Urteil des OLG Hamm vom 13.03.2006

OLG Hamm: genehmigung, unterbringung, beginn der frist, zwangsmedikation, anfechtung, hauptsache, zwangsbehandlung, beschwerderecht, rechtsmittelbelehrung, heilbehandlung

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 53/06
Datum:
13.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 53/06
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 6 T 12/06
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) werden der
angefochtene Beschluss teilweise sowie Beschluss des Amtsgerichts
Soest vom 28.12.2005 insoweit aufgehoben, als die zwangsweise
Medikation des Betroffenen - ggf. mit Sicherstellung der Maßnahmen
durch Zwang - genehmigt worden ist.
Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird als unzulässig
verworfen.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Betroffene war zunächst auf der Grundlage des PsychKG-NW seit dem 19.10.2005
geschlossen untergebracht. Durch Beschluss vom 24.10.2005 bestellte das Amtsgericht
im Wege einstweiliger Anordnung einen vorläufigen Betreuer für den Betroffenen in
allen Aufgabenbereichen bis zum 15.02.2006. Die hiergegen gerichtete sofortige
Beschwerde hat das Landgericht unter dem 04.11.2005 zurückgewiesen.
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Durch Beschluss vom 28.11.2005 hat das Amtsgericht die geschlossene Unterbringung
des Betroffenen durch den Betreuer bis zum 15.01.2006 genehmigt. Die hiergegen
gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht als unzulässig
verworfen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige weitere Beschwerde hat
der Senat durch Beschluss vom heutigen Tage zurückgewiesen.
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Durch Beschluss vom 28.12.2005 hat das Amtsgericht im Wege einstweiliger
Anordnung die Unterbringung um drei Monate verlängert und die Genehmigung zu einer
zwangsweisen medikamentösen Behandlung des Betroffenen erteilt. Hinsichtlich der
Verlängerung der Unterbringung hat es die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidung
angeordnet, hinsichtlich der Genehmigung der Zwangsbehandlung ausdrücklich nicht.
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Gegen diesen Beschluss hat mit Schriftsatz vom 02.01.2006 der Beteiligte zu 2)
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sofortige Beschwerde erhoben. Das Landgericht hat daraufhin das Amtsgericht
veranlasst, die bis zu diesem Zeitpunkt unterbliebene Anhörung des Betroffenen
nachzuholen. Diese ist am 24.01.2006 erfolgt. Durch Beschluss vom 03.02.2006 hat das
Landgericht die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass der höchstzulässige Unterbringungszeitraum am 28.02.2006
endet.
Gegen die Entscheidung des Landgerichts haben der Beteiligte zu 2) durch Schriftsatz
vom 07.02.2006 und der Betroffene zu Protokoll des Rechtspflegers des Amtsgerichts
Lippstadt am 08.02.2006 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Durch Beschluss vom
09.02.2006 hat das Amtsgericht, nachdem zwischenzeitlich ein
Sachverständigengutachten eingeholt worden war, in der Hauptsache entschieden und
die geschlossene Unterbringung des Betroffenen bis zum 09.02.2007 genehmigt.
Hinsichtlich der Notwendigkeit einer Zwangsmedikation hat es die Einholung eines
weiteren Sachverständigengutachtens angeordnet. Die Beschwerdeführer sind
daraufhin seitens des Senats darauf hingewiesen worden, dass durch die
Hauptsacheentscheidung des Amtsgerichts eine Erledigung der Hauptsache bezüglich
der einstweiligen Anordnung eingetreten sein dürfte, jedenfalls soweit die
Unterbringung genehmigt worden war. Der Beteiligte zu 2) hat daraufhin sein
Rechtsmittel für erledigt erklärt, soweit es die Genehmigung der Unterbringung betraf.
Der Betroffene hat u.a. durch Schreiben vom 24.02.2006 mitgeteilt, dass er auf einer
Entscheidung über seine Rechtsmittel bestehe.
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II.
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Die sofortigen weiteren Beschwerden sind nach den §§ 70 m Abs. 1, 70 h Abs. 1, 70 g
Abs. 3, 27, 29 FGG an sich statthaft sowie formgerecht eingelegt. Gleichwohl ist das
Rechtsmittel des Betroffenen insgesamt unzulässig, weil ihm die Befugnis zur
Anfechtung der Entscheidung des Landgerichts fehlt:
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Gegenstand der Entscheidung der Kammer sind zwei Verfahrensgegenstände, nämlich
sowohl die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen
Unterbringung des Betroffenen als auch die darüber hinaus erteilte Genehmigung zu
seiner zwangsweisen Medikation. Zu beiden Verfahrensgegenständen war die
Entscheidung des Amtsgerichts nur mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Dies folgt
für die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung unmittelbar aus den §§ 70 m
Abs. 1, 70 h Abs. 1, 70 g Abs. 3 FGG. Dies gilt aber auch für die Genehmigung der
Zwangsmedikation. Denn diese Genehmigung hat das Amtsgericht ersichtlich nicht auf
der Grundlage des § 1904 BGB, also deshalb erteilt, weil die Medikation eine
Lebensgefahr oder die Gefahr eines länger dauernden gesundheitlichen Schadens für
den Betroffenen begründen könnte. Grundlage der Entscheidung des Amtsgerichts ist
vielmehr der über die geschlossene Unterbringung hinausgehende weitere
freiheitsentziehende Eingriff, der mit der Durchführung einer Zwangsmedikation
verbunden ist. Unabhängig von der materiell-rechtlichen Genehmigungsfähigkeit einer
solchen Maßnahme (siehe dazu die nachstehenden Hinweise), kommen als
verfahrensrechtliche Grundlage insoweit nur die §§ 70 ff. FGG, als Rechtsmittel gegen
die Entscheidung des Amtsgerichts also nur die sofortige Beschwerde in Betracht (OLG
München NJW-RR 2005, 1530 f.).
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Soweit die erstinstanzliche Entscheidung einem befristeten Rechtsmittel unterliegt, ist
zur Anfechtung der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts nur derjenige befugt,
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der selbst die erstinstanzliche Entscheidung fristgerecht angefochten hatte (vgl. BGH
NJW 1980, 1960f; OLG Düsseldorf OLGZ 1985, 437, 438; Keidel/Meyer-Holz, FG,
15.Aufl., § 27 FGG, Rdnr. 11). Sind mehrere Verfahrensbeteiligte zur Anfechtung der
Entscheidung des Amtsgerichts mit der fristgebundenen Erstbeschwerde befugt, so
kann derjenige, der infolge Ablaufs der Rechtsmittelfrist sein Beschwerderecht verloren
hat, dieses auch nicht mehr durch Anfechtung der auf das Rechtsmittel eines anderen
Verfahrensbeteiligten ergangenen Beschwerdeentscheidung des Landgerichts
wahrnehmen. Diese Grundsätze gelten auch für das Verhältnis des dem Betroffenen
persönlich zustehenden Beschwerderechts zu demjenigen des für ihn bestellten
Verfahrenspflegers. Der gem. § 70 b FGG bestellte Verfahrenspfleger ist ein Pfleger
eigener Art, der die Funktion eines gesetzlichen Vertreters des Betroffenen einnimmt,
ohne dass hierdurch die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 66 FGG), insbesondere
seine Fähigkeit selbstständig Rechtsmittel einzulegen, beeinträchtigt würde (vgl. etwa
OLG Frankfurt/M. FGPrax 2000, 21). Der Verfahrenspfleger ist an Weisungen des
Betroffenen nicht gebunden, und kann unabhängig von diesem Rechtsmittel einlegen
(OLG Frankfurt/M. a.a.O. mit weiterem Nachw.). Dementsprechend läuft für den
Verfahrenspfleger eine eigene Beschwerdefrist, die den Beginn der Frist für den
Betroffenen nicht berührt (BayObLGZ 1999, 374 f. = FamRZ 2000, 1445). Folglich kann
der Verfahrenspfleger mit dem von ihm eingelegten Rechtsmittel das daneben dem
Betroffenen persönlich zustehende Beschwerderecht nicht wahrnehmen. Daraus folgt
hier:
Der Beteiligte zu 2) hat in seinem Schriftsatz vom 02.01.2006 erkennbar aufgrund seiner
Verfahrensstellung als bestellter Verfahrenspfleger des Betroffenen die sofortige
Erstbeschwerde eingelegt. Aus seiner Erklärung ergibt sich kein Anhaltpunkt dafür, dass
er das Rechtsmittel etwa aufgrund eines ihm als Rechtsanwalt erteilten Mandats als
Verfahrensbevollmächtigter namens des Betroffenen hat einlegen wollen, zumal er noch
kurz zuvor am 14.12.2005 dem Amtsgericht mitgeteilt hatte, ein anwaltliches Mandat des
Betroffenen nicht übernommen zu haben, und daraufhin durch Beschluss des
Amtsgerichts vom 23.12.2005 als Verfahrenspfleger des Betroffenen bestellt worden ist.
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 28.12.2005, der die nach § 70 f Abs. 1 Nr. 4 FGG
erforderliche Rechtsmittelbelehrung enthält, ist dem Betroffenen persönlich am
02.01.2006 förmlich zugestellt worden. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene in
der Folgezeit ein eigenes Rechtsmittel nicht eingelegt.
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In der Sache zu entscheiden hat der Senat deshalb nur über die sofortige weitere
Beschwerde des Beteiligten zu 2), der indessen nach Eintritt der Erledigung der
Hauptsache hinsichtlich der Genehmigung der geschlossenen Unterbringung mit
Schriftsatz vom 13.02.2006 erklärt hat, dass er eine Sachentscheidung lediglich noch
zum Verfahrensgegenstand der Genehmigung der Zwangsmedikation anstrebt.
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Diese Entscheidung unterliegt bereits deshalb der Aufhebung durch den Senat, weil sie
mit der gegebenen Begründung nicht im Wege der einstweiligen Anordnung hätte
ergehen dürfen. Der Senat lässt in diesem Zusammenhang offen, ob sich die
einstweilige Anordnung von 28.12.2005 nicht auch hinsichtlich der Genehmigung der
Zwangsmedikation durch den Erlass der Hauptsacheentscheidung, die zu dieser Frage
allein eine weitere Beweisaufnahme angeordnet hat, erledigt hat.
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Als Rechtsgrundlage für die Genehmigung einer Medikation, die gezielt gegen den
natürlichen Willen des Betroffenen durchgeführt werden soll, kommt nur § 1906 Abs.4
BGB in Betracht (so OLG München a.a.O.). In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind dann
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die §§ 70ff FGG zu beachten. Danach könnte zwar eine einstweilige Anordnung nach §
70 Abs.1 S.2 Nr.2 FGG erlassen werden, dies jedoch nur, wenn die Voraussetzungen
nach den §§ 70 h Abs.1 S.2, 69 f Abs.1 S.1 Nr.1 2. HS FGG vorliegen, mit einem
Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache also Gefahr verbunden ist. Diese
Voraussetzung muss im Hinblick auf die im Übrigen eingeschränkten
Anordnungsvoraussetzungen anhand konkreter Tatsachen festgestellt werden. Die
hierzu erforderlichen Feststellungen haben die Vorinstanzen nicht getroffen. Vielmehr
ergibt sich aus dem Umstand, dass das Amtsgericht von der Anordnung der sofortigen
Vollziehbarkeit abgesehen hat, dass es eine erhöhte Dringlichkeit im vorbeschriebenen
Sinne nicht für gegeben erachtet hat.
Aus diesen Gründen hat der Senat keinen Anlass, über die Frage der
Genehmigungsfähigkeit und der Genehmigungsbedürftigkeit einer Zwangsmedikation
des Betroffenen im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung zu entscheiden. Die
Begründung der sofortigen weiteren Beschwerde des Beteiligten zu 2) gibt dem Senat
lediglich Anlass zu dem Hinweis, dass seiner Auffassung nach die Entscheidung des
BGH vom 11.10.2000 (NJW 2001, 888 f.) der Annahme, dass eine Zwangsbehandlung
im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung zulässig sein kann, nicht entgegen
steht. Denn der BGH hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass ein nicht
einwilligungsfähiger Betreuter mit der Zustimmung des Betreuers – unter strenger
Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch gegen seinen Willen
behandelt werden kann (ebenso OLG München a. a. O.). Ob der Betreuer hierfür, soweit
die besonderen Voraussetzungen des § 1904 BGB nicht vorliegen, überhaupt einer
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, insbesondere die erforderliche
gesetzliche Grundlage bereits aus § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB abzuleiten ist, der die
Genehmigung einer gegen den Willen des Betroffenen erfolgenden geschlossenen
Unterbringung zum Zweck der Heilbehandlung ausdrücklich zulässt, ist nach dem
derzeitigen Stand der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, vielmehr
Gegenstand eines Vorlagebeschlusses an den BGH gem. § 28 Abs. 2 FGG (OLG Celle,
Beschl. v. 21.12.2005 – 17 W 132/05, zitiert nach juris).
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Eine Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz ist gem. § 128 b KostO nicht
veranlasst.
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