanz. Mit Verfügung vom 21.06.2013 hat das Amtsgericht
den Hinweis wiederholt, und dem Kläger hinsichtlich der Klage gegen die Beklagte Ziff. 1
einen Verweisungsantrag anheimgestellt.
3
Mit Schriftsatz vom 15.07.2013 hat der Kläger beantragt, "den Rechtsstreit" an das
zuständige Landgericht Konstanz zu verweisen. Das Amtsgericht Überlingen hat
daraufhin mit Beschluss vom 19.07.2013 das Verfahren gegen die Beklagte Ziff. 1
abgetrennt. Mit einem weiteren Beschluss vom 19.08.2013 hat sich das Amtsgericht
Überlingen in dem abgetrennten Verfahren für sachlich unzuständig erklärt und den
Rechtsstreit (die Beklagte Ziff. 1 betreffend) auf Antrag des Klägers an das Landgericht
Konstanz verwiesen. Das Amtsgericht Überlingen sei sachlich unzuständig. Bei der Klage
gegen die Beklagte Ziff. 1 handele es sich der Sache nach um einen
Amtshaftungsanspruch, für welchen das Landgericht ausschließlich zuständig sei gemäß
§ 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG. Beim Landgericht Konstanz wird das Verfahren gegen die
Beklagte Ziff. 1 nunmehr unter dem Az. 4 O 177/13 geführt, während das Verfahren gegen
die Beklagte Ziff. 2 weiterhin unter dem Az. 3 C 98/13 beim Amtsgericht Überlingen
anhängig ist.
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Mit Schriftsatz vom 27.09.2013 an das Oberlandesgericht Karlsruhe hat der Kläger
beantragt, das Landgericht Konstanz als gemeinsam zuständiges Gericht für das
Verfahren gegen beide Beklagte zu bestimmen. Die Voraussetzungen einer
Zuständigkeitsbestimmung seien gegeben, da sich zwei verschiedene Gerichte
(Amtsgericht Überlingen und Landgericht Konstanz) für zuständig erklärt hätten. Durch die
Zuständigkeitsbestimmung solle dem Kläger wieder ermöglicht werden, beide Parteien
gemeinsam als Streitgenossen zu verklagen.
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Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme im
Gerichtsstandsbestimmungsverfahren.
II.
6
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die
Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts liegen nicht vor.
7
1. Es liegt entgegen der Auffassung des Klägers kein Fall des § 36 Abs. 1 Ziff. 5 ZPO
(positive Zuständigkeitserklärungen verschiedener Gerichte in einem Rechtsstreit) vor.
Denn das Amtsgericht Überlingen und das Landgericht Konstanz haben sich nicht in
einem einheitlichen Rechtsstreit für zuständig erklärt, sondern in unterschiedlichen
Verfahren mit unterschiedlichen Beteiligten. Da in beiden Verfahren verschiedene
Beklagte beteiligt sind, liegen keine einander widersprechende Zuständigerklärungen des
Amtsgerichts Überlingen und des Landgerichts Konstanz vor, die Voraussetzung für eine
Anwendung von § 36 Abs. 1 Ziff. 5 ZPO wären.
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2. Allerdings liegt der Sache nach ein Fall des § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO vor, so dass der
Antrag des Klägers nach dieser Vorschrift als zulässig zu behandeln ist. Denn der Kläger
möchte verschiedene Beklagte in einem einheitlichen Verfahren als Streitgenossen in
Anspruch nehmen.
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3. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur
Entscheidung über den Antrag des Klägers folgt aus § 36 Abs. 1 ZPO. Das
Oberlandesgericht Karlsruhe ist im Verhältnis zu den beteiligten Gerichten (Amtsgericht
Überlingen und Landgericht Konstanz) das im Rechtszug zunächst höhere Gericht.
10 4. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 3
ZPO liegen teilweise vor: Da der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf
Schadensersatz in Anspruch nimmt, wären diese Streitgenossen gemäß §§ 59, 60 ZPO.
Ein Gericht, das nach den gesetzlichen Vorschriften für die Klage gegen beide Beklagte
sachlich zuständig wäre, ist nicht vorhanden. Denn für die Beklagte Ziff. 1 ist gemäß § 71
Abs. 2 Ziff. 2 GVG das Landgericht sachlich zuständig, während für die Beklagte Ziff. 2 im
Hinblick auf den Streitwert gemäß § 23 Ziff. 1 GVG das Amtsgericht sachlich zuständig ist.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine entsprechende Anwendung von § 36 Abs.
1 Ziff. 3 ZPO grundsätzlich auch dann in Betracht kommt, wenn für beide Beklagte nach
den gesetzlichen Vorschriften eine unterschiedliche sachliche Zuständigkeit gegeben ist
(vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Auflage 2014, § 36 ZPO, RdNr. 2 a, 14).
11 5. Einer Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat steht jedoch entgegen, dass die
Klagen gegen die Beklagte Ziff. 1 einerseits und gegen die Beklagte Ziff. 2 andererseits
bereits bei unterschiedlichen Gerichten, nämlich dem Amtsgericht Überlingen und dem
Landgericht Konstanz, anhängig sind. In diesem Stadium kommt jedenfalls unter den
Umständen des vorliegenden Falls eine Gerichtsstandsbestimmung nicht mehr in
Betracht.
12 a) Nach dem Wortlaut des Gesetzes in § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ("… verklagt werden sollen
…") ist die Gerichtsstandsbestimmung für eine Klage gegen mehrere Streitgenossen vor
Klageerhebung vorgesehen und nicht für eine bereits erhobene Klage. Der Senat hätte
auf Antrag des Klägers ein gemeinsam zuständiges Gericht bestimmen können, wenn der
Kläger den Antrag vor Einreichung seiner Klage gestellt hätte, nicht jedoch zum jetzigen
Zeitpunkt, wo die Klage bereits erhoben wurde, und inzwischen nach der Abtrennung
durch das Amtsgericht Überlingen bei zwei verschiedenen Gerichten anhängig ist.
13 b) Allerdings hat die Rechtsprechung den Anwendungsbereich von § 36 Abs. 1 Ziff. 3
ZPO in einem gewissen Umfang auch auf Fälle ausgedehnt, in denen bereits Klage
gegen die Streitgenossen erhoben wurde. Maßgeblich für eine solche entsprechende
Anwendung der Gesetzesvorschrift sind Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und der
Prozessökonomie. Wenn ein Kläger bei einer einheitlichen Klage gegen mehrere
Streitgenossen übersehen hat, dass für die verschiedenen Beklagten unterschiedliche
Zuständigkeiten gegeben sind, kann ggfs. mit einer Entscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff.
3 ZPO eine Trennung des Verfahrens verhindert werden, um eine prozessökonomische
gemeinsame Verhandlung und Entscheidung gegen sämtliche Beklagten zu ermöglichen
(vgl. zu diesen Fällen Zöller/Vollkommer a. a. O., § 36 ZPO, RdNr. 16 mit
Rechtsprechungsnachweisen).
14 Entscheidend für eine Zuständigkeitsbestimmung nach Klageerhebung sind
verschiedene Zweckmäßigkeitserwägungen. In der Rechtsprechung ist dabei anerkannt,
dass eine Zuständigkeitsbestimmung nach Klageerhebung nicht mehr in Betracht kommt,
wenn solche Zweckmäßigkeitserwägungen nicht durchgreifen bzw. wenn andere
Erwägungen eine Zuständigkeitsbestimmung unzweckmäßig erscheinen lassen. Eine
Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO wird daher beispielsweise in
der Regel abgelehnt, wenn bereits eine Beweisaufnahme zur Hauptsache durchgeführt
wurde (vgl. Zöller/Vollkommer a. a. O.).
15 In der vorliegenden prozessualen Konstellation lässt sich eine Zuständigkeitsbestimmung
durch Gesichtspunkte der Prozessökonomie nach Auffassung des Senats nicht
rechtfertigen. Entscheidender Gesichtspunkt für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß §
36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ist der Umstand, dass im Interesse des Klägers und im Interesse der
Prozesswirtschaftlichkeit ein einheitliches Verfahren mit einer gemeinsamen Verhandlung
gegen die Streitgenossen auf Beklagtenseite sichergestellt werden soll. Ein solches
prozessuales Ziel lässt sich nach der Trennung der Verfahren durch das Amtsgericht
Überlingen jedoch nicht mehr erreichen. Denn der Senat könnte im jetzigen
Verfahrensstadium eine gemeinsame Verhandlung beim Landgericht Konstanz nicht
mehr sicherstellen. Zwar wäre bei einer Bestimmung des Landgerichts Konstanz als
gemeinsam zuständiges Gericht der noch beim Amtsgericht Überlingen gegen die
Beklagte Ziff. 2 anhängige Rechtstreit auf Antrag an das Landgericht Konstanz zu
verweisen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Konstanz würde der
verwiesene Rechtstreit dann zur 4. Zivilkammer gelangen, bei welcher bereits das
Verfahren gegen die Beklagte Ziff. 1 anhängig ist. Eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß
§ 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO hätte jedoch keine rechtlichen Wirkungen im Hinblick auf die
weitere Behandlung des Verfahrens bei der 4. Zivilkammer. Dem Senat ist der
kammerinterne Geschäftsverteilungsplan nicht bekannt, so dass offen ist, ob ein vom
Amtsgericht Überlingen verwiesenes Verfahren vom selben Kammermitglied als
Einzelrichter zu führen wäre, wie das dort bereits anhängige Verfahren gegen die
Beklagte Ziff. 1. Außerdem wäre über die Frage einer möglichen Verbindung beider
Verfahren gemäß § 147 ZPO allein von der Zivilkammer des Landgerichts zu
entscheiden. Das heißt:
16 Selbst wenn nach einer Verweisung des Verfahrens gegen die Beklagte Ziff. 1 der selbe
Einzelrichter beim Landgericht Konstanz dieses Verfahren übernehmen würde, wäre im
Hinblick auf die vorausgegangene Verfahrenstrennung offen, und vom Senat nicht zu
beeinflussen, ob eine Verbindung und eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung
erfolgt.
17 Der Kläger hätte nach den Hinweisen des Amtsgerichts Überlingen die Möglichkeit
gehabt, vor der Verfahrenstrennung einen Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zu
stellen. Diesem wäre stattzugeben gewesen. Denn vor der Trennung wäre durch eine
Entscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO eine gemeinsame Verhandlung und
Entscheidung der Klage gegen beide Beklagte in jedem Fall sichergestellt worden. Von
dieser Möglichkeit hat der Kläger jedoch keinen Gebrauch gemacht.
18 c) Allerdings wird von der Rechtsprechung in einer bestimmten Fallkonstellation § 36 Abs.
1 Ziff. 3 ZPO auch dann analog angewendet, wenn bereits Klagen bei verschiedenen
Gerichten anhängig sind, und mithin aus den oben erörterten Gründen letztlich unsicher
ist, ob eine Zuständigkeitsbestimmung tatsächlich eine Verbindung der Verfahren
bewirken kann. Der Bundesgerichtshof hält eine solche Möglichkeit jedoch nur in den
Fällen für gegeben, in denen nach Durchführung eines Mahnverfahrens auf Grund der
gesetzlichen Regelung in § 696 Abs. 1 ZPO eine Trennung der Verfahren gegen
verschiedene Streitgenossen erfolgen muss (vgl. insbesondere BGH, Beschluss vom
17.09.2013 X ARZ 423/13 -, zitiert nach Juris). Dabei ist nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs entscheidend, dass zum einen die vorübergehende
Verfahrenstrennung nach Durchführung eines Mahnverfahrens gesetzlich zwingend
vorgegeben und vom Kläger nicht zu verhindern ist, und zum anderen, dass der Kläger in
derartigen Fällen keine Möglichkeit hat, schon früher einen Bestimmungsantrag gemäß §
36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO zu stellen. Diese Gesichtspunkte lassen sich auf den vorliegenden
Fall nicht übertragen. Denn der Kläger hätte den Bestimmungsantrag schon vor
Klageerhebung bzw. spätestens nach dem Hinweis des Amtsgerichts Überlingen auf die
Zuständigkeitsbedenken hinsichtlich der Beklagten Ziff. 1 stellen können. Die
Verfahrenstrennung hat der Kläger anders als in den Fällen gemäß § 696 Abs. 1 ZPO
selbst dadurch verursacht, dass er nicht rechtzeitig einen Bestimmungsantrag gestellt hat.
(Vgl. im Übrigen zur Unanwendbarkeit vom § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO, wenn zwei getrennte
Klagen anhängig sind, BGH, NJW-RR 2011, 929.)
19 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.