Urteil des OLG Karlsruhe vom 16.10.2012

OLG Karlsruhe: patentverletzung, verbundenes unternehmen, zugang, materialien, werkstoff, daten, wahrscheinlichkeit, dringlichkeit, einstweilige verfügung, vorläufiger rechtsschutz

OLG Karlsruhe Beschluß vom 16.10.2012, 6 W 72/12
Product-by-process-Merkmale im Besichtigungsverfahren
Leitsätze
1. Für den Erlass einer Duldungsverfügung nach dem "Düsseldorfer Modell" gelten im Grundsatz
die allgemeinen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Aus § 140c
Abs. 3 PatG kann eine Fiktion der Dringlichkeit nicht entnommen werden. Daher ist es auch in
diesem Verfahren nicht ausgeschlossen, dass aus dem eigenen Verhalten des Antragstellers
der Schluss gezogen wird, die Angelegenheit besitze für den Antragsteller nicht die
Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigt.
2. Wegen des Zwecks der Regelung und wegen der immanenten Gefahr, dass bei einem
Vorgehen im Hauptsacheverfahren Beweismittel nicht mehr greifbar sind, ist aber bei der
Annahme dringlichkeitsschädlichen Verhaltens größere Zurückhaltung geboten als in sonstigen
Verfügungsverfahren.
3. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung und die Erforderlichkeit der
Besichtigung im Sinne des § 140c Abs. 1 PatG sind schon dann zu bejahen, wenn eine
Bestimmung des Schutzbereichs des Patentanspruchs ernsthaft in Betracht kommt, bei der der
Antragsteller auf das Ergebnis der Besichtigung angewiesen ist.
4. Auch wenn sog. product-by-process-Merkmale - wie im Regelfall - nur der mittelbaren
Umschreibung der räumlich-körperlichen Eigenschaften der geschützten Vorrichtung dienen und
der Antragsteller die Möglichkeit hat, die angegriffene Vorrichtung zu untersuchen, kann die
Erforderlichkeit einer Besichtigung des Herstellungsverfahrens nach § 140c Abs. 1 PatG im
Rahmen der gebotenen Interessenabwägung bejahen sein. Dies kommt insbesondere dann in
Betracht, wenn die Feststellung, dass das im Patentanspruch genannte Herstellungsverfahren
tatsächlich angewandt wird, dem Antragsteller die Darlegung einer Patentverletzung wesentlich
erleichtert.
5. Zur Reichweite der Duldungspflicht des Besichtigungsschuldners nach § 140c Abs. 1 PatG,
insbesondere bezüglich der Zerlegung von Maschinen, die zur Durchführung des zu
besichtigenden Verfahrens eingesetzt werden.
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts
Mannheim vom 07.08.2012 (Az. 2 O 178/12) im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie
folgt neu gefasst:
Zur Ermöglichung der Beweisanordnung im Verfahren LG Mannheim 2 OH 1/12 / OLG Karlsruhe
6 W 71/12 werden gegenüber den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 im Wege der
einstweiligen
Verfügung
der Beweisaufnahme ohne vorherige Ladung und Anhörung der Antragsgegnerinnen – die
folgenden Anordnungen getroffen:
1. Neben dem Sachverständigen haben die Antragsgegnerinnen zu 1 und
2 folgenden anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin die
Anwesenheit
während der Begutachtung zu gestatten
- Rechtsanwalt Dr. M. oder Dr. K., Sozietät XXX,
sowie
- einen Patentanwalt der Sozietät XXX.
2. Die unter Ziffer I. 1. bezeichneten Personen werden verpflichtet,
Tatsachen, die im Zuge des selbständigen Beweisverfahrens zu ihrer
Kenntnis gelangen und den Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerinnen
betreffen,
geheim zu halten
Antragstellerin und deren Mitarbeitern.
3. Den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 wird – mit sofortiger Wirkung und
für die Dauer der Begutachtung –
untersagt
eigenmächtig Veränderungen an den in ihrem Besitz stehenden, zum
Zwecke der Mikroperforation für das Unternehmen Y und/oder ein mit
diesem verbundenes Unternehmen zum Zwecke der Herstellung der
Produkte A1, A2, A3 und A4 (nachstehend: angegriffene
Ausführungsformen) eingesetzten Maschinen, an den damit
zusammenhängenden Vorrichtungen, Werkzeugen und sonstigen
Materialien sowie den zugehörigen Konstruktionszeichnungen,
Bedienungsanleitungen und sonstigen technischen Daten vorzunehmen,
insbesondere vorhandene Nadelwalzen oder Nadelbretter zu entfernen
und/oder zu verändern.
4. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das unter I.3. bezeichnete
Verbot wird den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 ein Ordnungsgeld bis zu
EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft von
bis zu 6 Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft jeweils an den
Geschäftsführern der Antragsgegnerinnen zu vollstrecken ist.
5. Die Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 haben es
zu dulden
Sachverständige – sofern er dies für erforderlich hält –
a. das Betriebsgelände sowie Betriebs- und Geschäftsräume
der Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 betritt;
b. zur Mikroperforation bei der Herstellung der angegriffenen
Ausführungsformen geeignete Maschinen sowie damit
zusammenhängende Vorrichtungen, Werkzeuge und sonstige
Materialien, Konstruktionszeichnungen,
Bedienungsanleitungen, Stücklisten und sonstige technische
Daten oder Unterlagen mit Bezug auf diese Maschinen in
Daten oder Unterlagen mit Bezug auf diese Maschinen in
Augenschein nimmt und dies detailliert schriftlich, elektronisch,
fotografisch, filmisch und auf sonstige Weise dokumentiert,
insbesondere hierzu Ton- und Bildmaterialien
(Tonaufnahmen, Fotografien, Filmaufnahmen, Fotokopien,
Scans, Screenshots etc.) anfertigt und hierfür geeignete
technische Vorrichtungen (Fotoapparate, Filmkameras,
Fotokopierer, Scanner, etc.) verwendet, sich Notizen macht
und hierfür ein Diktiergerät verwendet;
c. zur Mikroperforation bei der Herstellung der angegriffenen
Ausführungsformen geeignete Maschinen sowie damit
zusammenhängende Vorrichtungen, Werkzeuge und sonstige
Materialien unter Zuhilfenahme der vorhandenen und/oder
mitgebrachten Hilfsmittel in Gang setzt, damit
Mikroperforationen durchführt und sie im laufenden Betrieb
untersucht, um festzustellen, auf welche Weise und mit
welchen technischen Mitteln die Mikroperforation erreicht wird
und welcher Spannung die Folie hierbei ausgesetzt ist, und
dies auf unter Ziffer I.5.b. genannte Weise dokumentiert;
d. zur Mikroperforation bei der Herstellung der angegriffenen
Ausführungsformen geeignete Maschinen sowie damit
zusammenhängende Vorrichtungen, Werkzeuge und sonstige
Materialien zerlegt, soweit dies erforderlich ist um
festzustellen, auf welche Weise und mit welchen technischen
Mitteln die Mikroperforation erreicht wird und welcher
Spannung die Folie hierbei ausgesetzt ist, und dies auf unter
Ziffer I.5.b. genannte Weise detailliert dokumentiert; die
Duldungspflicht steht unter dem Vorbehalt dass die
Antragstellerin für den Ausgleich etwaiger Schäden, die den
Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 durch die Ausführung der dort
vorgesehenen Maßnahmen entstehen, Sicherheit durch
Bankbürgschaft eines in der Europäischen Union ansässigen
Kreditinstituts in Höhe von EUR 100.000,00 leistet.;
e. Maschinen, Vorrichtungen, Energiequellen, Werkzeuge,
Ausrüstungen, logistische Mittel und sonstige Materialien
mitbringt und/oder verwendet, die zur Ingangsetzung und/oder
dem Auseinanderbau von zur Mikroperforation geeigneten
Maschinen sowie damit zusammenhängenden Vorrichtungen,
Werkzeugen und sonstigen Materialien erforderlich sind,
insbesondere Polymerfolie, und dies auf unter Ziffer I.5.b.
genannte Weise detailliert dokumentiert;
f. zur Durchführung der vorgenannten Ingangsetzung und/oder
des vorgenannten Ingangsetzung Auskünfte von
sachkundigem Personal der Antragsgerinnen zu 1 und 2
einholt;
g. die unter Ziffern I.5.b, I.6.c und I.6.e genannten
Konstruktionszeichnungen, Bedienungsanleitungen,
Stücklisten und sonstigen technischen Daten der zur
Mikroperforation geeigneten Maschinen und andere
Unterlagen in Bezug auf diese Maschinen kopiert und die
angefertigten Kopien mitnimmt;
h. vorgefundene mikroperforierte Polymerfolien in
Augenschein nimmt, ein Bestandsverzeichnis darüber
aufstellt, mindestens 9 (neun) Proben davon zieht und diese
mitnimmt sowie dies auf unter Ziffer I.5.b. genannte Weise
detailliert dokumentiert; die Duldungspflicht steht unter dem
Vorbehalt, dass die Antragstellerin Sicherheit in Höhe von
500,00 Euro (in bar gegen Empfangsquittung oder durch
Bankbürgschaft eines in der Europäischen Union ansässigen
Kreditinstituts) leistet;
i. Ausdrucke von den unter Ziffern I.5.b, I.6.c und I.6.e
genannten, auf Datenträgern gespeicherten Daten und
Dokumenten anfertigt und die angefertigten Ausdrucke
mitnimmt und dies auf unter Ziffer I.5.b. genannte Weise
detailliert dokumentiert; ab einem Volumen des einzelnen
Dokuments von mehr als 150 Druckseiten können alternativ
elektronische Kopien gefertigt und mitgenommen werden;
auch dies ist in der unter Ziffer I.5.b. genannten Weise zu
dokumentieren;
j. zur Ausführung der vorgenannten Anfertigung von
Ausdrucken und Fotokopien mitgebrachte Computer
(einschließlich Druckern, Plottern und sonstigen
Ausgabegeräten) und/oder mitgebrachte Fotokopierer
verwendet; die Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 können
stattdessen den Ausdruck auf ihren Computern,
Ausgabegeräten oder Fotokopierern gestatten;
l. Räume, Möbel, Behältnisse und Fahrzeuge öffnet, um den
zur Ausführung der unter Ziffern I.5. und I.6. beschriebenen
Vorgänge erforderlichen Zugang zu erhalten.
6. Die Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 werden verpflichtet,
a. dem Sachverständigen Zugang zu dem Betriebsgelände
sowie zu Betriebs- und Geschäftsräumen der
Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 zu gewähren, soweit dies für
die Durchführung der Besichtigung erforderlich ist;
b. dem Sachverständigen sämtliche Vorrichtungen auf dem
Betriebsgelände sowie in den Betriebs- und Geschäftsräumen
der Antragsgegnerinnen zu benennen, die von den
Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 zur Mikroperforation bei der
Herstellung der angegriffenen Ausführungsformen eingesetzt
werden oder wurden, und den Sachverständigen an den
jeweiligen Standort der Vorrichtungen zu führen;
c. dem Sachverständigen Zugang zu Korrespondenz
(einschließlich Verträgen) zu gewähren, welche die
Antragsgegnerinnen mit dem oben genannten Unternehmen Y
geführt haben, soweit diese Korrespondenz technische
Informationen über die auszuführende Mikroperforation enthält;
d. den Zugang zu den in Ziffern I.5.b, I.6.c und I.6.e genannten
Dokumenten, soweit sie in elektronischer Form vorliegen, zum
Zwecke des Ausdrucks oder ggf. der Fertigung einer
elektronischen Kopie zu gewähren und dazu ggf. erforderliche
Zugangsinformationen wie Passwörter etc. verdeckt
einzugeben;
e. dem Sachverständigen die im Rahmen der Nadelung für
das genannte Unternehmen Y verwendeten
Programmeinstellungen und Nadelungsprotokolle
auszuhändigen oder zugänglich zu machen,
f. Räume, Möbel, Behältnisse und Fahrzeuge aufzuschließen
oder dem Sachverständigen den jeweiligen Schlüssel
auszuhändigen, um den zur Ausführung der vorgenannten
Vorgänge erforderlichen Zugang zu ermöglichen;
g. dem Sachverständigen bei Bedarf eine ausreichende
Menge an Betriebsmaterialien (Treibstoff, Schmiermittel,
Kühlmittel, Folie usw.) zur Verfügung zu stellen, um die unter
Ziffern II.5. beschriebenen Vorgänge auszuführen, und den
Verbrauch insoweit zu dulden; die Verpflichtung steht unter
dem Vorbehalt, dass die Antragstellerin zuvor eine
Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 500,00 (bar gegen
Empfangsquittung oder Bankbürgschaft eines in der
Europäischen Union ansässigen Kreditinstituts) erbringt;
h. dem Sachverständigen die zur vorgenannten Ingangsetzung
und/oder zum Auseinanderbau der genannten Maschinen
sowie damit zusammenhängenden Vorrichtungen, Werkzeuge
und sonstigen Materialien erforderlichen Informationen zu
geben und sich jeglicher Behinderung der genannten Arbeiten
zu enthalten.
II. Der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfügungsverfahrens tragen die Antragsgegnerinnen zu 1 und 2
gesamtschuldnerisch 2/3, die Antragstellerin 1/3.
V. Der Streitwert des einstweiligen Verfügungsverfahrens wird auf EUR 100.000,00 festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die in Frankreich ansässige Antragstellerin ist Inhaberin des in französischer
Verfahrenssprache erteilten europäischen Patents EP 1 180 186 B2 (Anlage Ast.1,
Übersetzung Anlage Ast.1a), das eine flexible Polymerfolie für aufgespannte Strukturen
und eine Unterdecke mit dieser Folie schützt (matériau polymère en feuille souple pour
structures tendues et faux-plafonds comprenant ce matériau; nachstehend: Streitpatent).
Die Erteilung des am 20.03.2000 angemeldeten Streitpatents wurde am 14.01.2009 (in
geänderter Form nach Erstveröffentlichung am 26.01.2005) veröffentlicht. Das
Streitpatent steht in Kraft. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
2
„Flexible Polymerfolie (1 ) mit einer Stärke (e1) von weniger als einem halben Millimeter
zur Herstellung von aufgespannten Strukturen wie insbesondere Unterdecken, dadurch
gekennzeichnet, dass sie Mikroreliefs enthält, die sich über eine Höhe (h) von einigen
Mikrometern bis 100 Mikrometer erstrecken, wobei diese Mikroreliefs (2) durch
Heraustreiben des Werkstoffs geformt werden, der die Polymerfolie (1) bildet und der
dadurch einen höheren Schallabsorptionskoeffizient aufweist als der gleiche Werkstoff
ohne diese Reliefs, wobei die Mikroreliefs durch einen Verfahrensschritt der Nadelung
erhalten werden, bei dem der Werkstoff, der die Folie bildet, gemäß einem
vorbestimmten Muster stellenweise bis zur Mikroperforation herausgetrieben wird,
wobei der Verfahrensschritt der Nadelung ausgeführt wird, während die Folie einer
Spannung in der Größenordnung der Spannung bei ihrer letztendlichen Verwendung in
einer aufgespannten Struktur ausgesetzt ist.“
3
Wegen des weiteren Inhalts der Patentschrift wird auf Anlagen Ast.1, 1a Bezug
genommen.
4
Die Antragstellerin hat gegenüber einem Konkurrenzunternehmen, der Y, wegen der von
diesem unter der Bezeichnung „B“ angebotenen Spanndecken und wegen des darauf
gegründeten Verdachts der Patentverletzung beim Tribunal de Grande Instance de Paris
die Anordnung der Verletzungsbeschlagnahme („saisie contrefaçon“) erwirkt. Die
Produktreihe „B“ umfasst die Produkte A1, A2, A3 und A4 (angegriffene
Ausführungsformen). Die Eigenschaften der erstgenannten drei Produkte werden in
einem von der Antragstellerin in Auftrag gegebenen Gutachten des Französischen
Instituts für Textilien und Bekleidung IFTH beschrieben, das vom 10.06.2012 datiert.
5
Die genannte Anordnung ist am 21.07.2011 vollzogen worden. Im Zuge dieses
Verfahrens hat die Antragstellerin Kenntnis von Urkunden und Aussagen erlangt, denen
zufolge die Y von Oktober 2008 bis Juli 2011 von der Antragsgegnerin zu 1, deren
Geschäftsgegenstand die Lohnperforation ist, mit mikroperforierten Folien beliefert
worden ist.
6
Die Antragsgegnerinnen zu 2 und 3 werden von denselben Geschäftsführern vertreten
wie die Antragsgegnerin zu 1 und haben dieselbe Geschäftsadresse. Die
Antragsgegnerin zu 2 ist ausweislich des Handelsregisterauszugs nach Anlage Ast.16
im Bereich der industriellen Fertigung von Werkzeugen und des Vertriebs von
Werkzeugnormteilen tätig; nach ihrem Internetauftritt (Anlage Ast.17) bietet sie neben
Perforiermaschinen und -werkzeugen auch Lohnperforation, u.a. von Folien, mit einer
Nadeldichte bis zu 100 Löchern/cm
2
an. Die Antragsgegnerin zu 3 ist ein
Metallbauunternehmen, dessen Geschäftsgegenstand nach dem Handelsregisterauszug
in Anlage Ast.20 insbesondere in der Herstellung von Metallfenstern, Metalltüren,
Überdachungen, Wintergärten, Sonnenschutzanlagen, Gittern und Geländern besteht.
Die Antragstellerin richtet ihren Antrag vorsorglich auch gegen die Antragstellerin zu 3,
weil sie befürchtet, dass die eingesetzten Maschinen sich im Eigentum und/oder in den
Räumen der Antragsgegnerin zu 3 befinden könnten.
7
Die Antragstellerin trägt vor, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der
Lehre des Streitpatents wortsinngemäßen Gebrauch. Dies stehe hinsichtlich aller
räumlich-körperlichen Anspruchsmerkmale nachweislich fest; hinsichtlich der auf das
räumlich-körperlichen Anspruchsmerkmale nachweislich fest; hinsichtlich der auf das
Herstellungsverfahren der Nadelung bezogenen Anspruchsmerkmale bestehe aufgrund
der im Gutachten getroffenen Feststellungen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese
ebenfalls verwirklicht würden. Aufgrund der zwischen den Unternehmen bestehenden
Verbindungen liege nahe, dass die Antragsgegnerin zu 1 entweder
Mikroperforationsmaschinen verwende, die von der Antragsgegnerin zu 2 oder der E
GmbH hergestellt worden seien, oder aber die von der Y in Auftrag gegebenen
Perforationen ganz oder teilweise von der Antragsgegnerin zu 2 ausführen lasse, z.B.
als Subunternehmerin. Die von diesen Unternehmen beworbenen Perforationsgeräte
hätten maximale Nadelungsdichten, die die Lochdichte der angegriffenen
Ausführungsformen ermöglichten. Zudem sei die Nadelung praktisch die einzige
verfügbare Technik, um die festgestellten Mikroreliefs herzustellen; alle anderen
Methoden (Laser, Pressluft, Hochdruckwasserstrahl etc.) seien unpraktikabel oder
unrentabel. Es sei auch wahrscheinlich, dass die Nadelung ausgeführt werde, während
die Folie einer der letztendlichen Verwendung in etwa entsprechenden Spannung
ausgesetzt sei; so werde sichergestellt, dass die Mikroreliefs die erwünschten
Dimensionen hätten und nicht verzerrt würden.
8
Die Antragstellerin ist der Auffassung, der geltend gemachte Besichtigungsanspruch
ergebe sich aus §§ 809 BGB, 140c PatG. Die Antragsgegnerinnen hätten die
Besichtigung durch einen Sachverständigen zu dulden; soweit ihnen positive Mitwirkung
auferlegt werden solle, sie diese erforderlich, da ansonsten die Durchsetzung des
Besichtigungsanspruchs unmöglich sei.
9
Die Antragstellerin beantragt die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens
(insoweit Gegenstand des Verfahrens LG Mannheim 2 OH 1/12 / OLG Karlsruhe 6 W
71/12) und einer begleitenden einstweiligen Verfügung (Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens) wie folgt:
10
Im selbständigen Beweisverfahren und im Wege der einstweiligen Verfügung wird
folgender Beschluss erlassen:
11
I. Es wird die Durchführung des
selbständigen Beweisverfahrens
1 ZPO – aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit sowie zur Sicherstellung der
Effektivität der Maßnahmen ohne vorherige Ladung und Anhörung der
Antragsgegnerinnen, hilfsweise aufgrund mündlicher Verhandlung, deren
Anberaumung für diesen Fall beantragt wird – angeordnet:
12
1. Es soll durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis
darüber erhoben werden, ob die Antragsgegnerinnen in ihren Betriebsstätten in S
Mikroreliefs durch einen Verfahrensschritt der Nadelung erhalten, bei dem der
Werkstoff, der die Folie bildet, gemäß einem vorbestimmten Muster stellenweise bis zur
Mikroperforation herausgetrieben wird, und bei dem der Verfahrensschritt der Nadelung
ausgeführt wird, während die Folie einer Spannung in der Größenordnung der
Spannung bei ihrer letztendlichen Verwendung in einer aufgespannten Struktur
ausgesetzt ist, wozu die insoweit angesetzte Spannung gemessen wird.
13
2. Zum Sachverständigen wird Herr Dipl.-Ing. (FH) B, gegebenenfalls unter
Hinzuziehung seiner Mitarbeiter, bestellt.
14
3. Dem Sachverständigen wird – im Interesse der Wahrung etwaiger
Betriebsgeheimnisse der Antragsgegnerinnen, die bei der Begutachtung zutage treten
könnten – aufgegeben, jeden unmittelbaren Kontakt mit der Antragstellerin zu
vermeiden und die notwendige Korrespondenz entweder über das Gericht oder mit den
nachfolgend unter Ziffer II. 1. bezeichneten anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin
zu führen. Der Sachverständige hat darüber hinaus auch gegenüber Dritten
Verschwiegenheit zu wahren.
15
4. Die Begutachtung hat – aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit sowie zur
Sicherstellung der Effektivität der Beweisaufnahme – ohne vorherige Ladung und
Anhörung der Antragsgegnerinnen zu erfolgen.
16
II. Im Wege der
einstweiligen Verfügung
Eilbedürftigkeit sowie zur Sicherstellung der Effektivität der Beweisaufnahme ohne
vorherige Ladung und Anhörung der Antragsgegnerinnen, hilfsweise aufgrund
mündlicher Verhandlung, deren Anberaumung für diesen Fall hiermit beantragt wird –
die folgenden Anordnungen getroffen:
17
1. Neben dem Sachverständigen haben die Antragsgegnerinnen folgenden
anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin die Anwesenheit während der Begutachtung
zu gestatten:
18
- Rechtsanwalt Dr. M oder Rechtsanwalt Dr. K, XXX,
19
sowie
20
- einen Patentanwalt der Sozietät XXX.
21
2. Die unter Ziffer II. 1. bezeichneten Personen werden verpflichtet, Tatsachen, die im
Zuge des selbständigen Beweisverfahrens zu ihrer Kenntnis gelangen und den
Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerinnen betreffen, geheim zu halten, und zwar auch
gegenüber der Antragstellerin und deren Mitarbeitern.
22
3. Den Antragsgegnerinnen wird – mit sofortiger Wirkung und für die Dauer der
Begutachtung – untersagt, eigenmächtig Veränderungen an den in ihrem Besitz
stehenden, zur Perforation geeigneten Maschinen, insbesondere den zum Zwecke der
Mikroperforation für das Unternehmen Y und/oder ein mit diesem verbundenes
Unternehmen eingesetzten Maschinen, an den damit zusammenhängenden
Vorrichtungen, Werkzeugen und sonstigen Materialien sowie den zugehörigen
Konstruktionszeichnungen, Bedienungsanleitungen und sonstigen technischen Daten
vorzunehmen, insbesondere vorhandene Nadelwalzen oder Nadelbretter zu entfernen
und/oder zu verändern.
23
4. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das unter II.3. bezeichnete Verbot wird
den Antragsgegnerinnen ein Ordnungsgeld bis zu EUR250.000,00 – ersatzweise
Ordnungshaft – oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten angedroht, wobei die
Ordnungshaft jeweils an den Geschäftsführern der Antragsgegnerinnen zu vollstrecken
ist.
24
5. Die Antragsgegnerinnen haben es zu dulden, dass der Sachverständige und
gegebenenfalls seine Mitarbeiter – sofern sie dies für erforderlich halten –
25
a. das Betriebsgelände sowie Betriebs- und Geschäftsräume der Antragsgegnerinnen
betreten,
26
b. zur Mikroperforation geeignete Maschinen sowie damit zusammenhängende
Vorrichtungen, Werkzeuge und sonstige Materialien, Konstruktionszeichnungen,
Bedienungsanleitungen, Stücklisten und sonstige technische Daten oder andere
Unterlagen in Bezug auf diese Maschinen in Augenschein nehmen und dies detailliert
schriftlich, elektronisch, fotografisch, filmisch und auf sonstige Weise dokumentieren,
insbesondere hierzu Ton- und Bildmaterialien (Tonaufnahmen, Fotografien,
Filmaufnahmen, Fotokopien, Scans, Screenshots etc.) anfertigen und hierfür geeignete
technische Vorrichtungen (Fotoapparate, Filmkameras, Fotokopierer, Scanner, etc.)
verwenden, sich Notizen machen und hierfür ein Diktiergerät verwenden,
27
c. zur Mikroperforation geeignete Maschinen sowie damit zusammenhängende
Vorrichtungen, Werkzeuge und sonstige Materialien unter Zuhilfenahme der
vorhandenen und/oder mitgebrachten Hilfsmittel in Gang setzen, damit
Mikroperforationen durchführen und sie im laufenden Betrieb untersuchen, um
festzustellen, auf welche Weise und mit welchen technischen Mitteln die
Mikroperforation erreicht wird und welcher Spannung die Folie hierbei ausgesetzt ist,
und dies auf unter Ziffer II. 5. b. genannte Weise dokumentieren,
28
d. zur Mikroperforation geeignete Maschinen sowie damit zusammenhängende
Vorrichtungen, Werkzeuge und sonstige Materialien zu zerlegen, um festzustellen, auf
welche Weise und mit welchen technischen Mitteln die Mikroperforation erreicht wird
und welcher Spannung die Folie hierbei ausgesetzt ist, und dies auf unter Ziffer II. 5. b.
genannte Weise detailliert dokumentieren,
29
e. Maschinen, Vorrichtungen, Energiequellen, Werkzeuge, Ausrüstungen, logistische
Mittel und sonstige Materialien mitbringen und/oder verwenden, die zur Ingangsetzung
und/oder dem Auseinanderbau von zur Mikroperforation geeigneten Maschinen sowie
damit zusammenhängenden Vorrichtungen, Werkzeugen und sonstigen Materialien
erforderlich sind, insbesondere Polymerfolie, und dies auf unter Ziffer II.5.b. genannte
Weise detailliert dokumentieren,
30
f. zur Durchführung der vorgenannten Ingangsetzung und/oder des vorgenannten
Ingangsetzung die Unterstützung jeder anwesender Person verlangen,
31
g. die unter Ziffer II.5.b. genannten Konstruktionszeichnungen,
Bedienungsanleitungen, Stücklisten und sonstigen technischen Daten der zur
Mikroperforation geeigneten Maschinen und andere Unterlagen in Bezug auf diese
Maschinen kopieren und die angefertigten Kopien mitnehmen,
32
h. vorgefundene mikroperforierte Polymerfolien in Augenschein nehmen, ein
Bestandsverzeichnis darüber aufstellen, mindestens 9 (neun) Proben davon ziehen
und diese mitnehmen, sowie dies auf unter Ziffer II.5.b. genannte Weise detailliert
dokumentieren,
33
i. die Dateien, in denen die unter Ziffern II.5. und II.6. beschriebenen Daten und
Dokumente gespeichert sind, kopieren und die angefertigten Kopien mitnehmen, und
dies auf unter Ziffer II. 5. b. genannte Weise detailliert dokumentieren,
34
j. Ausdrucke von den unter Ziffern II. 5. und II. 6. beschriebenen, auf Datenträgern
gespeicherten Daten und Dokumenten anfertigen und die angefertigten Ausdrucke
mitnehmen, und dies auf unter Ziffer II.5.b. genannte Weise detailliert dokumentieren,
35
k. der Sachverständige und gegebenenfalls seine Mitarbeiter die unter Ziffern II.5. und
II.6. beschriebenen Vorgänge, Daten und Dokumente auf unter Ziffer II.5.b. genannte
Weise detailliert dokumentieren,
36
l. zur Ausführung der unter Ziffern II.5. und II.6. genannten Anfertigung von Ausdrucken
und Fotokopien die Computer (einschließlich Druckern, Plottern und sonstigen
Ausgabegeräten) und/oder Fotokopierer der Antragsgegnerinnen und/oder
mitgebrachte Computer und/oder mitgebrachte Fotokopierer verwenden,
37
m. im Falle des Nichtvorhandenseins eines einsatzfähigen Fotokopierers die zu
fotokopierenden Unterlagen vorübergehend zwecks Anfertigung von Fotokopien an
einen Ort außerhalb der Räumlichkeiten der Antragsgegnerinnen verbringen mit der
Maßgabe, sie anschließend zurückzugeben,
38
und
39
n. Räume, Möbel, Behältnisse und Fahrzeuge öffnen, um den zur Ausführung der unter
Ziffern II.5. und II.6. beschriebenen Vorgänge erforderlichen Zugang zu erhalten, und
zu diesem Zweck alle erforderlichen Suchen und/oder Untersuchungen durchführen
und/oder Feststellungen treffen.
40
6. Die Antragsgegnerinnen werden verpflichtet,
41
a. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern Zugang zu dem
Betriebsgelände sowie zu Betriebs- und Geschäftsräumen der Antragsgegnerinnen zu
gewähren, soweit dies für die Durchführung der Besichtigung erforderlich ist,
42
b. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern sämtliche
Vorrichtungen auf dem Betriebsgelände sowie in den Betriebs- und Geschäftsräumen
der Antragsgegnerinnen zu benennen, die von den Antragsgegnerinnen –
insbesondere im Auftrag des Unternehmens Y – zur Mikroperforation eingesetzt
werden oder wurden, und den Sachverständigen an den jeweiligen Standort der
Vorrichtungen zu führen,
43
c. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern Zugang zu der
vollständigen Geschäftskorrespondenz zu gewähren, welche die Antragsgegnerinnen
mit dem Unternehmen Y geführt haben, insbesondere zu Verträgen mit der Y, zu von
der Y an die Antragsgegnerinnen gelieferten technischen Informationen über die
auszuführende Mikroperforation und zu den Angeboten der Antragsgegnerin zu 1) an
die Y vom 26.01.2004 und 03.06.2004, insbesondere mit den Angebotsnummern
04013777 und 04064018, sowie zu dem/den Schreiben der Antragsgegnerin zu 1) an
die Y vom 21.03.2006,
44
d. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern Zugang zu allen
Unterlagen der Buchhaltung zu gewähren einschließlich Lieferscheinen und
Quittungen sowie Unterlagen über Rechnungsprüfungen, um festzustellen, in welchem
Umfang die Antragsgegnerinnen im Auftrag des Unternehmens Y Folien
mikroperforiert haben,
45
e. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern Zugang zu allen
Bank- und Finanzunterlagen zu gewähren einschließlich Kontoauszügen,
Kontoübersichten und Überweisungsbelegen, um festzustellen, in welchem Umfang
die Antragsgegnerinnen im Auftrag des Unternehmens Y Folien mikroperforiert haben,
46
f. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern Zugang zu allen
Computern, Datenbanken, CAD-Systemen und zu sämtlichen Datenträgern, Dateien
und Verzeichnissen zu gewähren, auf oder in denen die unter Ziffern II. 5. und II. 6.
beschriebenen Daten und Dokumente gespeichert sind,
47
g. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern das jeweilige
Passwort für den Zugang zu allen Computern, Datenbanken, CAD-Systemen und zu
sämtlichen Datenträgern, Dateien und Verzeichnissen mitzuteilen oder verdeckt
einzugeben, auf oder in denen die unter Ziffern II. 5. und II. 6. beschriebenen Daten
und Dokumente gespeichert sind,
48
h. dem Sachverständigen und gegebenenfalls seinen Mitarbeitern die im Rahmen der
Nadelung für die Y verwendeten Programmeinstellungen und Nadelungsprotokolle
auszuhändigen,
49
i. Räume, Möbel, Behältnisse und Fahrzeuge aufzuschließen oder dem
Sachverständigen den jeweiligen Schlüssel auszuhändigen, um den zur Ausführung
der unter Ziffern II. 5. und II. 6. beschriebenen Vorgänge erforderlichen Zugang zu
ermöglichen,
50
j. dem Sachverständigen bei Bedarf eine ausreichende Menge an Betriebsmaterialien
(Treibstoff, Schmiermittel, Kühlmittel, Folie usw.) zur Verfügung zu stellen, um die unter
Ziffern II. 5. und II. 6. beschriebenen Vorgänge auszuführen, und den Verbrauch
insoweit zu dulden, wenn die Antragstellerin zuvor eine Sicherheitsleistung in Höhe
von EUR 250,00 erbringt, wobei die Sicherheitsleistung dadurch erbracht werden
kann, dass die Antragstellerin den genannten Betrag den Antragsgegnerinnen am Tag
der Besichtigung vor der Inbetriebnahme gegen Ausstellung einer Empfangsquittung in
bar übergibt,
51
k. den Sachverständigen bei der Durchführung der vorgenannten Ingangsetzung
und/oder dem Auseinanderbau von zur Mikroperforation geeigneten Maschinen sowie
damit zusammenhängenden Vorrichtungen, Werkzeugen und sonstigen Materialien zu
unterstützen und bei Bedarf die Mikroperforation von Polymerfolien eigenständig
durchzuführen,
52
und
53
l. zur Ausführung der unter Ziffern II. 5. und II. 6. genannten Anfertigung von
Ausdrucken und Fotokopien dem Sachverständigen und gegebenenfalls seine
Mitarbeitern das jeweilige Passwort für den Zugang zu allen Computern (einschließlich
Druckern, Plottern und sonstigen Ausgabegeräten) und/oder Fotokopierern der
Antragsgegnerinnen mitzuteilen oder verdeckt einzugeben.
54
III. Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens werden die Antragsgegnerinnen
Gelegenheit erhalten, zu etwaigen Geheimhaltungsinteressen, die auf ihrer Seite
bestehen, Stellung zu nehmen. Das Gericht wird alsdann darüber entscheiden,
inwieweit der Antragstellerin das Gutachten zur Kenntnis gebracht wird.
55
IV. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens tragen die Antragsgegnerinnen
gesamtschuldnerisch.
56
V. Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren wird auf EUR 250.000,00, der
des einstweiligen Verfügungsverfahrens auf EUR 100.000,00 festgesetzt.
57
Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Landgericht
den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung abgelehnt. Es fehle an einem
Verfügungsgrund, weil die Besichtigung zur Begründung etwaiger patentrechtlicher
Ansprüche nicht erforderlich im Sinne des § 140c Abs. 1 S. 1 PatG sei. Beim
vorliegenden product-by-process-Anspruch sei der Patentschutz zwar auf eine Sache
gerichtet, die aber teilweise durch das Verfahren ihrer Herstellung umschrieben sei.
Sollten die entsprechenden Merkmale entsprechend der Darstellung der Antragstellerin
den Polymerfolien keine besonderen Produkteigenschaften verleihen, bedürfe es zum
Nachweis einer Verletzung des product-by-process-Anspruchs keiner Prüfung des
Herstellungsverfahrens. Weil es sich um einen Erzeugnisanspruch handele, könnten
verfahrensbeschreibende Merkmale, die ohne Einfluss auf die räumlich-körperlichen
Eigenschaften seien, bei der Subsumtion der angegriffenen Ausführungsform unter das
Streitpatent außen vor bleiben. Soweit mit den auf das Herstellungsverfahren
bezogenen Merkmalen dagegen bestimmte Sacheigenschaften verbunden sein sollten,
könnten diese am angegriffenen Produkt festgestellt und der Verletzungsnachweis ohne
Besichtigung des Herstellungsverfahrens geführt werden. Aus den gleichen
Erwägungen scheide auch ein Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB aus.
58
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der am 27.08.2012 beim
Oberlandesgericht Karlsruhe eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der sie die o.g.
Anträge weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe die Anforderungen
an die Erforderlichkeit im Sinne des § 140c Abs. 1 S. 1 PatG überspannt. Der
Patentinhaber sei nur dann auf einen Nachweis der Verletzung ohne Besichtigung
verwiesen, wenn diese alternative Nachweismöglichkeit objektiv gleichermaßen
geeignet und zumutbar sei; andere Deutungen seien mit der Enforcement-Richtlinie
2004/48/EG nicht vereinbar. Vorliegend sei der Nachweis anhand der angegriffenen
Produkte nicht gleichermaßen geeignet und zumutbar.
II.
59
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg.
60
A. Verfügungsgrund
61
Für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung besteht ein Verfügungsgrund.
Trotz des Umstands, dass die Antragstellerin mit der Einreichung des die
Beschwerdebegründung ergänzenden Schriftsatzes vom 02.10.2012 etwa fünf Wochen
zugewartet hat, kann die erforderliche Dringlichkeit unter den hier gegebenen
Umständen (noch) bejaht werden.
62
Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (OLG
Düsseldorf GRUR-RR 2011, 289 f. = InstGE 13, 126; OLG Düsseldorf Mitt 2011, 151 =
InstGE 12, 105 [zu § 101a Abs. 3 UrhG]; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 140c Rn. 47;
Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Aufl., Rn. 317; ders., GRUR 2005, 185, 194;
Tilmann GRUR 2005, 737) ist die Prüfung der Dringlichkeit im Rahmen einer
Duldungsverfügung nach § 140c Abs. 3 S. 1 PatG nicht entbehrlich. Der Senat teilt die
(im Rahmen eines Kennzeichenrechtsstreits geäußerte) Auffassung des
Oberlandesgerichts Köln, dass auch für eine zur Durchsetzung eines
Besichtigungsanspruchs dienende einstweilige Verfügung ein Verfügungsgrund
erforderlich ist, der eine besondere Dringlichkeit der Durchsetzung des geltend
gemachten Anspruchs voraussetzt (vgl. OLGR Köln 2009, 258; vgl. auch Senat, Beschl.
v. 18.05.2010, 6 W 28/10, unveröff.; Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar, 4.
Aufl., § 140c Rn. 35; Zöllner GRUR-Prax 2010, 74, 76). Entscheidend für die Annahme
der Eilbedürftigkeit im Verfügungsverfahren ist dabei, ob sich bei Berücksichtigung aller
Umstände und der Interessen der Parteien ergibt, dass der antragstellenden Partei die
mit der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens bis zum erstinstanzlichen Urteil
immer verbundene Verzögerung nicht zugemutet werden kann (vgl. Senat in GRUR-RR
2009, 442 – Vorläufiger Rechtsschutz).
63
Für Duldungsverfügungen nach § 140 c Abs. 3 PatG gilt insoweit im Grundsatz nichts
anderes. Dass § 140 c Abs. 3 PatG die erforderliche Dringlichkeit fingierte, kann der
Vorschrift angesichts der einschränkungslosen Verweisung auf §§ 935 ff. ZPO nicht
entnommen werden. Da der Besichtigungs- und Vorlageanspruch auch im
Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden kann (LG Düsseldorf InstGE 8, 103), folgt
aus der Verweisung auf §§ 935 bis 940 ZPO vielmehr, dass eine Geltendmachung im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht kommt, wenn die für den
Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den allgemeinen Vorschriften geltenden
Voraussetzungen erfüllt sind, also auch die für einen Verfügungsgrund erforderliche
Dringlichkeit gegeben ist. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, bei einem
solchen Verständnis sei der Besichtigungsanspruch kein wirksames Mittel zur
Beweissicherung im Sinne des Artikels 7 Abs. 1 S. 1 der Enforcement-Richtlinie
2004/48/EG (so aber OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 289 f.). Die Enforcement-
Richtlinie verlangt nur, dass die Mitgliedsstaaten schnelle und wirksame Maßnahmen
zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel für eine behauptete oder befürchtete
Schutzrechtsverletzung zur Verfügung stellen müssen. Das ist durch die Einführung von
§§ 140c f. PatG und der parallelen Vorschriften geschehen. Die Richtlinie verlangt nicht,
dass derartige Rechtsbehelfe voraussetzungslos bzw. unbegrenzt zur Verfügung stehen.
64
Allerdings ist der Zweck der Regelung, eine schnelle und wirksame Sicherung der
rechtserheblichen Beweismittel zu ermöglichen, im Rahmen richtlinienkonformer
Anwendung in die zur Beurteilung der Dringlichkeit gebotene Abwägung einzubeziehen.
Deshalb dürfen bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Vorlage von Urkunden
oder auf Duldung der Besichtigung nach die Anforderungen an die Dringlichkeit nicht
überspannt werden. Wegen der immanenten Gefahr, dass Beweismittel nicht mehr
greifbar sind, wird bei diesen Ansprüchen in der Regel von der erforderlichen
Dringlichkeit auszugehen sein (vgl. Kühnen GRUR 2005, 185, 193 f.); gegenüber der –
auch in diesen Fällen grundsätzlich möglichen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v.
10.06.2010, 15 U 192/09, juris-Rn. 35) – Annahme, dass der Antragsteller durch
Zuwarten vor Einreichung des Verfügungsantrags zu erkennen gegeben habe, dass die
Sache ihm nicht eilig sei, ist daher größere Zurückhaltung geboten als in Fällen
einstweiliger Verfügungen, die auf Unterlassung von Verletzungshandlungen gerichtet
sind.
65
Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten der Antragstellerin im Streitfall nicht dahin
gedeutet werden, dass die Angelegenheit für sie nicht die erforderliche Eilbedürftigkeit
besitzt. Nachdem das vom 10.06.2012 datierende Gutachten über die technische
Untersuchung der sichergestellten Folien vorlag, hat sie den vorliegenden Antrag
hinreichend zeitnah eingereicht. Gegen die Zurückweisung des Antrags durch das
Landgericht hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27.08.2012 rechtzeitig sofortige
Beschwerde eingelegt und diese mit einer – wenn auch nur knapp zusammenfassenden
– Begründung versehen; eine ausführliche Begründung hat sie einem gesonderten
Schriftsatz vorbehalten. Mit der Einreichung dieses Schriftsatzes hat die Antragstellerin
dann zwar etwa fünf Wochen zugewartet; daraus allein kann aber in der gegebenen
Situation nicht der Schluss gezogen werden, die Angelegenheit besitze für die
Antragstellerin nicht die erforderliche Dringlichkeit.
66
B. Verfügungsanspruch
67
Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 dem Grunde nach
einen Vorlage- und Besichtigungsanspruch nach § 140c Abs. 1 PatG. Die Vorschrift
setzt voraus, dass der in Anspruch Genommene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
eine patentierte Erfindung im Sinne der §§ 9 bis 13 PatG benutzt und dass die begehrte
Vorlage oder Besichtigung zur Begründung der Ansprüche des Patentinhabers
erforderlich ist.
68
1. Das Streitpatent betrifft Folien geringer Stärke zur Herstellung von Unterdecken,
Zwischendecken, falschen Wänden etc. Nach der Beschreibung werden solche Folien
aus Polymeren wegen ihrer günstigen Eigenschaften (Feuerfestigkeit, Luftdichtigkeit,
Staub- oder Feuchtigkeitsdichtigkeit, einfache Instandhaltung) für diesen Einsatzzweck
genutzt. Als Nachteil werden die ungünstigen akustischen Eigenschaften (starker
Nachhall) genannt. Zahlreiche Versuche zur Lösung dieses Problems werden
geschildert; keine dieser Lösungen sei aber zur Verbesserung der akustischen
Eigenschaften von Wänden oder abgehängten Decken geeignet. Als Aufgabe der
Erfindung wird formuliert, eine flexible Polymerfolie zu schaffen, die für aufgespannte
Dekorations-, Verkleidungs- oder Anzeige-Strukturen wie insbesondere Unterdecken,
falsche Wände verwendet werden kann, wobei dieser Werkstoff erheblich verbesserte
akustische Eigenschaften aufweist. Ferner solle ein Werkstoff wie der genannte
geschaffen werden, dessen äußeres Erscheinungsbild vollkommen an seine jeweilige
Verwendung angepasst werden kann, sowohl im gewerblichen Bereich wie auch im
Krankenhausbereich, für Gemeinschaftseinrichtungen oder moderne oder historische
Wohngebäude. Zur Lösung schlägt das Streitpatent eine Folie mit folgenden Merkmalen
vor:
69
1) Es handelt sich um eine flexible Polymerfolie;
70
2) die Folie weist eine Stärke von weniger als einem halben Millimeter auf;
71
3) die Folie dient zur Herstellung von aufgespannten Strukturen wie insbesondere
Unterdecken;
72
4) die Folie enthält Mikroreliefs;
73
5) die Mikroreliefs erstrecken sich über eine Höhe (h) von einigen Mikrometern bis 100
Mikrometer;
74
6) durch die Mikroreliefs weist der Werkstoff einen höheren Schallabsorptionskoeffizient
auf als der gleiche Werkstoff ohne diese Reliefs;
75
7) die Mikroreliefs werden durch Heraustreiben des Werkstoffs geformt, der die
Polymerfolie bildet;
76
8) die Mikroreliefs werden durch einen Verfahrensschritt der Nadelung erhalten,
77
9) bei der Nadelung wird der Werkstoff, der die Folie bildet, gemäß einem
vorbestimmten Muster stellenweise bis zur Mikroperforation herausgetrieben;
78
10) der Verfahrensschritt der Nadelung wird ausgeführt, während die Folie einer
Spannung in der Größenordnung der Spannung bei ihrer letztendlichen Verwendung in
einer aufgespannten Struktur ausgesetzt ist.
79
Die geschützte Folie wird also zunächst durch äußere, räumlich-körperliche
Beschaffenheitsmerkmale charakterisiert: Ihre Stärke beträgt weniger als einen halben
Millimeter, und sie weist Mikroreliefs mit einer Höhe von maximal 100 Mikrometern auf.
Die Mikroreliefs werden ferner mittelbar durch ihre Funktion beschrieben: Sie müssen so
gestaltet sein, dass der mit ihnen versehene Werkstoff einen höheren
Schallabsorptionskoeffizient auf als der gleiche Werkstoff ohne diese Reliefs.
80
Die Merkmale 7-10 befassen sich dagegen mit dem Verfahren, durch das die
Mikroreliefs erzeugt werden: Sie werden aus dem Folienmaterial herausgetrieben
(Merkmal 7), und zwar durch Nadelung (Merkmal 8). Die Nadelung zeichnet sich
dadurch aus, dass der Werkstoff gemäß einem vorbestimmten Muster stellenweise bis
zur Mikroperforation herausgetrieben wird (Merkmal 9). Schließlich schreibt Merkmal 10
vor, dass die Nadelung ausgeführt wird, während die Folie unter einer dem späteren
Einsatz entsprechenden Spannung steht.
81
Die letztgenannten Merkmale werden in der Beschreibung wie folgt erläutert:
82
„[0024] Das Verfahren zur Herstellung einer Folie aus einem Werkstoff wie oben
dargestellt enthält einen Verfahrensschritt der Nadelung, bei dem der Werkstoff, der die
Folie bildet, gemäß einem vorbestimmten Muster stellenweise bis zur Mikroperforation
herausgetrieben wird. Der Verfahrensschritt der Nadelung wird ausgeführt, ohne dass
an der Folie ein Abnehmen von Material erfolgt. Der äußerste Durchmesser der in dem
Nadelungsverfahren eingesetzten Nadeln ist kleiner als ein Zehntel Millimeter,
beispielsweise in der Größenordnung von vier Hundertstel Millimeter. Der
Verfahrensschritt der Nadelung erfolgt, während die Folie einer Spannung in der
Größenordnung der Spannung bei ihrer letztendlichen Verwendung in einer
aufgespannten Struktur ausgesetzt wird.“
83
„[0040] Diese Nadelung erfolgt, während die Folie 1 einer Spannung ausgesetzt wird.
Diese Spannung liegt in der Größenordnung jener Spannung, der die Folie an ihrem
Verwendungsort ausgesetzt ist, beispielsweise in einer aufgespannten Unterdecke.“
84
In den Zeichnungen und in den übrigen, sie erläuternden Teilen der Beschreibung (Rn.
[0025]-[0039] und [0041]-[0107]) werden die Folie und die Mikroreliefs (Fig. 1a-1c; Rn.
[0038] f. und [0041]-[0049]), und – sehr ausführlich – die durch letztere erzielten
akustischen Eigenschaften der Folie dargestellt (Fig. 2-10; Rn. [0050]-[0107]).
85
2. Bei den Merkmalen 7-10, deren Verwirklichung im Rahmen des vorliegenden
Verfahrens überprüft werden soll, handelt es sich um sog. product-by-process-Merkmale,
die den Gegenstand eines Sachpatents durch das zu seiner Herstellung angewandte
Verfahren beschreiben. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Beschreibung
des Herstellungsverfahrens in einem Sachanspruch der mittelbaren Umschreibung der
Sacheigenschaften diene, so dass der Schutzbereich des Sachanspruchs nicht auf
Erzeugnisse beschränkt ist, die tatsächlich durch das in den product-by-process-
Merkmalen beschriebene Herstellungsverfahren erhalten wurden (vgl. BGH GRUR
2001, 1129 juris-Rn. 71 – Zipfelfreies Stahlband; BGH GRUR 1993, 651 juris-Rn. 47 –
Tetraploide Kamille, unter Verweis auf BGHZ 57, 1, 22 – Trioxan; Kühnen, Handbuch
der Patentverletzung, 5. Aufl., Rn. 63 und 2063; Mes, PatG, 3. Aufl., § 14 Rn. 108;
Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar, 5. Aufl., § 1a PatG Rn. 34). In der bereits
zitierten Entscheidung „Trioxan“ wurde jedoch eine Beschränkung des Schutzbereichs
auf Erzeugnisse, die tatsächlich nach dem genannten Verfahren hergestellt worden sind,
für möglich erachtet; eine solche Anspruchsfassung sei trotz der Vorschrift des § 6 S. 2
PatG a.F. (entspr. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG n.F.) nicht rechtsmissbräuchlich (BGH a.a.O. juris-
Rn. 76 – Trioxan). Dementsprechend wird in der Kommentarliteratur und in der neueren
Rechtsprechung eine solche Beschränkung teilweise nicht von vornherein
ausgeschlossen; maßgeblich sei insoweit der durch Auslegung zu ermittelnde
technische Sinngehalt des Anspruchs (vgl. BGH LMuR 2010, 153 juris-Rn. 23: „Auch
unter Berücksichtigung der Beschreibung des Streitpatents liegen hier besondere
Hinweise für eine Beschränkung des Schutzbereichs für das Erzeugnis auf den zu
seiner Kennzeichnung herangezogenen Verfahrensweg nicht vor“. Offen auch
Benkard/Scharen, PatG, 10. Aufl., § 14 Rn. 46; Benkard/Scharen, EPÜ, 2. Aufl., Art. 69
Rn. 48).
86
Wenn eine Beschränkung eines Sachanspruchs auf Erzeugnisse, die tatsächlich durch
das angegebene Verfahren hergestellt wurden, im Grundsatz möglich wäre, käme diese
zumindest für Merkmal 10 ernsthaft in Betracht. Denn es ist kaum erkennbar, inwieweit
das Erfordernis, dass die Nadelung unter Anwendung einer Spannung erfolgt, die
derjenigen bei der späteren Verwendung entspricht, über die vorangehenden Merkmale
hinaus zur mittelbaren Umschreibung der Sacheigenschaften der geschützten Folie und
ihrer Mikroreliefs dienen sollte. Die Folie ist ja gerade nicht nur in der Form geschützt,
die sich bei Anwendung der dem Verwendungszweck entsprechenden Spannung ergibt.
87
3. Die Frage, ob eine Patentverletzung nur dann vorliegt, wenn die angegriffenen
Ausführungsformen nach dem in den Merkmalen 7-10 umschriebenen Verfahren
hergestellt wurden oder werden, bedarf im vorliegenden Verfahrensstadium aus
mehreren Gründen keiner abschließenden Entscheidung.
88
a) § 140c Abs. 1 PatG verlangt als Voraussetzung des Vorlage- und
Besichtigungsanspruchs die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die geschützte
Erfindung benutzt wird. Dass die Patentverletzung nicht sicher feststellbar ist, schließt
den Anspruch also nicht aus. Unsicherheit kann insoweit nicht nur im Hinblick auf
tatsächliche Umstände der Benutzung, sondern auch im Hinblick auf patentrechtliche
Fragen bestehen. Schon aus dem Wesen des Besichtigungsanspruchs als
Hilfsanspruch, der einen Patentverletzungsprozess erst ermöglichen soll, ergibt sich,
dass im Verfahren nach § 140c PatG nicht abschließend über den Schutzbereich zu
entscheiden ist; dies ist vielmehr dem späteren, ggf. über die Instanzen zu führenden
Verletzungsprozess vorbehalten. Bei Bestehen rechtlicher Unsicherheit im dargestellten
Sinne muss es also für die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer
Patentverletzung ausreichen, dass die entsprechende Beurteilung der Rechtslage
ernsthaft in Betracht kommt (vgl. Kühnen, a.a.O., Rn. 275).
89
b) Wenn Anspruch 1 in dem Sinne zu deuten wäre, dass nur solche Folien, die
tatsächlich nach dem Verfahren gemäß der Merkmale 7-10 hergestellt wurden, in seinen
Schutzbereich fallen, wäre die Antragstellerin auf die Besichtigung des
Herstellungsverfahrens zum Beweis einer Patentverletzung angewiesen; die
Besichtigung wäre somit „erforderlich“ im Sinne des § 140c Abs. 1 S. 1 PatG. Im Streitfall
besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass das anspruchsgemäße
Nadelungsverfahren angewandt wird. Das ergibt sich aus dem als Anlage Ast.25/25a
vorliegenden technischen Gutachten. Dessen „Schlussfolgerung“ lautet:
90
„Die verschiedenen Untersuchungen, welche unser Institut durchgeführt hat, erlauben
es festzustellen, dass die beschichteten Folien A1, A2 und A3, welche mit der Marke B
bezeichnet sind und uns anvertraut worden sind, folgende Merkmale aufweisen:
91
- Eine Stärke der beschichteten Folien von weniger als einem halben Millimeter.
92
- Das Vorhandensein von Mikroreliefs, welche durch einen Materialrückfluss in der
Beschichtung hervorgerufen wird, für die eine Höhe zwischen 5 und 35 µm gemessen
werden konnte.
93
- Längliche Perforationsprofile, welche höchstwahrscheinlich hervorgerufen werden
durch Spannungen der beschichteten Folien während des Vorganges der
Mikroperforation, was mit großer Wahrscheinlichkeit die Benutzung der
Nadelungstechnologie vermuten lässt.“
94
c) Wenn die Merkmale 7-10 dagegen nicht verlangen, dass die patentgemäßen Folien
tatsächlich nach dem genannten Verfahren hergestellt werden, sondern lediglich
mittelbar die körperlichen oder funktionalen Eigenschaften der geschützten Folie
beschreiben, wäre entgegen der Auffassung des Landgerichts die Erforderlichkeit im
Sinne des § 140c Abs. 1 S. 1 PatG gleichwohl zu bejahen. Erforderlich ist die
Besichtigung oder Vorlage dann, wenn der Anspruchsteller nicht auf einfacherem, ihm
zumutbarem Weg zur Gewinnung der nötigen Beweise gelangen kann
(Fitzner/Lutz/Bodewig/Pitz, a.a.O., § 140c Rn. 15). Bei dem genannten Verständnis der
product-by-process-Merkmale wäre zwar eine Darlegung der Patentverletzung anhand
einer mikroskopischen Untersuchung der angegriffenen Folien theoretisch möglich.
Dieser Weg wäre aber mit wesentlich höheren Ungewissheiten und Risiken für
verbunden und damit der Antragstellerin nicht in gleicher Weise zumutbar wie der Weg
über die Besichtigung des Herstellungsverfahrens. Denn wie sich schon aus den obigen
Ausführungen ergibt, ist die Frage, welche konkreten räumlich-körperlichen
Eigenschaften sich gerade aus anspruchsgemäßen Nadelungsverfahren (im
Unterschied zu anderen denkbaren Herstellungsverfahren) ergeben, aufgrund der
Patentschrift schwierig zu beantworten. Genau diese Schwierigkeit ist der typische
Grund dafür, dass Merkmale des Herstellungsverfahrens in einen Sachanspruch
aufgenommen werden (vgl. Mes, a.a.O., § 14 Rn. 106; Fitzner/Lutz/Bodewig, a.a.O., § 1a
Rn. 34). Der wesentlich sicherere Weg, die Benutzung der patentierten Erfindung
darzulegen und zu beweisen, besteht in dem Nachweis, dass das anspruchsgemäße
Herstellungsverfahren tatsächlich angewandt wird. Ebenso, wie sich die Patentschrift zur
Umschreibung des geschützten Gegenstands auf die Darstellung des zu seiner
Herstellung angewandten Verfahrens zurückzieht, kann sich in einem solchen Fall der
Patentinhaber auf den Hinweis beschränken, die durch die product-by-process-
Merkmale umschriebenen Produkteigenschaften seien bei der angegriffenen
Ausführungsform schon deshalb – notwendig – vorhanden, weil sie tatsächlich nach
dem anspruchsgemäßen Verfahren hergestellt wird.
95
4. Es besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der genannten Vorschrift,
dass die Antragsgegnerin zu 1 an die Y mikroperforierte Folien mit den Merkmalen des
Patentanspruchs 1 geliefert hat. Die im Rahmen der saisie contrefaçon sichergestellten
Rechnungen, die die Antragsgegnerin zu 1 an die Y gerichtet hat, legen nahe, dass sie
die angegriffenen Ausführungsformen an die Y geliefert hat. Die genannten
Ausführungsformen sind Gegenstand des Sachverständigengutachtens nach Anlage
Ast.25 (vgl. dort S. 2). Zu Recht hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass sich die
Verwirklichung der Merkmale 1-6 mit (mindestens) hinreichender Wahrscheinlichkeit aus
dem Gutachten nach Anlagen Ast.25/25a und aus den vorgelegten Produktinformationen
der Y ergibt.
96
Unterlagen, die direkt auf eine Beteiligung der Antragsgegnerin zu 2 an der
(wahrscheinlichen) Patentverletzung hinweisen, sind nicht vorhanden. Gleichwohl
rechtfertigen die glaubhaft gemachten Umstände auch insoweit die Annahme, dass die
hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung oder – was ausreichend ist (vgl.
Fitzner/Lutz/Bodewig/Pitz, a.a.O., § 140c Rn. 5) – einer Beteiligung der Antragsgegnerin
zu 2 an der Patentverletzung der Antragsgegnerin zu 1 im Sinne einer Mittäterschaft oder
Beihilfe besteht. Denn die Antragsgegnerin zu 2 hat nicht nur denselben Geschäftssitz
und dieselben gesetzlichen Vertreter, sondern befasst sich ausweislich ihrer eigenen
Internetdarstellung ebenfalls mit Mikroperforation; sie stellt zudem die entsprechenden
Maschinen her. Es liegt damit nahe, dass sie an der möglichen Patentverletzung durch
die Antragsgegnerin zu 1 mitgewirkt hat und dass auch der für eine Zurechnung
erforderliche subjektive Tatbestand erfüllt ist.
97
Dagegen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Beteiligung der Antragsgegnerin
zu 3 an einer möglichen Patentverletzung nicht dargetan. Dass sie ebenfalls dieselbe
Adresse und dieselben Geschäftsführer hat wie die Antragsgegnerin zu 1, genügt unter
den hier gegebenen weiteren Umständen nicht. Die Antragsgegnerin ist auf einem völlig
anderen Geschäftsgebiet (Metallbau) tätig; die Befürchtung der Antragstellerin,
Maschinen oder Räume, mit bzw. in denen die mögliche Patentverletzung begangen
wird, könnten in ihrem Eigentum stehen, stellt sich vor diesem Hintergrund als rein
spekulativ dar.
98
C. Rechtsfolgen
99
1. Auf die statthafte (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 490 Rn. 4; Kühnen a.a.O. Rn.
349) und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat
im Verfahren LG Mannheim 2 OH 1/12 / OLG Karlsruhe 6 W 71/12 das selbständige
Beweisverfahren gemäß den Anträgen I. angeordnet, allerdings nur gegenüber den
Antragsgegnerinnen zu 1 und 2. Als Sachverständiger ist nur der von der Antragstellerin
genannte Herr Dipl.-Ing. B, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für
Herstellung und Einsatz von Folien aus Kunststoffen, zu bestellen; die Hinzuziehung
von – nicht näher benannten – Mitarbeitern kann nicht im Vorhinein pauschal gestattet
werden.
100 2. Auf die ebenfalls zulässige sofortige Beschwerde ist im vorliegenden Verfahren die
beantragte Duldungsverfügung (§ 140c Abs. 3 PatG) gegenüber den
Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 mit den nachfolgend dargestellten Maßgaben zu
erlassen.
101 a) Die Duldungsanordnung ist wiederum auf Maßnahmen des Sachverständigen zu
begrenzen. Dass die Hinzuziehung von Mitarbeitern notwendig wird, ist zumindest im
derzeitigen Stand nicht ersichtlich; jedenfalls kommt eine pauschale Einbeziehung von
Mitarbeitern, deren Identität und Funktion nicht bekannt ist, nicht in Betracht.
102 b) Die Anträge Ziff. II.3 und Ziff. II.5.b (sowie die darauf bezogenen Anträge) gehen
insofern zu weit, als sie auf jegliche zur Mikroperforation geeigneten Maschinen
bezogen sind. Sie sind zu konkretisieren auf die zur Herstellung der angegriffenen
Ausführungsformen bestimmten Maschinen.
103 c) Gemäß Antrag II.5.d sollen die Antragsgegnerinnen das Zerlegen der fraglichen
Maschinen dulden. Dies stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der
Antragsgegnerinnen dar. Auf der anderen Seite ist hochwahrscheinlich, dass der
Beweiszweck – Prüfung der Verwirklichung der Verfahrensmerkmale 7-10 – nur dann
erreichbar ist, wenn bestimmte Hindernisse, die einer Besichtigung entgegenstehen,
beseitigt werden. Bei Abwägung dieser Interessen ist zum einen die
Duldungsanordnung strikt zu begrenzen auf diejenigen Maßnahmen, die für den
Beweiszweck unerlässlich sind. Zum anderen ist den Antragsgegnerinnen der mit einem
erheblichen Risiko (insbesondere der Beschädigung der Maschine) verbundene Eingriff
nur dann zuzumuten, wenn Sicherheit für etwa entstehende Schäden geleistet wird. Im
Rahmen des nach § 938 Abs. 1 ZPO bestehenden Ermessens ist daher die Duldung nur
unter der Voraussetzung geeigneter Sicherheitsleistung anzuordnen.
104 d) Die Änderungen gegenüber den Anträgen II.5.e und II.5.f dienen der Konkretisierung.
105 e) Gemäß Antrag II.5.h sollen die Antragsgegnerinnen u.a. dulden, dass der
Sachverständige von vorgefundenen Polymerfolien mindestens 9 Proben zieht und
mitnimmt. Entsprechend dem unter c) Ausgeführten kann die Duldung nur unter der
Voraussetzung angemessener Sicherheitsleistung angeordnet werden.
106 f) Ein gesondertes Bedürfnis für die Anordnungen gemäß der Anträge II.5.i bis II.5.k ist
nicht ersichtlich. Antrag II.5.l ist dahin abzuändern, dass die Antragsgegnerinnen primär
die Fertigung von Ausdrucken und Fotokopien auf mitgebrachten Geräten zu dulden
haben; sie können dies dadurch abwenden, dass sie eigene Geräte zur Verfügung
stellen. Bei besonders umfangreichen Dokumenten ist die Fertigung einer
elektronischen Kopie zu dulden. Angesichts dessen besteht kein berechtigtes Interesse
daran, Unterlagen zwecks Fertigung von Kopien aus den Räumlichkeiten der
Antragsgegnerinnen zu entfernen (Antrag II.5.m).
107 g) Mit den Anträgen II.6.c-e sollen die Antragsgegnerinnen verpflichtet werden, dem
Sachverständigen Zugang zur gesamten Geschäftskorrespondenz mit der Y sowie zu
sämtlichen Lieferscheinen, Quittungen, Rechnungsprüfungsunterlagen und Bank- und
Finanzunterlagen zu gewähren. Die Anträge können zumindest in dieser Form nicht
gewährt werden. Der Sachverständige ist Ingenieur, der die Verwirklichung der
Verfahrensschritte nach den Merkmalen 7-10 prüfen soll. Dass ihm die genannten
Geschäftsunterlagen zur Verfügung gestellt werden sollen, erscheint jedenfalls nicht
sachgerecht. Ob ein Anspruch auf Vorlage der Geschäftsunterlagen gemäß § 140c Abs.
1 S. 1, 2 PatG in Betracht kommt, ist in Ermangelung eines sachdienlichen Antrags und
spezifisch darauf bezogenen Vortrags nicht zu entscheiden; notwendig wäre
insbesondere Vortrag zur Verhältnismäßigkeit einer Vorlage (§ 140c Abs. 2 PatG) im
jetzigen Stadium, in dem das Vorliegen einer Patentverletzung nicht feststeht. Zudem
wäre das Verhältnis zum Vorlageanspruch nach § 140d Abs. 1, Abs. 3 PatG zu erörtern.
108 h) Mit Antrag II.6.f sollen die Antragsgegnerinnen verpflichtet werden, dem
Sachverständigen Zugang zu praktisch sämtlichen in Betracht kommenden EDV-
Systemen und Datenbeständen zu gewähren. Diese Duldungspflicht ist jedenfalls in
ihrem Umfang unverhältnismäßig. Sie ist zu begrenzen auf den Fall, dass die genannten
Dokumente nicht in Papierform, sondern nur in elektronischer Form vorliegen; den
Antragsgegnerinnen ist dann zuzumuten, den Ausdruck dieser Dokumente nach
Maßgabe der Ausführungen unter f) zu dulden.
109 k) Eine umfassende Verpflichtung zum positiven Tätigwerden des Antragsgegners
(Antrag II.6.k am Ende) besteht nicht (Kühnen a.a.O. Rn. 323 Fn. 344). Den berechtigten
Interessen der Antragstellerin genügt die Anordnung, die erforderlichen Auskünfte zu
erteilen und sich obstruktiver Maßnahmen zu enthalten.
III.
110 Die Entscheidung über die Kosten des Verfügungsverfahrens (Kühnen a.a.O. Rn. 323
Fn. 348) beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt der
plausiblen Angabe der Antragstellerin.