Urteil des OLG Hamm vom 19.01.2009

OLG Hamm: wichtiger grund, verfügung, anklageschrift, untersuchungshaft, fortdauer, haftbefehl, marihuana, zustellung, haftprüfung, rechtsmedizin

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ws 74/09 (4 OBL 3/09)
Datum:
19.01.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ws 74/09 (4 OBL 3/09)
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 8 KLs 260 Js 753/08 (1/09)
Tenor:
Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird
angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den
allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Haftprüfung wie folgt Stellung genommen:
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"
I.
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Der Angeklagte ist am 14.10.2008 vorläufig festgenommen (Bl. 74 Bd. 1 DA) und
aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Münster — 23 Gs 4525/08 — vom
15.10.2008 (Bl. 89-91 Bd. 1 DA) zur Untersuchungshaft gebracht worden, die seitdem in
der Justizvollzugsanstalt N gegen ihn vollzogen wird (Bl. 205, 206 Bd. II DA).
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Durch Beschluss vom 06.02.2009 hat das Landgericht — Strafkammer — Münster den
Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Münster vom
29.12.2008 (Bl. 192-195 Bd. II DA) neu gefasst (Bl. 224-228 Bd. II DA) und dem
Angeklagten durch Zustellung an seine Verteidigerin schriftlich bekannt gemacht
(Bl. 229 Bd. II DA).
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Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, in der Zeit von August 2007 bis zu seiner
Festnahme durch 408 selbständige Handlungen gewerbsmäßig unerlaubt mit
Betäubungsmitteln — überwiegend handelte es sich um Marihuana in N2 zwischen 0,5
g und 2 g — Handel getrieben zu haben, wobei er die Betäubungsmittel in 156 Fällen
als Person über 21 Jahre an Personen unter 18 Jahren abgegeben habe, sowie sich in
einem weiteren Fall 99,83 g Amphetamingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 4,19 g
Amphetaminbase und 306,52 g Marihuana mit 16,85 g Tetrahydrocannabinol zum
Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs in seiner Wohnung in N verschafft und
dabei sonstige Gegenstände bei sich geführt zu haben, die zur Verletzung von
Personen geeignet und bestimmt waren. Hinsichtlich der Einzelheiten der dem
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Angeklagten zur Last gelegten Straftaten, des dringenden Tatverdachts und des
Haftgrundes wird auf den Haftbefehl des Landgerichts Münster sowie auf die
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Münster, die das Ergebnis der Ermittlungen
zutreffend zusammenfasst, Bezug genommen.
In Ubereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft und dem Landgericht Münster halte
auch ich die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich.
7
II.
8
Die
ist mit dem in Haftsachen gebotenen Nachdruck gefördert worden.
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Die Untersuchung der sichergestellten Rauschgiftmengen durch das
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Institut für Rechtsmedizin in N ist durch die Polizeibehörde in
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N noch am Tage nach der Sicherstellung in Auftrag gegeben
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worden (Bl. 58, 59 Bd. 1 DA).
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Neben dem Beschuldigten sind noch am 15.10.2008 die als Abnehmer bzw. Lieferanten
von Betäubungsmitteln verdächtigen Q (Bl. 63, 64 Bd. 1 DA), Mustafova (Bl. 68, 69 Bd. 1
DA) sowie Sebastian und Markus M (Bl. 65-67,
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70-71 Bd. 1 DA) verantwortlich vernommen worden.
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Am 17.10.2008 erfolgte die verantwortliche Vernehmung des ebenfalls Verdächtigen M1
(Bl. 134-136 Bd. 1 DA), am 22.10.2008 die des U (Bl. 137, 138 Bd. 1 DA), am
24.10.2008 die des H (Bl. 146-149 Bd. 1 DA), am 27.10.2008 die des D (Bl. 150-153 Bd.
1 DA), am 28.10.2008 die des Q1 (Bl. 154-156 Bd. I DA) und der D1 (B. 157-159 Bd. 1
DA), am 03.11.2008 die der L (Bl. 160-163 Bd. I DA), am 05.11.2008 die des C (Bl. 164,
165 Bd. I DA), am 10.11.2008 die des C1 (Bl. 166-168 Bd. I DA), am 11.11.2008 die des
T (Bl. 169-171 Bd. I DA) und der A (Bl. 172-173 Bd. I DA) sowie am 12.11.2008 die des
E (Bl. 174-175 Bd. I DA) und des G (Bl. 176-177 Bd. I DA). Ferner war auf den
27.10.2008 die Vernehmung der E1 anberaumt, die jedoch nicht erschien (Bl. 144, 145
Bd. I DA). Die über die Vernehmungen gefertigten Niederschriften und Vermerke
wurden durch die Polizeibehörde in N mit Verfügung vom 14.11.2008 an die
Staatsanwaltschaft Münster übersandt (Bl. 182 Bd. I DA).
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Das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums
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N vom 19.11.2008 bezüglich der chemisch-toxikologischen
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Untersuchung des sichergestellten Amphetamingemisches ging am
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20.11.2008 bei der Staatsanwaltschaft Münster ein (Bl. 118, 119 Bd. I DA), das vom
11.11.2008 über die Untersuchung des sichergestellten Marihuanas am 12.11.2008 (Bl.
196, 197 Bd. II DA).
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Am 25.11.2008 ordnete der Dezernent bei der Staatsanwaltschaft Münster die
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Vervollständigung der Doppelakten und ihre Übersendung unter Beifügung eines TÜ-
Ordners an die Verteidigerin des Angeklagten an (Bl. 123 R Bd. I DA), durch welche die
Akten mit Schreiben vom 01.12.2008 am 02.12.2008 an die Staatsanwaltschaft Münster
zurückgegeben wurden (Bl. 183 Bd. I DA). Nach Abtrennung eines Verfahrens wegen
des Verdachts einer Straftat zum Nachteil des Angeklagten mit Verfügung vom
10.12.2008 (Bl. 190 Bd. l DA) erhob die Staatsanwaltschaft Münster mit Verfügung vom
29.12.2008 Anklage zum Landgericht —Strafkammer— in Münster (Bl. 191, 192 ff Bd. I
DA), bei welchem die Akten am 02.01.2009 eingingen (Bl. 197 R Bd. II DA).
Mit am selben Tage ausgeführter Verfügung vom 05.01.2009 ordnete der Vorsitzende
der Strafkammer die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten und seine
Verteidigerin sowie die Beiziehung von Vorstrafakten und einer aktuellen Auskunft aus
dem Bundeszentralregister an (Bl. 198-200 Bd. II DA), durch Verfügung vom 07.01.2009
ordnete er die bis dahin aufgrund eines Wahlmandats tätige Verteidigerin bei (Bl. 214-
216 Bd. II DA).
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Durch Beschluss vom 06.02.2009 wurde die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
Münster zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren gegen den
Angeklagten vor der Strafkammer des Landgerichts Münster eröffnet, der Haftbefehl
nach Maßgabe der Anklageschrift neu gefasst und die Fortdauer der Untersuchungshaft
über sechs Monate hinaus angeordnet (Bl. 224-228 Bd. II DA). Mit Verfügung vom
selben Tage bestimmte der Vorsitzende der Strafkammer in Abstimmung mit der
Pflichtverteidigerin Termin zur Hauptverhandlung auf den 20.04.2009 mit
Fortsetzungsterminen am 29.04.2009 und 04.05.2009 (Bl. 229-232 Bd. II DA).
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Einem früheren Beginn der Hauptverhandlung stand entgegen, dass die Strafkammer im
Februar und März 2009 zwei anderweitige Haftsachen verhandelt, von denen in einer
Fortsetzungstermine bis zum 23.12.2009 anberaumt sind, und die Pflichtverteidigerin an
den einzig freien Verhandlungsterminen der Kammer am 24., 25. und 30.03.2009
verhindert ist und sich darüber hinaus in der Zeit vom 02. bis zum 19.04.2009 in Urlaub
befindet (BI. 219 Bd. II DA).
24
III.
25
Bei diesem Verfahrensgang ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen
besonderen Beschleunigung geführt worden. Der besondere Umfang der Ermittlungen
und ein anderer wichtiger Grund haben ein Urteil vor Ablauf von sechs Monaten noch
nicht zugelassen. Angesichts des Umfangs der durch die Polizeibehörde in N erst mit
Verfügung vom 14.11.2008 nachgesandten Vernehmungsniederschriften ist das
Zuwarten der Staatsanwaltschaft Münster nach Gewährung von Akteneinsicht an die
Pflichtverteidigerin und Rückkunft der Akten von dort bis zur Anklageerhebung am
29.12.2008 nicht zu beanstanden. Der Zeitraum erscheint angemessen, da sich der
Angeklagte — falls er sich substantiiert hätte einlassen wollen — mit einer Vielzahl von
Aussagen hätte auseinandersetzen und hierüber mit seiner Verteidigerin zuvor beraten
müssen.
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Ebenso wenig führt die Anberaumung der Hauptverhandlung auf einen 2 ½ Monate
nach Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens liegenden Termin zur
Aufhebung des Haftbefehls. Die Verzögerung über den 24.03.2009 hinaus hat ihre
Ursache nämlich nicht in der Verantwortungssphäre der Justiz, sondern darin, dass die
Pflichtverteidigerin des Angeklagten — ersichtlich die Anwältin seines Vertrauens —
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aus triftigen Gründen nicht zur Verfügung steht. Dem Anspruch eines Angeklagten,
durch einen Verteidiger seines Vertrauens in der Hauptverhandlung verteidigt zu
werden, kommt jedoch erhebliche Bedeutung zu. Dabei ist auch in den Blick zu
nehmen, dass auch für den Fall der Beiordnung eines anderen Pflichtverteidigers, der
sich erst in den Verfahrensstoff hätte einarbeiten und die Verteidigungsstrategie mit dem
Angeklagten besprechen müssen, ein früherer Verhandlungsbeginn kaum hätte
stattfinden können.
Hinsichtlich des Zeitraums zwischen der Entscheidung über die Eröffnung des
Hauptverfahrens und dem frühesten freien Termin der Strafkammer ist ferner in den
Blick zu nehmen, dass es eines gewissen zeitlichen Vorlaufs bedarf, um die
organisatorischen Vorkehrungen unter Einhaltung von Ladungsfristen, Anordnung von
Vorführungen pp. treffen zu können. Soweit der verzögerte Beginn der
Hauptverhandlung darüber hinaus seine Ursache in der starken Auslastung der
Strafkammer mit zwei anderweitigen umfangreichen Haftsachen hat, erscheint sie auch
in Ansehung des verfassungsmäßig verbrieften Freiheitsgrundrechts des Angeklagten
noch vertretbar und gefährdet den Bestand des Haftbefehls nicht.
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In Anbetracht der in der Anklageschrift wiedergegebenen einschlägigen strafrechtlichen
Vorbelastung des Angeklagten und der zu erwartenden vollstreckbaren Freiheitsstrafe
steht die Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung
der Sache."
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Dem schließt sich der Senat in vollem Umfange an.
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