Urteil des OLG Karlsruhe vom 07.08.2014

OLG Karlsruhe: handelsregister, vertretungsmacht, prokura, geschäftsführer, zwischenverfügung, krebs, anschrift, form, staub, vertreter

OLG Karlsruhe Beschluß vom 7.8.2014, 11 Wx 17/14
Leitsätze
Die Prokura umfasst nicht die Vertretungsmacht zur Anmeldung der Änderung der
Geschäftsanschrift beim Handelsregister.
Tenor
Die Beteiligte ist eine seit 1993 im Handelsregister eingetragene GmbH mit Sitz in H. Ihr
Prokurist beantragte unter Beifügung einer notariellen Unterschriftsbeglaubigung, im
Handelsregister einzutragen, dass die inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft V-Straße
14 in H. lautet.
Mit der angefochtenen Zwischenverfügung (…) rügte das Amtsgericht, dass es dem Prokuristen
an der Befugnis zur Vornahme von Handelsregisteranmeldungen für das Unternehmen seines
Prinzipals fehle. Die Änderung der Geschäftsanschrift müsse entweder von den
Geschäftsführern in vertretungsberechtigter Zahl (§ 78 GmbHG) oder unter Einreichung einer
entsprechenden Vollmacht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 HGB) erfolgen. Bei der Änderung der
inländischen Geschäftsanschrift handle es sich um ein Grundlagengeschäft. Zum Schutze der
Gläubiger müsse die postalische Erreichbarkeit gewährleistet sein, deshalb genüge die
Anmeldung durch einen einzelvertretungsberechtigten Prokuristen nicht.
Gegen die ihr am 25. Januar 2014 zugestellte Zwischenverfügung legte die Beschwerdeführerin
am 13. Februar 2014 Beschwerde ein. Sie macht geltend, dass die Prokura die Befugnis zur
Anmeldung der Geschäftsadresse beim Registergericht umfasse. Letzteres sei kein
Grundlagengeschäft im Sinne des § 49 Abs. 1 HGB. (…)
Gründe
1 Die zulässige, insbesondere nach § 382 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte
und nach §§ 63, 64 FamFG form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde hat keinen
Erfolg.
2 Das Amtsgericht Mannheim hat mit seiner Zwischenverfügung vom 23. Januar 2014 zu
Recht die Prokura als unzureichend für die Anmeldung der Änderung der
Geschäftsanschrift gerügt.
3 1. Gemäß § 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG hat der Geschäftsführer die Geschäftsanschrift der
GmbH zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Ändert sich die
Geschäftsanschrift wie hier später, folgt die Pflicht zur Anmeldung aus § 31 Abs. 1 HGB.
Die Form der Anmeldung und deren formelle Voraussetzungen richten sich nach § 12
HGB. Aus § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB, §§ 10, 378 FamFG folgt, dass grundsätzlich die
Anmeldung zum Handelsregister durch einen Bevollmächtigten möglich ist (Oetker/Preuß,
HGB, 3. Aufl. § 12 Rn. 37; MünchKomm-HGB/Krafka, 3. Aufl. § 12 Rn. 25; Ries in
Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB 4. Aufl. § 12 Rn. 9). Entscheidend ist, dass die
Vertretungsmacht derartige Handlungen erfasst (Oetker/Preuß, HGB, 3. Aufl. § 12 Rn. 37)
4 2. Die Prokura umfasst nicht die Vertretungsmacht zur Anmeldung der Änderung der
Geschäftsanschrift beim Handelsregister.
5 a) Allerdings kann die hinreichende Vertretungsmacht des Prokuristen hier nicht unter
Hinweis darauf verneint werden, dass es sich bei der Anmeldung um eine
höchstpersönliche Erklärung handelt, die nur durch den oder die Geschäftsführer
persönlich erfolgen kann. Aus dem auch für Anmeldungen nach § 31 Abs. 1 HGB
maßgeblichen (Leitzen in Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG § 78 Rn. 2) § 78 GmbHG
ergeben sich derartige Einschränkungen der Stellvertretung nur für den Fall, dass
ausdrücklich die Vertretung der Gesellschaft durch sämtliche Geschäftsführer angeordnet
wird (HK-GmbHG/Saenger, 2. Aufl. § 78 Rn. 9; MünchKomm-HGB/Krafka, 3. Aufl. § 12 Rn.
32). Dies ist bei der Anmeldung einer Änderung der Geschäftsanschrift nicht gegeben.
6 b) Ebenso wenig sind Anmeldungen zum Handelsregister generell von der
Vertretungsmacht des Prokuristen ausgenommen oder per se Grundlagengeschäfte
(BGHZ 116, 190, 193 f.; MünchKomm-HGB/Krebs, HGB 3. Aufl. § 49 Rn. 35; Staub/Joost,
HGB 5. Aufl. § 49 Rn. 40 m.w.N.).
7 c) Für die Frage, ob die Prokura nach § 49 Abs. 1 HGB zur vorliegenden Rechtshandlung
ermächtigt ist allein entscheidend, ob der materielle Vorgang eine
Grundlagenentscheidung darstellt (BGHZ 116, 190, 193; MünchKomm-HGB/Krebs, 3. Aufl.
Rn. 35). Dies ist vorliegend der Fall.
8 aa) Der Umfang einer wirksam erteilten Prokura umfasst alle Arten gerichtlicher und
außergerichtlicher Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines
Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 HGB). Sie bezieht sich nicht auf
Rechtshandlungen, die Grundlagengeschäfte darstellen, d.h. auf Geschäfte, die sich auf
die rechtliche Grundlage des kaufmännischen Unternehmens beziehen; sie ist eine
Vertretungsmacht für Verkehrsgeschäfte und umfasst damit nicht das Organisationsrecht
des Unternehmens (Wagner in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB 4. Aufl. § 49 Rn.
5).
9 bb) Soweit das Amtsgericht in seiner Zwischenverfügung (As 78) einen Zusammenhang
zwischen der Vertretungsmacht des Prokuristen und der notwendigen Zuverlässigkeit der
angegebenen Geschäftsaderesse andeutet, ist dies allerdings nicht von Bedeutung. Der
Bundesgerichtshof hat insoweit ausgeführt, dass der Gesichtspunkt der inhaltlichen
Richtigkeit einer Anmeldung für die Frage der Vertretungsmacht des Prokuristen nicht
maßgebend ist, weil Anmeldungen gemäß § 12 HGB auch aufgrund einer allgemeinen
Anmeldevollmacht erfolgen können (BGHZ 116, 190, 198 f.).
10 cc) Zutreffend hebt das Amtsgericht jedoch darauf ab, dass die im Register geführte
Geschäftsanschrift für die Gesellschaft von weitreichender organisatorischer Bedeutung ist
und ihre Anmeldung daher ein Grundlagengeschäft betrifft.
11 Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG können an die Vertreter der Gesellschaft (§ 35 Abs. 1
Satz 1 und 2 GmbHG) unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift
Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden.
Damit wird die unwiderlegliche Vermutung begründet, dass die Vertreter der Gesellschaft
die Möglichkeit zur Kenntnisnahme haben (MünchKomm-HGB/Stephan/Tieves, § 35 Rn.
171). Damit soll verhindert werden, dass unseriöse Gesellschafter/Geschäftsführer die
Zustellung durch eine ständige Verlegung der Anschrift oder ähnliche Maßnahmen
erschweren (MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves, § 35 Rn. 171). Dabei kann es
dahinstehen, ob diese Rechtswirkungen selbst dann eintreten, wenn die eingetragene
Geschäftsanschrift falsch oder inzwischen aufgegeben ist (dafür HK-GmbHG-
Lücke/Simon, 2. Aufl. § 35 Rn. 45; Scholz/Schneider, GmbHG 10. Aufl. Nachtrag MoMiG §
35 Rn. 25; dagegen Schmidt in Ensthaler/Füller/Schmidt, GmbHG 2. Aufl. § 35 Rn. 54;
MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves, § 35 Rn. 171). Im Hinblick auf die Bedeutung
dieser Festlegung für die Gesellschaft als solche liegt ein Grundlagengeschäft vor. Dies
gilt umso mehr, als die inländische Geschäftsadresse nach § 8 Abs. 4 Nr. 1 GmbHG
willkürlich gewählt werden kann und ein Zusammenhang mit dem Stammsitz nicht
erforderlich ist (Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG 20. Aufl. § 4a Rn. 5, § 8 Rn. 17), so
dass der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift neben dem Sitz der
Gesellschaft eine eigenständige Bedeutung zukommt. Die Geschäftsanschrift hat mithin
keine so untergeordnete Bedeutung, als dass ihre Anmeldung beim Handelsregister als
Geschäft des laufenden Betriebs eines Handelsgewerbes anzusehen wäre (so aber KG,
NZG 2014, 150 mit zust. Anm. Kunkel, jurisPR-HaGesR 2/2014 Anm. 3). Ob ein Wechsel
der Geschäftsanschrift - wie es das Kammergericht ausführt (a.a.O. 151) - „in der
modernen Geschäftswelt von flexiblen Klein- und Mittelunternehmen z. B. in der IT-
Branche durchaus häufiger anzutreffen“ ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Auch wenn dies zutreffen sollte, hat doch die Entscheidung, unter welcher Anschrift die
Geschäfte tatsächlich betrieben werden, für den Rechtsverkehr keine geringere praktische
Bedeutung als der satzungsmäßige Sitz, für dessen Verlegung sogar ein Beschluss der
Gesellschafterversammlung über eine Satzungsänderung erforderlich wäre. Auch bei
häufiger erforderlichen Veränderungen der Geschäftsanschrift kann es daher den in erster
Linie zur Leitung der Gesellschaft berufenen Geschäftsführern angesonnen werden, diese
selbst zum Handelsregister anzumelden.
12 Vorliegend besteht folglich keine Ausnahme von dem Grundsatz, dass es sich bei
Anmeldungen des Prokuristen zum Handelsregister betreffend das eigene Unternehmen
in der Regel um Grundlagengeschäfte handelt und mithin die Vertretungsmacht des
Prokuristen hierfür nicht ausreicht (vgl. MünchKomm-HGB/Krebs, 3. Aufl. § 49 Rn. 35;
Staub/Joost, HGB 5. Aufl. § 49 Rn. 40; Joost, ZIP 1992 463, 465). (…)