Urteil des OLG Karlsruhe vom 16.06.2005

OLG Karlsruhe: prozessstandschaft, teilklage, rechtshängigkeit, kommanditgesellschaft, klagerücknahme, gesellschafter, absicht, liquidator, klageerweiterung, vollstreckbarkeit

OLG Karlsruhe Urteil vom 16.6.2005, 12 U 38/05
Einrede der mangelnden Prozesskostenerstattung: Anspruchsgeltendmachung im Vorprozess im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft
Leitsätze
Dem Beklagten steht die Einrede der mangelnden Prozesskostenerstattung aus § 269 Abs. 6 ZPO zu, wenn die Komplementärin der klagenden KG
in einem Vorprozess den Ersatz desselben Schadens im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft eingeklagt und die Klage zurückgenommen
hatte."
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Prozessurteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09. November 2004 - 2 0 507/02 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die klagende Kommanditgesellschaft nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage auf Schadensersatz in Anspruch. In dem Rechtsstreit 8 0 72/99
beim Landgericht Wiesbaden hat die Komplementärin der Klägerin die Beklagte - neben dem Kommanditisten H - auf Zahlung von 16.790.000
DM in Anspruch genommen. Durch Teilurteil vom 07.08.2001 wurde die Klage in Höhe von 6.622.870,03 DM abgewiesen. Ihren weiter
gehenden Antrag nahm die Komplementärin als Klägerin in jenem Rechtsstreit zurück. Trotz Fristsetzung gemäß Beschluss des Landgerichts
vom 23.09.2004 hat die Klägerin dem Beklagten die ihm hinsichtlich des zurückgenommen Teils erwachsenen Verfahrenskosten bisher nicht
erstattet. Die Beklagte hat die Einrede mangelnder Kostenerstattung gemäß § 269 Abs. 6 ZPO erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird
auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die auf Zahlung von 5.100 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gerichtete
Teilklage als derzeit unzulässig abgewiesen. Die Beklagte habe die Einrede gemäß § 269 Abs. 6 ZPO zu Recht erhoben, weil der
Streitgegenstand mit dem hier zu entscheidenden Verfahren identisch sei. Die Komplementärin habe im anderen Verfahren keinen eigenen
Schaden, sondern den der klagenden Kommanditgesellschaft geltend gemacht. Auf eine etwaige Belästigungsabsicht der Klägerin komme es
nicht an.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit den Berufungsanträgen,
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1. unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht
zurückzuverweisen,
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2. fürsorglich: das landgerichtliche Urteil im Kostenpunkt aufzuheben und im Übrigen wie folgt zu ändern: Die Beklagte wird verurteilt, an die
Klägerin EUR 5.100,00 zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Nach Auffassung der Klägerin ist § 269 Abs. 6 ZPO im Streitfalle nicht anwendbar. Im Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden habe ihre
Komplementärin nicht Ansprüche der Klägerin, sondern einen eigenen Schaden geltend gemacht. Auf diese Konstellation sei § 269 Abs. 6 ZPO
weder direkt noch entsprechend anwendbar.
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Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des landgerichtlichen Urteils, die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen verwiesen. Die Akten des
Landgerichts Wiesbaden 8 0 72/99 (mit OLG Frankfurt 16 U 192/01 und 16 U 62/03) waren beigezogen und Gegenstand der Verhandlung.
II.
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Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht als derzeit unzulässig abgewiesen, nachdem der Beklagte gemäß § 269
Abs. 6 ZPO die Einrede mangelnder Kostenerstattung erhoben hat.
10 1. Gemäß § 269 Abs. 6 ZPO kann der Beklagte, wenn eine Klage von neuem angestellt wird, die Einlassung bis zur Erstattung der Kosten des
Vorprozesses verweigern. Erstattet der Kläger dem Beklagten nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist die Kosten nicht, ist die erneute
Klage durch Prozessurteil abzuweisen (Zöller/Greger, ZPO, 25. Auflage, § 269 Rn 22). § 269 Abs. 6 ZPO will den Beklagten vor der Belästigung
durch mehrfache Klagen bezüglich desselben Anspruchs bzw. Streitgegenstandes schützen (vgl. BGH NJW 1992, 2034 unter 1 a).
11 2. Die Klägerin hat nach gerichtlichem Hinweis den Gegenstand ihrer Teilklage spezifiziert. Nach ihrem eigenen Vortrag im Schriftsatz vom
19.08.2004, S. 9 ff (As. I 389) war der mit Hauptantrag geltend gemachte Teil des Schadens nicht Gegenstand des zum Nachteil der
Komplementärin ergangenen Teilurteils des Landgerichts Wiesbaden vom 07.08.2001, berichtigt durch Beschluss vom 19.11.2001, über
6.622.870,03 DM. Vielmehr wurde danach der Teil des Schadens betreffend angeblich mißbräuchlich übertragener Vermögenswerte der G KG
auf die F AG von dem bei der Beklagten geführten Konto Nr. ..., dessen Ausgleich nunmehr mit dem Hauptantrag beansprucht wird, mit der
weiteren, durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2003 zurückgenommenen Klage (As. 1258 der beigezogenen
Akten des Landgerichts Wiesbaden) geltend gemacht. Dies entspricht im Wesentlichen dem Vortrag zur Begründung der Teilklage beim
Landgericht Wiesbaden, die mit Schriftsatz vom 06.09.2000 auf die R-Bank eG als Rechtsvorgängerin der Beklagten erweitert wurde (vgl.
Schadensaufstellung S. 19 ff = As. 267 ff). Demnach ist der dem Hauptantrag zugrunde liegende Sachverhalt bis zu dem geltend gemachten
Schaden von 5.100 EUR mit dem auf die Klagerücknahme vor dem Landgericht Wiesbaden entfallenden Anspruch - der darüber hinaus noch
weitere Schadenspositionen enthält - identisch.
12 3. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat ihre Komplementärin, soweit die Klage im Prozess vor dem Landgericht Wiesbaden gegen die
Rechtsvorgängerin der Beklagten zurückgenommen wurde, keine eigenen Schadensersatzansprüche, sondern in eigenem Namen
Schadensersatzansprüche der Klägerin geltend gemacht. Dies ergibt sich aus den beigezogenen Akten des Landgerichts Wiesbaden.
13 Allerdings ist davon auszugehen, dass die Komplementärin die ursprünglich allein gegen den früheren Kommanditisten der Klägerin H
gerichtete und mit Schriftsatz vom 06.09.2000 erstmals auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten erweiterte Zahlungsklage zunächst auf einen
behaupteten eigenen Schadensersatzanspruch als Gesellschafterin der KG gestützt hat. Zwar erscheinen die auf Seite 19 ff. des Schriftsatzes
(AS. 266 ff.) dargelegten Schadenspositionen auf Grund der genannten Sachverhalte „missbräuchliche Entnahmen, unterlassene Einzahlung
von Tageseinnahmen und missbräuchliche Verschiebung von Warenbeständen, Geschäftseinrichtungen“ in erster Linie geeignet, einen
Schaden der Kommanditgesellschaft selbst zu begründen. Die damalige Klägerin hat jedoch gemäß den Ausführungen auf Seite 24 Abs. 1 des
Schriftsatzes („Gefährdung des Anspruchs der Gesellschafter und Gläubiger der KG bzw. deren Komplementärin“ - AS. 271) sowie auf Seite 27
Abs. 3 („Die Beklagten ... haften gegenüber der Klägerin nach §§ 823 und 826 BGB, nach letzterem aus dem sittenwidrigen Zweck und
Beweggrund ihres Handelns, der Schädigung der Gläubiger und Gesellschafter der Klägerin zum eigenen Vorteil, aus einer Gewinnsucht“ - AS.
274) hierin - zumindest auch - einen eigenen Schaden der Komplementärin gesehen und gerade diesen behaupteten Eigenschaden mit der
Klageerweiterung geltend gemacht. Eine entsprechende Absicht hatte bereits der Liquidator der Komplementärin in dem dem Prozess vor dem
Landgericht Wiesbaden vorgeschalteten Prozesskostenhilfeverfahren mit Schreiben vom 07.06.1999 (AS. 152) eindeutig klar gestellt. Auch die
Erhöhung des Klagantrags mit Schriftsatz vom 19.02.2001 (AS. 520), die der teilweisen Klagerücknahme zugrunde lag, auf Zahlung von
16.790.000 DM durch beide Beklagte als Gesamtschuldner, konnte nur im Sinne der Geltendmachung eigener Schadensersatzansprüche der
Komplementärin selbst verstanden werden. Gleiches gilt für die Ausführungen auf Seite 7 des Teilurteils des Landgerichts Wiesbaden vom
07.08.2001 (AS. 833), berichtigt durch Beschluss vom 19.11.2001, wo es heißt: „Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe gegenüber dem
Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in Millionenhöhe“, während im folgenden Absatz deutlich differenziert wird zwischen der Klägerin
selbst und der G GmbH u. Co KG als davon verschiedene Rechtsperson.
14 Die Komplementärin hat jedoch auf Hinweis des Landgerichts Wiesbaden im Termin am 13.11.2001 ausweislich des Sitzungsprotokolls (As.
973) ihren gegen beide Beklagte auf gesamtschuldnerische Zahlung von 16.790.000 DM gerichteten Antrag - soweit dieser noch nicht mit dem
Teilurteil vom 07.08.2001 verbeschieden war - dahingehend geändert, „dass Zahlung an die KG erfolgen soll“. Im Berufungsverfahren gegen das
Teilurteil vor dem OLG Frankfurt ließ sie mit Schriftsatz vom 31.01.2002 (As. 1059) erklären, dass es in dem gesamten Verfahren „ausschließlich
um Ansprüche der geschädigten G GmbH i.L. & Co. KG gegen die Beklagten zu 1 und 2“ gehe und lediglich unklar gewesen sei, ob die
Komplementärin „als gesetzliche Vertreterin der KG oder selbst als Klägerin zur Geltendmachung der Ansprüche der KG“ auftrete, was nunmehr
im Termin vor dem Landgericht im letzteren Sinne protokolliert worden sei. Spätestens damit konnte für sämtliche Beteiligten kein Zweifel mehr
daran bestehen, dass die Komplementärin jedenfalls mit dem geänderten Antrag ausschließlich Ansprüche der KG geltend machte, und zwar
nicht als deren gesetzliche Vertreterin (§§ 125, 161 HGB), sondern in eigenem Namen. Die Klagrücknahme vom 25.02.2003 konnte sich somit
nur auf diesen Streitgegenstand beziehen, der nunmehr erneut zum Gegenstand einer Klage gemacht wird, wenn auch durch die KG als
Rechtsinhaberin selbst.
15 4. Die Klägerin muss sich die von der Komplementärin vor dem Landgericht Wiesbaden zurückgenommene Teilklage auch gemäß § 269 Abs. 6
ZPO entgegen halten lassen. Die Komplementärin hatte die Rechte der Klägerin in zulässiger gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemacht.
16 Es besteht kein Zweifel daran, dass die KG die Komplementärin wirksam zur aktiven Prozessführung über ihre Ansprüche ermächtigt hat. Dies
ergibt sich ohne weiteres daraus, dass der für die Komplementärin und die KG selbst vertretungsberechtigte Liquidator H. der Prozessführung
der Komplementärin ersichtlich zugestimmt hatte. Dem Schuldner können die Wirkungen der Prozessstandschaft nur zugute kommen, wenn
derjenige, der ein fremdes Recht in eigenem Namen geltend machen will, dies im Prozess selbst hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt oder
zumindest sonst nicht zweifelhaft ist, wessen Ansprüche eingeklagt sind (BGHZ 78, 1 unter 2 m.w.N.). Dies war, wie festgestellt, der Fall. Die
Komplementärin hatte vor dem Landgericht Wiesbaden zuletzt, für alle Beteiligten eindeutig, die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft in
eigenem Namen geltend gemacht, sogar gerichtet auf Zahlung an die KG selbst.
17 Offen bleiben kann, ob die Klägerin sich die aus § 269 Abs. 6 ZPO erhobene Einrede entgegen halten lassen muss, ohne dass es zusätzlich
darauf ankommt, ob das für die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft notwendige schutzwürdige rechtliche Interesse der
Komplementärin vorlag (vgl. BGH aaO). Denn dieses schutzwürdige Interesse bestand. Die Komplementärin war unstreitig an Gewinn und
Verlust der KG maßgeblich beteiligt und haftete darüber hinaus kraft Gesetzes unbeschränkt für deren Verbindlichkeiten (§§ 128, 161 HGB).
18 Da die Klägerin nunmehr denselben Streitgegenstand geltend macht wie die Prozessstandschafterin im Verfahren der zurückgenommenen
Klage, kann die Beklagte sich zu Recht auf die Einrede mangelnder Kostenerstattung gemäß § 269 Abs. 6 ZPO berufen. Wäre die Klage nicht
zurückgenommen worden, sondern noch beim Landgericht Wiesbaden rechtshängig, könnte die Beklagte entgegenstehende Rechtshängigkeit
(§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und nach Abschluss des anderen Prozesses entgegenstehende Rechtskraft einwenden (BGHZ 123, 132 unter 2 b
m.w.N.). Ob die Klägerin den Rechtsstreit ohne eine den Gegner belästigende Absicht erneuert hat oder nicht, ist für ein Durchgreifen der
Einrede aus § 269 Abs. 6 ZPO entgegen der älteren Rechtsprechung ohne Belang (BGH NJW 1992, 2034 unter 2).
19 5. Damit ist die Berufung gegen das landgerichtliche Prozessurteil sowohl mit dem auf Zurückverweisung gerichteten Haupt- als auch mit dem
auf Verurteilung in Höhe von 5.100 EUR nebst Zinsen gerichteten Hilfsantrag unbegründet. Eine Entscheidung über die erstinstanzlich
hinsichtlich des verlangten Betrages von 5.100 EUR ebenfalls gestellten Hilfsanträge war nicht veranlasst. Das Landgericht durfte, da die
Klägerin nichts Abweichendes erklärt hat, annehmen, dass die Hilfsanträge für den Fall der Unbegründetheit des Hauptantrages, nicht aber
bereits bei Unzulässigkeit aufgrund der Einrede aus § 269 Abs. 6 ZPO erhoben sind.
20 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für eine
Revisionszulassung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.