Urteil des OLG Hamm vom 11.12.2009

OLG Hamm (kläger, private krankenversicherung, wichtiger grund, verhältnis zu, leistungsausschluss, auszahlung der versicherungsleistung, eingriff, ausschluss, obiter dictum, freie arztwahl)

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 105/09
Datum:
11.12.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 105/09
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 1 O 154/08
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 17. Februar 2009 verkündete
Urteil der
1. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
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A.
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Der Kläger verlangt von der Beklagten – einer privaten Krankenversicherung – die
Aufhebung eines Leistungsausschlusses. Dieser Leistungsausschluss führt dazu, dass
bei der Beklagten versicherte Patienten des Klägers gegen die Beklagten keinen
Anspruch auf Erstattung der vom Kläger in Rechnung gestellten Arztkosten haben.
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Der Kläger führt seit 1989 in einer Privatklinik – einer Tagesklinik mit 14 Betten – im
Wesentlichen Behandlungen von multimorbiden Patienten durch. In der Vergangenheit
gab es zwischen mehreren privaten Krankenversicherungen - u.a. auch der Beklagten -
und dem Kläger Meinungsverschiedenheiten über die Erstattungsfähigkeit von
Behandlungskosten. Mit Schreiben vom 26.01.2004 teilte der Prozessbevollmächtigte
des Klägers der Beklagten mit, dass im Falle von Auseinandersetzungen über die
Abrechnungsfähigkeit von Leistungen die Gutachter zwischen 60 % und 80 % der
Leistungen anerkennen würden. In einer Patienteninformation teilte der Kläger mit, dass
ihn 5 von 42 privaten Krankenversicherungen von der Leistungserstattung
ausgeschlossen haben.
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Im September 2007 schloss die Beklagte aus wichtigem Grund, gestützt auf eine
Vertragsklausel, die § 5 Abs. 1 lit. c MB/KK entspricht, die Erstattungsfähigkeit der
Kosten von Behandlungen des Klägers für die Zukunft aus. Die Beklagte teilte dem
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Kläger mit Schreiben vom 19.09.2007 diesen Leistungsausschluss mit. Von dem
Leistungsausschluss waren zwei Patienten des Klägers betroffen, die bei der Beklagten
versichert waren.
Der Kläger ist der Ansicht, bei diesem Leistungsausschluss handele es sich um einen
unzulässigen Eingriff in seinen Gewerbebetrieb. Ein wichtiger Grund dafür liege nicht
vor. Ferner sei die Vorschrift des § 5 Abs. 1 lit. c MB/KK 94, auf die die Beklagte den
Leistungsausschluss stützt, unwirksam, da sie zu unbestimmt sei.
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Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, den gegen ihn, Kläger, erklärten Leistungsausschluss
der Beklagten vom 19.09.2007 aufzuheben;
2. die Beklagte zu verurteilen, die Mitteilung über seinen Ausschluss von der
Leistungserstattung an ihre Versicherten zu unterlassen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Landgericht hat die Klage – gestützt auf das Urteil des Senates vom 05.12.2008,
Az. I-9 U 89/08 – abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Anspruch gem. §§ 823 Abs. 1 i.V.
mit 1004 BGB zu. Der ausgesprochene Leistungsausschluss sei kein unmittelbar
betriebsbezogener Eingriff, da der Leistungsausschluss im Verhältnis der Beklagten zu
ihren Versicherten wirke. Ferner sei – ein Eingriff unterstellt – dieser wegen der
Wahrnehmung von berechtigten Interessen durch die Beklagte nicht rechtswidrig. Die
Beklagte habe gestützt auf § 5 Abs. 1 lit. c MB/KK den Leistungsausschluss erklären
dürfen. Gegen die Wirksamkeit dieser Vorschrift bestünden keine Bedenken.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er nur seinen Klageantrag
zu 1. weiter verfolgt. Zur Begründung vertieft er seinen erstinstanzlichen Vortrag. Die
Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.
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B.
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Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Der Senat hat bereits im Urteil vom 05.12.2008 (Az I-9 U 89/08), der eine
rechtlich vergleichbare Fallgestaltung betraf, einen Anspruch des Klägers abgelehnt.
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I.
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Der Senat (a.a.O.) hat ausgeführt, dass die Arztpraxis des Klägers zwar durch das Recht
des eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebes geschützt sei, einen Eingriff in
dieses Recht durch einen Leistungsausschluss einer Krankenkasse aber verneint und
daher Folgendes ausgeführt:
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"Es ist jedoch nur dann verletzt, wenn ein unmittelbar betriebsbezogener Eingriff
gegeben ist. Das Landgericht hat dies zutreffend unter Hinweis auf die einschlägige
obergerichtliche Rechtsprechung, der sich auch der Senat anschließt, verneint (vgl.
OLG Hamm, VersR 1988, 687; OLG Köln, VersR 1996, 234; OLG München, VersR
1999, 960; VersR 1977, 43; OLG Düsseldorf, VersR 2004; 984; ebenso Bach/Moser,
Private Krankenversicherung, § 5 MB/KK Rn. 96). Für einen unmittelbar
betriebsbezogenen Eingriff wäre erforderlich, dass die Beklagte gezielt zum Zwecke der
Einengung, Behinderung oder Verhinderung der beruflichen Tätigkeit des Klägers
gehandelt hat. Denn geschützt ist nur der spezifische betriebliche Organismus oder die
unternehmerische Entscheidungsfreiheit (OLG München, VersR 1999, 960). Ein
zielgerichtetes Handeln der Beklagten zum Nachteil des Klägers ist auch mit der
Berufung nicht schlüssig dargelegt worden. Vielmehr ging es der Beklagten bei der
Mitteilung in erster Linie um die Wahrnehmung ihrer Rechte und Verpflichtungen aus
dem Versicherungsverhältnis mit den Patienten des Klägers. Es beruht auf einer
eigenen Entscheidung der Versicherungsnehmer, entweder keine Leistungen mehr bei
dem Kläger in Anspruch zu nehmen, oder die Behandlung künftig auf eigene Kosten
fortzusetzen. Darin ist aber lediglich eine mittelbare Folge der Information über den
Ausschluss zu sehen. Allein der Umstand, dass der Verdienst des Klägers dadurch
geringer ausfällt, reicht für eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb nicht hin (OLG Düsseldorf, VersR 2003, 984). Die vom
Kläger angeführte Entscheidung des OLG Rostock (Urt. v. 25.6.2007, 3 U 70/07) betraf
ersichtlich einen nicht vergleichbaren Sachverhalt, in dem der Störer mit dem Ziel
handelte, den Betrieb der Klägerin zu beeinträchtigen und zu unterbinden."
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Ferner hat der Senat in einem obiter dictum ausgeführt, dass selbst wenn ein
unmittelbarer Eingriff angenommen werden könnte, es an der erforderlichen
Rechtswidrigkeit fehle. Die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb setze eine umfassende Interessenabwägung voraus, bei
der sowohl die berechtigten Interessen des Klägers als auch diejenigen der Beklagten
berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden müssten. Zu der
Interessenabwägung hat der Senat Folgendes ausgeführt:
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"Die Beklagte kann sich auf die berechtigte Wahrnehmung ihrer Interessen und
Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag mit den Patienten des Klägers berufen.
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Die Regelung des § 5 Abs. 1 lit. c AVB ist wirksam. Sie hält der Inhaltskontrolle nach §
307 BGB stand (vgl. OLG München, VersR 1999, 960; NVersZ 2000, 23; Bach/Moser,
a.a.O., § 5 MB/KK Rn. 29 m.w.N.; Prölss/Martin, VVG, § 5 MB/KK Rn. 7). Es besteht
insbesondere ein berechtigtes Interesse der Beklagten daran, einen generellen
Ausschluss, der nicht für jede einzelne Abrechnung überprüft werden muss,
herbeizuführen. Denn der Beklagten kann schon aufgrund ihrer Verpflichtung zur
sparsamen Mittelverwendung nicht zugemutet werden, jede einzelne Rechnung mit
aufwändigen und kostenträchtigen Gutachten überprüfen zu lassen.
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Es ist anerkannt, dass die Berechtigung zum Ausschluss im Verhältnis zu allen
Versicherten der Beklagten so lange feststeht und nicht in jedem Einzelfall erneut
geprüft werden muss, bis entweder der Versicherer den Ausschluss aufgrund einer
geänderten Sachlage aufhebt oder sich anderweitig mit dem Arzt verständigt (OLG Köln,
VersR 2000, 23; OLG Koblenz, Urt. v. 26.5.2000, 10 U 847/99; Bach/Moser, a.a.O., § 5
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MB/KK Rn. 35). Auf den festgestellten wichtigen Ausschlussgrund kann sich die
Beklagte sogar dann berufen, wenn ein durch andere Versicherungsunternehmen
erklärter Ausschluss gerichtlich überprüft und für wirksam gehalten wurde (OLG
Koblenz, Urt. v. 26.5.2000, 10 U 847/99). Denn es kommt nicht auf eine förmliche
Rechtskrafterstreckung der ergangenen Entscheidungen an. Die Beklagte handelte
jedenfalls dann in berechtigter Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten aus dem
Versicherungsverhältnis mit den Patienten, wenn sie auf Grund der bestehenden
gerichtlichen Entscheidungen von der Rechtmäßigkeit der Ausschlussentscheidung
ausgehen durfte. Das war ersichtlich der Fall.
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Der Kläger hat keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass die
Beklagte von geänderten Umständen ausgehen und nach erneuter Überprüfung der
Voraussetzungen des Ausschlusses zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen
müssen.
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Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, nach Ablauf einer bestimmten Zeit nach
Erklärung des Ausschlusses in die erneute Überprüfung der Rechmäßigkeit einzutreten.
Der Ausschluss wirkt vielmehr zeitlich unbegrenzt (Prölss/Martin, VVG, § 5 MB/KK Rn.
8). Der Kläger macht auch nicht geltend, dass er an seiner beanstandeten Behandlungs-
und Abrechnungspraxis irgendwelche Änderungen vorgenommen habe.
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Die vom Kläger angeführte Entscheidung des BGH vom 13.10.1998 (VI ZR 357/97;
NJW 1999, 2534) zu geschäftsschädigenden Äußerungen eines Haftpflichtversicherers
gegenüber Unfallgeschädigten, die bei dem klagenden Autovermieter einen
Ersatzwagen angemietet hatten, ist mit dem hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht
vergleichbar. Denn der BGH hat die Rechtswidrigkeit des Eingriffs gerade darin
gesehen, dass die dortige Beklagte sich auf eine unzutreffende Rechtsauffassung
gestützt hatte und durch deren Verbreitung die Kunden des Autovermieters gezielt
verunsichert hat. Demgegenüber beruft sich die Beklagte dieses Rechtsstreits auf eine
Rechtsauffassung, die durch eine Vielzahl rechtskräftiger Entscheidungen als zutreffend
bestätigt worden ist.
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Darüber hinaus kann der Kläger auch nicht auf eine gegebenenfalls im Rahmen der
Abwägung zu seinen Gunsten zu berücksichtigende besonders einschneidende
Wirkung der Mitteilung durch die Beklagte auf den Betrieb seiner Praxis bzw.
Tagesklinik verweisen. … Eine erdrosselnde Wirkung für den Betrieb seiner Praxis
ergibt sich daraus nicht. Der Vermutung des Klägers, die Beklagte handele auf
Grundlage eines abgestimmten Verhaltens sämtlicher bzw. der großen
Krankenversicherungsunternehmen, ist bereits dadurch der Boden entzogen, weil der
Kläger selbst ausgeführt hat, dass lediglich fünf von 40 Unternehmen einen Ausschluss
erklärt hätten."
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II.
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Der Senat sieht auch nach erneuter Prüfung keinen Anlass, von diesen auch die
Entscheidung dieses Falles tragenden Erwägungen abzuweichen. Die leichten
Abweichungen bei den Klageanträgen, über die mit dem Urteil vom 05.12.2008 zu
entscheiden war, im Verhältnis zu der vorliegenden Klage, gebieten keine andere
Bewertung. In dem Urteil vom 05.12.2008 begehrte der Kläger, dass eine andere private
Krankenversicherung verurteilt werden sollte, es zu unterlassen, im Rechtsverkehr
Dritten gegenüber zu behaupten, der Kläger sei von der Leistungserstattung
ausgeschlossen worden. Ferner wurde die Feststellung begehrt, dass die
Krankenversicherung nicht berechtigt sei, mit der Begründung, der Kläger sei von der
Leistungserstattung ausgeschlossen, die Auszahlung der Versicherungsleistung zu
verweigern. Auch bei diesen – leicht anderen Anträgen – konnte sich der Kläger
ausschließlich auf §§ 823, 1004 BGB unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in den
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stützen. Warum nach Auffassung des
Klägers die Erwägungen des Senates in der angegebenen Entscheidung vorliegend
nicht greifen sollen, wird seitens des Klägers nicht begründet.
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1.
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Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass ein zielgerichteter Eingriff vorliege, weil die
Ausschlussmitteilung ihm unmittelbar und persönlich zugestellt wurde, hilft ihm dies
nicht weiter. Zutreffend ist nur, dass der Leistungsausschluss nur mit Benachrichtigung
an den Versicherungsnehmer wirksam wird (Bach/Moser, Private Krankenversicherung,
§ 5 Rn. 16). Das Schreiben vom 19.09.2007 ist aber kein zielgerichteter Eingriff, sondern
erschöpft sich in einer Information des Klägers aufgrund einer vorangegangenen
Korrespondenz mit der Beklagten. Die Parteien haben vor dem Schreiben unstreitig
über die Abrechnungen des Klägers korrespondiert. Die Beklagte hat dem Kläger den
Leistungsausschluss angedroht. Die Information über die Durchführung des
Leistungsausschlusses, der primär im Verhältnis Versicherungsnehmer und Versicherer
wirkt, führt nicht zu einer Zielgerichtetheit des Leistungsausschlusses in Bezug auf den
Kläger.
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2.
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Soweit der Kläger versucht eine Parallele zur Frage der Bestimmtheit von
gemeindlichen Satzungen zu ziehen (z.B. über die Entscheidung BVerwG, NVwZ 1990,
867) verkennt er, dass es vorliegend um eine zivilrechtliche Problematik geht. Eine
Unwirksamkeit von § 5 Abs. 1 lit. c MB/KK könnte sich nur aus § 305 c BGB ergeben,
wenn diese Klausel – im Verhältnis zum Versicherungsnehmer – überraschend oder
mehrdeutig ist. Dies ist aber nicht der Fall, da aus Sicht des Versicherungsnehmers
hinreichend klar ist, was ein wichtiger Grund ist. Ein durchschnittlicher
Versicherungsnehmer muss damit rechnen, dass der Versicherer die
Versichertengemeinschaft vor unrichtigen Abrechnungen von Ärzten oder vor
Übermaßbehandlungen schützen muss. Auch die freie Arztwahl des Versicherten wird
nicht überraschend eingeschränkt. Ein Versicherungsnehmer kann nicht erwarten, dass
seine Versicherung die Kosten eines Arztes bezahlt, der regelmäßig unrichtige oder
überhöhte Leistungen abrechnet.
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3.
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Im Hinblick auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist zusätzlich zu berücksichtigen,
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dass der Kläger mit Schreiben vom 26.01.2004 selbst eingeräumt hat, dass er in
beachtlichem Umfang nicht abrechenbare Leistungen abgerechnet hat. Er hat
gegenüber der Beklagten angegeben, dass Gutachter seine Leistungen zu 60 % bis 80
% anerkennen würden. Wenn aber teilweise 20 bis 40 % der Leistungen nicht anerkannt
werden können, sind durchgreifende Zweifel an der Verlässlichkeit seiner
Abrechnungen begründet. Dann aber liegt auch ein wichtiger Grund für einen
Leistungsausschluss vor, weil das quantitative Maß der Beanstandungen den
Krankenversicherer überfordert. Der Kontrollaufwand belastet das
Versicherungsverhältnis mehr als notwendig und muss deshalb auf Dauer nicht
hingenommen werden.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 10 ZPO. Gründe für die Zulassung der
Revision sind nicht ersichtlich.
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