Urteil des OLG Hamm vom 13.05.2003

OLG Hamm (kläger, treu und glauben, italien, umstand, sachmangel, zpo, marktpreis, rückabwicklung, fahrzeug, import)

Oberlandesgericht Hamm, 28 U 150/02
Datum:
13.05.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
28. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 U 150/02
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 7 O 243/02
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.10.2002 verkündete Urteil
der 7. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
1
A.
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Gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO wird von der
Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.
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B.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
5
I.
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Der Kläger kann von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen
Verschuldens beim Vertragsschluß gem. §§ 280 Abs. 1, 211 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241
Abs. 2 BGB verlangen, weil sie ihm verschwiegen hat, daß es sich bei dem Renault
Espace um ein Einzelimport aus Italien handelt und dies in dem Fahrzeugbrief
dokumentiert ist.
7
1.
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Die Rückabwicklung des zwischen den Parteien geschlossenen
Verbrauchsgüterkaufvertrages i.S.v. § 474 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt vorliegend nicht über
das Gewährleistungsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 433, 323, 326 Abs. 5, 346 Abs. 1 BGB. Die
Anwendung dieser Vorschriften würde das Vorliegen eines Sachmangels i.S.v. § 434
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BGB erfordern. Dazu fehlt allerdings schlüssiger Sachvortrag des Klägers.
a)
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Ein Sachmangel i.S.d. § 434 BGB setzt voraus, daß es sich bei dem Umstand des
Imports des Pkw aus Italien um eine Beschaffenheit handelt. Die Beschaffenheit ist mit
dem tatsächlichen Zustand der Sache gleichzusetzen. Unter die Beschaffenheit fällt
jede Eigenschaft und jeder der Sache anhaftende tatsächliche wirtschaftliche oder
rechtliche Umstand (Palandt/Putzo, Ergänzungsband zur 61. Aufl., § 434 BGB, Rdn. 10
ff und 14). Die Eigenschaft/der Umstand muß in der Beschaffenheit der Kaufsache
wurzeln und ihr unmittelbar (physisch) auf eine gewisse Dauer anhaften (vgl.
Palandt/Putzo, a.a.O., Rdn. 11; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rdn. 179;
Reinking, Die Haftung des Autoverkäufers für Sach- und Rechtsmängel nach neuem
Recht, DAR 2002, 15, 16; ständige Rechtsprechung des BGH zum vor dem 01.01.2002
geltenden Recht, z.B. NJW 1992, 2564 m.w.N.). Zwar hat der Gesetzgeber den Begriff
der Beschaffenheit nicht definiert und offengelassen, ob die vorgenannte
Unmittelbarkeitsbeziehung gegeben sein muß (vgl. Bundestagsdrucksache 14/6040, S.
213; Palandt/Putzo, a.a.O., Rdn. 9; Reinking/Eggert, Rdn. 1062 und 1217; Schmidt-
Räntsch, Das neue Schuldrecht, Rdn. 711; Häublein, Der Beschaffenheitsbegriff und
seine Bedeutung für das Verhältnis der Haftung aus c.i.c. zum Kaufrecht, NJW 2003,
388, 389). Da allerdings die Neuregelung des Sachmangelbegriffs den nach alter
Rechtslage geltenden Fehlerbegriff nicht verändern wollte und die Neuregelung dem
subjektiv objektiven Fehlerbegriff folgt, ist auch weiterhin der Beschaffenheitsbegriff
restriktiv im vorgenannten Sinne aufzufassen (Ebenso Reinking/Eggert, a.a.O. und
Palandt/Putzo a.a.O.).
11
b)
12
Auf die Beschaffenheit der Kaufsache wirkt es sich in dem oben gesagten Sinne nicht
unmittelbar aus, ob die erste Auslieferung innerhalb des nationalen Händlernetzes oder
über das Ausland erfolgt ist. Der Umstand des Imports des Pkw ist daher allein keine
ihm anhaftende Beschaffenheit, also kein Sachmangel i.S.v. § 434 BGB (ebenso
Reinking/Eggert, Rdn. 1767).
13
Auch die vom Kläger behauptete, mit dem Import zusammenhängende Nichterfassung
des Fahrzeugs bei Rückrufaktionen, Wertminderung wegen einer Offenbarungspflicht
bei Weiterveräußerung und Verweigerung der Reparaturen durch Vertragswerkstätten
begründet keinen Sachmangel. Diese Umstände werden gerade daraus hergeleitet, daß
es sich um ein Importfahrzeug handelt. Da aber diese Tatsache gerade keine
Beschaffenheit der Kaufsache ist, gilt dies ebenfalls für die von dem Kläger behaupteten
Konsequenzen.
14
Ein Unterschied des Renault Espace gegenüber Fahrzeugen mit der in Deutschland
üblichen Serienausstattung wäre demgegenüber zwar eine unmittelbare Beschaffenheit,
so daß eine Abweichung einen Sachmangel i.S.v. § 434 BGB begründen könnte.
Allerdings fehlt zu einer derartigen Abweichung schlüssiger Sachvortrag des Klägers. Er
hat keinerlei Ausstattungsmerkmale genannt, die von denen der in oder für Deutschland
hergestellten Fahrzeugen abweichen und eine Minder-/Magerausstattung darstellen
(vgl. dazu Reinking/Eggert, Rdn. 447, 449, 1694). Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß
der von dem Kläger erworbene Renault Espace in seiner Ausstattung von den nach der
Straßenverkehrszulassungsordnung in der BRD erforderlichen Standards abweicht (s.
15
dazu Reinking/Eggert, Rdn. 447 a.E.). Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig und
aus dem Fahrzeugbrief ersichtlich, daß er die Betriebserlaubnis für Deutschland 1995
erhalten und seitdem hier für unterschiedliche Halter zugelassen worden ist.
2.
16
Da es nach vorstehenden Ausführungen hier nicht um Merkmale des Fahrzeugs geht,
die einer Beschaffenheitsvereinbarung zugänglich sind, kann sich der Anspruch nur aus
Verschulden der Beklagten beim Vertragsschluß gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1
i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB ergeben (vgl. Reinking/Eggert, Rdn. 1766, 1771;
Palandt/Heinrichs, § 311 BGB, Rdn. 17; Palandt/Putzo, § 437 BGB, Rdn. 51; Häublein,
NJW 2003, 388, 389).
17
Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor, so daß der Kläger zum Rücktritt
vom Kaufvertrag berechtigt war.
18
a)
19
Die Beklagte hat schuldhaft, zumindest fahrlässig, ihre Pflichten beim Abschluß des
Kaufvertrags über den Renault Espace verletzt.
20
Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Kläger darüber aufzuklären, daß es sich
bei dem Renault Espace um ein Einzelimport aus Italien handelt und dieser
Einzelimport im Fahrzeugbrief vermerkt ist. Insoweit hat der dem Senat als erfahren
langjährig bekannte Sachverständige Dipl.-Ing. V ausgeführt, daß dieser Umstand bei
einer Weiterveräußerung des Fahrzeugs zu einem deutlich niedrigeren Marktpreis führt.
Der Sachverständige hat insoweit zu den Marktgegebenheiten für das Jahr 2002, dem
Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger, überzeugend ausgeführt, ein
potentieller Erwerber wegen der in dem Fahrzeugbrief dokumentierten
Importeigenschaft mißtrauisch gegen das Fahrzeug gewesen wäre. Dieses Mißtrauen
beruht noch aus früherer Zeit und galt bis zum Jahr 2002 fort. Erst danach habe sich
nach und nach das Marktverhalten im Hinblick auf Importfahrzeuge geändert. Das
psychologisch bedingte Mißtrauen gegen das Importfahrzeug schlägt sich in seinem
Marktwert nieder. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, der
selbst eine DAT-Schätzungsstelle betreibt und dem die Marktgegebenheiten bekannt
sind, bedingte der im Fahrzeugbrief manifestierte Umstand des Imports des Renault
Espace aus Italien - auch unter Berücksichtigung seines Alters - einen fortdauernden
niedrigeren Marktpreis von 10 % des vom Kläger bezahlten Kaufpreises, der nach den
Ausführungen des Sachverständigen marktgerecht gewesen ist. Der Sachverständige
hat weiterhin überzeugend ausgeführt, daß für diesen erheblich niedrigeren Marktpreis
unerheblich ist, ob das Fahrzeug vor seinem Import in Italien bereits benutzt worden ist.
21
Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob diese Einschätzung der Marktgegebenheiten
auch noch für das Jahr 2003 und in Zukunft gelten. Maßgeblich für die Feststellung der
Pflichtverletzung sind insoweit die Marktgegebenheiten zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses, also das Jahr 2002.
22
b)
23
Damit steht fest, daß die Beklagte beim Kaufabschluß dem Kläger einen preisbildenden
Faktor verschwiegen hat, der den Marktwert des Kraftfahrzeugs mehr als unerheblich
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beeinträchtigt. Daß der Beklagten bzw. ihrem Abschlußvertreter nicht bewußt gewesen
wäre, daß der vom Kläger erworbene Renault Espace ein Einzelimport aus Italien
gewesen ist, macht die Beklagte nicht geltend. Dies ist im übrigen aus dem
Fahrzeugbrief ersichtlich. Als branchenerfahrene - wenn auch nicht Renault-
Vertragshändlerin wußte sie, daß solche Importfahrzeuge einen deutlich niedrigeren
Marktpreis haben. Angesichts dessen durfte der Kläger nach Treu und Glauben einen
Hinweis auf den Import des Fahrzeugs und die Eintragung im Kraftfahrzeugbrief von der
Beklagten erwarten. Umstände, die diesen gebotenen Hinweis überflüssig gemacht
hätten, sind weder dargetan noch ersichtlich.
3.
25
Das schuldhafte Unterlassen dieses Hinweises ist für den Kaufabschluß zumindest
mitursächlich geworden. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß das
Verschweigen eines wertmindernden Umstandes den Kaufentschluß zumindest
mitbeeinflußt (BGH, NJW 1995, 2361, 2362; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1063,
1064).
26
4.
27
Aufgrund der schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten konnte der Kläger vom
Kaufvertrag zurücktreten und dessen Rückabwicklung verlangen, vgl. dazu nur
Reinking/Eggert, Rdn. 1772). Es ist der Kaufpreis in Höhe von 7.700,00 EUR Zug um
Zug gegen Rückgabe des Renault Espace zurückzugewähren.
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Zwar hätte der Kläger im Rahmen der Rückabwicklung auch gezogene Nutzungen gem.
§§ 346 Abs. 1, 281 Abs. 5 BGB herauszugeben (vgl. dazu Reinking/Eggert, Rdn. 1398
f.). Allerdings steht aufgrund der Anhörung des Klägers im Termin vor dem Senat fest,
daß er das Fahrzeug niemals zugelassen hat und es seit dem Erwerb im März 2002 in
seiner Garage steht. Diese Angaben werden bestätigt durch die Feststellungen des
Sachverständigen V, der bekundet hat, der Pkw weise einen Kilometerstand von
196.771 Kilometern auf. Dieser liegt damit jedenfalls nicht höher als der Kilometerstand
beim Ankauf des Fahrzeugs. Der Kläger hat somit keine Nutzungen gezogen, die
herauszugeben wären und seinen Rückzahlungsanspruch herabsetzen würden.
29
II.
30
Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gem. §§ 288
Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Beklagte geriet mit der Rückzahlung des Kaufpreises
nach Ablauf der in dem Rücktrittsschreiben des Klägers vom 10.04.2002 gesetzten Frist
am 25.04.2002 in Verzug.
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III.
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Der nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges ist
nach §§ 293 ff BGB begründet. Die Beklagte geriet mit der Rücknahme des Pkw in
Annahmeverzug, als sie die von dem Kläger mit Schreiben vom 10.04.2002 zum
24.04.2002 gesetzte Frist ungenutzt verstreichen ließ.
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IV.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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V.
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Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht
vor. Der Rechtsstreit besitzt keine grundsätzliche Bedeutung, da über die
Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden war. Eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofs ist auch nicht zum Zwecke der Rechtsfortbildung oder Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
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