Urteil des OLG Hamm vom 07.09.2010

OLG Hamm (vollstreckung, einstellung, vorschrift, nachteil, zwangsvollstreckung, zpo, rechtsmittel, antrag, beschränkung, begründung)

Oberlandesgericht Hamm, II-11 UF 155/10
Datum:
07.09.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-11 UF 155/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Beckum, 7 F 281/09
Schlagworte:
Einstellung der Vollstreckung
Normen:
§ 120 Abs. 2 FamFG
Leitsätze:
Eine Einstellung oder Beschreibung der Vollstreckung ohne die
Darlegung und Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils
sieht der FamFG nicht vor.
Tenor:
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Einstellung oder Beschränkung
der Vollstreckung aus dem am 16. Juli 2010 verkündeten Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengerichts – Beckum wird zurückgewiesen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Antragsgegner und Beschwerdeführer
dazu verpflichtet, an die Antragstellerin Trennungsunterhalt in näher festgelegter Höhe
zu zahlen. Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt und gleichzeitig
beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss – notfalls gegen
Sicherheitsleistung- einzustellen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der
Trennungsunterhalt sei durch das Ausgangsgericht unrichtig festgesetzt worden.
3
II.
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Der nach § 120 Abs. 2 Satz 2, 3 FamFG statthafte Antrag auf Einstellung oder
Beschränkung der Vollstreckung ist nicht begründet.
5
1.
6
Gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2, 3 FamFG hat das Gericht die Vollstreckung vor Eintritt der
Rechtskraft in der Endentscheidung auf Antrag einzustellen oder zu beschränken, wenn
der Verpflichtete glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu
ersetzenden Nachteil bringen würde.
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Die Vorschrift des § 120 Abs. 2 FamFG über die Einstellung der Zwangsvollstreckung
ist dem § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nachgebildet (vgl. die Begründung des
Regierungsentwurfs BTDrs. 16/6308 S. 226). Sie ist – ebenso wie die
arbeitsgerichtliche Vorschrift, welche als Vorlage diente – eng auszulegen.
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Beide Vorschriften verfolgen das Ziel, die Vollstreckungsmöglichkeiten aus Rechtstiteln,
welche regelmäßig den Lebensunterhalt des Gläubigers sicherstellen, zu stärken (vgl.
Griesche, FamRB 2009, 258, 260; Borth/Grandel/Musielak, Familiengerichtliches
Verfahren, § 120 Rn. 4; Begründung des Regierungsentwurfs BTDrs. 16/6308 S. 412).
Der Gesetzgeber hat sich bei der Fassung dieser Vorschriften terminologisch an § 712
ZPO angelehnt und nicht etwa an § 710 ZPO, der bereits einen schwer zu ersetzenden
oder schwer abzusehenden Nachteil genügen lässt.
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Grundsätzlich sollen arbeitsgerichtliche Titel für den Gläubiger schnell und
unkompliziert durchzusetzen sein, und dieser Grundsatz darf nicht dadurch aufgeweicht
werden, dass die Ausnahmevorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG allzu großzügig
ausgelegt wird (Nieders. LAG, Beschl. vom 19.03.2009 – 10 Sa 1681/08 m.w.N.). Diese
für das arbeitsgerichtliche Verfahren getroffenen Wertungen hat der Gesetzgeber für
Vollstreckungstitel nach dem FamFG übernommen, indem er § 120 Abs. 2 Satz 2
FamFG der arbeitsgerichtlichen Vorschrift nachbildete und überdies in § 120 Abs. 2
Satz 3 FamFG anordnete, dass auch in den Fällen des § 707 Abs. 1 und des § 719 Abs.
1 ZPO die Vollstreckung nur unter denselben Voraussetzungen – nämlich bei Vorliegen
eines nicht zu ersetzenden Nachteils – eingestellt oder beschränkt werden kann.
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Eine Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung ohne die Darlegung und
Glaubhaftmachung eines sonst nicht zu ersetzenden Nachteils sieht das mit der
Einführung des FamFG geänderte Familienverfahrensrecht nicht (mehr) vor. Die vom
Bundesrat geäußerten Bedenken, dass der Schutz des Vollstreckungsschuldners durch
diese Regelung nur unzureichend verwirklicht werde (BTDrs. 16/6308 S. 373), wurden
im weiteren Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich unter Hinweis auf die vom
Familiengericht nach § 116 Abs. 3 Satz 2, 3 FamFG zu treffende Güterabwägung
zurückgewiesen (BTDrs. 16/6308 S. 412).
11
2.
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Das Vorliegen der nach § 120 Abs. 2 FamFG erforderlichen
Einstellungsvoraussetzungen hat der durch den Unterhaltstitel verpflichtete Ehemann
weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Er hat insbesondere nicht dargelegt, dass ihm
die bevorstehende Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil brächte.
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Ein nicht zu ersetzender Vollstreckungsnachteil liegt nicht bereits darin, dass eine
Vollstreckung bevorsteht, welche im Falle eines Erfolgs des in der Hauptsache
eingelegten Rechtsmittels rückgängig gemacht werden müsste. Ein nicht zu ersetzender
Nachteil läge dann vor, wenn durch die vorläufige Vollstreckung ein Schaden entstünde,
welcher auch bei einem erfolgreichen Rechtsmittel nicht rückgängig gemacht werden
könnte (Griesche, FamRB 2009, 258, 261; MüchKommFamFG/Fischer, § 120 Rn. 11;
Schulte-Bunert in Weinreich/Schulte-Bunert, FamFG, § 120 Rn. 4 sowie die
Regierungsentwurfsbegründung BTDrs. 16/6308 S. 226). Solche Voraussetzungen sind
im vorliegenden Fall jedoch nicht dargelegt.
14
3.
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Zwar hat sich in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur ein
Meinungsstreit darüber entwickelt, ob und mit welchem Einfluss die Erfolgsaussichten
des Rechtsmittels im Rahmen des Begriffs des nicht zu ersetzenden Nachteils mit zu
berücksichtigen seien (vgl. die Darstellung des Streitstandes bei Nieders. LAG, Beschl.
vom 19.03.2009 – 10 Sa 1681/08; vgl. auch Griesche, FamRB 2009, 258, 261). Dem ist
zumindest insoweit zu folgen, als eine Einstellung der Zwangsvollstreckung von
vornherein nicht in Betracht kommt, wenn das eingelegte Rechtsmittel aussichtslos
erscheint.
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Hat das Rechtsmittel aber Aussicht auf Erfolg, folgt daraus für sich genommen noch
nicht ein Anspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 120 Abs. 2 FamFG.
Denn der Gesetzgeber hat das im Zivilprozess herrschende System der vorläufigen
Vollstreckbarkeit einschließlich der durch die §§ 709, 719 ZPO eröffneten weiten
Ermessens- und Abwägungsspielräume bewusst nicht in das FamFG übernommen,
sondern durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG die sofortige Wirksamkeit von
Unterhaltstiteln wegen deren besonderer Bedeutung zur Sicherung des Lebensbedarfs
zum Regelfall erklärt und die Einstellung der Vollstreckung ausdrücklich an das enge
Kriterium des nicht zu ersetzenden Nachteils geknüpft. Daher könnten positive
Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels für sich genommen allenfalls dann
einen nicht zu ersetzenden Vollstreckungsnachteil indizieren, wenn sie in einem Fall
greifbarer Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung auf der Hand liegen.
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Deshalb kann ein nicht zu
ersetzender Nachteil im Sinne der Einstellungsvoraussetzungen nicht festgestellt
werden.
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Die Vorschrift des § 120 FamFG enthält auch keine Regelung, aus der sich herleiten
ließe, dass der Gläubiger oder der Schuldner Sicherheit leisten oder durch ein
entsprechendes Angebot Einfluss auf die Entscheidung aus Abs. 2 der Vorschrift
nehmen könnte (Griesche, FamRB 2009, 258, 261; MüchKommFamFG/Fischer, § 120
Rn. 8, 11).
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