Urteil des OLG Karlsruhe vom 15.11.2007

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OLG Karlsruhe Urteil vom 15.11.2007, 12 U 169/06
Ansprüche aus der zusätzlichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst: Satzungsmäßige
Einschränkung der Abfindungsregelung als unangemessene Benachteiligung; Umfang des
Vertrauensschutzes nach Satzungsänderung der Zusatzversorgungseinrichtung
Leitsätze
§ 43 VBLS in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung, wonach Betriebsrenten in Höhe eines Betrages, der 30 Euro
monatlich nicht überschreitet, abgefunden werden, hält einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle Stand. Das gilt auch
insoweit, als durch § 43 VBLS die Abfindungsmöglichkeiten gegenüber der früheren Regelung des § 59 VBLS a.F.
eingeschränkt wurden.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Juli 2006 – 6 O 430/05 – im
Kostenpunkt aufgehoben sowie im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Abfindung ihrer Betriebsrente. Sie war als Angestellte im
öffentlichen Dienst in der Zeit vom 01.11.1980 bis zum 31.12.1989 bei der Beklagten pflichtversichert.
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Mit Ablauf des 31.12.2001 hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem umgestellt von einer an der
Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes
Punktemodell. Die zum Stichtag bestehenden Anwartschaften wurden betragsmäßig festgestellt, in
Versorgungspunkte umgerechnet und auf die neuen Versorgungskonten als so genannte Startgutschriften
übertragen. Die Umstellung des Versorgungssystems beruht auf einer Einigung der Tarifvertragsparteien des
öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 01.03.2002 (ATV). Die Beklagte hat die
Tarifregelungen durch eine Neufassung ihrer Satzung (VBLS) rückwirkend zum 01.01.2002 umgesetzt.
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Gemäß Mitteilung vom 23.09.2003 erhielt die Klägerin eine Startgutschrift über 20,46 Versorgungspunkte
entsprechend einer monatlichen Rentenanwartschaft von 81,84 EUR. Seit 01.06.2003 erhält sie eine Rente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine Betriebsrente von der Beklagten. Gemäß Mitteilung vom
16.03.2005 beträgt die auf der Grundlage der Startgutschrift errechnete Betriebsrente 74,47 EUR monatlich. Sie
wird jeweils zum 01.07. eines Jahres fortlaufend mit 1 % dynamisiert.
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Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt:
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.938,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der weiteren Feststellungen verwiesen wird, hat der Klage
stattgegeben. Die Klägerin könne die Abfindung ihrer Betriebsrente in entsprechender Anwendung von § 59 der
bisherigen Satzung (VBLS a. F.) verlangen. Die Berufung der Beklagten auf die Neufassung ihrer Satzung und
die Abschaffung der Abfindungsmöglichkeiten in § 43 VBLS sei treuwidrig (§ 242 BGB). Die Klägerin habe bis
zur Beendigung der Pflichtversicherung im Jahre 1998 ihre Arbeitsleistung erbracht, so dass gewissermaßen
nur noch die Gegenleistung ausstehe. Sie habe zudem unbestritten vorgetragen, dass sie bei Beendigung der
Pflichtversicherung und auf der Grundlage der Angaben der Beklagten in einer Rentenauskunft vom 10.06.1999
darauf vertraut habe, dass sie bei Eintritt des Versicherungsfalles statt der Rente eine Abfindung verlangen
könne. Demgegenüber wögen die Gründe für das Beharren der Beklagten auf die Satzungsänderung weniger
schwer. Rechnerisch dürfte die Beklagte im Ergebnis durch den Abfindungsbetrag nicht mehr belastet werden
als durch die Rentenzahlung.
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Mit der Berufung beantragt die Beklagte,
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das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, die Neuregelung ihrer Satzung sei auch gegenüber der Klägerin wirksam. Zum Zeitpunkt
des Versicherungsfalles sei die aktuelle Satzung schon lange in Kraft gewesen. Die Klägerin habe also
überhaupt keine Möglichkeit mehr gehabt, sich mit Erfolg abfinden zu lassen. Ein rechtlich geschütztes
Vertrauen der Klägerin gäbe es nicht. Die dem angeblichen Vertrauen zugrunde liegenden Angaben der Klägerin
würden mit Nichtwissen bestritten.
10 Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des landgerichtlichen Urteils,
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die Berufung zurückzuweisen.
12 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
13 Die Berufung ist begründet und führt zur Abweisung der Klage. Der geltend gemachte Anspruch auf Abfindung
der Betriebsrente durch einen einmaligen Zahlbetrag besteht nicht.
14 1. Ob eine monatliche Betriebsrente (§ 35 Abs. 1 VBLS) abgefunden werden kann, richtet sich nach § 43
VBLS. Die Beklagte beruft sich insoweit auf § 43 Abs. 1 Satz 1 VBLS in der ursprünglichen, auch im Zeitpunkt
des bei der Klägerin eingetretenen Versicherungsfalls (01.06.2003) gültigen Fassung. Danach werden
Betriebsrenten, die aus einem Monatsbetrag nach § 35 Abs. 1 berechnet sind, der 30,00 EUR nicht
überschreitet, abgefunden. Außerdem soll die Anstalt gem. § 43 Abs. 1 Satz 3 derselben Fassung bei
Betriebsrenten, die nicht nach Satz 1 abgefunden werden, eine Abfindung anbieten, wenn die Kosten der
Übermittlung unverhältnismäßig hoch sind. Außer Betracht bleiben kann im Streitfall die durch die 6.
Satzungsänderung vom 17.06.2005 mit Wirkung vom 01.01.2005 eingeführte Absenkung der Abfindungsgrenze
nach § 43 Abs. 1 Satz 1 VBLS auf unter 30,00 EUR entsprechend dem Betrag, der 1 % der monatlichen
Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigt. Hierauf beruft sich die Beklagte nicht.
15 § 43 VBLS wurde vor dem Hintergrund der tarifvertraglichen Abfindungsregelungen in § 22 Abs. 2 ATV in Kraft
gesetzt. § 22 Abs. 2 ATV lautet:
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„Die Satzung der Zusatzversorgungseinrichtung kann vorsehen, dass Betriebsrenten, die einen
Monatsbetrag von bis zu 30,00 Euro nicht überschreiten, abgefunden werden. Darüber hinaus kann die
Abfindung der Betriebsrente ermöglicht werden, wenn die Kosten der Übermittlung der Betriebsrenten
unverhältnismäßig hoch sind.“
17 2. § 43 VBLS verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Einschränkung der Abfindungsmöglichkeit stellt
insbesondere keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Dabei kann
offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit die Bestimmungen der Satzung in Anbetracht der §§ 307 Abs. 3
Satz 1, 310 Abs. 4 Satz 3 BGB überhaupt einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen.
18 a) Bei den Satzungsbestimmungen der Beklagten handelt es sich um Allgemeine Versicherungsbedingungen
bzw. Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf die Gruppenversicherungsverträge Anwendung finden, die von
den beteiligten Arbeitgebern als Versicherungsnehmern mit der Beklagten als Versicherer zugunsten der
bezugsberechtigten Versicherten, der Arbeitnehmer, abgeschlossen worden sind (st. Rspr., vgl. BGHZ 142,
103 , 105 ff.; BVerfG NJW 2000, 3341 unter II 2 a, c). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einer
Zusatzversorgungseinrichtung bei der Ausgestaltung ihrer Satzung weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. Es ist
in erster Linie Sache der hinter ihr stehenden Tarifvertragsparteien, hierauf Einfluss zu nehmen (vgl. BGHZ
155, 132, 139; BGH VersR 1986, 360 unter IV), wobei ihnen wiederum durch Art. 9 Abs. 3 GG ein Freiraum bei
der Ausgestaltung des der Satzung faktisch vorgelagerten Tarifvertrages zur Verfügung gestellt ist (BGH
VersR 2007, 1214 unter I 3 a aa).
19 b) Hieran gemessen ist die Einschränkung der Abfindungsmöglichkeit in § 43 Abs. 1 VBLS nicht zu
beanstanden.
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aa) Grundsätzlich wird die Betriebsrente - wie die Bezeichnung nahe legt - als monatliche Rentenleistung
gewährt. Darin liegt gerade ein wesentliches Element der Altersversorgung. Dass solche Rentenleistungen
monatlich zu zahlen und grundsätzlich nicht durch eine Einmalzahlung abzufinden sind, dient dem Schutz
des Berechtigten vor später nicht mehr korrigierbaren Entschlüssen sowie seiner sozialen Sicherheit (vgl.
Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, § 59 VBLS a. F. 1 -
B 269). Hiervon ausgehend ist es grundsätzlich berechtigt, wenn nicht gar geboten, die Möglichkeit einer
Abfindung weitgehend einzuschränken. Sie ist nur für so genannte Kleinstrenten vorzusehen, die aufgrund
ihrer geringen Höhe keinen wesentlichen Beitrag zur Altersversorgung des Berechtigten leisten können und
die in Anbetracht dessen bei der Zusatzversorgungseinrichtig einen verhältnismäßig hohen Aufwand
verursachen.
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Dem trägt die Abfindungsregelung in § 43 Abs. 1 VBLS in vollem Umfang Rechnung. Sie entspricht damit
einem berechtigten Interesse der Beklagten und letztendlich auch der Versicherten. Dabei ist die
Abfindungsgrenze, bis zu der gemäß Satz 1 eine Betriebsrente stets abzufinden ist, mit einem
Monatsbetrag von 30,00 EUR keinesfalls zu niedrig angesetzt. Auch die Soll-Regelung in Satz 3, die auf
das Verhältnis der Betriebsrente zu den Kosten der Übermittlung abstellt, ist nicht zu beanstanden. Sie
entspricht nach Wortlaut und Sinn der genannten Interessenlage. Im Streitfall hat die Klägerin eine
unverhältnismäßige Höhe der Übermittlungskosten nicht behauptet.
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bb) Die genannten Bestimmungen des § 43 VBLS sind auch insoweit nicht zu beanstanden, als sie
gegenüber der früheren Regelung des § 59 VBLS a. F. die Abfindungsmöglichkeiten einschränken.
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Gemäß § 59 Abs. 1 VBLS a. F. waren Versicherungsrenten für Versicherte, die einen Monatsbetrag von
10,00 EUR nicht überschreiten, abzufinden. Gemäß § 59 Abs. 1 a VBLS a. F. wurden höhere als die in
Absatz 1 genannten Versicherungsrenten auf Antrag des Berechtigten abgefunden. Damit trug die frühere
Abfindungsregelung der Unterschreitung zwischen Versicherungsrenten und Versorgungsrenten Rechnung.
Grundsätzlich - mit Ausnahme der Versorgungsrente einer (anderweit abgesicherten) Witwe, die wieder
heiratet, vgl. § 59 Abs. 3 VBLS a. F. - war eine Abfindung nur für Versicherungsrenten vorgesehen. Dabei
handelte es sich regelmäßig um Beträge in geringerer Höhe, die nicht dynamisiert wurden (vgl. näher
Gilbert/Hesse, a. a. O., § 59 VBLS Anmerkung 1 - B 269). Im Unterschied zur Versorgungsrente
erschöpfte sich der Zweck der geringeren Versicherungsrente im Wesentlichen darin, dem aus dem
Arbeitsverhältnis ausscheidenden Bediensteten einen versicherungstechnischen Gegenwert für die
geleisteten Beträge zu gewähren. Ihre Höhe orientierte sich deshalb nicht am Versorgungsgedanken.
Vielmehr war sie als statische, auf der Grundlage der eingezahlten Beiträge bzw. Umlagen zu errechnende
Leistung konzipiert worden (vgl. BGH VersR 2004, 364 unter II 2 b bb m.w.N.).
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Mit der Reform der Zusatzversorgung durch Umstellung auf ein Betriebsrentensystem ist die Grundlage für
die Regelung des § 59 VBLS a.F. weggefallen. Die im früheren Gesamtversorgungssystem maßgebliche
Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente existiert nicht mehr. Es gibt nur noch eine
- einheitlich so bezeichnete - Betriebsrente. Außerdem wird die Betriebsrente, wie sich aus § 39 VBLS
ergibt, stets dynamisiert.
25 c) Ein besonderer Vertrauensschutz kommt Versicherten, bei denen wie bei der Klägerin der Versicherungsfall
erst nach in Kraft treten der neuen Satzung eingetreten ist, grundsätzlich nicht zu. Die Satzung der Beklagten
stand und steht unter Änderungsvorbehalt (vgl. § 14 VBLS a. F. und n.F.). Eine bestandsgeschützte
Anwartschaft auf eine bestimmte Form der Auszahlung der Versicherungsleistung konnte die Klägerin vor
Eintritt des Versicherungsfalles nicht erwerben. Eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer
Versichertenrechte aufgrund von § 43 VBLS, der wie dargelegt einem der Zusatzversorgung geradezu
immanenten und gewichtigen Interesse entspricht, ist nicht festzustellen.
26 3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann die Berufung der Beklagten auf § 43 VBLS auch nicht als
treuwidrig gemäß § 242 BGB angesehen werden. Dies käme nur in Betracht, wenn die Klägerin in besonderem
Maße auf die Fortgeltung der alten Satzungsregelung vertraut und durch die Umstellung eine besondere Härte
hinzunehmen hätte. Dafür ist jedoch nichts dargetan. Die Klägerin beruft sich insoweit lediglich auf die ihr von
der Beklagten mit Schreiben vom 10.06.1999 erteilte Auskunft. Diese lautet in ihrem insoweit wesentlichen
Teil:
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„Gemäß § 70 a der Satzung (d. S.) erteilen wir Ihnen nachfolgend Auskunft über die Höhe der für Sie
bestehenden Anwartschaft auf Versicherungsrente. Bestandteile dieser Rentenauskunft sind die
Anlagen 1, 2. Eine Zusage ist mit der Auskunft nicht verbunden.
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Nach den derzeit geltenden Satzungsbestimmungen würde Ihre Versicherungsrente monatlich 160,07
DM betragen.
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Wir weisen darauf hin, dass nach § 59 d. S. die Möglichkeit besteht, Versicherungsrenten abfinden zu
lassen. Der Antrag auf Abfindung kann jedoch erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt
werden.“
30 Die Inanspruchnahme eines besonderen Vertrauens auf den dauerhaften Bestand der Abfindungsmöglichkeit
nach § 59 VBLS a.F. kann auf diese Auskunft nicht gestützt werden. Sie bezog sich ausdrücklich auf den
damaligen Stand der Anwartschaft nach den „derzeit geltenden Satzungsbestimmungen“. Es wurde
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass (irgend) eine Zusage mit der Auskunft nicht verbunden sei. Ein
bestimmter Abfindungsbetrag, von dessen Höhe die Klägerin hätte ausgehen können, wurde nicht genannt. Die
genannte monatliche Rentenleistung ist ihr nicht vorenthalten worden. Sie entsprach vielmehr der späteren
Startgutschrift, die auch der Betriebsrentenmitteilung zugrunde lag.
31 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit
stützt sich auf die §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO
bestehen nicht.