Urteil des OLG Hamm vom 09.06.2009

OLG Hamm: bedingte entlassung, bewährung, familie, vollstreckung, rückfall, persönlichkeit, aussetzung, unverzüglich, kreis, geburt

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 179-181/09
Datum:
09.06.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 179-181/09
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, StVK H 729/09 (25)
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft wird
angeordnet.
3. Die Vollstreckung der von dem Verurteilten noch nicht verbüßten
Reststrafen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Lemgo
vom 23. April 2004 (25 Ds 36 Js 1907/07 – 509/02), aus dem Urteil des
Landgerichts Detmold vom 13. Dezember 2004 (4KLs 41 Js 969/03 –
53/04) sowie aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 29. August
2006 (39 Ds 33 Js 597/06 – 462/06) werden zur Bewährung ausgesetzt.
4. Die Dauer der Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
5. Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für ihn zuständigen
hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.
6. Der Verurteilte hat sich umgehend nach seiner Entlassung in der
Dienststelle des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers
vorzustellen und regelmäßig Kontakt zu seinem Bewährungshelfer zu
halten.
7. Der Verurteilte hat dem Gericht jeden Wohnungswechsel
unverzüglich mitzuteilen.
8. Die Belehrung über die bedingte Entlassung und über die Bedeutung
der Aussetzung der Restfreiheitsstrafen zur Bewährung wird dem Leiter
der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne übertragen.
9. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.
G r ü n d e :
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I.
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Der Verurteilte verbüßt derzeit die gegen ihn wegen uneidlicher Falschaussage durch
Urteil des Landgerichts Detmold vom 13. Dezember 2004 unter Einbeziehung
verschiedener Strafen aus Vorverurteilungen wegen Betruges verhängte
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, die gegen ihn wegen Betruges und Hehlerei mit
Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 23. April 2004 festgesetzte
Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten sowie die ebenfalls wegen Betruges gegen ihn
erkannte Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld
vom 29. August 2006. Zwei Drittel dieser Strafen hatte der Verurteilte am 30. April 2009
verbüßt. Das Strafende ist auf den 11. September 2010 notiert. Mit dem angefochtenen
Beschluss vom 13. März 2009 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Bielefeld eine bedingte Entlassung des Verurteilten nach Verbüßung von zwei Dritteln
der vorgenannten Strafen gemäß § 57 Abs. 1 StGB unter Hinweis auf seine
einschlägigen Vorstrafen und sein früheres Bewährungsversagen abgelehnt.
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Dagegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde.
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II.
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Die gemäß § 454 Abs. 1 und 3 StPO i.V.m. § 57 StGB statthafte sofortige Beschwerde
ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung und zur bedingten Entlassung des Verurteilten.
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Gemäß § 57 Abs. 1 StGB ist die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe
nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wenn dies
unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet
werden kann. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung sind namentlich die Persönlichkeit
des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem
Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine
Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für
ihn zu erwarten sind, § 57 Abs. 1 S. 2 StGB. Eine positive Entscheidung verlangt indes
nicht die Gewissheit zukünftiger Straffreiheit (zu vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 57, Rn.
14). Das mit einer Reststrafenaussetzung zur Bewährung stets verbundene Risiko kann
verantwortet werden, wenn sich eine reelle Chance dafür abzeichnet, dass sich der
Verurteilte künftig in Freiheit bewähren wird und damit eine begründete Aussicht auf
einen Resozialisierungserfolg besteht (zu vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27.
Aufl., § 57, Rn. 11).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Nach der Überzeugung des Senats
kann verantwortet werden, den Verurteilten in Freiheit zu erproben.
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Bei der Prognoseentscheidung konnte – worauf die Strafvollstreckungskammer in dem
angefochtenen Beschluss zu Recht verwiesen hat – nicht außer Betracht bleiben, dass
der Verurteilte in der Vergangenheit in erheblichem Umfang strafrechtlich in
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Erscheinung ist und einen Teil der durch die Ausgangsverurteilungen geahndeten
Taten trotz laufender Bewährung verübt hat. Der Schwerpunkt seiner Delinquenz lag
dabei auf Betrugsdelikten in Form des Eingehungsbetruges, deren Ursachen zumeist in
finanziellen Schwierigkeiten und der aus seinem beruflichen Scheitern resultierenden
Schuldenlast begründet waren. Zu den strafrechtlichen Vorbelastungen des Verurteilten
kommt sein massives Versagen zu Beginn des Strafvollzugs hinzu. So ist er Mitte
September 2005, etwa drei Wochen nach Strafantritt, aus dem offenen Vollzug
entwichen und hat erst im April 2006 wieder festgenommen werden können. Während
seiner Flucht hat er im September 2005 einen zuletzt durch Urteil des Amtsgerichts
Bielefeld vom 29. August 2006 abgeurteilten Mieteingehungsbetrug verübt.
Unter dem Eindruck der mehrjährigen Haftzeit sind jedoch – wie aus den positiven
Stellungnahmen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Hövelhof vom 22. Februar 2008
und des Leiters der Vollzugsanstalt Bielefeld-Senne vom 12. August 2008 und vom 3.
Februar 2009 hervorgeht – in der Persönlichkeit des Verurteilten eine deutliche
Entwicklung und grundlegende Einstellungs- und Verhaltensänderung eingetreten, die
nunmehr seine bedingte Entlassung als gerechtfertigt erscheinen lassen. In den
vorgenannten Stellungnahmen ist dem Verurteilten eine günstige Sozialprognose
gestellt und eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung geschlossen befürwortet
worden.
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Bei der Prognosebeurteilung war zu berücksichtigen, dass das Entweichen des
Verurteilten aus der Strafhaft mittlerweile über drei Jahre zurück liegt. Seither hat er sich
im Strafvollzug nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Aufgrund seines tadellosen
Vollzugsverhaltens ist er ab Juli 2007 kontinuierlich unter Lockerungen erprobt, im März
2008 in den offenen Vollzug verlegt und Anfang Juli 2008 zum Freigang zugelassen
worden. Er hat zahlreiche Ausgänge und Urlaube beanstandungsfrei abgewickelt und
sich auch während zwei ihm bewilligter Strafunterbrechungen als absprachefähig und
zuverlässig erwiesen. In diesem Zusammenhang ist dem Verurteilten prognostisch
zugute zu halten, dass er erstmals Freiheitsstrafe verbüßt. Als Erstverbüßer spricht bei
ihm bereits die Vermutung dafür, dass der Eindruck des erstmaligen Strafvollzugs seine
Wirkung nicht verfehlt und der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt (vgl. allg. zu
den Vollzugswirkungen bei Erstverbüßern BGH in NStZ-RR 1993, 200, 201; Fischer,
StGB, 56. Aufl., § 57, Rn. 14). Das gilt hier um so mehr, als er inzwischen bereits einen
recht langen, mehrjährigen Freiheitsentzug erlitten hat. Zudem ist die Strafhaft für ihn als
jungen Familienvater mit einer besonderen Härte verbunden. Im Rahmen der
Prognoseentscheidung hat sich weiter zu Gunsten des Verurteilten auswirken müssen,
dass er den Vollzugsberichten der Anstaltsleiter zufolge ernsthaft an der Bewältigung
seiner Persönlichkeitsdefizite sowie an der Erreichung des Vollzugsziels mitgearbeitet
hat. Er hat sich mit den Ursachen seiner Delinquenz auseinandergesetzt und den
Vollzug dazu genutzt, um sein Leben neu zu ordnen. So hat er sich aus der Haft heraus
eigeninitiativ um die Regulierung seiner Verbindlichkeiten und um die Einleitung eines
mittlerweile seit 2007 laufenden Privatinsolvenzverfahrens bemüht. Er hat sich zudem
von früheren Freunden, in deren Kreis er straffällig geworden war, losgesagt und statt
dessen den Kontakt zu seiner Familie intensiviert. Die Beziehung zu seiner langjährigen
Lebensgefährtin und seinen Kindern ist intakt. Der Verurteilte ist im November 2008
erneut Vater geworden. Er hat sämtliche Urlaube sowie die Zeit der ihm gewährten
Strafunterbrechungen bei seiner Familie verbracht, die seit der Geburt des dritten
Kindes und der schweren Krebserkrankung seiner ältesten Tochter dringend auf seine
Mithilfe und Unterstützung angewiesen ist. Dabei sind ihm – wie den Stellungnahmen
der Justizvollzugsanstalten zu entnehmen ist – seine Verantwortung als Vater und
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gerade auch die einschneidenden Folgen, die seine Inhaftierung für seine Kinder und
seine Lebensgefährtin mit sich bringt, nachdrücklich bewusst geworden. Die enge
Anbindung an seine Familie, das von ihm während der Haft gezeigte Verantwortungs-
und Pflichtbewusstsein und der feste familiäre Rahmen, in den er nach der Haft
zurückkehren wird, sind bei der Gesamtbetrachtung als maßgebliche, für eine
Legalbewährung sprechende Kriterien zu Gunsten des Verurteilten ins Gewicht
gefallen. Positiv zu werten ist auch, dass er sich beruflich um Perspektiven bemüht hat.
Auch wenn sich dies für ihn ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht einfach
gestaltet, steht ihm unmittelbar nach seiner Haftentlassung zumindest über ein
Personaldienstleistungsunternehmen ein Arbeitsplatz zur Verfügung. Mit Blick auf die
Art der abgeurteilten Taten muss hier auch das bei einem Rückfall bedrohte Rechtsgut
nicht zu einer Ablehnung der bedingten Entlassung führen.
In der Gesamtschau dieser Umstände erscheint es dem Senat vertretbar, die
Vollstreckung der noch nicht verbüßten Strafreste unter Beachtung des
Sicherheitsbedürfnisses der Allgemeinheit zur Bewährung auszusetzen. Bei der
Entscheidung wird nicht verkannt, dass die getroffene Prognoseentscheidung stets mit
einem Restrisiko verbunden ist. Dieses erscheint aber bei gleichzeitiger Anordnung der
aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Auflagen und Weisungen vertretbar gering.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1
StPO.
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