Urteil des OLG Hamm vom 20.02.2002

OLG Hamm: werbung, verbraucher, lebensmittel, verhütung, ernährung, eigenschaft, krankheit, gefahr, mehrheit, verursacher

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 173/02
Datum:
20.02.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 173/02
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 43 O 67/02
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. August 2002 verkündete
Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen
teilweise
abgeändert:
Die Beklagten werden verurteilt, bei Meidung eines vom Gericht für
jeden
Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes
bis
250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis
zu
6 Monaten, hinsichtlich der Beklagten zu 1) zu vollziehen an dem
Geschäftsführer, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu
werben
für das Mittel „X“:
„Chlorophyll ist drin. Chlorophyll ist ein ganz – ist ein
Sauerstoffträger, das beste Blutreinigungsmittel überhaupt.
Aber Chlorophyll tötet auch im menschlichen Organismus Bakterien
ab, die ohne Sauerstoff leben und für schwerwiegende Infek-
tionserkrankungen verantwortlich sein können.“
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht auch im Hinblick auf die weitere im Tenor
enthaltene Werbeaussage ein Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG in Verbindung mit
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG gegen die Beklagten zu.
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1) Ein Verstoß gegen § 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG liegt vor, wenn in der Werbung für ein
Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall Aussagen verwendet werden, die sich auf die
Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen. Auf die objektive
Richtigkeit der Aussagen kommt es dabei nicht an. Dahinter steht der Gedanke, dass
Lebensmittel der Ernährung und dem Genuss dienen, nicht aber der Vorbeugung,
Linderung oder Heilung von Krankheiten. Das ist die Aufgabe von Arzneimitteln.
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2) Bei dem von den Beklagten beworbenen Mittel "X2" handelt es sich um ein
Lebensmittel im Sinne des Gesetzes. Nach § 1 LMBG fallen unter Lebensmittel auch
Nahrungsergänzungsmittel, die dazu bestimmt sind, zur Ergänzung der Ernährung vom
Menschen verzehrt zu werden.
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3) In der beanstandeten Werbung wird ein Bezug zur Verhütung von Krankheiten
hergestellt. Die Werbung spricht ausdrücklich "schwerwiegende
Infektionserkrankungen" an. Damit sind ernsthafte Krankheiten gemeint, die durch
Infektionen entstehen. Es ist unschädlich, dass die Krankheiten nicht individualisierbar
beschrieben werden. § 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG will nach seinem Sinn und Zweck der
Gefahr vorbeugen, dass die in der Werbung angesprochenen und durch die in Bezug
genommenen Krankheiten gefährdeten Verbraucher zu dem Lebensmittel greifen, weil
sie es für ein ausreichendes und erfolgversprechendes Mittel zur Selbstbehandlung
ansehen (BGH WRP 1998, 505, 506 –Gelenk-Nahrung). Sinn und Zweck der Vorschrift
verlangen das Verbot der Werbung somit auch, wenn wie hier die Gefahr besteht, dass
der Verbraucher im Wege der Selbstmedikation das Lebensmittel einsetzt, um sich vor
schwerwiegenden Infektionskrankheiten ungenannter Art, unter denen sich die
angesprochenen Verbraucher aber eine konkrete Krankheit wie etwa "Grippe"
vorstellen, zu schützen.
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4) Die krankheitsbezogene Werbung enthält auch eine Aussage, die sich auf die
Verhütung dieser Krankheiten bezieht. Das geschieht, indem zunächst der Inhaltsstoff
"Chlorophyll" nicht nur als Sauerstoffträger und das beste Blutreinigungsmittel
dargestellt wird, sondern auch als Killer von Bakterien im Organismus, die ohne
Sauerstoff leben. Diese Bakterien werden wiederum als mögliche Verursacher in
Zusammenhang mit den schwerwiegenden Infektionserkrankungen gebracht. Wenn sie
durch die genannten Eigenschaften des Chlorophylls abgetötet werden, können sie
solchen Erkrankungen nicht mehr Vorschub leisten. Damit können die
schwerwiegenden Infektionskrankheiten, die in Betracht kommen können, aus Sicht des
Verbrauchers durch die Einnahme der X2, die Chlorophyll enthalten, verhütet werden.
Das reicht aus. Es kommt inbesondere nicht darauf an, ob das Mittel zur sicheren
Vermeidung der erwähnten Krankheiten gebraucht werden soll (vgl. Zipfel,
Lebensmittelrecht, C 100, LMBG § 18 Rdn. 18) und ob die Infektionskrankheiten
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schwerwiegender Art namentlich bezeichnet worden sind.
5) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese in der Werbung
herausgestellte krankheitsverhütende Eigenschaft des Produkts von der ganz
überwältigenden Mehrheit der angesprochenen Verbraucher als bloße Spekulation
erkannt und nicht ernst genommen wird.
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a) Der sachlich gehaltene Hinweis auf die Wirkungsweise des Chlorophylls in dem
fraglichen Mittel wird nach der Lebenserfahrung jedenfalls von einem nicht
unbeträchtlichen Teil der angesprochenen Verbraucher ernst genommen. Die hier
angesprochenen Fernsehzuschauer bringen eine besondere Bereitschaft mit, sich im
Hinblick auf gesunde Ernährung und den Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln
auch von Laien beraten zu lassen. Sie wollen –anders als besonders
gesundheitsbewusste Verbraucher wie die Stammkunden der Reformhäuser- durch die
Werbeaussagen erst aufgeklärt werden. Wenn im Rahmen einer solchen
Fernsehwerbung Ratschläge erteilt werden, durch welche Nahrungsergänzungsmittel
Krankheiten verhindert werden könnten, wird eine solche vorbeugende Wirkung von
einem ausreichend großen Teil der Zuschauer tatsächlich dem Mittel auch
beigemessen oder jedenfalls ernsthaft für möglich gehalten.
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b) Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn die Verbraucher die geschilderte
Wirkungsweise des Mittels mit der ihnen bekannten Wirkungsweise von Antibiotika
vergleichen. Antibiotika haben als Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen die
Eigenschaft, wachstumshemmend oder abtötend gegen einen Erregerstamm oder
unspezifisch auch gegen viele Erregerstämme, die sich schon im Körper befinden und
eine Krankheit hervorgerufen haben, zu wirken. Dagegen geht es bei der Einnahme des
beworbenen X2Produktes darum, das Blut durch die vorbeugende Einnahme von
Chlorophyll zu reinigen und so gut mit Sauerstoff zu versorgen, dass Bakterien sich erst
gar nicht zu solchen gefährlichen Stämmen aufbauen können, sondern schon vorher
getötet werden. Das eine hat in seiner Wirkungsweise mit dem anderen folglich nichts
zu tun. Die dem Verbraucher bekannt schnelle und gute Wirkungsweise der Antibiotika
bedingt demnach auch nicht, dass andere Mittel, die vorbeugend genommen werden,
ersichtlich überhaupt keine Wirkung gegen Bakterien entfalten können.
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6) Der Verstoß gegen die genannte lebensmittelrechtliche Vorschrift stellt im Regelfall
zugleich einen Verstoß gegen § 1 UWG dar, weil es um den sensiblen Bereich der
Gesundheitsvorsorge geht. Warum das hier ausnahmsweise anders sein sollte, ist nicht
vorgetragen oder ersichtlich.
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7) Da die Werbeaussage den Bereich der Gesundheitswerbung betrifft, ist die Werbung
auch nach § 13 Abs.2 Nr. 2 UWG geeignet, den Wettbewerb auf dem Markt der
Nahrungsergänzungsmittel wesentlich zu beeinträchtigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711,
713 ZPO.
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