Urteil des OLG Hamm vom 12.02.2002

OLG Hamm: irreführende werbung, lebensmittel, nährwert, fett, produkt, diät, verbraucher, ernährung, werbeverbot, verkehr

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 79/02
Datum:
12.02.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 79/02
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 41 O 177/01
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 20. Februar 2002 verkündete
Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen
abgeändert.
Der Beklagten wird bei Vermeidung eines für jeden Fall der künftigen
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00
Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6
Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten untersagt,
im geschäftlichen Verkehr für das Mittel "Q" mit dem Hinweis auf dessen
fettreduzierende Wirkung, insbesondere zu werben:
1.1 "Fettabbau"
1.2 "So kriegen Sie Ihr Fett weg".
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch zu, weil die Beklagte irreführend ein Lebensmittel mit dessen
fettreduzierender Wirkung beworben und damit gegen § 6 Abs. 1
Nährwertkennzeichnungs VO und gegen § 17 Abs.1 Nr. 5 a LMBG verstoßen hat.
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1) Der Klageantrag ist nicht zu beanstanden. Das Verbot hat die konkrete
Verletzungshandlung zum Gegenstand, die im Hinblick auf denkbare kerngleiche
Verstöße in zulässiger Weise abstrahiert wird. Die beanstandeten Aussagen sind als
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Überschriften für das beworbene Produkt gewählt worden und deshalb nicht aus dem
Zusammenhang des Werbeblattes gerissen.
2) Die Aktivlegitimation des Klägers wird zu Recht nicht mehr in Frage gestellt.
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3) Dem Kläger steht im Hinblick auf die beanstandete Werbeaussage ein
Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG in Verbindung mit einem Verstoß gegen § 6
Abs.1 Nährwert-Kennzeichnungs VO gegen die Beklagte zu.
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a) Die beanstandete Werbung der Beklagten stellt einen Verstoß gegen das in § 6 Abs.
1 dieser Vorschrift enthaltene Verbot der sogenannten Schlankheitswerbung dar. Ihr
Faltprospekt enthält eine Werbung für Lebensmittel, zu denen auch die von der
Beklagten angebotenen Nahrungsergänzungsmittel gehören. Die Werbung für das
Mittel "Q" verwendet mit "Fettabbau" und "So kriegen Sie Ihr Fett weg" Angaben, die
darauf hindeuten, dass es schlankmachende, schlankheitsfördernde oder
gewichtsverringernde Eigenschaften besitzt. Da damit jede unmittelbare und mittelbare
Aussage zur Schlankheitsförderung erfasst wird (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Band
2, C 22, § 6 Rdn. 13), ist ein Hindeuten im Sinne der Vorschrift hier in jedem Fall
gegeben.
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b) Jedenfalls im vorliegenden Fall verstößt das Werbeverbot in § 6 Abs.1 Nährwert-
KennzeichnungsVO nicht gegen EU-Recht, insbesondere nicht gegen die Richtlinie
2000/13/EG vom 20. März 2000. Diese fußt auf der Etikettierungsrichtlinie 79/112/EWG
vom 18. Dezember 1978 und enthält in Art. 2 Nr. (1) a ein Werbeverbot für irreführende
Werbung und unter ii) insbesondere ein Verbot von Angaben und Eigenschaften, die
das Lebensmittel nicht besitzt. § 6 Nährwert-KennzeichnungsVO enthält als
spezialgesetzliche Regelung einen abstrakten Irreführungstatbestand (vgl. Köhler/Piper,
UWG, 2. Auflage, § 3 Rdn. 21) und stellt damit nur eine Ausformung des allgemeinen
Irreführungstatbestandes der EG-Richtlinie dar. Es spricht viel dafür, dass die in dieser
speziellen Vorschrift verbotenen Aussagen stets irreführend sind, weil durch ein
einzelnes Lebensmittel eine maßgebliche Verringerung des Körpergewichts nicht
erreicht werden kann. Das gilt auch für Nahrungsergänzungsmittel, die allein aus ihrer
Art heraus keine schlankmachende Wirkung haben dürften. Zweifel an der Vereinbarkeit
der Vorschrift mit EU-Recht könnten danach ohnehin nur aufkommen, soweit sie
ausnahmsweise auch erkennbar nicht irreführende Angaben einbeziehen würde oder
solche Angaben, die wissenschaftlich gesichert sind (Zipfel/Rathke, a.a.O., § 6 Rdn.8).
Diese Fälle sind hier nicht gegeben (siehe die Ausführungen unten Ziffer 4 b). Die
Beklagte kann sich deshalb auf entgegenstehendes EU-Recht nicht berufen.
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c) Da es hier um den sensiblen Bereich der Gesundheitsvorsorge geht, stellt ein Verstoß
gegen § 6 Nährwert-KennzeichnungsVO im Regelfall zugleich einen Verstoß gegen § 1
UWG dar. Warum das hier ausnahmsweise anders sein sollte, ist nicht ersichtlich.
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4) Der Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich daneben auch aus § 17 Abs.1
Nr.5 LMBG in Verbindung mit § 3 UWG. Die Beklagte hat in ihrer Werbung einem
Lebensmittel im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
gesundheitsbezogene Wirkungen beigelegt, die ihm nach den Erkenntnissen der
Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert
sind. Das ist irreführend.
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a) Bei dem von der Beklagten beworbenen Produkt "Q" handelt es sich um ein
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Lebensmittel in diesem Sinne. Darunter sind nach § 1 LMBG auch solche
Nahrungsergänzungsmittel zu verstehen, die dazu bestimmt sind, zur Ergänzung der
Ernährung von Menschen verzehrt zu werden.
b) Dieses Lebensmittel hat die Beklagte damit beworben, dass es den Fettabbau
begünstigen soll. Die Parteien streiten nicht mehr darüber, dass die angesprochenen
Verbraucher, zu denen nicht nur Leistungssportler sondern auch Bodybuilding
betreibende Kunden von Fitneß-Studios gehören, der Werbung entnehmen, dass Q
unmittelbar durch seine Einnahme dem Fettabbau dient und damit verbunden für eine
weitere Gewichtsverringerung sorgen soll.
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Eine durch das Mittel bewirkte gesteigerte Trainingsleistung kommt lediglich als zweite
Funktion hinzu. Dem entsprechend heißt es im Werbetext zusammenfassend wörtlich:
"Q ist damit das herausragende Produkt zur Verbrennung von überschüssigem
Körperfett." Die Werbung kann der durchschnittlich verständige und aufmerksame
Verbraucher nur so verstehen, dass allein durch die Einnahme des Mittels Fett schneller
weg geht als ohne eine solche. Eine solche Wirkungsweise ist jedenfalls nicht
hinreichend wissenschaftlich gesichert.
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aa) Der Kläger hat substantiiert gerügt, dass diese Werbeangabe irreführend sei, weil
sie dem Mittel "Q" fettreduzierende Wirkungen beimesse, die es nicht habe. Er hat
schon in der Klageschrift vorgetragen, dass eine nachhaltige Reduzierung des
Körpergewichts nur durch eine nachhaltige Einschränkung der Kalorienzufuhr möglich
sei. Kein Produkt könne für sich so auf die Körperfunktionen einwirken, dass
vorhandenes Fett abgebaut werde. Für Lebensmittel ist auch der Verordnungsgeber der
Nährwert-KennzeichnungsVO dieser Auffassung gewesen, sodass schon vieles für die
Unrichtigkeit der Werbeaussage spricht.
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bb) Angesichts der dadurch jedenfalls bestehenden Zweifel an der Richtigkeit müsste
die Beklagte darlegen und beweisen, dass ihre Werbeaussage zu der
gewichtsverringernden Wirkung von Q dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnis entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 25.Oktober 2001 4 U 95 / 01 betreffend
Selen mit weiteren Nachweisen). Den erforderlichen Beweis dafür, dass die
beworbenen Wirkungen des Q gesicherter Kenntnisstand der Schulmedizin sind, hat die
Beklagte nicht erbracht.
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aaa) Das von ihr vorgelegte Gutachten von X (Bl.105 ff.) stellt entscheidend darauf ab,
dass die Brenztraubensäure als Intermediärprodukt des menschlichen Stoffwechsels
aufgrund ihrer Eigenschaften, von den Muskelzellen rasch aufgenommen und ohne
Konkurrenz mit dem Fettstoffwechsel genutzt zu werden, leistungshemmendes
Ammoniak aus der Muskulatur abzutragen und durch Alkalisalze einer Übersäuerung
der Muskulatur entgegen zu wirken, im Rahmen der Sporternährung positiven Einfluss
auf die Energiebereitstellung, die Regenerationsfähigkeit und damit auch auf den
Trainingserfolg und die Gesunderhaltung von Sportlern trotz erheblicher Belastung hat.
Die Verringerung des ohnehin nicht großen Gewichts der Sportler stellt sich insoweit als
bloßer Nebeneffekt dar. X hat in seinem Gutachten auch selbst eingeräumt, dass es
noch wenig aussagekräftige Untersuchungen zur Gewichtung des Nutzens von Q nicht
nur im Bereich der ihn vorwiegend interessierenden Sporternährung gebe.
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bbb) Nach der Stellungnahme des von der Gegenseite für nicht objektiv gehaltenen S
(Bl.90 ff.) wird Q vor allem als Nährstoff im Bereich einer diätestischen Ernährung
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empfohlen, der aufgrund seiner thermogenen Struktur die Einbeziehung energiearmer
Diätformen in eine Diät unnötig mache. Danach soll das Mittel nicht für sich
gewichtsreduzierend wirken, sondern neben anderen Produkten ein guter, fruchtbarer
Bestandteil einer Diät sein, der es nach der Werbeaussage aber zu einem Fettabbau
gerade nicht bedürfen soll.
ccc) Einen hinreichenden Beweis liefern auch nicht die in Übersetzungen vorgelegten
Ergebnisse dreier klinischer Studien. Die beiden am Montefiore University Hospital in
Pittsburgh durchgeführten Studien betrafen Sondergruppen. In dem einen Fall wurden
übergewichtige Frauen untersucht, in dem anderen Fall ging es um Patienten mit
Hyperlididämie, die zuvor eine Diät durchgeführt hatten. Es kann dahin stehen, ob das
Ergebnis der Doppelblindstudie von Ärzten aus Greenwich in Connecticut (Bl.87) eine
gewisse Aussagekraft in Bezug auf eine gewichtsreduzierende Wirkung von Q haben
könnte, weil sich bei einer sechswöchigen Behandlung von Probanden, die tatsächlich
Q zu sich genommen hatten, eine signifikanten Reduzierung des Körpergewichts
eingestellt haben soll, und zwar im Gegensatz zu Probanden, die Placebos genommen
hatten. Eine einzige ergiebige Stellungnahme eines solchen Instituts würde angesichts
der oben geschilderten gewichtigen Zweifel in keiner Weise ausreichen, um einen
Schluss darauf zuzulassen, dass solche Wirkungen wissenschaftlich unumstritten sind.
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5) Die wettbewerbswidrige Werbung ist auch geeignet, den Wettbewerb auf dem hier
einschlägigen Markt für Nahrungsergänzungsmittel wesentlich zu beeinträchtigen. Dies
gilt schon deshalb, weil die beanstandete Aussage den sensiblen Bereich der
Gesundheitswerbung betrifft, in welchem wettbewerbswidriges Verhalten im Regelfall
als eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs erscheint.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711,
713 ZPO.
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