Urteil des OLG Hamm vom 19.11.2001

OLG Hamm: psychische störung, materielles recht, grobe fahrlässigkeit, schmerzensgeld, arbeitsstelle, verkehrsunfall, kreuzung, verdienstausfall, fahrstreifen, versicherung

Oberlandesgericht Hamm, 13 U 136/98
Datum:
19.11.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 136/98
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 4 O 392/95
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im übrigen das am 19. März 1998 verkündete Urteil der 4.
Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert und wie folgt neu
gefaßt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von
80.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 14. August 1993 zu zahlen.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 21.313,10 DM nebst
4 % Zinsen seit dem 19. August 1995 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle
zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem
Verkehrsunfall vom 10. August 1992 in der Türkei zu ersetzen, den
materiellen Zukunftsschaden nur insoweit, als Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die weitere Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des 1. Rechtszuges tragen der Beklagte 80 % und die
Klägerin 20 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Beklagte 2/3 und
die Klägerin 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des
jeweils anderen Teils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der andere
Teil zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beiden Parteien bleibt nachgelassen, Sicherheit auch durch unbedingte,
unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen
Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu
leisten.
Das Urteil beschwert den Beklagten in Höhe von 151.313,10 DM und
die Klägerin um 39.194,11 DM.
Tatbestand:
1
Die Klägerin verlangt Schmerzensgeld, Verdienstausfall und Feststellung der
Ersatzpflicht aus einem Verkehrsunfall, der sich am 10.08.1992 in Z1 in der Türkei
ereignet hat.
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Im August 1992 verbrachten die zur damaligen Zeit noch miteinander befreundeten
Parteien ihren Urlaub in B in der Türkei. Am 10.08.1992 unternahmen sie mit einem vom
Beklagten von einem türkischen Freund ausgeliehenen Motorrad eine gemeinsame
Fahrt, wobei der Beklagte fuhr und die Klägerin auf dem Beifahrersitz saß. Gegen 13.30
Uhr wollte der Beklagte im Dorf Z1 die bevorrechtigte I-Straße überqueren, um weiter in
Richtung Strand zu fahren. Hierbei kam es zum Zusammenstoß mit dem sich auf der I2 -
aus Sicht des Beklagten gesehen von rechts nähernden türkischen Taxi, das von Z
gelenkt wurde.
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Die Klägerin, die von dem Taxi am rechten Unterschenkel getroffen wurde, hat hierbei
schwere Verletzungen erlitten, die am 14.08.1992 die Amputation des rechten
Unterschenkels notwendig machten. Sie verlangt von dem Beklagten, für den keine
Versicherung eintritt, Ersatz ihrer Schäden.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe das Unfallgeschehen
zumindest mitverschuldet, indem er in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, ohne den
Vorrang des unfallbeteiligten Taxis zu beachten. Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld
in Höhe von mindestens 100.000,00 DM für angemessen. Desweiteren macht sie einen
Verdienstausfallschaden im Zeitraum zwischen dem 01.01.1993 und dem 31.08.1995 in
Höhe von 40.507,21 DM geltend. Sie hat dazu behauptet, sie hätte ohne das
Unfallereignis spätestens zum 01.01.1993 eine feste Anstellung in ihrem erlernten Beruf
als Bankkauffrau finden können.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1.
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den Beklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes
Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens jedoch 100.000,00 DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 14.08.1993;
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2.
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festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr allen materiellen und auch allen
weiteren immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 10.08.1992 zu
ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen
sind;
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3.
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 40.507,21 DM nebst 4 % Zinsen seit
Klagezustellung zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Auffassung vertreten, türkisches Recht komme zur Anwendung, da der
Lebensmittelpunkt der Parteien sich zum Unfallzeitpunkt in der Türkei befunden habe.
Zum Unfallgeschehen hat er die Auffassung vertreten, daß ihn kein Verschulden treffe.
Er hat behauptet, er sei langsam in die Kreuzung eingefahren und habe zuerst nach
links geschaut. Als er den Blick nach rechts habe wenden wollen, sei es auch schon zur
Kollision mit dem Taxi gekommen, dessen Fahrer den linken Fahrstreifen befahren und
zudem mit ca. 90 km/h das an der Unfallstelle geltende Tempolimit von 30 km/h deutlich
überschritten habe. Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, die Klägerin habe
durch ihre Teilnahme an der Motorfahrt einen stillschweigenden Haftungsausschluß
erklärt. Der Beklagte hat bestritten, daß die Klägerin bereits im Januar 1993 eine
adäquate Arbeitsstelle gefunden hätte.
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Das Landgericht hat Zeugenbeweis erhoben und dann der Klage stattgegeben. Zur
Begründung hat es ausgeführt, daß das Unfallereignis nach deutschem Recht zu
beurteilen sei und daß der Beklagte den Unfall zumindest mitverschuldet habe, so daß
er als Gesamtschuldner hafte. Bezüglich des Schmerzensgeldes hat das Landgericht
einen Betrag von 100.000,00 DM für angemessen erachtet. Das Landgericht ist
weiterhin der Klägerin bezüglich ihres Vorbringens zum Verdienstausfall gefolgt und hat
den geltend gemachten Betrag zugesprochen. Ebenso hat es dem Feststellungsantrag
stattgegeben.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, der sein erstinstanzliches
Vorbringen wiederholt und vertieft. Der Beklagte ist der Auffassung, er hafte schon dem
Grunde nach nicht. Es sei türkisches Recht anzuwenden, da das Recht des Unfallortes
gelte. Ansprüche der Klägerin nach türkischem Recht seien aber verjährt. Im übrigen sei
auch das Hineintasten in den Kreuzungsbereich nach türkischem Verkehrsrecht nicht zu
beanstanden. Sein Verschulden sei nicht ersichtlich, schon gar nicht bewiesen. Das
geltend gemachte Schmerzensgeld sei bei weitem zu hoch. Der
Verdienstausfallschaden werde weiter bestritten. Private Bemühungen der Klägerin um
einen Arbeitsplatz seien in keiner Weise substantiiert vorgetragen und nicht überprüfbar.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Auch sie wiederholt und vertieft
ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie macht geltend, aufgrund des Unfallereignisses sei
es zu einer psychischen Störung gekommen, aufgrund derer sie arbeitsunfähig
gewesen sei. Diese psychische Störung dauere weiterhin an, so daß sie auch aus
diesem Grunde nicht arbeitsfähig sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens in erster und
zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Senat hat die
Parteien in mehreren Terminen ausführlich angehört. Es sind schriftliche Gutachten der
Sachverständigen Prof. Dr. X (Gutachten vom 13.10.1999) und Prof. Dr. S (Gutachten
vom 28.08.2000) erstellt worden. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat sein Gutachten im
Senatstermin vom 09. Mai 2001 und 19. November 2001 erläutert. Insoweit wird auf die
im allseitigen Einverständnis gefertigten Berichterstattervermerke verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zum Teil begründet.
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Die Klägerin kann von dem Beklagten wegen des Unfallereignisses vom 10.08.1992
gemäß §§ 823, 847 BGB ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 DM verlangen.
Weiterhin steht ihr für die Zeit vom 01.01.1993 bis zum 31.05.1994 ein
Verdienstausfallschaden in Höhe von 21.313,10 DM zu (§§ 823, 252 BGB). Ebenfalls ist
der Anspruch auf Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht begründet.
26
1.
27
Die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin sind nach deutschem Recht zu
beurteilen. Da beide Parteien Deutsche sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
Deutschland haben, ist in Abweichung vom Tatortprinzip gemäß § 1 Abs. 1 RAnwV
deutsches materielles Recht maßgebend.
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Das Landgericht hat dies im angefochtenen Urteil zutreffend begründet. Der Senat hat
sich in seinem PKH-Beschluß vom 24.03.1999 dem angeschlossen. Auch nach den
weiteren Einwendungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 12.11.2001 ergibt
sich keine andere rechtliche Beurteilung. Die sich aus dem Unfall ergebenden
Haftungsfolgen richten sich nach deutschem Recht, für die Beurteilung der Schuldfrage
an dem Verkehrsunfall gelten dagegen die am Tatort geltenden verkehrsrechtlichen
Vorschriften (BGH NZV 99, 272), das heißt hier die türkische Verkehrsordnung.
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2.
30
Der Beklagte hat den Unfall schuldhaft mit herbeigeführt. Auch insoweit folgt der Senat
den zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils. Die Angriffe der Berufung
rechtfertigen keine andere Beurteilung. Schon mit der Klageerwiderung hat der Beklagte
vorgetragen, er sei so weit in die unübersichtliche Kreuzung gefahren, bis er habe
überblicken können, daß sich von links kein Fahrzeug näherte. Als er sich dann nach
rechts gewandt habe, um zu sehen, ob die rechte Seite frei sei, sei er von dem
Unfallgegner angefahren worden. Aus dieser eigenen Einlassung folgt eine
Vorfahrtsverletzung nach Art. 84 h Türkisches Straßenverkehrsgesetz. Danach gilt als
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Verschulden ersten Grades die Verletzung des Vorfahrtsrechts an Kreuzungen. Der
Beklagte hätte nicht wenn auch vorsichtig in den Kreuzungsbereich einfahren und
danach zunächst nur nach links schauen dürfen. Bei einer wie vom Beklagten
dargestellten und aus den Fotos (Bl. 194) ersichtlichen unübersichtlichen Kreuzung
hätte der Beklagte anhalten müssen und unter Beobachtung des Verkehrs von links und
rechts sich langsam in den Kreuzungsbereich vortasten müssen. Dies hat er nicht getan.
Der Beklagte kann sich nicht damit entlasten, der Taxifahrer sei über die Mittellinie in
den linken Fahrstreifen gefahren. Zunächst hat das Landgericht zutreffend festgestellt,
daß dies nicht bewiesen und auch nicht weiter aufklärbar ist. Im übrigen erstreckte sich
das Vorfahrtsrecht des Taxifahrers nicht nur auf seine rechte Fahrspur, sondern galt für
die gesamte bevorrechtigte Fahrbahn.
3.
32
Die Haftung des Beklagten wird auch nicht durch eine eventuelle Mithaftung des
türkischen Taxifahrers in Frage gestellt. Da entgegen der Auffassung der Berufung
insoweit deutsches Recht Anwendung findet, würde eine Mithaftung des Taxifahrers nur
zu einer gesamtschuldnerischen Haftung führen. Dann aber ist es der Klägerin nicht
verwehrt gewesen, allein den Beklagten in Anspruch zu nehmen.
33
4.
34
Auch für einen gestörten Gesamtschuldnerausgleich sind keine Anhaltspunkte
vorhanden. Zwar könnte der Beklagte bei einer Haftung des türkischen Fahrers/Halters
Ausgleichansprüche nur nach türkischem Recht geltend machen, so daß
möglicherweise wegen niedrigerer Schmerzensgeldbeträge kein voller Ausgleich
stattfinden könnte. Dies braucht aber nicht weiter aufgeklärt zu werden. Voraussetzung
eines gestörten Gesamtschuldnerausgleichs ist, daß die Haftung dem Grunde nach
abgeschwächt ist, daß also die Haftung der Mitschädiger kraft Gesetzes oder aufgrund
einer Vereinbarung nicht besteht oder die Schuld auf grobe Fahrlässigkeit oder auf
Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten begrenzt ist (so deutlich Erman, BGB, § 426
Rdn. 65). Vorliegend ist jedoch allenfalls die Höhe des Ausgleichs begrenzt. Damit
greifen die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs nicht ein.
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4.
36
Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht zutreffend verneint. Der Senat
nimmt darauf Bezug.
37
5.
38
Die Haftung des Beklagten entfällt auch nicht wegen eines stillschweigenden
Haftungsausschlusses. Allein das Vorliegen einer Gefälligkeitsfahrt führt noch nicht zum
Ausschluß der Fahrlässigkeitshaftung nach § 823 BGB (Palandt, BGB, § 254 Rdn. 80
m.w.N. zur st. Rspr.). Auch bei einer ergänzenden Auslegung kann kein
Haftungsausschluß angenommen werden. Dies folgt aus einer Würdigung der
Interessenlage der Parteien. Beide Parteien wollten zum Strand. Es bestand kein
besonderes Interesse der Klägerin daran, daß gerade der Beklagte diese Fahrt in ihrem
Interesse unternahm. Gerade im Hinblick auf ihre persönliche familiäre Situation die
Mutter der Klägerin hatte bei einem Motorradunfall noch vor Geburt der Klägerin
ebenfalls ein Bein verloren hätte sie sich mit einer Haftungsfreistellung auch nicht
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einverstanden erklärt.
6.
40
Erfolg hat die Berufung, soweit sie die Höhe des Schmerzensgeldes angreift. Der Senat
hält abweichend von der landgerichtlichen Entscheidung und abweichend von seinem
PKH-Beschluß ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 80.000,00 DM für
angemessen, aber auch für ausreichend. Die noch junge Klägerin hat bei dem Unfall
infolge des Verlustes des rechten Unterschenkels eine sehr schwere Verletzung erlitten,
mit der sie ihr Leben lang konfrontiert ist. Ihre beruflichen Möglichkeiten sind dahin
eingeschränkt, daß sie körperliche Arbeit und Tätigkeiten, die im wesentlichen im
Stehen auszuführen sind, nicht mehr ausüben kann. Viele Aktivitäten, die sie sonst
unternommen hatte, wie Tennisspielen, Fahrradfahren, Reiten und Tanzen sind ihr
erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich geworden. Der Senat hat weiter
berücksichtigt, daß die Klägerin infolge des Unfalls an psychischen Problemen zu
leiden hatte und möglicherweise auch heute noch leidet. In die Abwägung ist aber auch
miteingeflossen, daß dem Beklagten nur fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr zur
Last fällt und daß dieser eingetretene Schaden nicht durch eine Versicherung
abgedeckt ist, vielmehr der Beklagte, der selbst noch jung ist und versucht, sich eine
eigene Existenz aufzubauen, den Schadensersatz aus eigenen Mitteln zu zahlen hat.
Dabei ist der Senat davon ausgegangen, daß der Beklagte entsprechend der
Prozeßkostenhilfebewilligung über kein nennenswertes Vermögen verfügt. Unter
Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände hält der Senat 80.000,00 DM für
angemessen.
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7.
42
Verdienstausfallschaden kann die Klägerin nur - entsprechend der Berechnung im PKH-
Beschluß - für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.05.1994 verlangen.
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a)
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Die Klägerin war aufgrund ihrer Verletzungen bis zum 07.02.1994 arbeitsunfähig
krankgeschrieben. Ab dem 08.02.1994 hätte sie wieder einer Erwerbstätigkeit
nachgehen können und hat ab diesem Zeitpunkt auch wieder Arbeitslosengeld
bezogen. Der orthopädische Sachverständige Prof. Dr. X hat in seinem Gutachten
ausgeführt, daß der Klägerin zwar keine körperlichen oder stehenden Tätigkeiten
zuzumuten sind, daß sie aber eine im wesentlichen im Sitzen auszuführende Tätigkeit
ausüben kann.
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Die Klägerin hätte bei genügender Anstrengung eine ihren beruflichen Fähigkeiten
entsprechende Tätigkeit unter Berücksichtigung der orthopädischen Einschränkungen
finden können. Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt und bewiesen, daß trotz
Bemühungen eine Arbeitsstelle nicht zu erhalten war. Dem Senat genügen allein die
pauschalen Angaben der Klägerin, sie habe sich bemüht, nicht. Es ist gänzlich unklar,
für welche Arbeitsstellen sie sich beworben hat, wo sie sich vorgestellt hat und welche
konkreten Gründe vorlagen, daß sie diese Arbeitsstellen nicht bekommen hat. Bekannt
ist nur, daß sich die Klägerin einmal bei der Sparkasse C beworben hat und dort zu
einem Einstellungsgespräch geladen worden ist. Der Prozeßbevollmächtigte der
Klägerin aus erster Instanz hatte im Kammertermin vom 19.03.1998 erklärt, die Klägerin
könne ihre Bemühungen um den Erhalt einer neuen Arbeitsstelle nicht im einzelnen
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darlegen. Auch unter Berücksichtigung des § 287 ZPO sind die Angaben der Klägerin
zu dürftig, um davon ausgehen zu können, sie habe unfallbedingt ab Juni 1994 keine
Arbeitsstelle gefunden.
b)
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Die Klägerin hat auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 287 ZPO
nicht bewiesen, daß sie wegen unfallbedingter psychischer Probleme in dem geltend
gemachten Zeitraum bis zum 31.08.1995 arbeitsunfähig war. Die Klägerin selbst hat
sich nicht für arbeitsunfähig gehalten. Sie hat ab dem 08.02.1994 wieder
Arbeitslosengeld bezogen und stand damit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. In der
gesamten ersten Instanz hat die Klägerin nicht geltend gemacht, sie sei wegen
unfallbedingter psychischer Probleme nicht in der Lage, zu arbeiten und habe aus
diesem Grunde einen Verdienstausfall. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat im
Senatstermin vom 19.11.2001 ausgeführt, daß ab Februar 1994 auch eine erhebliche
Teilleistungsfähigkeit vorgelegen habe, die sich dann mit der Beziehung zum neuen
Freund weiterhin stabilisiert habe. Er hat es auch auf seinem Fachgebiet für durchaus
möglich gehalten, daß eine Arbeitsaufnahme erfolgversprechend gewesen wäre. Der
Senat verkennt nicht, daß das Unfallereignis bei der Klägerin auch zu psychischen
Problemen geführt hat. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat ausgeführt, daß bei der
Klägerin eine reaktive depressive Entwicklung vorliege. Daß diese psychische Störung
für den hier in Frage kommenden Zeitraum allerdings so gravierend war, daß sie einer
erfolgreichen Arbeitsaufnahme im Wege stand, ist nicht bewiesen (§ 287 ZPO) und auch
vom Sachverständigen Prof. Dr. S so nicht festgestellt worden. Der Senat hält es
genauso gut für möglich, daß die Klägerin bei ernsthafter Suche nach einem geeigneten
Arbeitsplatz eine angemessene Stelle gefunden hätte und sich dann in dieser Situation
stabilisiert hätte. Festzustellen ist jedenfalls, daß auch aus psychiatrischer Sicht etwa
1996 mit Eintritt der neuen Partnerschaft eine Arbeitsfähigkeit wieder vorlag, wie der
Sachverständige im Senatstermin vom 09.05.2001 ausgeführt hat. Ob und in welchem
Umfang dann die durch den Tod des neuen Freundes im Sommer 1998 eingetretene
negative Entwicklung noch auf das Unfallereignis in der Türkei zurückzuführen ist, ist
zweifelhaft und nach Auffassung des Senates noch nicht durch das Gutachten Prof.
Dr. S geklärt. Da dieser Zeitraum ab 1998 nicht im Streit ist, bedarf es hierzu keiner
weiteren Aufklärung.
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8.
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Der Feststellungsantrag ist unzweifelhaft begründet. Er umfaßt neben den zukünftigen
immateriellen Schäden diejenigen materiellen Schäden, die ab dem 08.08.1995
entstanden sind und die in Zukunft entstehen werden. Die Klägerin hat mit der
Klageschrift Feststellung künftiger Ersatzpflicht begehrt. Mit Schriftsatz vom 08.08.1995,
der am selben Tag bei Gericht einging, hat sie den bereits entstandenen materiellen
Schaden geltend gemacht. Eine Auslegung ergibt, daß der Feststellungsanspruch damit
die nach Eingang dieses Schriftsatzes entstehenden materiellen
Schadensersatzansprüche erfassen soll (BGH VersR 2000, 1521 = NJW 2000, 3287).
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.
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