Urteil des OLG Hamm vom 17.08.2007

OLG Hamm: arglistige täuschung, versicherungsnehmer, auszahlung der versicherungsleistung, ärztliche behandlung, angina pectoris, stationäre behandlung, gesundheitszustand, anfechtung, zeugnis

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 26/07
Datum:
17.08.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 26/07
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 2 O 101/06
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Dezember 2006
verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % der beizutreibenden
Beträge leistet.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte aus einer seitens ihres verstorbenen
Ehemannes bei dem Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherung
Versicherungsleistungen.
3
Der Ehemann der Klägerin, Dr. L, beantragte am 02.09.2004 über den
Versicherungsmakler T1 bei der Beklagten den Abschluss einer
Kapitallebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall. Die bei Antragstellung u.a.
gestellten Gesundheitsfragen,
4
"2. Waren Sie in den letzten 10 Jahren in ärztlicher Behandlung wegen Herz-
/Kreislauferkrankungen /z. B. Herzinfarkt, Angina pectoris), Beschwerden der
Wirbelsäule und Gelenke (z. B. Bandscheibenvorfall, Rheuma, Gicht),
Erkrankungen der Atmungsorgane (z. B. Asthma), der Verdauungsorgane (z. B.
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Morbus Crohn), der Nieren (z. B. Zystennieren), Tumorerkrankungen, psychischer
Leiden/Nerven- oder Geisteskrankheiten (z. B. Depressionen, Selbstmordversuch)
oder Suchterkrankungen?,
3. Haben in den letzten 5 Jahren ärztliche oder andere Behandlungen,
Krankenhaus-, Heil- oder Kuraufenthalte stattgefunden?,
6
(...)
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7. Haben Sie in den letzten 5 Jahren mehr als einen Monat lang täglich
Medikamente genommen oder an mehr als 30 Tagen im Jahr ein gleichartiges
Medikament (auch Schlaf-, Schmerz-, Aufputsch- oder Beruhigungsmittel)?"
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beantwortete der Ehemann der Klägerin ausweislich des schriftlichen Antragsformulars
(Bl. 5 R) zu 2. und 7. mit "nein" und zu 3. mit "ja" und gab hierbei ergänzend an:
9
"Nierenspende, 2001, keine Folgen".
10
Die Beklagte policierte am 29.09.2004 mit Versicherungsbeginn 01.10.2004. Versichert
waren eine anfängliche Todesfallsumme von 185.000,00 € bei Versterben bis zum
01.10.2005 sowie eine Erlebensfallsumme von 51.850,00 €. Zudem sollten die
Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kapitalversicherung mit Wahlrecht auf
Kapitalzahlung oder Verrentung gelten (AVB/vgl. zu den Einzelheiten des
Versicherungsscheines Bl. 9 ff).
11
Nachdem der Ehemann der Klägerin am 28.05.2005 verstorben war, beantragte die
Klägerin bei der Beklagten die in der Lebensversicherung bedungenen Leistungen.
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Die Beklagte ermittelte über die den Ehemann der Klägerin behandelnden Ärzte und
dessen privaten Krankenversicherer, dass bereits vor Antragstellung bestehende
Alkoholprobleme ärztlicherseits dokumentiert worden waren. Ausweislich des Arzt-
Fragebogens Dres. med. C vom 13.06.2005 (Anlage B 3 zum Schriftsatz vom
19.05.2006) bestanden seit 2000 chronische rezidivierende Alkoholprobleme, wegen
deren der Ehemann der Klägerin sich auch stationärer Entwöhnungsbehandlungen
unterzogen hatte. Nach dem Arztbericht des Asklepius Fachklinikum X vom 11.10.2001
(Anlage K 7 zum Schriftsatz vom 19.05.2006) war dort im Zeitraum 14.09.2001 bis
04.10.2001 eine Entwöhnungsbehandlung nach diagnostizierter Gamma-
Alkoholabhängigkeit durchgeführt worden. Eine weitere stationäre Behandlung in dieser
Klinik erfolgte vom 24.06.2002 bis 14.10.2002 (vgl. Rehabilitationsbericht für die
Oberfinanzdirektion D/Anlage K 8 zum Schriftsatz vom 19.05.2006).
13
In dem Leistungsauszug des privaten Krankenversicherers sind ärztliche Behandlungen
im Zusammenhang mit diagnostizierten Störungen durch Alkohol und alkoholischer
Fettleber u.a. an folgenden Behandlungsdaten dokumentiert worden: 07.09.2001,
14.09.2001, 22.04.2002, 16.06.2002, 18.06.2002, 03.07.2002, 10.05.2004, 07.06.2004,
05.07.2004, 16.08.2004 und 14.09.2004.
14
Mit Schreiben vom 23.09.2005 erklärte der Beklagte gegenüber der Klägerin die
Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung und lehnte die
Erbringung von Leistungen aus der bei ihr genommenen Lebensversicherung ab.
15
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom
20.10.2005 zur Zahlung auf. Die Beklagte hielt an ihrer Leistungsablehnung fest.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte könne sich auf Leistungsfreiheit
nicht berufen. Die erklärte Anfechtung sei mangels arglistiger Täuschung ihres
Ehemannes unwirksam. Hierzu hat sie behauptet, der Versicherungsmakler T1 habe
nach Angabe der Nierenspende aus 2001 erklärt, es sei nicht notwendig, sämtliche
weiteren Erkrankungen aufzunehmen. Die Beklagte werde ohnehin Rückfrage bei dem
behandelnden Arzt nehmen (Beweis: Zeugnis Sven T1). Die Klägerin hat weiter
behauptet, ihr Ehemann habe weder vor noch nach Antragstellung an einer
Suchterkrankung gelitten. Behandlungen seien ausschließlich präventiver Natur und
mithin nicht anzeigepflichtig gewesen. Sie hat in diesem Zusammenhang die Ansicht
vertreten, die Fragen der Beklagten nach Behandlungen wegen Suchterkrankungen
seien ohnehin unklar und damit unbeachtlich gewesen. Es sei nicht definiert gewesen,
was eine Sucht darstelle. Außerdem habe von ihrem Ehemann nicht verlangt werden
können, derartige mit einem Makel behafteten Dinge dem Vermittler und zugleich seiner
finanzierenden Bank zu offenbaren.
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Die Klägerin hat beantragt,
18
den Beklagten zu verurteilen, an sie 185.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von
8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.08.2005 sowie 1.334,41 €
vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
19
Die Beklagte hat beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Sie hat sich wegen der erklärten Anfechtung für leistungsfrei gehalten. Sie hat
behauptet, dass sie entsprechend den Vorgaben seines Rückversicherers den
Versicherungsantrag nicht angenommen hätte, wenn ihr die Alkoholkrankheit des
klägerischen Ehemannes bekannt gewesen wäre.
22
Das
Landgericht
abgewiesen.
23
Der zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Beklagten zunächst zustande
gekommene Vertrag über eine Kapitallebensversicherung sei durch die von der
Beklagten erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung als von Anfang an nichtig
anzusehen. Der Klägerin stünden als Bezugsberechtigte aus der auf das Leben ihres
Ehemannes genommenen Lebensversicherung Ansprüche auf
Versicherungsleistungen nicht zu.
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Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasse nicht nur ein Handeln, das von
betrügerischer Absicht getragen sei, sondern auch Verhaltensweisen, die auf bedingten
Vorsatz im Sinne eines "Fürmöglichhaltens" reduziert seien und mit denen kein
moralisches Unwerturteil verbunden sein müsse. Auf Arglist als innere Tatsache könne
regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für
die Annahme einer arglistigen Täuschung sei somit, dass der Versicherungsnehmer mit
wissentlich falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und
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offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen
Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen wolle und sich bewusst sei, dass
der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten
Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angabe mache. Arglistig
täusche i.S.d. § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen
nach dem Gesundheitszustand oder früherer Behandlungen auch bewusst sei, dass die
Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet sei, die Entschließung des
Versicherers über die Annahme des Vertragsangebots zu beeinflussen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei auch im Streitfall von einem arglistigen
Verschweigen auszugehen. Der Ehemann der Klägerin habe zum Zeitpunkt der
Antragstellung seit Jahren bestehende Alkoholprobleme, wegen derer er sich mehrfach
in ambulanter und stationärer ärztlicher Behandlung befunden habe, gegenüber der
Beklagten nicht angegeben.
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Die Beklagte habe in ihrem Antragsformular den Ehemann der Klägerin ausdrücklich
und eindeutig nach Behandlungen, Krankenhaus-, Heil- oder Kuraufenthalten in den
letzten fünf Jahren gefragt. Der Ehemann der Klägerin habe die diesbezügliche Frage
einschränkend lediglich dahingehend beantwortet, dass im Jahre 2001 eine ärztliche
Behandlung im Zusammenhang mit einer Nierenspende erfolgt sei. Jedenfalls die
stationären Entwöhnungsbehandlungen wären vom Ehemann der Klägerin auf die
Frage der Beklagten nach ärztlichen Behandlungen anzugeben gewesen. Es könne
nämlich keinem Zweifel unterliegen, dass solche Behandlungen objektiv stattgefunden
hätten, wobei letztlich offen bleiben könne, ob sie wie die Klägerin behauptet allein
präventiven Charakter gehabt hätten. Klassische Entwöhnungsbehandlungen würden
für jeden durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar ärztliche Behandlungen
wegen Suchterkrankungen im Sinne der Fragestellung darstellen. Dies gelte erst recht
für einen Volljuristen wie den Ehemann der Klägerin.
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Es bedürfe keiner weiteren Darlegung, dass es sich bei den unstreitig nicht
angegebenen Behandlungen um gefahrerhebliche Umstände in der
Lebensversicherung handele. Die Offenlegung der Alkoholproblematik hätte dazu
geführt, dass der Versicherungsantrag gar nicht oder jedenfalls nicht ohne
Einschränkung angenommen worden wäre.
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Der Ehemann der Klägerin habe arglistig gehandelt. Wer nach ärztlichen Behandlungen
gefragt werde und daraufhin über Jahre hinweg erfolgte ärztliche Konsultationen und
sogar stationäre Entwöhnungsbehandlungen verschweige, wisse, dass er damit
Einfluss auf die Entscheidung über den Abschluss eines solche Risiken deckenden
Versicherungsvertrages nehme; er wolle es auch. Der dem Versicherer obliegende
Indizienbeweis für die Arglist des Versicherungsnehmers sei in der Regel als geführt
anzusehen, wenn schwere oder erkennbar chronische Erkrankungen oder nicht nur
ganz kurzfristige Krankenhausaufenthalte verschwiegen würden.
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Die Behauptung der Klägerin, der Versicherungsmakler T1 habe nach Angabe der
Nierenspende in 2001 erklärt, es sei nicht notwendig, sämtliche weiteren Erkrankungen
aufzunehmen, da die Beklagte vor Policierung ohnehin Rückfrage bei dem
behandelnden Arzt nehmen werde, rechtfertige eine abweichende Beurteilung nicht.
Selbst wenn der den Antrag aufnehmende Versicherungsmakler trotz eindeutiger
Fragestellung eine solch beschwichtigende Äußerung abgegeben hätte, seien die
eindeutigen und einschränkungslosen Fragen der Beklagten nach dem
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Gesundheitszustand für den Ehemann der Klägerin erkennbar unzureichend
beantwortet und die ganz offensichtliche Zielrichtung der Fragen mit dem Hinweis des
Maklers völlig verfehlt gewesen. Der Ehemann der Klägerin habe sich letztlich im
schriftlichen Antrag als völlig gesund dargestellt, so dass für die Beklagten gerade kein
Nachfragebedarf bestanden habe.
Der Arglistvorwurf entfalle auch nicht dadurch, dass dem Ehemann der Klägerin die
Offenbarung des Makels einer Alkoholabhängigkeit gegenüber dem
Versicherungsmakler T1 nicht habe zugemutet werden können. Dabei verkenne die
Kammer nicht, dass Arglist ausscheiden könne, wenn Angaben aus falsch verstandener
Scham unterblieben. Dies könne indes dann nicht gelten, wenn Vorerkrankungen und
behandlungen so erheblich seien, dass es auf der Hand liege, dass sie für die
Annahmeentscheidung des Versicherers von zentraler Bedeutung seien. Die Beklagte
weise daher zu Recht darauf hin, dass in diesem Fall eine Offenbarung unmittelbar ihm
gegenüber hätte erfolgen könne, worauf auch im Antragsformular ausdrücklich
hingewiesen worden sei.
31
Die
Klägerin
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Die Kammer sei unzutreffend davon ausgegangen, dass ihr Ehemann
bewusst
gegenüber der Beklagten die seit Jahren bestehenden Alkoholprobleme nicht
angegeben habe. Aufgrund der bekannt gegebenen Nierenspende sei es zur Aussage
des für den Beklagten tätigen Versicherungsmitarbeiters gekommen, dass wegen dieser
Nierenspende keine weitere Aufnahme von Erkrankungen notwendig sei, weil ärztliche
Berichte ohnehin eingeholt würden (Beweis Zeugnis T und Q).
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Die Klägerin habe erst nach der angegriffenen Entscheidung davon Kenntnis erhalten,
dass der Abschluss des Versicherungsvertrages durch den Mitarbeiter T des
Versicherungsbüros T1 erfolgt sei. Das Beweisangebot sei insofern zu korrigieren. Auch
sei es um die Zeugin Q zu ergänzen.
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Wegen der Äußerung des Versicherungsvertreters habe der Verstorbene darauf
vertrauen dürfen, dass einerseits weitere detaillierte Angaben in Anbetracht des
erheblichen Eingriffs (Nierenspende) nicht erforderlich gewesen seien. Aus Sicht des
Verstorbenen sei der Eingriff wegen der Nierenspende wesentlich erheblicher gewesen
als die nur aus präventiven Gründen vorgenommene Alkoholbehandlung. Er habe es
daher als nicht notwendig angesehen, dass er seine weitere persönliche Situation und
seine Wertung der objektiven Umstände Dritten gegenüber bekannt gebe.
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Ohnehin sei ihr verstorbener Ehemann aufgrund der vorgenommenen Nierenspende
davon ausgegangen, dass hinsichtlich der Risikobewertung durch die Beklagte ein
umfassendes Gutachten über seinen Gesundheitszustand eingeholt werde. Dies
entspreche auch den üblichen Versicherungsgebaren (Beweis:
Sachverständigengutachten). Dies habe das Landgericht in seiner angegriffenen
Entscheidung ebenfalls verkannt.
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In Anbetracht der beschriebenen, besonderen Situation habe ihr Ehemann daher
gegenüber dem Versicherungsmitarbeiter und der zudem anwesenden
Bankangestellten, zu der aufgrund des ständigen Zusammenwirkens ein besonderes
Bekanntheitsverhältnis bestanden habe, seinen Gesundheitszustand im Einzelnen nicht
offenbaren müssen. Insbesondere die in diesem Zusammenhang bestandene Scham
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habe ein arglistiges Vorgehen ausgeschlossen. Zudem sei wegen der einzuholenden
ärztlichen Auskünfte sicher davon auszugehen gewesen, dass der Beklagten die durch
ihren Ehemann selbst veranlasste präventive Behandlung seiner Alkoholprobleme
ebenso wie das bestehende Tourette-Syndrom mit der einhergehenden psychischen
Belastung und die nicht angegebenen medikamentösen Behandlungen bekannt werden
würden.
Soweit das Landgericht seine Entscheidung weiter darauf gestützt habe, dass dem
Verstorbenen aufgrund der im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Antragstellung
erfolgten ambulanten ärztlichen Behandlungen seine Suchtproblematik bewusst
gewesen sei, sei ein entsprechender Hinweis durch die Kammer nicht erfolgt. Auch
hätte ein entsprechender Schriftsatznachlass gewährt werden müssen. Tatsächlich sei
der Verstorbene zu den in Rede stehenden Zeiten abstinent gewesen. Er habe an
einem Tourette-Syndrom mit einhergehenden psychischen Belastungen gelitten. Bei
den ambulanten Behandlungen in den Jahren 2004 und 2005 hätten aus ärztlicher Sicht
keine klinischen oder laborchemischen Hinweise auf einen Rückfall in einen
Alkoholkonsum nach seiner freiwilligen und engagierten Entwöhnungsbehandlung im
Jahre 2002 bestanden. Zu dieser Behandlung habe er sich nur als
Alkoholmissbräuchler veranlasst gesehen, um sein Krankheitsverständnis zu festigen.
Die Verordnung des Medikamentes Craving Acamprosat sei gleichfalls lediglich aus
präventiven Gründen des alkohol-abstinenten Ehemannes der Klägerin erfolgt (Beweis:
Schreiben Dr. I vom 01.01.2006/Bl. 101; Arztbericht Dr. I vom 22.10.2002/Anlage K 8
des Schriftsatzes vom 19.05.2006; Zeugnis Dr. I).
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Die Beklagte hätte auch bei Kenntnis aller Umstände der stationären und
medikamentösen Behandlungen den Versicherungsvertrag ebenso wie im Hinblick auf
die im Jahre 2001 erfolgte Nierenspende ohne Einschränkung angenommen. Auch dies
habe das Landgericht fehlerhaft verkannt.
39
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie
185.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 23.09.2005 zu zahlen.
41
Die Beklagte beantragt,
42
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil, indem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen
wiederholt und vertieft.
44
Die Angabe der Nierenspende in 2001 und des damit verbundenen Klinikaufenthaltes
hätten in keinerlei Zusammenhang mit der Alkoholkrankheit und den anderen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen des verstorbenen Ehemannes der Klägerin
gestanden. Die Spende einer gesunden Niere löse auch keinerlei Nachfrage des
Lebensversicherers aus, bedinge keine Einholung einer Arztauskunft und bedeute
keinen Risikoausschluss oder Prämienzuschlag. In diesem Zusammenhang verweist
die Beklagte auf einen zur Akte gereichten Auszug aus dem
Risikoeinschätzungshandbuch ihres Rückversicherers. Danach sei bei Nierenspendern
der Verlust einer Niere im Bereich der Lebensversicherung von keinerlei Auswirkungen,
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wenn diese länger als ein Jahr zurückliege und die verbleibende Niere normale
Funktionswerte habe.
Ganz anders sähe dies bei Alkoholabhängigkeit aus. Bei bestehender, also akuter
Alkoholabhängigkeit sei das Risiko im normalen Rahmen nicht versicherbar. Mithin
wäre im vorliegenden Fall der Antrag des verstorbenen Ehemannes der Klägerin
erledigt gewesen, ohne wenn und aber abgelehnt worden, ohne dass es auf die
Rückfälle, den chronischer Leberschaden, die Persönlichkeitsveränderungen und die
anderen Krankheiten außerhalb des Alkoholismus sowie seiner Folgen überhaupt noch
angekommen wäre. Auch in diesem Zusammenhang verweist die Beklagte auf ihre bzw.
die Einschätzungsgrundsätze ihres Rückversicherers.
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Die unzutreffenden Angaben des Ehemannes der Klägerin zu den verschiedenen
Gesundheitsfragen hätten deshalb ursächlich bewirkt, dass sie die Beklagte den
Antrag wie gestellt angenommen habe, was sie indes nicht getan hätte, wenn sie
wahrheitsgemäß über den Krankheitszustand des Versicherten informiert worden wäre.
47
Diese Information habe sich auch nicht aus der von ihr Mitte September 2004
eingeholten Auskunft des Hausarztes des verstorbenen Ehemannes der Klägerin, Dr. C,
ergeben. In dem ärztlichen Befundbericht Dr. C vom 16.09.2004 werde insbesondere
die Alkoholabhängigkeit des Versicherungsnehmers nicht erwähnt. Der Beklagte
verweist in diesem Zusammenhang auf die zur Akte gereichte Abschrift des ärztlichen
Befundberichtes vom 16.09.2004 (Bl. 163).
48
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T und Q und die
Klägerin persönlich angehört in der mündlichen Verhandlung am 17.08.2007.
49
II.
50
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
51
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung der
Versicherungsleistung in Höhe von 185.000,00 € aus der Kapitalversicherung auf den
Todes- und Erlebensfall vom 29.09.2004. Die Beklagte ist von ihrer Leistungspflicht aus
dem Versicherungsvertrag mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin frei geworden.
Sie hat diesen gem. §§ 22 VVG; 123 Abs. 1, 124 BGB wirksam angefochten.
52
1.
53
Der Anfechtungsgrund i.S.d. §§ 22 VVG; 123 Abs. 1 BGB ergibt sich aus der arglistigen
Täuschung der Beklagten durch den Versicherungsnehmer und Ehemann der Klägerin
bei Abschluss des Versicherungsvertrages über dessen Alkoholerkrankung.
54
Die arglistige Täuschung im Sinne der vorbezeichneten Vorschriften setzt eine
Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem
Versicherer zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der
Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf
die Entscheidung des Versicherers einwirkt. Falsche Angaben in einem
Versicherungsantrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung
nicht; einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige
Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen
55
des Versicherers einzuwirken, gibt es nicht. In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme
von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und
billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar
nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (vgl. BGH VersR 2005, 785 f.;
OLG Hamm VersR 1990, 765 f.; OLG Koblenz, Recht und Schaden 2001, 437 und
Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 22, Rdn. 5 ff). Eine Beweisführung des Versicherers
durch Indizien ist jedoch zulässig (vgl. Prölss/Martin, a.a.O.).
Hier gab der Versicherungsnehmer unstreitig weder seine Alkoholabhängigkeit bzw.
Krankheit und die alkoholische Fettleber noch die dieserhalb stationär erfolgten
Krankenhausbehandlungen in der Asklepius Fachklinik X im September/Oktober 2001
und Ende Juni bis Mitte Oktober 2002 und weiteren ambulanten Behandlungen im
Versicherungsantrag vom 02.09.2004 an, obwohl danach unter Ziffer 2. und 3. der
"Fragen an die zu versichernde Person" ausdrücklich und eindeutig gefragt wurde (vgl.
Bl. 5 R).
56
Entgegen der schriftsätzlichen Behauptung der Klägerin war sich ihr verstorbener
Ehemann - auch im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Antragstellung - seiner
Suchtproblematik durchaus bewusst. Dabei kann als zutreffend unterstellt werden, dass
er zwischen Oktober 2002 und der Antragstellung im September 2004 abstinent lebte.
Die im Leistungsauszug der privaten Krankenversicherung dokumentierten und auch
nicht bestrittenen ambulanten ärztlichen Behandlungen im Zusammenhang mit
diagnostizierten Störungen durch Alkohol und alkoholischer Fettleber noch in den
Monaten Mai, Juni, Juli und August 2004 und die (angeblich) präventiv verordneten
Medikamente lassen keinen Zweifel daran, dass sich der Versicherungsnehmer seiner
Krankheit sehr wohl bewusst gewesen sein muss. Dieses ergibt sich auch aus dem
Arztbericht Dr. I für die Oberfinanzdirektion D vom 22.10.2002 (Anlage K 8 des
Schriftsatzes vom 19.05.2006). Nach diesem Bericht stellte der verstorbene Ehemann
bei seiner Aufnahme zur Entwöhnungsbehandlung wegen seiner Alkoholkrankheit in
der Asklepius Fachklinik X seine Suchtentwicklung übersichtlich dar und brachte ein
eindeutiges Krankheitsbekenntnis zum Ausdruck. Auch die Klägerin hat im Rahmen
ihrer Anhörung durch den Senat eingeräumt, dass sie sich mit ihrem verstorbenen
Ehemann über dessen Alkoholprobleme unterhalten habe und er sich dieser
Problematik auch bewusst gewesen sei.
57
Das Argument der Klägerin, ihr verstorbener Ehemann könnte seine
Alkoholabhängigkeit aus Scham bei der Antragstellung verschwiegen haben, überzeugt
nicht. Zutreffend hat die Beklagte argumentiert, dass in diesem Fall eine Offenbarung
unmittelbar ihr gegenüber hätte erfolgen können. Darauf wurde der
Versicherungsnehmer ausdrücklich im Antragsformular hingewiesen (vgl. Bl. 5 R).
58
Der verstorbene Ehemann der Klägerin wurde auch nicht durch die angebliche
Erklärung des Zeugen T (Mitarbeiter des Versicherungsmaklers T1) von der Angabe
seiner Alkoholkrankheit abgehalten, dass in Anbetracht der Nierenspende keine weitere
Aufnahme von Erkrankungen notwendig sei, weil ärztliche Berichte ohnehin eingeholt
würden.
59
Der vom Senat zu diesem Beweisthema vernommene Zeuge T hat die Darstellung der
Klägerin nicht bestätigt. Zwar hat er bekundet, dass er dem verstorbenen Ehemann der
Klägerin wohl gesagt habe, dass wegen der angegebenen Nierenspende durch den
Versicherer beim Hausarzt nachgefragt werde. Er habe ihm aber nicht erklärt, dass er
60
deswegen weitere Krankheiten nicht anzugeben brauchte. Des weiteren hat der Zeuge
ausgeschlossen, dass vom Versicherungsnehmer andere Krankheiten bzw. andere
Krankenhausaufenthalte genannt worden seien. Denn diese hätte er in das
Antragsformular aufgenommen.
Die Aussage des Zeugen ist plausibel und glaubhaft. Der Senat hat keine
Anhaltspunkte, an der Richtigkeit seiner Ausführungen zu zweifeln.
61
Auch die bei der Antragstellung am 02.09.2004 ebenfalls anwesende Zeugin Q hat den
Vortrag der Klägerin nicht bestätigt. Sie hat sich an die Einzelheiten des Gespräches zur
Aufnahme des Lebensversicherungsantrages nicht mehr zu erinnern vermocht.
62
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht mithin fest, dass der verstorbene
Ehemann der Klägerin bei der Aufnahme des Lebensversicherungsantrages am
02.09.2004 vom Zeugen T nicht abgehalten wurde, die Gesundheitsfragen zutreffend zu
beantworten und insbesondere seine Alkoholabhängigkeit und die damit verbundenen
längeren Krankenhausaufenthalte anzugeben. Gegen diese Darstellung der Klägerin
spricht auch der Umstand, dass in dem Antragsformular (Bl. 5 R) die entsprechenden
Fragen unter 2. und 7. nicht offen gelassen, sondern mit "nein" beantwortet worden sind.
Die Verneinung der Fragen unter 2. und 7. im Antragsformular passt nicht zu der
Behauptung der Klägerin, der Zeuge T habe die Gesundheitsfragen wegen der
angegebenen Nierentransplantation offen lassen wollen.
63
Bei der verschwiegenen Alkoholabhängigkeit handelte es sich um eine besonders
schwere und nachhaltige Erkrankung des Versicherungsnehmers. Sie hatte mit der
Leber (alkoholische Fettleber) bereits ein lebenswichtiges Organ in Mitleidenschaft
gezogen. Trotz zeitweiliger Abstinenz bestand die Gefahr, dass der
Versicherungsnehmer in alte Trinkgewohnheiten zurückfiel.
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Das Verschweigen von schweren Erkrankungen oder erkennbar chronischen
Erkrankungen sowie längeren Krankenhausaufenthalten spricht indiziell für die Absicht
des Versicherungsnehmers durch Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des
Versicherers einzuwirken (vgl. OLG Koblenz, Recht und Schaden 2001, 437).
65
Davon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Dem Versicherungsnehmer fehlte bei
Antragstellung eine Niere, was er wahrheitsgemäß angab. Aus seiner Sicht musste die
Wahrscheinlichkeit sehr hoch sein, dass die Beklagte bei Angabe auch der
Alkoholabhängigkeit und dadurch bedingter Fettleber den Versicherungsantrag nicht
oder nur unter für ihn erheblich ungünstigeren Bedingungen annehmen würde. Diese
Einschätzung hat den Ehemann der Klägerin dazu veranlasst, die Alkoholabhängigkeit,
die durch sie bewirkte alkoholische Fettleber und die längeren Krankenhausaufenthalte
bewusst zu verschweigen, um so auf die Willensentschließung des Beklagten arglistig
einzuwirken. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum der Versicherungsnehmer
als promovierter Volljurist und in leitender Funktion in der Finanzverwaltung tätig hätte
glauben können, er müsse die folgenlose Nierenspende angeben, seine
Alkoholabhängigkeit mit der chronischen Lebererkrankung, wegen der er schon
zweimal stationär (zuletzt mit einer Entziehungskur von 3,5 Monaten Dauer) behandelt
worden war, dagegen nicht.
66
2.
67
Die arglistige Täuschung durch den verstorbenen Ehemann der Klägerin war für die
Willenserklärung des Beklagten also die Annahme des Versicherungsantrages im
September 2004 gem. § 123 Abs. 1 BGB auch kausal geworden.
68
Der Beklagte hat die Ursächlichkeit zwischen arglistiger Täuschung und Annahme des
Versicherungsantrages in seiner Berufungserwiderung unter Hinweis und Vorlage der
Risikoeinschätzungsgrundsätze seines Rückversicherers im Einzelnen dargelegt und
nachgewiesen.
69
Das pauschale Bestreiten der Klägerin in ihrer Replik vom 08.08.2007 auf die
Berufungserwiderung ist dagegen unerheblich.
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Die Klägerin vermag eine Kausalität zwischen Täuschung und Annahme des
Versicherungsantrages auch nicht mit dem Argument auszuhebeln, der Beklagte habe
mit Schreiben vom 13.09.2004 eine umfassende Auskunft von dem Hausarzt ihres
verstorbenen Ehemannes Dr. C erhalten und daher um den Gesundheitszustand,
insbesondere die Alkoholabhängigkeit, des Versicherungsnehmers vor
vertagsabschluss gewusst. Ausweislich des in Fotokopie zur Akte gereichten ärztlichen
Befundberichtes Dr. C vom 16.09.2004 sind die hier in Rede stehenden,
verschwiegenen Krankheiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin
(Alkoholabhängigkeit, Fettleber) und dadurch bedingte ambulante und/oder stationäre
Behandlungen nicht angegeben worden. Ob der Hausarzt des Verstorbenen seinerzeit
mit diesem kollusiv zusammenwirkte, um den Beklagten zu täuschen, kann an dieser
Stelle dahinstehen. Jedenfalls ergab sich aus dem ärztlichen Befundbericht vom
16.09.2004 Dr. C keine zutreffende Aufklärung des Beklagten über den
Gesundheitszustand ihres Versicherungsnehmers.
71
3.
72
Die Beklagte hat die Anfechtung des Versicherungsvertrages mit Schreiben vom
23.09.2005 (Bl. 6 f.) gegenüber der Klägerin als Bezugsberechtigte erklärt, § 6 Abs. 7
AVB.
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Die Anfechtung erfolgte fristgerecht innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 und 2
BGB. Es ergeben sich für eine verfristete Anfechtungserklärung der Beklagten keine
Anhaltspunkte. Die Darlegungs- und Beweislast für alle Voraussetzungen des
Erlöschens des Anfechtungsrechts trägt der Anfechtungsgegner, hier also die Klägerin.
Sie muss daher auch beweisen, wann die Beklagte als Anfechtungsberechtigte von der
arglistigen Täuschung Kenntnis erlangt hat (vgl. BGH NJW 1992, 2346 und Palandt-
Heinrichs, 66. Aufl., § 124 BGB, Rdn. 5). Der Hinweis der Klägerin auf den ärztlichen
Befundbericht Dr. C vom 16.09.2004 hilft ihr in diesem Zusammenhang nicht weiter. Aus
diesem Bericht war für den Beklagten die arglistige Täuschung durch den
Versicherungsnehmer nicht zu erkennen (auf die obigen Ausführungen wird verwiesen).
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 ZPO).
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