Urteil des OLG Hamm vom 20.01.2004

OLG Hamm: dolmetscher, vereidigung, beeidigung, verzicht, schweigen, rüge, ausnahme, revisionsgrund, form, marke

Oberlandesgericht Hamm, 1 Ss 2/04
Datum:
20.01.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ss 2/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 95 Ds 184 Js 436/03 – 7285/03 –
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Dortmund zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 01. Oktober 2003
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei
Monaten verurteilt worden. Die Reststrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.
Diesem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:
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"Am 07. August 2003 wurde der Angeklagte in Dortmund gegen 19.15 Uhr im
Bereich X/Ecke P-Straße von Polizeibeamten angehalten und überprüft.
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Dabei wurde in der Hose des Angeklagten eine zerknüllte Zigarettenschachtel der
Marke Marlboro gefunden, in der sich ein Folienbeutel mit Kokain im Gewicht von
4,26 Gramm brutto befand. Das Rauschgift wurde sichergestellt."
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Nach der Beweiswürdigung des amtsgerichtlichen Urteils hat der Angeklagte zunächst
keine Angaben zur Sache gemacht, später jedoch den Besitz der bei ihm
sichergestellten Schachtel eingeräumt.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Sprungrevision des Angeklagten mit der Sachrüge sowie mit der Verfahrensrüge der
Verletzung des § 189 GVG. Diesbezüglich beanstandet die Revision, dass in der
Hauptverhandlung vom 01. Oktober 2003 für den der deutschen Sprache nicht
mächtigen Angeklagten ein Dolmetscher tätig geworden sei, der entgegen § 189 GVG
weder vereidigt worden sei, noch sich auf einen allgemeinen geleisteten Eid berufen
habe.
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Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache.
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Die Revision hat bereits mit der in zulässiger Weise erhobenen, auf die fehlende
Vereidigung des Dolmetschers gem. § 189 GVG gerichteten Verfahrensrüge Erfolg.
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Durch § 189 GVG ist die Beeidigung eines nach § 185 GVG zugezogenen
Dolmetschers zwingend vorgeschrieben. Die Nichtvereidigung ist ein
Verfahrensverstoß, der weder durch Rügeverzicht – etwa durch widerspruchslose
Entgegennahme der Übersetzung – geheilt noch durch sonstiges Verhalten – etwa
durch erklärten Verzicht aller Prozessbeteiligten auf die Vereidigung des Dolmetschers
– verwirkt werden kann (Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 189 GVG Rdnr. 3; OLG
Hamm, Strafverteidiger 1996, 532; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2003, 88).
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Der Verfahrensfehler ist auch erwiesen. Die Beachtung des § 189 GVG ist eine
wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, deren Einhaltung oder Nichteinhaltung gem.
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§ 274 StPO grundsätzlich nur durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen
werden kann (Meyer-Goßner, a. a. O.). Hier enthält das Hauptverhandlungsprotokoll
keinen Hinweis darauf, dass der Dolmetscher, Herr G, zu Beginn der Hauptverhandlung
gem. § 189 Abs. 1 Satz 1 GVG vereidigt worden sei oder sich gem.
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§ 189 Abs. 2 GVG auf einen früher geleisteten Dolmetschereid berufen habe. Durch das
Schweigen des Sitzungsprotokolls wird daher die fehlende Vereidigung unwiderlegbar
bewiesen.
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Obwohl es sich nach dem Gesetz nur um einen relativen Revisionsgrund handelt, wird
grundsätzlich angenommen, dass ein Urteil in der Regel auf einer fehlenden
Dolmetschervereidigung nach § 189 GVG beruht; nur in Ausnahmefällen wird ein
Beruhen ausgeschlossen sein, so wenn die Richtigkeit der Übersetzung leicht
kontrollierbar war (BGH NStZ 1998, 204) oder anderweitig bestätigt worden ist (BGH
NStZ 1994, 230). Eine derartige Ausnahme liegt hier nicht vor. Es ist daher nicht
auszuschließen, dass der hinzu gezogene Dolmetscher, hätte er den nach § 189 Abs. 1
GVG vorgeschriebenen Eid geleistet oder sich nach § 189 Abs. 2 GVG auf einen
allgemein geleisteten Eid tatsächlich berufen, gewissenhafter als geschehen übersetzt
und infolge dessen die Sachverhaltsaufklärung zu anderen, dem Angeklagten
günstigeren Feststellungen und hiernach zu einer anderen Entscheidung des Gerichts
geführt hätte.
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Da bereits die Rüge der Verletzung des § 189 GVG durchdringt, bedurfte es keiner
Auseinandersetzung mit der ebenfalls erhobenen Sachrüge, wenngleich die
Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts Anlass zu Bedenken geben.
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